5. März 2006
Kriegswahn schon im Kleinen?
Was steckt dahinter, daß der Mensch offenbar das einzige Lebewesen auf diesem Planeten ist, das die eigene Art tötet?

Der Mensch beherbergt in den Tiefen seines Körpers ein Gehirn, welches ihm ermöglicht – so die allgemeine Annahme –, sich weit über die Tierwelt zu erheben. Doch handelt es sich hier um eine sehr schwammige Aussage, denn in Wirklichkeit sind im Menschen drei Gehirne am Wirken, die ihn nicht selten in Verwirrung und Angst versetzen.

Da ist zunächst einmal das stammesgeschichtlich älteste Gehirn, das aus der Reptilienphase stammt. Das zweite Gehirn hat er von niederen Säugetieren geerbt und das dritte hat sich in der späten Säugetierphase entwickelt.

Das Reptiliengehirn ist angefüllt mit uralten Mythen und Urerinnerungen, und es hält sich getreu an das, was die Ahnen ihm eingaben, aber neuartigen Situationen ist es nicht gewachsen. Trotz erheblicher Struktur-Unterschiede sollen diese drei Gehirne miteinander funktionieren und kommunizieren. Sie tun das aber nicht ohne erhebliche Störungen, wie die verhängnisvollen Tendenzen zu Aberglauben und Unterwerfung, zu Gewalt, Rücksichtslosigkeit und Vernichtung der eigenen Art eindrucksvoll belegen. Neuere Forschungen gelangen zwar zu dem Schluß, daß der sogenannte Unterwerfungsreflex nicht angeboren, sondern anerzogen wurde, was eine vage Hoffnung auf Überwindung dieser globalen paranoiden Tendenz aufkeimen läßt. Doch die Bereitschaft, sich derartig konditionieren zu lassen, daß Phänomene wie z.B. Massenpsychosen und absoluter Gehorsam gegenüber der Obrigkeit möglich sind, scheint in der Tat angeboren: sie liegt in den ältesten Gehirnstrukturen verborgen.

Fordert ein Psychiater einen Menschen auf, sich auf die Couch zu legen, dann zwingt er ihn, sich neben ein Pferd und ein Krokodil zu legen. Keines der beiden ist jedoch in der Lage, über seine Befindlichkeiten auch nur ein Wort zu verlieren. Daher sollte es nicht weiter verwundern, wenn dem Patienten, der die persönliche Verantwortung für diese beiden Tiere übernommen hat und als ihr Sprachrohr dienen muß, gelegentlich vorgeworfen wird, er leiste inneren Widerstand und sei voller Hemmungen. (frei nach P. MacLean: "Psychosomatic Desease and the Visceral Brain")

Alle Bemühungen, die Menschheit durch rationale Argumente zur Vernunft zu bringen, basieren auf der stillschweigenden Annahme, es handle sich beim homo sapiens doch um ein im Grunde rationales Lebewesen – auch wenn Emotionen gelegentlich seinen Blick zu trüben scheinen. Ein Wesen, das sich der Motive seiner eigenen Handlungen und Überzeugungen weitgehend bewußt sei – eine Annahme, die angesichts des historischen und neurologischen Beweismaterials möglicherweise nicht mehr länger haltbar ist.

Die wohlmeinenden Appelle an die Menschlichkeit fallen seit Jahrtausenden auf unfruchtbaren Boden; sie könnten nur dann Wurzel fassen, wenn sich vorher eine spontane Wandlung der menschlichen Mentalität ereignet hätte – das Äquivalent einer biologischen Mutation. Dann, und nur dann würde die Menschheit, von ihren politischen Führern bis hinab zur "einsamen Masse" des David Riesman, für rationale Argumente empfänglich werden und willens sein, zu jenen unorthodoxen Maßnahmen zu greifen, die erforderlich sind, um die Krise zu überwinden.

Es ist im höchsten Grade unwahrscheinlich, daß eine solche geistige Mutation in der voraussehbaren Zukunft spontan eintreten wird; dagegen ist sehr viel wahrscheinlicher, daß der Funke, der die Kettenreaktion auslöst, früher oder später zündet, sei es mit Absicht oder durch Zufall. Und weil die Werkzeuge der atomaren und biologischen Kriegsführung immer wirkungsvoller werden und immer leichter zu produzieren sind, scheint es unvermeidlich, daß sie sich unter jungen und unreifen Nationen bald ebenso ausbreiten werden wie unter alten und überreifen. Was einmal erfunden ist, kann nicht "zurückerfunden" werden: die Bombe bleibt uns erhalten. Die Menschheit muß für immer mit ihr leben, und zwar nicht nur durch die nächste und übernächste Krise hindurch, nicht nur für die nächsten zwanzig oder zweihundert oder zweitausend Jahre, sondern für immer. Sie ist zu einem Daseinsfaktor geworden.

Die einzige Chance, diese Entwicklung nachhaltig in die Richtung des Überlebens zu beeinflussen, besteht in der globalen Anreicherung der Hirne mit Bewußtsein. Dazu ist es notwendig, daß sich vor allem diejenigen Individuen um eine Bewußtseinssteigerung und -erweiterung bemühen, die noch nicht durch allzu schläfrig machende Privilegien korrumpiert wurden. Ein Weg, wie das effizient und systematisch erreicht werden kann, ist allerdings noch lange nicht in Sicht. Die einzige Möglichkeit für eine solche Änderung des Bewußtseins sehe ich in einer Änderung der Erziehungsmethoden unserer Kinder. Dagegen sehen viele Politiker und Menschen(ver)führer die einzige Chance zur Rettung – nicht der Menschheit, sondern ihrer aus Menschen bestehenden privaten Viehherde, ohne die sie nichts sind – in der Steigerung von Aggression und Revanchismus. Und sie stoßen beim Massenmenschen auf Zustimmung, weil diese Individuen genau so konditioniert wurden wie sie selbst. Wie viele würden heute tatsächlich nein sagen und auf die Straße gehen, wenn sie mit dem, was die Herrschenden vorhaben, nicht einverstanden sind?

Die Menschheit scheint in einem Teufelskreis gefangen: Menschen, die diese Gefahr deutlich erkennen, befinden sich gegenüber der dafür blinden Masse hoffnungslos in der Minderzahl. Die Mehrheit der Menschen auf diesem Planeten ist entweder mit dem Überleben beschäftigt oder sorgt sich um die Befriedigung ihrer kleinlichen Ersatzbedürfnisse. Die letzteren nenne ich unreife bzw. defizitäre Charaktere.

Was würde geschehen, wenn man Kinder ohne unnötigen Zwang und ohne Angstmache großziehen würde? Die Welt würde im Chaos enden, werden mir jetzt sicher einige antworten. Doch das geschieht bereits, und zwar genau deswegen, weil uns die traditionelle Erziehung zu Stärke, Konkurrenz und Aggression dafür konditioniert: James W. Prescott hat mit seiner Studie die Zusammenhänge zwischen körperlicher Lust und den Ursprüngen von Gewalttätigkeit nachgewiesen. Der interessierte Leser möge vor allem die Tabellen weiter unten studieren, die ihn z.B. erkennen lassen, welche Langzeitfolgen in Gesellschaften zu erwarten sind, in denen Kindern durch Eltern oder Pflegepersonen Schmerz zugefügt wird.

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