27. April 2005
Semantik und Manipulation
Notwendigkeit von Begriffsbestimmungen

oder: wider das verwischende Einerlei der Alltagssprache bei sachlichen Auseinandersetzungen

Jeder, der regelmäßig oder auch nur hin und wieder Fachliteratur, vor allem die der Geisteswissenschaften liest, kennt die Problematik der Begriffsbestimmung. So kommt auch in jedem guten Werk die Definition fraglicher Begriffe am Anfang vor den eigentlichen Ausführungen, um entsprechende Mißverständnisse zu vermeiden. Manchmal ist es aber auch vonnöten – mangels eines passenden, geläufigen Begriff für eine komplexe Vorstellung – einen schon bestehenden für diesen einen Zweck umzudefinieren, wie ich das beispielsweise in meinem Artikel Der nekrophile Charakter getan habe. Ohne diese Umdefinierung wäre das Folgende für den Leser weniger bis gar nicht verständlich. (Hier handelte es sich aber weniger um einen Neudefinition als vielmehr um die Hervorhebung einer ursprünglichen.)

Zwar herrschen in den Kreisen der Philosophen, Soziologen, Sprachkritiker (bei denen wegen spezieller Sachkenntnis etwas weniger) usw. auch gewisse Rivalitäten, doch bewegen diese sich auf einem weit höheren Niveau und lassen durch letzteres keinesfalls zu, auf billigen Wegen, wie das in Internetforen täglich geschieht, Aussagen verhindern oder gar unmöglich machen zu wollen. Der sprachkritisch Ungeschulte kann und will sich in solchen Fällen des Dranges, den jeweiligen Autor auf die enge Definition diverser Wort-Tabellen (Wörterbücher, Lexika) hinzuweisen, nicht enthalten, reduziert ihm dieses Verhalten doch den Druck der beim Lesen anspruchsvoller Texte entstandene Empfindung von Minderwertigkeit. Viele äußerten hier aber auch ganz unverblümt ihr Unverständnis und fordern in bekannter Ego-Manier den Autor auf, sich gefälligst ihrem eigenen Niveau anzupassen. Daß vieles, worüber sich der Autor offensichtlich mit anspruchsvolleren Diskutanten auseinandersetzen möchte, gar nicht sagbar ist ohne spezielle Fachkenntnisse und -begriffe, leuchtet dem unbeschlagenen Laien verständlicherweise nicht ein. Auch ich kam einst um diese Erfahrung nicht herum, was mich aber keineswegs dazu bekehrte, mich nun der reduzierten und klischeehaften Alltagssprache der Mehrheit zu bedienen. Ich habe dies so ausführlich, wie es mir möglich war, in Ich widersetze mich! dargelegt.

Machtstreben ist dem Streben nach Weisheit diametral entgegengesetzt, was jedem einleuchten wird, der den völligen Mangel von Weisheit in Politikerkreisen (und entsprechenden) zu konstatieren in der Lage ist. Mit Machtstreben, wie ich es hier verstanden haben möchte, meine ich keineswegs die gesamte Kategorie dieses Strebens, die natürlich auch beinhaltet, daß der Mensch etwas machen will, daß er agieren und tätig sein will, sondern vielmehr das Streben nach Macht über andere, danach, das Sagen zu haben, der Bestimmer, der Boss zu sein. Hier bietet sich nämlich die Möglichkeit, durch das Tätigsein anderer etwas zu erreichen, was man vielleicht durch eigene Tätigkeit nicht erreichen könnte oder wollte (womöglich aus Bequemlichkeit, oft auch aus Unfähigkeit). Ich meine also ausdrücklich das Streben nach Macht über andere. In erster Linie vermittelt dem Mächtigen seine Macht über andere ein Gefühl der Unangreifbarkeit, manchen vielleicht sogar das Gefühl der Unsterblichkeit. Ursprünglich entwickelt sich dieses besondere Machtstreben aus Minderwertigkeitsempfindungen, die während der Kindheit dazu führten, eine Gegenkraft zur Kompensation zu entfalten. Alfred Adler hat hierüber ausführlichst gearbeitet ("Über den nervösen Charakter", "Heilen und Bilden").

Zum Herrschaftswissen gehört seit altersher das Vorenthalten bzw. Ausmerzen von Wissen, heute vorwiegend über Massenmanipulation verwirklicht und, wie das Gesprächsniveau hier wie auch die Pisa-Studie zeigen, fast vollendet. Dabei kommt den Profiteuren dieser Manipulationen eine zerstrittene und uneinige Basis (die er als seine Herde betrachtet, sein Nutzvieh) entgegen, weil sich so die Gefahr, in seinem schändlichen Tun erkannt zu werden, auf ein Minimum verringert. Eine meiner Ansicht nach brauchbare Sammlung von derartigen Manipulationsversuchen findet sich in der frei verfügbaren PDF-Datei "Methoden der Manipulation" (kein Copyright) von Elias Erdmann, an vielen Orten im Netz downloadbar, z.B. dort.

Ein empfehlenswertes Buch älteren Datums zu den Anfängen der Massenmanipulation (zuerst in den USA) stammt von Vance Packard: "Die geheimen Verführer" (1957, ISBN 3-430-17325-6). Ausführlicher in die Details geht Robert B. Cialdini in seinem Buch "Die Psychologie des Überzeugens" (2002, ISBN 3-456-83800-X). Aber auch die reichhaltige Literatur zur Geschichte der Nazi-Propaganda liefert beeindruckende Beispiele von erfolgreicher, bösartiger Manipulation der Massen.