11. Februar 2008
Motive grenzenloser Bereicherung
Habgier, Geiz, Habsucht

Habgier oder Habsucht ist das übersteigerte, rücksichtslose Streben nach materiellem Besitz, unabhängig von dessen Nutzen, und eng verwandt mit dem Geiz, der übertriebenen Sparsamkeit und dem Unwillen zu teilen. (Wikipedia)

Über Geiz, Gier, Habsucht, Habgier ist schon viel geschrieben und gesagt worden. Nicht erst in neuerer Zeit, sondern bereits im Altertum stellte Habgier ein Problem dar, dem man begegnen, das man eingrenzen mußte. Leider haften den Worten Gier oder Geiz sehr viele Bedeutungen an, so daß es nicht gerade einfach anmutet zu definieren, was wirklich schädlicher und verurteilenswerter Geiz genau ist.

"Die regierende Klasse raubte aus unersättlicher Habgier und die nichtregierende Klasse aus bitterem Hunger." (aus: B. Traven: Diplomaten). Es sind also nicht immer Gier oder Habsucht, wenn man einem anderen etwas wegnimmt, es kann auch große Not dahinterstehen. Vielleicht steht aber auch hinter der Motivation des Gierigen, des Habsüchtigen, des Geizigen eine große Not, eine seelische Not, die ihn nicht zur Ruhe kommen läßt. Ein Interview mit dem Münchner Arzt und Schriftsteller Till Bastian, der zahlreiche Sachbücher zu Friedensforschung, Umweltfragen und psychologischen Themen veröffentlicht hat, scheint mir geeignet, diesen Umstand näher zu betrachten. Gefunden hab ich den Text in: Die Selbstbediener von Peter Huth und Jan Engelke.

Die erste Frage an Hern Bastian sollte klären, was Gier eigentlich sei. Seine Antwort war, daß Gier eine Motivation sei, eine von vielen, die den Menschen steuern. Gier stellt nach Bastian einen der wesentlichen Unterschiede zwischen belebtem und unbelebtem Sein dar. So geht man beispielsweise bei einem Stein, der zufällig einen Abhang hinunterrollt, nicht davon aus, daß er das tut, um jemanden zu ärgern oder sonst eine Absicht damit verfolgt. Tritt ein Mensch aber diesen Stein los, wird man ein motiviertes Verhalten vermuten. "Unter den Motivationen – die Psychologen streiten sich, wie viele es gibt, vielleicht fünf, sechs, sieben – gibt es die körperlichen Bedürfnisse wie Hunger und Durst, es gibt die Sexualität, es gibt Neugier, Exploration, Spielverhalten – was ganz wichtig ist –, und es gibt offenbar auch den Drang nach Dominanz, nach Größe, nach Vorherrschaft. Und dem ist wohl die Gier als Entgleisung dieser Motivation zuzuordnen", so Bastian wörtlich.

Die nächste Frage in diesem Interview lautete, ob Gier die übersteigerte Form eines natürlichen Dranges sei. Bastian bestätigte das und wies darauf hin, daß Gier bereits in der Dichtung und der bildenen Kunst durch ein Übermaß gekennzeichnet sei: "Was hat es etwa dem guten Kurt Biedenkopf und seiner Frau genutzt, sich einen Sonderrabatt bei Ikea zu beschaffen? Das ist doch eigentlich lächerlich, das hat der Mann doch gar nicht nötig gehabt." Auf solche Fälle werde man immer wieder stoßen, resümiert Bastian, und weist auf die äußeren Umstände dieser Leute hin, die meist schon so reich sind, daß es auf dieses zusätzliche Mehr eigentlich nicht ankäme. Auch über Klaus Esser meint Bastian, der habe diese riesige Abfindung bei der Mannesmann-Übernahme gar nicht nötig gehabt. Bastian vermutet dahinter einen inneren Drang nach dem "So viel wie möglich" oder dem "Für mich ist nie genug da, ich kann eigentlich alles brauchen, und ich darf mir alles verschaffen, was möglich ist" und schließt daraus, daß hier einfach kein Sättigungsverhalten eintritt.

Als nächstes wollte der Interviewer wissen, ob diese "Abzocker" sich wirklich so unschuldig fühlen und nicht verstünden, was man ihnen vorwirft, wie sie allesamt behaupten, nachdem sie erwischt wurden. Bastian bestätigt diesen Umstand und erzählt von einem Journalisten, der einmal ein Interview mit dem früheren ABB-Chef Percy Barnevik gemacht hat. Barnevik hatte 1996 laut Handelsblatt eine astronomische Abfindung von 148 Millionen Schweizer Franken erhalten, und das, nachdem er den Konzern ziemlich heruntergewirtschaftet hatte. Dieser Ex-Chef zeigte keinerlei Unrechtsbewußtsein, ganz im Gegenteil erzählte er im Gespräch mit dem Journalisten von seinem Enkel, der ihn in der Kirche gefragt hatte, wer denn der Mann da am Kreuz sei. Und da haber Barnevik geantwortet: "Das ist der Jesus, der ans Kreuz geschlagen worden ist. So ergeht es den großen Leuten immer." Er hielt sich also für einen großen Mann, dem Unrecht geschieht, wenn man ihm seine Fehler und die dazu im krassen Gegensatz stehende schwindelerregend hohe Abfindung vorhält. Bastian scheint zu verstehen, wie dieser Barnevik denkt: der Mann war mehrmals Manager des Jahres gewesen, hatte zahlreiche Ehrendoktortitel vorzuweisen und glaubt von daher, ihm stehe das alles zu, weil er was ganz besonderes sei. Leute wie Barnevik leiden tatsächlich unter der Verfolgung und dem Neid, sie fühlen sich ungerecht behandelt. Sie glauben, das alles wirklich verdient zu haben, was sie sich unter den Nagel rissen, dabei sind sie eigentlich nur krank.

Die Frage, ob er Gier als eine Krankheit betrachte, ließ Bastian auf den Begriff der Perversion ausweichen. Er illustrierte seine Feststellung: "Sexualität ist schön und gut, aber wenn man es irgendwann nur noch im Taucheranzug machen kann, dann wird man sagen: Der ist pervers, denn der kann nicht mehr normal. So ist es auch mit der Gier." Nach Bastian haben solche Menschen einfach kein flexibles, gesundes Verhältnis mehr zum Maß und er führt dabei den Volksmund an, der treffenderweise meint: sie können den Hals nicht vollkriegen. Wie bei einem Alkoholiker besänftigen Macht und Geld nicht die Gier, sondern stärken sie noch und lassen sie wachsen und wachsen bis ...

Einen Ausweg aus diesem Sog der Gier gibt es laut Bastian nicht wirklich, weil die Gier keine Sättigung erfährt: "Normale Menschen können zwei Schnitzel essen oder drei, dann wird einem von dem vielen Fleisch übel. Man kann auch zwei Liter Wein am Tag trinken, aber irgendwann wird einem schlecht. Man kann dreimal am Tag Sex haben, irgendwann ist es genug." Bei Macht, Erwerb, bei sozialer Dominanz, Geltung gäbe es offenbar keine Schwelle, meint der Arzt und illustriert das mit dem Bild der nach oben offenen Richterskala: je mehr man bekomme, desto mehr wolle man.

Der Interviewer führt nun die Lächerlichkeit vieler publik gewordener Fälle an, so die groteske Situation einer Cherie Blair, die vom Londoner Kaufhaus Harrods als Gast eingeladen wird und am Ende unglaublicherweise mit 30 Paketen wieder herauskommt, oder wie Frau Biedenkopf, die Tochter von Frietz Ries, an der IKEA-Kasse um Prozente feilscht und er fragt Herrn Bastian, ob diese Leute das noch ernst meinen können.

Bastian bestätigt auch hier: so etwas sei mit normalen Maßstäben nicht mehr zu erfassen. Er beschreibt ein wenig näher die psychischen Prozesse, indem er die gegensteuernden Mechanismen des Verstandes anführt, die in solchen Momenten einfach aussetzen. Wir sind diesem Aussetzungsverhalten des Verstandes ja bereits in meinem Artikel Was uns so erzählt wird begegnet, wo ich über Denk- und Wahrnehmungstabus berichtete. Das hier ist so was ähnliches, es bedient sich zumindest ähnlicher Mechanismen: die Verstandestätigkeit wird so stark reduziert, daß sich ein impulsives, aber völlig irrationales Verhalten durchsetzen kann.

Bastian kommt im weiteren Verlauf des Interviews auf jene Machtmenschen und Politiker zu sprechen, die an ihren Posten und Ämtern regelrecht zu kleben scheinen, womit sie sich oft alles kaputt machen würden, weil sie den richtigen Zeitpunkt zum Rücktritt verpassen und damit das Bild, das die Nachwelt von ihnen haben könnte, nachhaltig verderben würden. Sie würden regelrecht zur Witzfigur, Vernunft und Einsicht würden unterlaufen von der Verführung des Erwerbs und des Geltens. Nach Bastian gibt es nur wenige Menschen, die auch in solchen Positionen noch einen klaren Verstand bewahren und wissen, wann es Zeit sei zu gehen.

Dem Interviewer fällt an dieser Stelle auf, daß die Beschreibung des Arztes wie eine Diagnose klingt und möchte nun wissen, ob man von Gier als einem meßbaren Phänomen sprechen kann und wieweit Gier erforscht sei. Bastian antwortet darauf, daß Gier zu seinem Bedauern bislang wenig erforscht sei und nimmt an, das hinge damit zusammen, daß sie so allgegenwärtig ist: "Unsere soziale Ordnung kritisiert ja auch nur die Auswüchse, denn im Grunde genommen wird ein bißchen Gier positiv bewertet." Tatsächlich leben wir ja täglich mit Sprüchen wie "Geiz ist geil" und "Jedem das meiste und mir nur das Beste", und obwohl wir das im Extrem abstoßend finden, machen wir es im Kleinen selbst nicht viel anders.

Demnach würde es also zutreffen, wenn viele Beschuldigte entgegnen, hinter den Vorwürfen stecke nur blanker Neid? Bastian nennt das ein zutreffendes Argument, viele würden es sicher ganz genauso machen: "... aber was heißt das schon? Mord steht ja auch unter Strafe, obwohl in vielen Menschen ein potentieller Mörder steckt. Außerdem kann ich den Neid auch nicht immer als etwas Schlechtes erkennen. Neid ist doch ein Gefühl mit Ursachen." Und erwähnt daraufhin einige seiner Patienten, die als Sozialhilfeempfänger 300 Euro im Monat erhalten und denen das Sozialamt nicht einmal die Brille bezahle, die sie für ihre Arbeit bräuchten. Wenn solche von Armut gebeutelten Menschen dann neidisch werden auf diese fast obszöne Menge praktisch leistungsloser Einkommen, dann kann Bastian das gut nachfühlen: "So etwas als Neid abzuqualifizieren, ist schlicht die Weigerung, sich mit den Vorwürfen auseinander zu setzen."

Ob der Neidvorwurf somit ein Schutz sei, führt der Interviewer den Gedanken fort, ein Schutz, um sich nicht eingestehen zu müssen, daß etwas nicht in Ordnung ist? Das glaubt auch Bastian, die Betroffenen können es sich nicht eingestehen. Die Parallele zum Suchtverhalten wird hier sehr auffallend. Was aber könnte man dagegen tun. Bastian erwähnt einen Aufsatz des Freiburger Psychoanalytikers Johannes Cremerius "über die Behandlung der Reichen und Mächtigen", weshalb sie nicht in Psychotherapie kämen und wenn doch, weshalb sie so schwer zu behandeln seien. Cremerius meint, das läge einfach daran, daß diese Patienen ihre Neurosen und Psychosen ausleben können, und das erspart ihnen das Leiden daran. Für diese Leute zähle nur der Erfolg. Sie leiden nicht, sondern lassen ersatzweise andere leiden, bürden anderen das Leid auf, das eigentlich in ihnen selbst ist.

Ob das ein Spleen sei? "Genau", meint Bastian, sie könnten das, was sie an "Verrücktheit" und Absonderlichkeiten mitbringen und was den mittellosen Menschen in die geschlossene Anstalt bringen würde, ausleben. Ähnlich sei es mit den Generälen im Krieg: "Ein interessantes Feld übrigens, wie viele Verrückte es unter den Generälen und Feldherren gegeben hat." Auch in Politik und Wirtschaftsleben sieht Bastian diese Verrückten am Werk und erinnert sich an Ferdinand Piëch, bei dem er immer den Eindruck einer leichten Schizophrenie hat, wenn er ihn reden hört.

Der Interviewer möchte das noch genauer wissen und fragt, ob unsere Wirschaft ein Bereich sei, in dem sich Menschen bewegen, die, hätten sie in früheren Jahrhunderten gelebt, Krieg geführt hätten. Auch das bestätigt Bastian ohne Umschweife: Ja, sie wären Söldner geworden, oder Söldnerführer. Das ist nicht wirklich verwunderlich, denn in sehr vielen hochbezahlten Jobs verkauft man sich genau so mit Haut, Haar und Seele wie als Söldner. Bastian führt Japan an, wo es nicht mal ansatzweise eine Vergangenheitsbewältigung nach 1945 wie bei uns gegeben hat. Da seien militärische Erkenntnisse nahtlos in die Wirtschaft eingeflossen, was die Japaner für lange Zeit sehr erfolgreich gemacht habe.

Naheliegend dann auch die nächste Frage des Interviewers, ob denn aus dieser Nähe zum Militär die häufig zu beobachtende Skrupellosigkeit in der Wirtschaft käme. Bastian meint darauf, daß man in einer Gesellschaft, die unethisch handle, schlecht von der Wirtschaft Ethik verlangen könne. Dennoch hält er es für einen bedenklichen Prozeß, daß die ökonomischen Werte in unserer Gesellschaft dominieren und wir kaum noch verpflichtende moralische Normen haben. Dieser Prozeß beeinflusse vor allem auch die kleinen Leute.

Ob Gier eine menschliche Konstante oder eher ein Ausdruck unserer Zeit sei, wollte er Interviewer nun wissen. Bastian entgegnete, sie sei beides und verweist auf die Zeit des Nationalsozialismus, in dem sich menschliche Grausamkeit, Gemeinheit und Destruktivität besonders hemmunslos haben ausleben lassen. Dagegen würden die gegenwärtigen Umstände wie etwa die Globalisierung heute die Gier fördern. Die Verschärfung des Konkurrenzdenkens läßt alle zu Einzelkämpfern werden, jeder gegen jeden bis aufs Blut.

Ist das System daran schuld? Bastian meint, man müsse diese Abzocker und Abkassierer hart angehen. Er sehe es nicht ein, daß Leute, die vielleicht zu Unrecht Krankengeld oder Sozialhilfe kassieren, als Sozialschmarotzer bezeichnet würden, die Großen aber nicht: "Natürlich ist jemand wie Herr Ackermann oder Herr Esser ein Sozialschmarotzer. Nur wird das halt kaum mal gesagt." Diese Vorwürfe reichten aber nicht, so Bastian, man müsse sich über das gesellschaftliche Klima Gedanken machen.

Würden mehr Vorschriften helfen? Ein Bewußtseinswechsel? Bastian meint:

Ich denke, beides. Es muß mehr Gesetze geben, die die Selbstbedienung einschränken. Der Staat kann nicht immer nur der Deregulierer sein, es gibt auch Bereiche, wo er eingreifen muß. Das ist seine Aufgabe, dafür kassiert er Steuern. Aber um langfristig erfolgreich zu sein, braucht es auch eine Kultur, die sich wieder darauf besinnt, daß es auch andere Werte als den Konsum gibt. Solange es die ungehinderte Vorrangstellung der ökonomischen Werte gibt, kann man schwarz sehen. Mit ökonomischen Argumenten läßt sich zurzeit jede Debatte gewinnen. Ich war jahrelang im Stadtrat und mußte dort erfahren: Egal, ob etwas ökologischen oder gesundheitlichen Sinn macht, die Entscheidungen fallen immer zugunsten der Ökonomie.

Für den Interessierten hier ein paar Links zum Thema: