12. Mai 2006
Die Reichen werden immer reicher ...
... und die Armen immer ärmer ...

... so lautete ein Statement, dem rund 61 Prozent der Befragten im Jahr 2004 zustimmten. Im Rahmen der auf 10 Jahre angelegten Sozialstudie "Deutsche Zustände", durchgeführt von Wilhelm Heitmeyer, wurden etwa 3000 Menschen mit gesellschaftlichen und politischen Aussagen konfrontiert, um vorrangig das Ausmaß und die Ursachen feindseliger Einstellungen gegen Ausländer, Minderheiten und Randgruppen festzustellen.

Einzelheiten zu den Studienergebnisse finden sich dort.

Im Artikel 20 des Grundgesetztes der Bundesrepublik Deutschland steht folgender Text:

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

GG Art 20a
Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.

Wie aber läßt sich der inzwischen stark vorangeschrittene und noch weiter voranschreitende Sozialabbau mit dem Artikel 20 des Grundgesetzes vereinbaren? Meiner Empfindung nach gar nicht! Vermutlich ist eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes nicht mehr weit ...

Für mich ist es nur schwer vorstellbar, daß unsere Eliten – diejenigen, die in unsererm Staat die Entscheidungen treffen und die öffentliche Meinung prägen – nicht begreifen wollen oder können (oder dürfen?), daß ihre Politik zu einer verantwortungslosen Zunahme von Angst und Repression führen wird, ja zwangsläufig führen muß. Sie erkennen nicht den einfachen Zusammenhang, der zwischen wirtschaftlichen Sorgen, fehlender Zukunftsperspektive, dadurch entstehender Angst und dem Umgang mit dem Nächsten, insbesondere dem Nächstschwächeren besteht. Oder irre ich mich etwa? Erkennen sie diese Zusammenhänge und sind diese Resultate bewußt gewollt? Ist es nicht Blindheit und naive Ignoranz, die die Verantwortlichen eine Hartz-IV-Kampagne, gepaart mit einer Lockerung des Kündigungsschutzes und der geplanten Mehrwertsteuererhöhung die Risiken steigender Gewaltbereitschaft eingehen läßt? Wer von oben getreten wird, gibt den Druck nach unten weiter ... Von wem wohl die Eliten getreten werden?

Sehen die Eliten nicht den mehr als offensichtlichen Zusammenhang zwischen sinkenden Einkommen und darbender Binnenwirtschaft? Wem nur Geld für das Nötigste bleibt, der kauft auch nur das Nötigste. Der Umsatz deutscher Firmen geht zurück, was wiederum Arbeitsplätze vernichtet – ein Teufelskreis! Wieso machen sie unsere Infrastruktur kaputt? Von wem werden die Eliten dafür bezahlt, ihr eigenes Land dem Ausverkauf preiszugeben?

Was meint Frau Merkel, wenn sie davon spricht, "mehr Freiheit zu wagen"? Sicher meint sie damit keine Tendenzen zur Selbstverwirklichung. Heitmeyer:

Aber die aktuellen Verhältnisse, auf die dieser Leitspruch gemünzt ist, sind angstbesetzt. Davon wird auch die Freiheit infiziert: Sie wird vielfach verstanden als Freiheit von verantwortungsbewußten ökonomischen und sozialen Logiken, die lange als Maßstab galten, immer häufiger sogar als Freiheit zu sozialen Abwertungen und Ausgrenzungen.

Bildungsnotstand

Seit der berühmt-berüchtigten, von Helmut Kohl herbeigeführten "Wende" 1984 wurden Milliarden in die Vermehrung der TV-Programme und -Kommerzialisierung gesteckt – und das, obwohl bereits Ende der 70er Jahre verheerende Folgen für Wissens- und Bildungsstand und die Gewaltbereitschaft vorhergesagt wurden. Damals hatte man noch keine ausreichenden wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber, was genau diese Dauerberieselung mit fiktiven und gestellten Inhalten in den Köpfen der Menschen auslösen würde. Doch heute wissen wir mehr. Der Ulmer Hirnforscher Manfred Spitzer hat diese Einflüsse untersucht und sie in zweien seiner Bücher dem Publikum vorgestellt: "Vorsicht Bildschirm! – Elektronische Medien, Gehirnentwicklung, Gesundheit und Gesellschaft" (2005) und "Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens" (2002). Spitzer:

Die Dosis des Fernsehens [...] nahm vor etwa 15 Jahren deutlich zu. Und wir haben in den letzten Jahren einen Anstieg der Aggressivität unter Jugendlichen. Nach kürzlich vom baden-württembergischen Kultusministerium veröffentlichten Angaben wurde in diesem Land von 1997 bis 2003 eine Zunahme aggressiver Verhaltensweisen bei Schülern um über 40% festgestellt. ... Die Gewalt in den Medien schadet besonders jungen Kindern unter acht Jahren, da diese noch Schwierigkeiten haben, zwischen Realität und Phantasie zu unterscheiden. Sie hat nachweislich eine ganze Reihe von Auswirkungen bei Kindern: Sie verstärkt Aggressivität und antisoziales Verhalten, verstärkt aber auch Ängste, selbst Opfer von Gewalttaten zu werden. Zudem desensibilisiert Gewalt in den Medien die Jugendlichen gegenüber realer Gewalt und Gewaltopfern. Schließlich führt Gewalt in den Medien zu einem "verstärkten Appetit" auf mehr Gewalt im Unterhaltungsprogramm, aber auch im realen Leben.

In dem Artikel "Bunt flimmert das Verderben" in der ZEIT vom 18. September 2003 stellt der Leiter des "Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen", Christian Pfeiffer, fest:

Die schulischen Lerninhalte verblassen angesichts der emotionalen Wucht der filmischen Bilder. ... Wer täglich stundenlang fernsieht, hat zudem kaum noch Zeit, die schulischen Hausarbeiten konsequent zu erledigen. Außerdem bewegt er sich zu wenig. Das schädigt nicht nur den Körper, sondern auch den Geist.

Zunehmende Häufigkeit von Gewaltdarstellungen führt dazu, daß sich bei den Betroffenen die Hemmschwelle gegen Gewaltanwendung absenkt. Dieses Risiko wird leichtfertig eingegangen von Profiteuren – zu denen auch Politiker zählen, als prominentes Beispiel sei hier nur der ehemalige Postminister Schwarz-Schilling erwähnt –, die eine Verantwortung für zunehmende Gewaltbereitschaft in unserer zunehmend kälter werdenden Gesellschaft ablehnen oder diese Zunahme generell in Abrede stellen. Hier kann man nur noch von organisierter Verantwortungslosigkeit sprechen ...

Leere Sozialkassen

"Wir können uns den Sozialstaat nicht mehr leisten" – diese Behauptung kann man noch heute beinahe täglich in den Medien finden. Doch woher kam dieser plötzliche Schwund in den Sozialkassen? Sind heute mehr Leute als früher krank? Sind die Medikamente urplötzlich teurer geworden? Oder verlangten die Ärzte plötzlich unverhältnismäßig mehr Geld? Mitnichten! Die Sozialkassen wurden von der Regierung des Helmut Kohl im Zuge der deutschen Wiedervereinigung geplündert – zur Zufriedenheit und mit dem Wohlwollen der mächtigsten Versicherungskonzerne. Undurchschaubar? Unlogisch? Fehlender Zusammenhang? Laßt es euch erklären:

In seinem Buch "Wir sind besser, als wir glauben" schildert Peter Bofinger, wie einst Helmut Kohl die bundesdeutschen Sozialkassen zur Finanzierung der deutschen Einheit geplündert hatte, um sein Wahlversprechen, auf Steuererhöhungen zu verzichten, nicht vorzeitig brechen zu müssen. Damit führte er eine versteckte Lohnsenkung ein, da eine Belastung der Sozialkassen mit versicherungsfremden Leistungen automatisch die Beiträge steigen läßt. Im Zuge dieser Vorgehensweise klagten nun die Arbeitgeber, die Lohnkosten wären in Deutschland zu hoch. So entstand die Forderung nach Lohnabbau.

Die Folgen dieses Raubbaus an einem gewachsenen Umlagesystem, die wir heute zu spüren bekommen, waren der Regierung Kohl, die in erster Linie das große Geld vertrat, aber keineswegs unbekannt, sondern vielmehr berechnet und beabsichtigt. Denn die großen Versicherungskonzerne waren und sind schon lange scharf auf den kapitalen Anteil der staatlichen Rentenversicherer. Und da kam ihnen die Amtsübernahme durch Herrn Kohl gerade recht. Kohl spielte den privaten Versicherungsgesellschaften in die Hände, indem er wie sie selbst die Angst schürte, die den Versicherungen im großen Stil Kunden zutreiben sollte. Bis heute ist die Herkunft gewisser Schwarzgelder, über die Kohl nachweislich verfügte, nicht geklärt ...

Jeder ist seines Glückes Schmied?

Diese These wird heute meist zur Abwehr von Verantwortung gebraucht. Den betroffenen Menschen soll damit eingeredet werden, daß ihr aktuelles Leid und Elend Resultat ihres persönlichen Versagens sei. Dabei wird natürlich verschwiegen, daß die meisten Menschen, die heute an und unter dem Existenzminimum leben, auf die meisten der Faktoren, die zu ihrer Ausgrenzung führten, so gut wie keinen Einfluß hatten. Heute ist man als Hartz-IV-Empfänger automatisch ein Schmarotzer, ein Nichtstuer und Taugenichts, ein Tagedieb und somit ein verachtungswürdiges Subjekt – man wird vom Opfer zum Täter gestempelt! Dabei handelt es sich in Wirklichkeit um ein Versagen der bundesdeutschen Eliten, gespeist aus Unwissenheit und Interessenverflechtung, aus Ignoranz und Sturheit, aus Realitätsferne und Ideenlosigkeit.

Fazit: Alles in allem ist die derzeitige bundesdeutsche Misere hausgemacht, und wie gehabt wird von den Verantwortlichen eifrig nach geeigneten schwarzen Schafen Aussschau gehalten. Welche Gruppe wäre dafür besser geeignet als die stimm- und hilflosen Arbeitslosen? Braucht die heutige Politik eine gewisse Masse von Unterprivilegierten, um aus Opfern Täter machen zu können und so nachhaltig von ihrem eigenen Versagen abzulenken???

Einige Links, die ergänzen, worum's mir in diesem Artikel geht:

Marburber Forum – Beiträge zur geistigen Situation der Gegenwart:
Zum Reichtum unseres Landes von Johannes M. Becker. Auszug:

Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik (AAW) beziffert die Einnahmeverzichte in folgenden Bereichen mit folgenden Werten: