13. Mai 2006
Neoliberale Medienmanipulation
auf gut deutsch: gezielte Meinungsmache einer nimmersatten reichen Minderheit

Neoliberalismus und Demokratie vertragen sich nicht. Der praktizierte Neoliberalismus ist im Kern keine liberale, sondern eine feudalistische Bewegung. Es geht darum, alte, längst überholt geglaubte Verhältnisse wieder herzustellen. Wer sich durch größtmöglichen Abstand zu größtmöglichen Massen unter den eigenen Füßen definiert, kann es sich nicht leisten, daß ihm diese an Wohlstand und Bildung ständig näherrücken. In zehn Schritten zum bislang unvorstellbarsten Profit auf der ganzen Linie ...

10-Punkte-Script: Wie wir – die Vertreter von Banken-, Industrie- und Versicherungskonzernen – es anstellen müssen, um das Vertrauen in die gesetzlichen Sozialsysteme nachhaltig zu erschüttern und auf diese Weise einen enormen Kundenzuwachs zu erreichen:

1. Unser Anreiz liegt vor allem darin, daß der Umsatz der gesetzlichen Rente gut das Dreifache des Umsatzes der privaten Lebensversicherer ausmacht.

2. In Erwartung der immensen Profite, die uns diese Millionen zusätzlicher Kunden einbringen werden, sollte es uns ein Leichtes sein, etliche 100 Millionen Euro für Werbezwecke, Lobby-Arbeit und Public Relation bereitzustellen, um den Boden für diesen Coup zu bereiten.

3. Zuerst nehmen wir die Diskreditierung des traditionellen Umlageverfahrens in Angriff. Wir reden die gesetzliche Rente so lange schlecht, bis keiner sich mehr der öffentlichen Meinung in den Weg zu stellen traut. Das erreichen wir einerseits mit gezielter Propaganda und andererseits mit erzwungenen politischen Entscheidungen, die die Sozialkassen derart belasten, daß eine Krise entsteht.

4. So fand es unsere Anerkennung, daß die Kosten der Deutschen Einheit und die für Aussiedler im Rentenalter den Beitragszahlern aufgebürdet wurden, obwohl das bestehende Rentensystem weder dafür gedacht war noch dieses leisten konnte, ohne zusammenzubrechen – denn schließlich entstanden die Kosten ja aus einer rein politischen Entscheidung und sollten daher aus dem Steuersäckel beglichen werden. Die Sozialversicherungsbeiträge wurden so um 8 Prozent erhöht, was den Beitragszahler nachhaltig verunsichert und den Boden bereitet für die Behauptung, die Renten seien nicht mehr bezahlbar. Zur weiteren Dramatisierung liefern wir wissenschaftliche Ergebnisse angesehener Demoskopen (z.B. des linientreuen und CDU-nahen Allensbacher Instituts für Demoskopie), die den Bürgern weitere Ängste einreden und mit einer nicht wieder gutzumachenden Staatsverschuldung drohen.

5. Eine weitere Belastung der Rentenkassen hat unser Verbündeter Helmut Kohl durch die in den 90ern großflächig betriebene Frühverrentung bereits erreicht. Auf diese Weise ist der Bedarf an Zuschüssen für die Renten aus dem Steueraufkommen vom Ende der 80er bis zum Jahr 2005 um ca. 16 Prozent gestiegen, was 80 Milliarden Euro ausmacht und gut einem Drittel des derzeitigen Bundeshaushalts entspricht.

6. Für unsere Interessen war es deshalb auch ganz folgerichtig, die Senkung der Lohnnebenkosten zum Mittelpunkt einer Politik um mehr Arbeitsplätze hochzuspielen. Daß hier kein direkter Zusammenhang mit der Rentenproblematik besteht, werden die meisten wohl eher nicht durchschauen, so daß wir diese kleine Unebenheit vernachlässigen können.

7. Nun ist es uns gelungen, sämtliche etablierte politische Parteien auf das Ziel der Beitragsstabilität festzulegen, was automatisch zur Folge haben wird, daß die Renten nicht mehr ansteigen oder gar sinken werden. Ein weiterer Angstfaktor, der uns die Kunden zutreibt, ist eingerichtet: Die Entscheidung der Großen Koalition, die Renten nun für vier Jahre einzufrieren, in Verbindung mit der Drohung des sog. Nachholfaktors – die Renten werden nach Ablauf der vier Jahre merklich gesenkt – verbreitet eine derart nachhaltige Unsicherheit, daß damit auch noch das letzte gebliebene Vertrauen in die gesetzliche Rente zerstört wird, wie uns neueste Umfragen bestätigen. Es dürfte ein Leichtes sein, den Menschen in der BILD einmal vorzurechnen, was ihre heutige Rente in 10 oder 20 Jahren noch an Kaufkraft haben wird.

8. Parallel dazu erreichen wir ein Umdenken, indem wir mit massiver Propaganda das Kapitaldeckungsverfahren der Versicherungskonzerne dem Umlageverfahren der gesetzlichen Rente als haushoch überlegen darstellen. Wir verschweigen dabei geflissentlich, daß die Kosten für Verwaltung und die Gewinn-Entnahmen der Versicherungen ein Vielfaches der Kosten der gesetzlichen Rente ausmachen. Bis die Massen das bemerken, wird es längst zu spät sein. Weiterhin verschweigen wir selbstredend, daß sich bei den stagnierenden Realeinkommen auch weiterhin nur ein kleiner Teil der Berufstätigen diese Zusatzversicherungen leisten kann und daß die Renten auch bei Kapitaldeckung weiterhin von der jüngeren Generation aufgebracht werden müssen.

9. Wir werden die steigende Arbeitslosigkeit und die schlechte Konjunktur dazu nutzen, um die schwindende Leistungsfähigkeit der kollektiven Sicherungssysteme immer wieder zu erwähnen, um so auch den Ärmsten der Armen noch den letzten Cent für ihre Altersversorgung zu entlocken. Wir teilen kein besonderes Interesse an einer zügigen Überwindung der Rezession, weil uns diese Krise hilft, diese und weitere Strukturreformen als richtig erscheinen zu lassen. Zwar wissen wir aus den Beispielen anderer Länder (z.B. Chile), daß auch diese von uns forcierte Lösung keine dauerhafte sein wird, aber die enormen Profite, die derzeit realisierbar sind, rechtfertigen dieses Vorgehen allemal.

10. Dank unserer Initiative ist das Thema der Demographie und der Überalterung heute in aller Munde und zeigt uns den Erfolg unserer Bemühungen. Unsere voraussichtlich letzte Hürde ist genommen, wenn die Bundesregierung die Privatvorsorge zur Pflicht erhebt, wie das bereits bei der KFZ-Versicherung erfolgte.

Zugegeben – dieses Szenario ist eine Fiktion. Mir liegen keine nennenswerten Beweise für ein derartiges Vorgehen er genannten Branchen vor, wohl aber zahlreiche Hinweise dafür, daß sich etwas ähnliches hinter verschlossenen Türen abgespielt haben könnte. Das Folgende ist dagegen blanke Realität:

Eine Vielzahl der Gruppierungen – Stiftungen, Initiativen, Institute –, die in den letzten drei Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen sind, täuscht den Beobachter: hinter zahlreichen dieser Gruppierungen verstecken sich dieselben Interessen und Interessenvertreter, die sich alle um die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) scharen: eine im Jahr 2000 auf Betreiben der Metall-Arbeitgeber gegründete Organisation. Der Auslöser war eine repräsentative Meinungsumfrage, wonach die Mehrheit der Deutschen sich für eine umfassende soziale Absicherung aussprach. Zweiundvierzig Prozent hielten sogar einen Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus für wichtig. Die soziale Marktwirtschaft schnitt bei dieser Umfrage erstaunlich schlecht ab. Zur weiteren Vertiefung und fundierten Informationen über die INSM siehe: Rudolf Speth: Die politischen Strategien der INSM (PDF-Datei) und über Rudolf Speth selber: seine Homepage.

Am 7. März hat sich der damalige Pressesprecher von Gesamtmetall Werner Riek in der Sendung des SWR BETRIFFT: Profitgier statt Jobs, dazu geäußert: "Das muß man doch vielleicht ändern können, daß das, was wir als notwendige Reform erkennen, auch von den Mitbürgern als eine positive Reform akzeptiert wird." Riek propagiert ganz offen politische Willensbildung an den demokratischen Strukturen vorbei. Er möchte gern mit der vollen Wucht der Medienmacht erreichen, wofür er auf legalem Wege keinen Konsens finden würde.

Weitere Reformierungs-Gruppen, die nach ähnlichem Strickmuster wie die INSM arbeiten, sind: Der Bürger-Konvent, Klarheit in die Politik, Stiftung liberales Netzwerk, Aufbruch jetzt, berlinpolis, Konvent für Deutschland, Deutschland packt's an, Für ein attraktives Deutschland, Projekt neue Wege, Marke Deutschland oder zuletzt Du bist Deutschland und die Umfrage Perspektive Deutschland. Sie präsentieren sich überparteilich und ideologiefrei. Dabei bedienen sie sich prominenter Aushängeschilder und gekaufter Expertisen, die uns den Weg aus der Krise zeigen sollen. Zudem suggeriert die große Anzahl einerseits inhaltliche Vielfalt und dennoch wissenschaftlich fundierte Einigkeit darüber, was zu tun sei: wenn so viele diese Meinungen vertreten, so das beim unbedarften Normalbürger ankommende Resultat, dann muß da wohl was dran sein. Dabei teilen sich die unterschiedlichen Initiativen lediglich die Ressorts auf:

(Infos teilweise entnommen aus: Albrecht Müllers Büchern "Machtwahn" und "Die Reformlüge")

Vieles ist aber auch online nachzulesen: