5. November 2005
Die pösen Männer und die herzensguten Frauen
Sind die Männer schuld am Elend der Welt?

Eine gängige Ansicht in Emanzenkreisen lautet: die Männer seien aggressiv und wollen nur zerstören. Frauen dagegen seien bewahrend und würden, hätten sie etwas zu sagen, die Welt retten. Doch der Begriff "Emanze" meint nicht zwangsläufig eine aufgeklärte und emanzipierte Frau.

Seit ich in Internet-Foren mitlese und -schreibe, ist mir diese Aussage in vielfältiger Form begegnet – und bislang sah ich mich nie veranlaßt, das zu kommentieren. Selbstverständlich erkenne auch ich, ein Mann (sic!), daß wir noch immer in einer Welt leben, die der Frau weniger Rechte oder Privilegien zusteht als dem Mann. Nein, nicht vom Gesetz her, da sind wir ja angeblich alle gleich. Vergangene Woche allerdings spürte ich dieses ganz gewisse undefinierbare und nicht zu lokalisierende Jucken irgendwo in meinem Geist, nun doch einmal die Gretchenfrage zu stellen: Wer erzieht den die Männer hauptsächlich? Sind es nicht im Großen & Ganzen die Frauen, die die Kindererziehung auch heute noch häufig im Alleingang besorgen? Im meinem Bekanntenkreis löste dieser Gedanke heftige Reaktionen aus. Mir wurden die allerschlimmsten Eigenschaften angeheftet: provokativ war glaub ich noch die harmloseste, der Vorwurf, ich würde damit Schuldzuweisungen, die ich doch vorgeblich ablehne, vornehmen, wohl der verwirrteste, und der Vorwurf männlicher zerstörerischer Aggression der heftigste.

Eigentlich möchte ich aber auf etwas ganz anderes hinaus: Durch die Jahrtausende der Unterdrückung ist die Frau dem Mann hinsichtlich einer ganz bestimmte Eigenschaft überlegen: sie kann ihn besser und erfolgreicher manipulieren als er sie (Ausnahmen bestätigen natürlich wie immer die Regel). Nicht ohne Grund sagt der Volksmund, daß hinter jedem erfolgreichen Mann eine starke Frau stehe. Wenn die Frauen nun aber einhellig der Meinung sind, daß die Männer das alles verbockt haben, was in der Welt schief läuft (ich selbst teile diese Ansicht keineswegs), dann müßte es ihnen doch ein Leichtes sein, ihre Männer dahingehend zu manipulieren, sich etwas mehr dem weiblichen Prinzip zuzuwenden bei ihren Raubzügen durch die Welt. Daß das ganz offensichtlich nicht geschieht, zeigt die noch immer rasante Zunahme der Umweltzerstörung, des Raubbaus an Mensch, Natur und Tier und der zunehmenden Vereinnahmung der Welt durch das nimmersatte Kapital (bzw. deren Eigentümer, die Senecas Wort "nicht der ist arm, der wenig besitzt, sondern wer ständig nach mehr verlangt" nicht verstehen).

Was den Frauen ebenso wie vielen machtlosen Männern, die es gerne anders hätten, fehlt, sind die Mittel zum Widerstand. Damit meine ich keineswegs Geldmittel oder gar irgendwelche Waffen. Revolutionen und bewaffnete Aufstände führten noch nie zu wesentlichen Veränderungen und nachhaltigen Verbesserungen, auch wenn das vordergründig immer erst einmal so aussah. Letztlich sitzen doch wieder nur ein paar wenige, oft sogar dieselben am reich gedeckten Tisch und überlassen der Mehrheit die Krümel.

Die Waffen, die ich meine, sind die des Geistes. Keine Regierung kann sich allzu lange allein mit Waffengewalt an der Macht halten. Irgendwann ist sie darauf angewiesen, daß die Menschen das tun wollen, was sie tun sollen. Um dieses Ziel zu erreichen, verwenden die Mächtigen seit eh und je ein ganz bestimmten Wissen, das deshalb auch Herrschaftswissen genannt wird. Im Großen und Ganzen handelt es sich bei diesem Herrschaftswissen um die Kenntnis der menschlichen Natur, insbesondere darum, wie man den Menschen erfolgreich und nachhaltig manipuliert, wie man sich Massen nutzbar macht, wie man systematisch indoktriniert und den kritischen Verstand ausschaltet, kurz: es geht darum, wie man den, der ausgenommen werden soll, einschläfert und so daran hindert, etwas von diesem schändlichen Treiben zu bemerken.

Entgegen der landläufigen Meinung ist solches Herrschaftswissen keineswegs erst in moderner Zeit (jede Zeit hält und hielt sich für modern) entstanden, sondern kann auf eine lange Tradition zurückblicken. Brot und Spiele gab es schließlich schon im alten Rom, und aus dem Barockzeitalter ist ein altes Betrugslexikon überliefert, aus dem schon Goethes Vater seinem Sohn vorgelesen hat und das von A bis Z dem Bürger dabei half, sich vor Betrug, Übervorteilung und Manipulation zu schützen. Z.B. steht unter der Überschrift "Ärzte betrügen", Punkt eins:

Wenn sie alle und iede Patienten, so viel nur ihrer Hülff begehren, um des schnöden Gewinsts willen annehmen, und gleichwol vor alle gnugsame Sorge zu tragen nicht vermögend seyn.

Kommt uns das nicht bekannt vor? Ein Facharzt, fünf Behandlungszimmer, fünf, höchstens zehn Minuten pro Patient – 50 Patienten am Tag durch eine Praxis geschleust. Oder unter Punkt zwei:

Wenn sie auch die allergeringste Unpäßlichkeit gefährlicher machen als sie eigentlich ist, damit ihnen, wenn der Patient aufkomt, desto mehr vor ihre getragene Sorge und so vielfältig gehabte Mühe, wie auch sehr oft gethane Gänge, verschriebene Recepte und sonst mitgetheilten Rath bezahlet, sie auch desto mehr gerühmet werden mögen, als hätten sie den Patienten gleichsam vom Tode errettet;

Aber auch darauf möchte ich nicht ausgiebig herumreiten, obwohl das sicher ein lohnendes und ergiebiges Thema wäre. Vielmehr geht es mir um die Manipulationstechniken an sich. Meine Vorstellung besagt ungefähr Folgendes: Wenn wir kleinen Leute, die Tauge- und Habenichtse, die Tagelöhner und Malocher, die gemobbten Angestellten, die traurigen Fließbandarbeiter, ja wenn wir über ausreichende Kenntnisse verfügen würden, wie wir manipuliert werden, und wenn es dagegen Abwehrstrategien und Immunisierungstechniken gäbe, ja dann könnten wir etwas ändern.

Der Amtsrichter Georg Paul Hönn, der damals (1720) das oben erwähnte Betrugslexikon veröffentlicht hatte, schreibt darin:

In meiner Jugend auf Reisen, hernach bei meinen 33-jährigen Diensten, besonders richterlichen Amte, ist mir mancher Betrug vor Augen und zu Ohren gekommen, und da ich mitleidig so öfters darüber Klagen hören, bin ich auf die Gedanken gefallen, es werde meinen Nebenchristen nicht undiensam sein, hiervon einige Entdeckung zu tun.

Und genau diesen Dienst möchte ich meinen lieben Mitmenschen auch tun, so sie denn gewillt seien anzuerkennen, daß nicht immer nur die anderen, sondern tatsächlich sie selbst Opfer von subtilen und äußerst schwer aufzudeckenden Manipulationen werden, geworden sind und auch morgen sein werden, wenn sie sich nicht die Mühe machen, diese Techniken zu kennen zu lernen. Daß das nicht einfach sein wird, versteht sich von selbst: wenn's einfach wäre, würden's ja wohl alle machen.

Vor über zwanzig Jahren bot einmal eine Firma einen ganz speziellen Manipulationsdienst für Auto- und andere Händler an: In zahlreichen Zweiergruppen wurden Mitarbeiter der Firma ausgeschickt, um in der Öffentlichkeit Gerüchte im Auftrag von Kunden auszustreuen. Beispielsweise trug einer aus der Zweiergruppe den Arm in der Schlinge. Sie trafen sich scheinbar zufällig im überfüllten Postamt: "Ach, Tag Herr Müller, was haben Sie denn mit Ihrem Arm gemacht?" – "Oh jeh, fragen Sie mich nur nicht." – "Wieso?" – "Na, ich habe mir ein neues Auto der Marke XX gekauft, und prompt bin ich im Graben gelandet. Die Hinterachse ist so miserabel, daß man nur warnen kann, XX zu kaufen." Eine Viertelstunde später in der vollen Straßenbahn: "Ach, Tag Herr Müller, was haben Sie denn mit Ihrem Arm gemacht?" ... und das den ganzen Tag und den nächsten und so weiter. Einer der Mitarbeiter habe erlebt, daß seine Frau ihm eines seiner ausgestreuten Gerüchte acht Tage später selbst erzählt habe.

Man nennt diese Manipulationstechnik die Brunnenvergiftung. Sie kann nicht nur zum Streuen von Gerüchten eingesetzt werden, sondern ebenso im Gespräch, um die gegnerische Position von vornherein aus dem Rennen zu werfen und sich auf diese Weise einen Argumentationsvorsprung zu verschaffen. Dabei wird der Gesprächspartner in einer möglichen Gegenposition erschüttert, noch bevor er überhaupt ein Wort geäußert hat. Sollte jemand nun doch diese Position einnehmen, trinkt er aus einem vergifteten Brunnen. Beispiele wären folgende Aussagen:

Wer etwas auf sich hält, der läßt es erst gar nicht so weit kommen, arbeitslos zu werden.

oder

Niemand mit gesundem Menschenverstand wird bestreiten, daß wir auf Atomenergie angewiesen sind.

oder

Niemand, der noch bei Trost ist, wird ...

Wer jetzt noch gegen eine solcherart vorgetragene Meinung opponiert, riskiert als ehrlos, dumm oder gestört angesehen zu werden. Viele lassen sich von dieser angstlauslösenden Vorstellung abschrecken und verkneifen sich eine Erwiderung.

Das – obwohl noch eine der harmloseren Manipulationstechniken – ist es, was ich immer wieder ankreidete, wenn ich von Manipulation und unfairem Verhalten spreche: geistige Manipulation, unterschwellige Suggestion, subtile Verdrehungen – oft nicht mal im vollen Bewußtsein dessen angewandt, was man dabei wirklich tut, weil Manipulation eine uralte Technik darstellt und häufig automatisch erfolgt, was aber ihre moralische Unbedenklichkeit keineswegs garantiert.

In Erinnerung an das alte Volkslied "Die Gedanken sind frei" beginnnt mir langsam zu dämmern, daß dieses Lied eine Lüge darstellt, weil Gedankenfreiheit immer auch im Sinne von Handlungsfreiheit gemeint ist und sein muß. Die Erlaubnis, sich in der Stille denken zu dürfen, was man will, ist rückwirkend dort bedroht, wo innerhalb sozialrechtlicher Grenzen keine Freiheit zur Tat besteht. Die Gedanken sind auf Dauer nicht freier als die Köpfe, in denen sie entstehen ...