11. Januar 2008
Wie man uns klein hält
Herstellung unbewußter Unterwürfigkeit

Hintergründe der Aufwandsrechtfertigung, um kognitive Dissonanz zu vermeiden oder zu beheben, wurden bereits im letzten Artikel angerissen. Wie aber sehen Situationen aus, in denen wir innere Disharmonie mit allerlei Mitteln zu vermeiden trachten?

Bei Preisausschreiben geht es nicht so sehr darum, das Produkt oder die Firma, die es vertreibt, bekannt zu machen, obwohl das natürlich auch erwünscht ist. Nein, der stärkste, weil uns gewöhnlich verborgen bleibende Effekt eines Preisausschreibens liegt darin, daß wir beim Ausfüllen der Antwortkarte den Namen der Firma oder des Produkts selber einmal schreiben müssen. Man muß also – vom subjektiven Erleben aus gesehen – etwas für die Firma tun. Habe ich erst einmal etwas für die Firma getan, bin ich ihr emotional schon ein klein wenig verbunden, weil ich einen, wenn auch geringen Aufwand für sie getrieben habe. Das beeinflußt dann meine Neigung, das Produkt irgendwann zu kaufen, um so meinen Aufwand vor mir selbst zu rechtfertigen. Muß ich dann feststellen, daß das Produkt sein Geld nicht wert war, komme ich in die Verlegenheit, schon zwei Aufwände rechtfertigen zu müssen und werde, wenn ich diese Tricks nicht kenne, sehr wahrscheinlich das Produkt aufwerten, um mir die schmerzliche Erkenntnis zu ersparen, Geld zum Fenster rausgeworfen zu haben. Das ist der eigentliche Zweck eines Preisausschreibens – es stellt im besten Fall eine emotionale Verbundenheit her, die einen erwünschten Informationskanal ebnet.

Wie schon mehrfach erwähnt sind das alles keine Abläufe, die sich im vollen Licht des Bewußtseins bewegen, sonst würden diese Tricks nämlich nicht funktionieren. Das führt natürlich dazu, daß sie uns von alleine normalerweise nicht bewußt werden, wenn wir es nicht gewohnt sind, auch nach halb- und vorbewußten Regungen Ausschau oder besser Innenschau zu halten. Wenn etwas in uns, das uns unbewußt beeinflußt, antreibt, motiviert, uns weiterhin unbewußt bleibt, liegt das ja nicht an irgend einer unbekannten Gesetzmäßigkeit, die diesen Impuls vom Vordringen ins Bewußtsein abhält, nicht am lieben Gott, er uns vor schädlichen Erkenntnissen bewahren möchte (der verbotene Baum der Erkenntnis), sondern an unserer inneren Organisation. Es hängt mit unserer psychischen Struktur zusammen, wie wir mit Impulsen, Energien, sensorischen Reizen usw. umgehen. Wenn du nicht hinschaust, siehst du's auch nicht, es fällt kein Licht darauf, bleibt der Wahrnehmung verborgen, bleibt – unbewußt.

Im vorangegangenen Artikel habe ich die unterschiedliche Handhabung von Informationen hinsichtlich ihrer Quelle angedeutet: Kommt eine Wahrnehmung, die meiner Erfahrung widerspricht, von einer Quelle, die um ein Vielfaches stärker ist als ich, entwickle ich Angst vor der Konfrontation mit dieser Quelle. Es könnte zumindest stressig, wenn nicht sogar mit schmerzhaften Konsequenzen verbunden sein, dieser starken Quelle zu widersprechen. Die Wahrnehmung einer solchen Situation geschieht nur selten so bewußt, wie meine Darstellung sie beschreibt, sondern vielmehr blitzartig als Bild, das den erwähnten Angstreflex ohne nennenswerte Beteiligung des Bewußtseins auslöst. Urplötzlich wirkt ein Gegenimpuls aus teilweise unbewußter Angst und trübt unsere Wahrnehmung.

In einem der sozialpsychologischen Standardwerke (Herkner: Lehrbuch Sozialpsychologie) wird noch ein weiterer wichtiger Zusammenhang aufgezeigt: Wenn ein starker Sender lügt, wird die Lüge eher geglaubt, wenn sie massiv ist, als wenn sie mittelmäßig wäre. Man konnte das damals im Zusammenhang mit den von der SPD initiierten Berufsverboten sehr schön beobachten. Wären sie nämlich von der CDU eingeführt worden, hätte es geheißen: "Typisch, die CDU bricht die Verfassung." Daß aber die SPD etwas tut, was eine faschistische Gesinnung verraten könnte, "nee, das kann nicht sein, die werden gute Gründe dafür haben, die werden schon wissen, was sie tun". Ließe man dagegen so einen Gedanken zu, würde das unter Umständen zu großer Angst führen, besonders, wenn man z.B. in Staatsdiensten steht: man hätte alle gegen sich, würde sich der Lächerlichkeit preisgeben und gegebenenfalls der Gefahr aussetzen, gemobbt zu werden, daran zu erkranken und seinen Job zu verlieren.

Vielleicht sollte ich noch ein anderes Beispiel anführen, mit dem ich mich nicht auf Anhieb so ausgesprochen unbeliebt mache, z.B. den Reichstagsbrand. Wir erinnern uns: Hitler hatte damals behauptet, die KPD hätte den Reichsbrand angezündet. Völlig absurd! Er hatte diese Hütte selber angezündet. Doch weil ein starker Sender (Hitler) eine massive Lüge verbreitete, wurde sie eher geglaubt, als hätte er eine weniger widersprüchliche Behauptung gemacht.

Oder nehmt die angeblichen Selbstmorde der RAF-Terroristen Baader und Raspe, die sich laut offizieller Verlautbarungen selber erschossen hatten – während sie bereits eine Woche unter strenger Kontaktsperre waren, niemand außer den Wachen sie überhaupt zu Gesicht bekam, kein Anwalt zu ihnen durchdrang im bestbewachten Gefängnis der Welt (Stuttgart Stammheim), sie pingeligsten Untersuchungen ihrer Zellen und ständiger Verlegung in andere Zellen ausgesetzt waren – wo sollen sie da die Schußwaffen hergenommen haben? Jeder in einer anderen Zelle? Der absolute Hammer jedoch: sie haben sich von hinten in den Kopf geschossen. Schmauchspuren wurden aber nicht an ihren Händen gefunden, was vermuten läßt, daß sich die beiden Selbstmörder hinterher noch ordentlich die Hände gewaschen hatten. Doch ist das noch nicht das Ende des Absurden: sie sollen außerdem noch Sprengstoffpakete in den Zellen gehabt haben, in Mauerlöchern, die sie mit einem Alu-Löffel in den Beton gekratzt hatten. Wozu eigentlich Sprengstoff?, möchte man fragen, wenn man selber denken dürfte. Und wie kann man mit einem Aluminiumlöffel Löcher in Betonwände kratzen? Nur nicht zuviel denken, heißt die eigentliche Botschaft dieser Nachrichten.

(Ich gehe selbstverständlich davon aus, daß jetzt niemand auf die absurde Idee verfällt, mich nun als Sympathisanten der RAF oder als Kommunisten abzustempeln oder mich sonst einer als verhaßt geltenden Gruppierung zuzuordnen. Ich verwende diese Beispiele ihrer ins Auge springenden Anschaulichkeit wegen, weil sie wie keine anderen den Effekt herausstellen helfen, auf den es mir ankommt. Ich war niemals auch nur Sympathisant der RAF, und ich verurteile noch heute diese brutale Gewalt, deren Einsatz vor allem auf Vorlieben und Bedürfnissen der RAF-Anhänger als beruhte als auf behaupteten Notwendigkeiten.)

Mir kommen dabei religiöse Wunder wie die Auferstehung von Jesus in den Sinn: was, wenn der Glaube daran, sie wäre wirklich geschehen, auf demselben Effekt beruht wie der Glaube an die Selbsttötungen diese beiden Terroristen? Jesus ist ja nicht nur seinem Grab entkommen, er wurde auch noch zum ersten Astronauten, ohne Helm und Sauerstoff, ohne Rakete oder Raumschiff. Ich stell mir gerade vor, wie die staunende Menge ihn mit ihren ungläubigen Blicken verfolgt, wie er immer kleiner wird am Himmel, bis er nur noch als Punkt auszumachen ist und – verschwindet.

Wenn ein starker Sender eine absurde Lüge bringt, wird sie leichter geglaubt, als wenn ein schwacher Sender die Wahrheit sagt. Das Nichtglauben der Lüge eines starken Senders erzeugt Angst. Wer im Mittelalter Zweifel an biblischen oder kirchlichen Darstellungen empfand, sah sich schon auf dem Scheiterhaufen brennen. Analog dazu könnte ich mich, wenn ich die offiziell angegebenen Umstände beim Selbstmord von Baader und Raspe anzweifle, bereits mit einem Fuß im Gefängnis sehen, oder doch zumindest einer wild gestikulierenden, mit wütenden "Ketzer! Ketzer"-Rufen mich niederschreienden Menge gegenüber – ein Bild, das mir große Angst bereiten könnte.

Dieser Mechanismus funktioniert bestens. Man kann ihn überall leicht beobachten, wenn man sich traut, diese Wahrnehmungen zuzulassen. Das "Geheimnis" der Religion beruht auf nichts anderem. Die kognitive Dissonanz, die entsteht, wenn ich mir einen in den Himmel auffahrenden, zuvor tot und angefault im Grab gelegenen Jesus vorstelle, kann nur durch den Glauben abgebaut werden, wenn diese massive Lüge von einem so starken Sender wie der katholischen Kirche zu Zeiten mittelalterlicher Inquisitionsdrohung kommt. Analog dazu kam die widersprüchliche Darstellung von den Umständen in Stammheim ebenfalls von einem starken Sender, der zu dieser Zeit jeden hätte verhaften lassen, der diese Version offiziell angezweifelt hätte.

Mancher der werten Leser mag nun vielleicht annehmen, solche Sachen wie das kognitive Dissonanzphänomen gäbe es nur in "degenerierten" Gesellschaften wie der unsrigen. Das muß ich leider als hoffnungsvolle Illusion entlarven. Beim Volk der Trobriander, dem wohl bestuntersuchten "Naturvolk", findet man sie ebenfalls. Dort gibt es nämlich, wie Bronisław Malinowski schreibt, eine ungeschriebenes Gesetz, Ähnlichkeiten zwischen Vater und Sohn tunlichst nicht zu bemerken, sie also von der Wahrnehmung auszugrenzen, sie von der Bewußtwerdung abzuhalten. Von diesem Tabu waren nur die Kinder vom Häuptling und anderen hochgestellten Stammesmitgliedern ausgenommen, dort war diese Feststellung sogar ausdrücklich erwünscht und erlaubt. Andererseits galt die Wahrnehmung, daß Geschwister sich ähneln, als ungeheurer Tabubruch und wurde, wenn geäußert, als schwere Beleidigung aufgefaßt. Malinowski kam in Teufels Küche mit seinen logischen Argumenten, daß sich Geschwister doch ebenfalls ähneln müssen, wenn sie beide dem Vater ähneln. Die harmlosesten Reaktionen auf seine Argumente bestanden in höchst kunstvollen intellektuellen Piouretten. Die PSA nennt diese Eiertänze "Rationalisierungen", nicht zu verwechseln mit der betrieblichen Rationalisierung oder der auf der Anwendung des Verstandes beruhenden Argumentationskette.

Ratonalisierungen sind nichts anderes als Knechts-Dienste eines Ich für ein Über-Ich, von dem es im steten Würgegriff gehalten wird.

Man kann sich die machtvolle Wirkung des Über-Ich, das befiehlt, die Ähnlichkeit von Geschwistern auf keinen Fall zu bemerken, erst durch die innere Distanz zu diesem fernen Volk so richtig bewußtmachen. Die Verstrickung mit unserer eigenen Gesellschaft verhindert dagegen wirkungsvoll das Bewußtwerden der hiesigen Widersprüche. Der mathematische Grundsatz, wonach zwei Größen einander gleich sind, wenn sie einer dritten Größe gleichen, ist für uns selbstverständlich – den Trobriandern dagegen bereitet er die allergrößten Schwierigkeiten, denn sobald sie bemerken, daß dieser Satz auch auf Geschwister angewendet werden kann, entwickeln sie große Widerstände und intellektuelle Spitzfindigkeiten, um ihm auszuweichen.

Genau so verhält es sich auch mit dem Widerstand in der PSA. Psychoanalytischer Widerstand setzt "eine Stufe tiefer" an als das kognitive Dissonanzphänomen. Seine mächtige Wirkung beruht darauf, daß der angstauslösenden Situation die Bewußtseinsqualität entzogen werden kann. Dieser Entzug der Bewußtseinsfähigkeit einer Wahrnehmung wird in der PSA als Verdrängung bezeichnet, den Zustand dieser verdrängten Wahrnehmung nennt sie unbewußt. Die einzige mir bekannte Möglichkeit, etwas, das einmal unbewußt geworden ist, wieder bewußt werden zu lassen, besteht in den "überaus teuflischen Tricks" der Psychoanalyse: Die Hartnäckigkeit dieser Widerstände beruht ganz einfach darauf, daß die verdrängte Wahrnehmung mit der gleichen Energie niedergehalten wird, mit der der Betroffene den angstauslösenden Zustand der Schwäche in der Bedrohungssituation erlebt hat. Deshalb legt die therapeutische PSA gesteigerten Wert auf die Zunahme der Erkenntnisfähigkeit ihrer Patienten, denn nur der Patient kann letzten Endes die Sperre, die er selbst in seinem System intergriert hat, wieder lösen. Die politische und gesellschaftsverändernde Dimension der Psychoanalyse offenbart sich am deutlichsten in dieser Tatsache.

Die eventuell mitlesenden Verfassungsschutz-Organe mögen zur Kenntnis nehmen: Selbstverständlich werde auch ich weiterhin fest daran glauben, daß die beiden Terroristen eigenhändig Selbstmord begangen haben, daran darf es auch in Zukunft nicht den geringsten Zweifel geben!