15. November 2005
Sabotage – eine beliebte "Kommunikationstechnik"
Wie wir uns täglich um Unverständnis bemühen

Eines meiner Motive, mich hier in diesem Forum zu bewegen, das so gar nicht meinem sonstigen Charakter zu entsprechen scheint, besteht in der sich geradezu aufdrängenden Möglichkeit, in Ruhe psycho-soziologische Studien zu betreiben. Tatsächlich wurde ich in der Vergangenheit häufig erst durch diese Theaterbühne, die sich Single.de nennt, dazu angeregt, gewissen Fragen auf den Grund zu gehen.

Ein auffallend häufigs Charakteristikum der Art & Weise, wie Menschen miteinander umgehen, besteht im offensichtlich Bestreben, den Diskussionspartner nicht verstehen zu wollen, was ich hier kurzerhand Gesprächs-Sabotage oder einfach Sabotage nennen werde. Für den Gesprächsteilnehmer existieren zahlreiche Interessen, die ihn dazu bewegen können, ein Gespräch nicht im Sinne einer Vertiefung des gegenseitigen Verständnisses zu führen, sondern ihn im Gegenteil von den zahlreichen Möglichkeiten Gebrauch machen lassen, eine sich anbahnende Verständigung zu sabotieren. Einer dieser Gründe, womöglich der am häufigsten wirksame, stellt die vage oder halbbewußte Angst dar, sich nach erfolgreichem Abschluß des Gesprächs in einem schlechten Licht dargestellt wiederzufinden. Solche Resultate müssen – um das eigene Selbstverständnis bewahren zu können – unter allen Umständen vermieden werden.

Man kann diese Technik häufig in Gesprächsrunden beobachten, die im TV zu aktuellen politischen Themen vorgeführt werden. Da wird ins Wort gefallen, wenn die Ausführungen des Gegners unerwünschte Aspekte aufzuzeigen drohen, es wird abglenkt, Entrüstung gezeigt, schnell gesprochen und vieles mehr, was geeignet scheint, das Gespräch im eigenen Sinne zu lenken bzw. den Fortschritt im Gespräch zu verhindern.

Um es gleich vorwegzunehmen: Es gibt durchaus Situationen, die eine weitere Gesprächsteilnahme verbieten bzw. als sinnlos erkennen lassen. Nicht alle der im Folgenden beschriebenen Sabotage-Akte sind daher grundsätzlich als moralisch verwerflich einzustufen. So erfordern manche Fragen an den Gesprächspartner z.B. einen über das gewöhnliche Maß hinausgehenden Erklärungsumfang, für den selten der entsprechende äußere Rahmen verfügbar ist. Auch eindeutig nicht zur Sache gestellte bzw. die Person des Gegenübers betreffende Fragen tragen nur selten zum Verständnis der beteiligten Gesprächspartner bei und sollten nach meiner Auffassung ignoriert werden.

Absichtliches Mißverstehen

Zugegeben ist es selten einfach, dem falsch Verstehenden eine gewisse Absicht nachzuweisen, da es sich auch häufig um eine schiere Unfähigkeit handelt, Gelesenes "richtig" zu decodieren und zu interpretieren. Viele Menschen nehmen heute das, was man ihnen sagt oder schreibt, allzu wörtlich, weil sie beispielsweise nicht gelernt haben, mit Metaphern umzugehen. Manchmal ist ein absichtliches Mißverstehen aber dennoch mehr als offensichtlich.

Provokation einer Beleidigung

Hier bieten sich dem potentiellen Saboteur zahlreiche Möglichkeiten, den Gegner ins Unrecht zu setzen, indem er ihn dazu provoziert, eine wenig schmeichelhafte Entgegnung zu wählen. Nicht selten geschieht das durch ein absichtliches Dummstellen, um dem Gegner die Möglichkeit anzubieten, den Begriff der Dummheit auf den Saboteur anzuwenden und so den Saboteur in die Lage versetzen, von einer Beleidigung zu sprechen.

Den Abbruch des Gesprächs herbeiführen

Auch diese Methode erfreut sich hoher Beliebtheit, wenn das Gespräch eine unerwünschte Richtung nimmt. Viele der vor- und nachgenannten Tricks dienen letztlich diesem Ziel.

Unterstellungen

Eine Unterstellung, also eine unbegründete und unbeweisbare Behauptung, oft auf die Person des Gegners gerichtet, auf seine Integrität oder seinen Sachverstand bezogen, eröffnet dem Saboteur mannigfaltige Möglichkeiten. Zum einen erreicht er häufig eine emotionale Betroffenheit beim Gegner, die diesen schwächt und dessen Kritikfähigkeit herabsetzt. Zum anderen kann er nun den Gegner abwerten, wobei es völlig gleichgültig ist, ob die zu erwartende Entgegnung nun eine Verteidigung, eine Rechtfertigung oder in seltenen Fällen ein Zugeständnis darstellt. Die empörte Zurückweisung der Unterstellung ist eine Steilvorlage für einen Hinweis auf die unkontrollierte Emotionalität des Gegners. Die Rechtfertigung läßt den Saboteur mit dem Aussprechen des Verdachts auf das schlechte Gewissen des Gegners reagieren, und das Zugeständnis entlockt dem Saboteur ein hämischem Lachen, da er sich nun in seiner eingebildeten Überlegenheit bestätigt fühlt, indem er den Gegner als schwach, fehlerhaft, gestört bezeichnet oder ihn mit sonstigen negativen Attributen behängt. In den meisten Fällen wird der Saboteur mit Hinweis auf dieses Zugeständnis jede weitere Äußerung des ehemaligen Gesprächspartners abzublocken wissen.

Mangelnde Gespräschbereitschaft – fehlende Kooperation

Die fehlende Kooperation liegt meist in einer mangelnden Bereitschaft begründet, den Gegenstand der Diskussion vom Standpunkt des Gegners aus zu betrachten bzw. die Argumente des Gegners dahingehend zu würdigen, daß man einmal selbst in die Richtung blickt, die der Gegner seinen aktuellen Aspekt der Betrachtung nennt. Man fürchtet sich davor, diesen fremden Standpunkt vorübergehend einzunehmen, weil man damit womöglich Munition für Schnellschüsse auf den Gegner verliert und das eigene Interesse von einer anderen Warte aus bewertet, was Zweifel an der eigenen Position aufkommen lassen könnte.

Lügen

Hierzu gibt es im Grunde nicht viel zu sagen, weil es wohl jedem klar sein dürfte, daß Lügen zur gezielten Täuschung des Gegners eingesetzt werden und was man mit ihnen alles erreichen kann.

Tränen

Seelische Verzweiflung oder Schmerz, aber auch empfundene Ungerechtigkeit und mangelnde Fairneß können mit Tränen ebenso ausgedrückt wie simuliert werden. Diese Technik wird häufig von Frauen eingesetzt, wenn sie ein Gespräch beenden wollen, das sich in eine unerwüschte Richtung entwickelt.

"Legitime" Gefühlsausbrüche

Hierzu zählen u.a. die heroisch vorgetragenen Rundumschläge, die für sich beanspruchen, die herrschende moralische und ethische Instanz zu vertreten. Gefühlsausbrüche in Diskussionen ziehen ihre häufigen Erfolge aus der Tatsache, daß die meisten Menschen davon ausgehen, daß dort, wo sich Rauch zeigt, auch ein Feuer sein muß. So werden sehr häufig ungewünschte Richtungsänderungen durch eine emotionale Betonung des common sense verhindert. Manchmal wird dem so Angegriffenen auch eine Schädigung der Volksseele oder -gesundheit unterstellt: "Deine Ausführungen provozieren nur übertriebene Selbstbeobachtung, die nicht gesund sein kann." Auch hier ist es nur selten möglich, dem Saboteur eine Heuchelei nachzuweisen. Verständlicherweise wird kaum je ein Mensch eine Heuchelei eingestehen.

Der vergessene dringende Termin

... eine billige Sabotage-Technik, die auf der heute leicht glaubhaft zu machenden Tatsache beruht, daß jeder ständig irgendwelche Termine hat. Soweit ich das überblicke, wird diese Technik häufig in Beziehungskisten eingesetzt, um klärende Gespräche zu vermeiden. Eine Variante dieser Technik findet sich auch sonst recht häufig: "Alles Schwachsinn, was du sagst. Leider habe ich aber nicht die Zeit, dir das auführlich darzulegen." – ein Zuschlagen mit anschließender schneller Flucht. Nicht selten ist heute der Ausdruck "keine Zeit" synonym zu "kein Interesse" oder "keine Fähigeit" zu interpretieren.

Das Maschinengewehr

Hier haben wir eine sehr wirkungsvolle Technik, um den Gegner erstens nicht zu Wort kommen zu lassen und ihm andererseits die Möglichkeit der Entgegnung so weit wie möglich zu erschweren. Meist zeigen die Maschinengewehr-Saboteure eine starke Neigung zum Unterbrechen des Gegners, wie sie auch häufig gar nicht erst auf die Argumente des Gegners eingehen, sondern jede seiner Gesprächpausen dazu nutzen, ihren einmal angefangenen Monolog fortzusetzen.

Mein letztes Angebot

Diese nur leicht versteckte Drohung signalisiert dem Gegner, daß er sich jetzt schleunigst zu unterwerfen habe, wenn er noch eine Einigung erzielen möchte. Andernfalls droht der Saboteur – unausgesprochen –, das Gespräch zu beenden.

Der Gegenstand ist nicht verhandelbar

Diese Technik wird meist gegenüber Leuten eingesetzt, die über weniger Macht als der Saboteur verfügen: ein wichtiger Aspekt des Themas wird einfach als nicht verhandelbar deklariert. Der Saboteur erreicht damit, daß er sich gewissen Aspekten des Themas nicht stellen muß.

Wie mache ich jemandem ein schlechtes Gewissen?

"Was? Und du hast nicht eingegriffen? Schäm dich!" Hier soll dem Gegner ein Schuldgefühl eingeredet werden.

Den eigenen Standpunkt verteidigen

Meist beschränken sich Diskussionen auf diesen einen Punkt. Die Gesprächspartner vergeben sich damit die Möglichkeit, den Sachverhalt, über den debattiert wird, eingehender zu untersuchen. Diese Beschränkung wird dadurch fixiert, daß die Aussagen der Gesprächsteilnehmer im Grunde mehr an ein vorhandenes Publikum als an den jeweiligen Gesprächspartner gerichtet sind.

Erklärungen verweigern

Nicht immer, wenn eine Erklärung verweigert wird, muß es sich um Sabotage handeln. Oft gerät nämlich der so Aufgeforderte allein deshalb in Erklärungsnot, weil die geforderte Erklärung sein Wissen oder seine Ausdrucksfähigkeit übersteigen würde.

Der blockierte Informationsfluß

Man kann den Gegner in einem absichtlich hergestellten Kenntnisdefizit belassen, indem man ihm Informationen, die seine Position stärken würden, verweigert.

Antworten auf Fragen verweigern

Auch hier kann man nicht grundsätzlich Sabotage annehmen. In Diskussionen werden häufig auch Fragen gestellt, die mit dem eigentlichen Thema nichts zu tun haben oder die Privatsphäre des Gegners betreffen, um sich von dort Munition für Angriffe zu holen.

Nun hat der Leser mit dieser kurzen Liste weitere Munition in die Hand bekommen, um sich noch gezielter verbal zu bekriegen, aber auch, um Manipulationsversuche besser erkennen und abwehren zu können.