Auszüge aus Wilhelm Reich's
"Der Krebs"

Die Entdeckung des Orgons – Band 2

Wilhelm Reichs spätes Hauptwerk "Der Krebs", 1948 zum ersten Mal in Amerika erschienen, später verboten und tabuisiert und vor zwanzig Jahren in Amerika und Europa wiederentdeckt, hat an Aktualität in nichts eingebüßt. Im Gegensatz zur gewohnten Krebsforschung, die die Ursachen der Krankheit getrennt-mechanistisch untersucht, ist Krebs für Reich eine Gesamterkrankung des Organismus, ein Schrumpfungsvorgang, der seinen Ursprung in einer chronischen Stagnation der biologisch-sexuellen Energie hat. Die typische charakterliche Resignation des Krebspatienten, die inzwischen wissenschaftlich bestätigt wurde, hat Reich bereits als wesentliches Merkmal erkannt. Sie ist für ihn jedoch nicht nur Folge, sondern auch Ursache der Krebsentwicklung. Krebsvorsorge bedeutet deshalb für Reich immer auch ein psychoanalytisches und soziales Problem, das die gesamte Situation des Menschen betrifft. Überraschend und in ihren Konsequenzen noch völlig unausgeschöpft sind Reichs Versuche mit der Orgontherapie zur Krebsbehandlung. Exakt und im "wissenschaftlich nachprüfbaren" Detail beschreibt Reich in Der Krebs die Entdeckung dieser biologisch-kosmischen Energie, die er als Mittel im Kampf gegen den Krebs einsetzte. Bis heute ist noch kein Versuch gemacht worden, die Reich'sche Orgonforschung unvoreingenommen zu prüfen. Reichs Buch aber beweist, daß ein solcher Versuch für die Einsicht in die Krebserkrankung und -behandlung von bahnbrechender Bedeutung sein könnte.

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Vorwort von Chester M. Raphael, M. D.

Die Theorie Wilhelm Reichs, daß die Krebskrankheit in erster Linie kein Tumor ist, der auf geheimnisvolle Weise in einem sonst gesunden Körper entsteht, sondern eine Krankheit des Gesamtorganismus, die durch chronische sexuelle Aushungerung verursacht ist, wird den Durchschnittsleser, der gewöhnt ist, eine Sexualstörung zwar als betrüblich, nicht aber als krankhaft anzusehen, aufs äußerste überraschen. Auch wird sie viele erzürnen, denen eine solche Verbindung aufgrund moralischer Vorurteile anstößig und unhaltbar erscheint. Wilhelm Reich mit seinem Sinn für den Zusammenhang aller Naturerscheinungen setzte sich über diese Vorurteile hinweg und rechnete auch den Orgasmus zu den ernstzunehmenden Forschungsgegenständen. Im Laufe seiner Forschungen untersuchte er schließlich die genaue Natur der Energie, die sich im Orgasmus äußert, und zeigte, daß diese Energie nicht nur in lebenden Organismen wirkt, sondern auch das allgemeine Funktionsprinzip der Natur darstellt.

Der Weg, der Reich zur Entdeckung dieser allgegenwärtigen Energie, die er Orgon nannte, führte, ist in "Die Funktion des Orgasmus – Die Entdeckung des Orgons", Band 1 beschrieben. Hier, in "Der Krebs", geht Reich in die Details der faktischen Entdeckung der Orgonenergie und enthüllt ihre praktischen Folgen für das Krebsproblem. Dabei liefert er einen Beitrag von außerordentlicher Bedeutung für das Verständnis der schwersten und rätselhaftesten Krankheit, an der die Menschheit heute leidet.

Obwohl "Der Krebs" 1948 zum ersten Mal veröffentlicht wurde, ist das Buch heute praktisch unbekannt. Es hatte eine äußerst begrenzte Verbreitung, und später wurde die Einstellung seines Verkaufs durch einen Gerichtsbeschluß erzwungen, aufgrund dessen die Bücher Wilhelm Reichs nicht ausgeliefert bzw. durch eine Dienststelle der US-Regierung verbrannt wurden. Glücklicherweise zeigt sich heute, da diese Neuausgabe erscheint, eine wachsende Offenheit gegenüber unorthodoxen Ansätzen, das Krebsproblem zu lösen.

Reichs Krebstheorie basiert auf der Orgonenergie. Diese Energie kann bei der Erforschung aller Naturerscheinungen und bei der Untersuchung, Behandlung und Prophylaxe von Krankheiten nutzbar gemacht werden. Man sollte erwarten, daß der tatsächliche Beweis für die Existenz einer derartigen Energie, über die der Mensch während seiner ganzen Vergangenheit spekuliert hat, begierig aufgenommen würde. Doch die Unfähigkeit des Durchschnittsmenschen, seine eigenen körperlichen Empfindungen, in denen sich die Bewegung der Lebensenergie ausdrückt, zu erleben und zu verstehen, ließ ihn die Realität einer spezifischen Kraft, die seinen Organismus regiert, zurückweisen. Und folgerichtig hielt man die Entdeckung der Orgonenergie durch Reich für Phantasie oder einen Betrug.

Ein großes Hindernis für das Verständnis der Reichschen Krebstheorie ist die vorherrschende mechanistische Art, Krankheiten zu begreifen. Vor gar nicht langer Zeit, tatsächlich vor weniger als hundert Jahren, schrieb man Krankheiten den Wechselwirkungen vieler Variablen im Individuum und seiner Umgebung zu. Beginnend mit den Forschungen Pasteurs und Kochs entstand jedoch die "Doktrin der spezifischen Ätiologie", nach der eine Krankheit durch einen spezifischen Faktor verursacht ist, z. B. durch ein Bakterium, einen Virus oder einen Hormonausfall. Die moderne Medizin basiert auf dieser mechanistischen Sichtweise, und diese ist es auch, die gegenwärtig durch die großzügigen staatlichen Fonds zur Krebsforschung unterstützt wird. Die Begeisterung für den mechanistischen Ansatz gründet sich auf das Wissen, daß durch einen einzelnen isolierten Faktor bei einem Versuchstier eine Krankheit hervorgerufen werden kann und daß ein mechanisches Verfahren oder eine chemische Substanz, die oft durch einen glücklichen Zufall entdeckt wird, bei der Behandlung von Krankheiten helfen kann. Es gibt prominente Wissenschaftler, die diesen Ansatz beim Krebs ablehnen und die versichern, daß die Suche nach einem spezifischen kausalen Faktor fruchtlos ist. Trotzdem geht die Suche weiter.

Mehrere einzelne "Ursachen" der Krebskrankheit werden gegenwärtig untersucht; man stützt sich dabei u. a. auf die Virus-Theorie, auf psychosomatische und chemische Theorien. So sind einige Forscher davon überzeugt, daß Krebs eine durch Viren verursachte Infektionskrankheit ist, und sie glauben, daß bald ein Impfstoff entwickelt werden wird. Andere haben die Aufmerksamkeit auf die Möglichkeit einer psychosomatischen Ätiologie gelenkt und über die Zusammenhänge zwischen der Entstehung eines bösartigen Tumors und psychischer Depression, fehlender Aggression usw. spekuliert. Wieder andere glauben, daß psychologische Faktoren das hormonale Gleichgewicht des Organismus stören oder die Immun-Mechanismen unterdrücken und dadurch zur Krebsätiologie beitragen. Schließlich wird auf biochemischem Gebiet angesichts der Beobachtung, daß Sauerstoffmangel die Krebsentwicklung zu fördern scheint, jene lang vernachlässigte Entdeckung Otto Warburgs heute wieder beachtet, daß die normalen Oxidationsvorgänge in der Krebszelle irreversibel geschädigt und durch anaerobe Prozesse ersetzt sind.

Trotz des Interesses, das durch diese verschiedenen Theorien angeregt wird, ist unübersehbar, daß zahlreiche Fragen der Ätiologie unbeantwortet bleiben und daß vieles unklar und verworren ist. Wenn z. B. Viren beteiligt sind, wo oder wie entstehen sie? Wenn aber etwas Grundlegenderes als Viren am Werk ist, etwas Chemisches, was ist es? Wenn die Emotionen ursächlich beteiligt sind, wie produzieren sie faktisch Krebs? Daß eine Beziehung zwischen Krebs auf der einen und Viren, Emotionen, Sauerstoffmangel usw. auf der anderen Seite besteht, scheint sicher. Wodurch aber oder wie die bösartige Umwandlung im Gewebe erfolgt, ist unbekannt.

Weil man nichts über die Ätiologie wußte, orientierte sich die Behandlung weitgehend an den Symptomen, und die Ergebnisse waren unvorhersehbar und allgemein entmutigend. Tatsächlich ist das Leiden der Krebspatienten oft mehr durch die Mittel, die zur Behandlung der Symptome eingesetzt werden, verursacht als durch die Krankheit selbst. Weil der Tumor das hervorstechendste Merkmal der Krankheit ist und von den meisten Forschern als die Krankheit selbst angesehen wird, besteht die Behandlung entweder in seiner operativen Beseitigung oder in dem Versuch, ihn durch Bestrahlung oder Medikamente zu zerstören. Der Wert dieser Maßnahmen ist heftig umstritten. Es herrscht z. B. ständig Unklarheit darüber, wieviel Gewebe entfernt werden muß, damit sichergestellt ist, daß keine Krebszellen zurückgeblieben sind, die in das umgebende gesunde Gewebe eindringen und es zerstören würden. Dr. George Crile, Jr, von der Cleveland Klinik, hat festgestellt, daß zahlreiche Operationen viel zu weitgehend sind, und er beklagt, daß wir "bei unserem überhasteten Vorgehen, Krebs durch wahllose Anwendung chirurgischer Operationen herauszuschneiden, den Patienten vergessen und die Krankheit sogar noch im Organismus verbreiten". Trotz der begrenzten Möglichkeiten dieser Therapie, die in der Zerstörung oder Entfernung des Tumors besteht, gilt der Tumor in der üblichen medizinischen Praxis als der einzige echte Ansatzpunkt für therapeutische Eingriffe. Das liegt an der mechanistischen Prämisse, daß der Tumor de novo in einem sonst gesunden Organismus entsteht.

In "Der Krebs" stellt Reich eine funktionale Krebstheorie vor, die die Entstehung und Entwicklung der Krankheit erklärt und auch Möglichkeiten einer Therapie und, was wichtiger ist, einer Prophylaxe, anbietet. Hierbei berücksichtigt er auch die vorherrschenden Spekulationen über die Beziehungen der Krankheit zu Infektion, emotionalen Störungen, Schädigungen des Zell-Stoffwechsels, den Wert simpler Exzisionen großer Tumoren usw. Den theoretischen "Krebs-Virus" muß man zweifellos Reichs T-Bazillen zuordnen, die in Versuchstieren Krebstumoren hervorbringen und so die moderne Infektionstheorie stützen. Um sich Reichs Einsichten zu nähern, müßte die Infektionstheorie allerdings die Tatsache übernehmen, daß die T-Bazillen endogen durch den bionösen Zerfall lebendiger Substanz entstehen. Dies paßt natürlich schlecht zur metaphysischen Theorie von den "Luftkeimen", aus denen sich angeblich alle Bakterien entwickeln. Die psychische Depression oder das Fehlen von Aggression, die von den Psychosomatikern festgestellt wurden, sind Reichs "charakterliche Resignation". Für Reich ist "Resignation" aber nicht nur ein interessanter Befund, der auf unklare Weise an der Entstehung der Krankheit beteiligt ist; sie kennzeichnet vielmehr die erste Phase eines Schrumpfungsvorganges, der darauf beruht, daß die Entladung der sexuellen Energie gestört ist. Der Sauerstoffmangel auf zellulärer Ebene, der ursprünglich von Warburg entdeckt wurde und der heute theoretisch wieder berücksichtigt wird, ist bei Reich kein isolierter unerklärter Befund, sondern der innere biochemische Ausdruck dafür, daß die äußere Atmung behindert ist. Mit anderen Worten: Die erwähnten und andere Faktoren sind in Reichs Krebstheorie nicht zufällig angeordnet und unzusammenhängend, sondern sie erscheinen als Symptome einer Krankheit des gesamten Organismus, die ihren Ursprung in der chronischen Stagnation der organismischen biologischen Energie hat. Das bedeutet: Alle Faktoren haben einen gemeinsamen Ursprung und erlangen später die Fähigkeit, autonom zu funktionieren, wodurch sie dann den Eindruck erwecken, als hätten sie primäre ätiologische Bedeutung.

Sämtliche Aspekte der Krebskrankheit sind in Reichs Krebstheorie berücksichtigt und hierdurch unterscheidet sie sich von allen bisher angebotenen Erklärungen. Er macht nicht nur dieselben Beobachtungen, die heute einzeln untersucht werden, sondern er demonstriert auch eine funktionale Beziehung zwischen ihnen, die mit der mechanistischen Methode nicht entdeckt werden konnte. Die Tragödie besteht darin, daß man seine Funde mit Spott, Nichtbeachtung und vor allem mit Indifferenz aufnahm, als sie vor mehr als einem Vierteljahrhundert bekanntgegeben wurden, und daß niemals ein Versuch gemacht worden ist, sie unvoreingenommen zu prüfen. Selbst das gegenwärtige Interesse an Reichs Frühschriften, die weiterhin aktuell und dem herrschenden gesellschaftlichen Klima angemessen sind, erstreckt sich nicht auf seine späteren Arbeiten, die mit der Entdeckung der Orgonenergie zu tun haben. Doch wird dieses neue Interesse vielleicht eine günstigere Aufnahme seiner Orgontheorie anregen und es ermöglichen, daß die Orgonenergie beim Studium und der Behandlung somatischer Krankheiten, wie Krebs, nutzbar gemacht wird.

Man kann nur hoffen, daß "Der Krebs" weder mystische Begeisterung noch blinde Zurückweisung hervorrufen wird. Reich hat diese möglichen irrationalen Reaktionen auf sein Werk vorhergesehen und warnend darauf hingewiesen, daß seine Lösung des Krebsproblems nicht bedeutet, daß ein Heilmittel gefunden worden ist. Trotz seiner Bemühungen, Mißverständnissen vorzubeugen und überschießende Erwartungen zu dämpfen, wurde er aber wegen Behauptungen lächerlich gemacht und verurteilt, die er nicht nur nicht gemacht hat, sondern von denen er sogar voraussagte, daß man sie ihm fälschlicherweise unterschieben werde. Die Tatsache, daß er sich der Unausweichlichkeit der Entstellungen und bösartigen Reaktionen bewußt war, ist unmißverständlich in seinem Vorwort festgehalten. Es sollte sehr sorgfältig gelesen werden, damit jegliche Mißverständnisse darüber, was er tatsächlich beanspruchte, vermieden werden. Um allen in dieser Hinsicht verbliebenen Zweifeln zu begegnen, sei die Aufmerksamkeit des Lesers zusätzlich auf das letzte Kapitel gelenkt, in dem Reich noch einmal nachdrücklich betont, daß die eigentliche Lösung des Krebsproblems in der Prophylaxe der Krankheit und nicht so sehr in ihrer Heilung liegt. Die Mittel für diese Lösung finden sich in erster Linie im gesellschaftlichen Bereich; denn es ist unsere lebensfeindliche Gesellschaftsordnung, die die sexuelle Misere erzeugt und damit die Stagnation der biologischen Energie, in der die Krebskrankheit wurzelt.

Vorwort zum zweiten Band

Der vorliegende zweite Band meines Buches "The Discovery of The Orgone" (dtsch. "Die Entdeckung des Orgons") ist die unmittelbare Fortsetzung des ersten Bandes, "The Function of the Orgasm" (dtsch. "Die Funktion des Orgasmus", Köln 1969). Er setzt sich aus mehreren Abhandlungen zusammen, die in den Jahren 1942 bis 1945 im International Journal of Sex Economy and Orgone Research in New York erschienen und über die Entdeckung der kosmischen Orgon-Energie berichteten. Die Zusammenfassung dieser Abhandlungen in Buchform bietet für den Leser den Vorteil, daß die Orgon-Biophysik als eine logische Folge der vorgenommenen Beobachtungen, Experimente und Arbeitshypothesen klarer hervortritt. Der unvoreingenommene Leser kann sich nun besser als durch die einzelnen Abhandlungen überzeugen, daß der Entdecker der Orgon-Energie weit eher ein Werkzeug naturwissenschaftlicher Logik und Konsequenz als ein Schöpfer "neuer Theorien" war. Kein menschlicher Verstand vermag die Fülle der Beziehungen und Tatsachen auszudenken, die in diesem Bande vorgelegt werden. Meine Aufgabe im Prozeß der Entdeckung der kosmischen Orgon-Energie war nicht die, Theorien zu bauen, sondern einzig und allein die, den Beobachtungen aufmerksam und mit ehrlicher Selbstkontrolle zu folgen, sie durch entsprechende Experimente zu verifizieren und die logischen Denkbrücken zu bauen, die von einem Funktionsgebiet ins andere hinüberführten.

Ich habe meine früher publizierten Abhandlungen zum Teil neu angeordnet, so daß Wiederholungen vermieden wurden und die zeitliche Folge im wesentlichen zum Ausdruck kam. Es wurde eine Darstellung der Irrtümer eingefügt, die mit der "Luftkeimhypothese" verbunden sind; es wurde ferner für den spezialisierten Krebsforscher ein Abschnitt angefügt, der die Verbindung zwischen der klassischen und der orgonomischen Krebsforschung herzustellen versucht. Am Ende der orgon-physikalischen Darlegungen findet sich eine kurze Notiz über den Nachweis des atmosphärischen Orgons mittels des Geiger-Müller-Apparats. Es war nicht mehr möglich, diese höchst bedeutsame Tatsache ausführlich darzustellen, da sie erst im Verlaufe der Sommermonate des Jahres 1947 aufgefunden wurde.

Ich glaube – und hoffe –, daß dieser Band auch dem nicht speziell geschulten Leser zugänglich ist, wenn er sich mit den Grundsätzen naturwissenschaftlicher Forschung im allgemeinen und mit denen der Orgonomie im besonderen vertraut gemacht hat. Die allzu spezialisierten Abschnitte können übergangen werden, ohne daß das Verständnis des Ganzen darunter leiden würde.

Das vorliegende Buch umfaßt eine Arbeitsperiode von ungefähr siebzehn Jahren, etwa 1930-1947. Ich habe mich auf das Wesentliche beschränkt, da die Mitteilung aller Details das Buch unleserlich gemacht hätte. Es wird sich ja in anderen Zusammenhängen reichlich Gelegenheit bieten, wichtige Tatsachen, die hier ungenannt blieben, nachzutragen.

Es ist zu bedauern, doch leicht verständlich, daß dieser Band keine abgeschlossene Darstellung geben kann. Dies ist einfach dem Umstande zuzuschreiben, daß die bisherige Orgonforschung viele Lücken ungefüllt lassen mußte, wie es in objektiver Naturforschung eben geht. Es liegen kein "Denksystem" oder keine "neue Naturphilosophie" vor, sondern bloß neue Tatsachen und neue Zusammenhänge bekannter Tatsachen, soweit sie bisher gesichert werden konnten. Wo Unsicherheiten blieben, habe ich sie ausdrücklich vermerkt.

Die Orgonforschung ist heute viel weiter als dieses Buch. Die orgonometrischen Resultate der letzten Jahre mußten einer späteren Darstellung vorbehalten bleiben. Ebenso mußte eine systematische Diskussion der Funktionellen Denktechnik, die allen Beobachtungen, Experimenten und Verknüpfungen zugrundeliegt, weggelassen und auf einen späteren Zeitpunkt aufgeschoben werden. Dies ist bedauerlich, war aber nicht zu umgehen. Es hat sich im Verlaufe der letzten zwölf Jahre immer wieder gezeigt, daß die Orgonforschung von Biologen und Physikern nicht begriffen oder mißverstanden wird, weil sie die neuen Tatsachen nicht im Denkrahmen des Energetischen Funktionalismus sehen, sondern sie mit klassischen mechanistischen Denkmethoden zu fassen versuchen. Dies aber ist keinesfalls möglich. Für den Bakteriologen etwa ist ein Staphylococcus ein statisches Gebilde, das kreisrund oder oval, etwa 0,8 μ, groß, mit Gramfärbung blau und traubenartig angeordnet ist. Für die Orgonbiophysik sind diese Kennzeichen wichtig, aber nicht die Hauptsache. Der Name besagt ihr nichts über Herkunft, Funktion und Stellung des blauen coccus in der Natur. Für die Orgonphysik ist das, was der Bakteriologe "Staphylococcus" nennt, ein in Degeneration begriffenes Energiebläschen. Sie erforscht die Herkunft der Staphylokokken aus anderen Lebensformen, verfolgt ihre Verwandlungen; sie untersucht sie im Zusammenhange mit den Vorgängen der biologischen Gesamtenergie des Organismus, sie erzeugt sie experimentell durch degenerative Prozesse in Bionen und Zellen, etc.

Ich wollte mit diesem Beispiel nur andeuten, und nicht mehr als andeuten, weshalb die Tatsachen der Orgonomie nicht mit den klassischen, mechanistischen und chemischen Methoden erfaßt werden können; weshalb ferner eine systematische Darstellung der Denktechniken und Methoden der Orgonomie für das Verständnis der Orgon-Energie so wichtig wäre.

Doch ich muß mich beschränken und kann nur hoffen, daß die hier dargelegten Tatsachen und Funktionen für sich selbst sprechen werden, auch wenn sie dem in klassischer Weise geschulten Bakteriologen, Biologen und Mediziner neu und fremd erscheinen sollten.

Die hier dargestellten Prozesse der Natur werden ohne Kenntnis der biophysikalischen Funktion des Orgasmus nicht leicht zugänglich sein. Wer Tierarten erforschen will, muß zureichende Kenntnisse in der Geologie haben. Wer die Naturgesetze erforschen will, die dem kosmischen Orgon zugrundeliegen, muß die Funktion des Orgasmus genau kennen. Die andere Forderung, daß die Organempfindungen des Naturbeobachters nicht allzu sehr gesperrt sein dürfen, wenn er mit Orgon-Energie arbeitet, kann ich hier nur erwähnen, aber nicht begründen. Es ist aber verständlich, daß die emotionelle Struktur des Naturforschers seine Beobachtungen und Denkakte färbt, daß also die Organempfindung des Forschers ein Werkzeug seiner Arbeit ist. Dies gilt für mich wie für jeden anderen, der mit orgonotischen Naturfunktionen operiert. Das Experiment hat zwar die Beobachtungen und die Arbeitshypothesen zu bestätigen (oder zu widerlegen). Aber die Art, wie Experimente erdacht und durchgeführt werden, hängt vom Empfindungsapparat des Forschers ab. Die Sinnes- und Organempfindungen sind hier entscheidende Faktoren. Es ist ein Fehlschluß zu glauben, daß Experimente allein Aufschlüsse geben können. Es ist immer wieder der lebendige, empfindende und denkende Organismus, der forscht, experimentiert und seine Schlüsse zieht.
Soviel über das weite und schwierige Gebiet der funktionellen Denktechnik, das in diesem Buche nur gestreift ist.

Unser Thema ist sehr ernst und voll von entscheidenden Konsequenzen für die Naturwissenschaft im allgemeinen. Dessen war ich mir vom Anbeginn der Niederschrift (1941) voll bewußt. Deshalb habe ich immer mehrere Jahre verstreichen lassen, ehe ich eine neue Beobachtung oder ein ungewöhnliches Experiment der Öffentlichkeit vorlegte. Ich habe es mir zur Regel gemacht, keine neue Tatsache zu melden, wenn nicht weitere Tatsachen die früher erfaßten bestätigten. Ich bitte den aufmerksamen und willigen Leser darum, nicht zu glauben, daß ich mein privates Einkommen seit 1933 in Beträgen weit über 100.000 Dollar für meine Forschung einer "Illusion" oder einer bloßen "Idee" zuliebe oder gar zum Spaß ausgegeben habe. Es ist bereits von vielen Seiten her zugegeben worden, daß die Orgonforschung viele alte und unrichtige Vorstellungen über die Natur umstürzt. Es ist bereits in weiten Kreisen begriffen worden, daß die starren Grenzen zwischen den Spezialwissenschaften in der Orgonomie niederbrechen. Wer mit dem kosmischen Orgon arbeitet, muß genügend Kenntnisse in der Medizin, Biologie, Soziologie, Physik und Astronomie haben, um die Orgonfunktionen in ihren verschiedenen Funktionsgebieten zu verfolgen. Die Natur kennt keine Grenzen zwischen Spezialfunktionen. Es ist vor allem die Bio-Psychiatrie, von der ich ursprünglich herkomme; es ist die Kenntnis der menschlichen Emotionen und Triebfunktionen, die in der Orgonforschung eine große Rolle spielen; nicht nur in Hinblick auf die Grundfunktionen des Orgons, sondern ganz besonders auch bezüglich der menschlichen Reaktionen auf die Existenz einer universellen kosmischen Energie, die im Bereiche des Lebendigen als "Biologische Energie", als die Energie unserer Emotionen funktioniert. Dies ist gewiß sehr ernst und folgenschwer.

Da ich ein Jahrzehnt lang die wesentlichsten biologischen Funktionen der Orgon-Energie an Hand der Krebsbiopathie erforschte, ist es verständlich, daß diese Seuche die Achse bildet, um die sich das orgonomische Thema des vorliegenden Bandes dreht. Ich darf es als einen Triumph der Bio-Psychiatrie betrachten, daß sie es war, die den Zugang zum Verständnis der biologischen Zell-Energie eröffnete. Mit der biologischen Zell-Energie war auch der Zugang zur atmosphärischen Orgon-Energie geöffnet. Dies wird aus den Darstellungen in logischer Weise hervorgehen. Es ist ferner eine Genugtuung, daß es im besonderen der sexualökonomische Zweig der Bio-Psychiatrie war, dem es gelang, das Rätsel der Krebserkrankung zu lösen und eine hoffnungsvolle Methode der Verhütung der Krebserkrankung zu eröffnen. Dies sind – ich weiß es und ich empfinde es mit Sorge – erschreckend verantwortungsvolle Sätze. Aber ich kann sie nicht vermeiden, wenn ich dem geneigten Leser mein Empfinden vom Ernst der Situation übermitteln soll. Der Ernst des Gegenstandes dieses Buches fordert Ernst in der Aufnahme und Kritik meiner Tatsachen und Behauptungen. Um es kurz zusammenzufassen: Die Krebserkrankung, deren Kernmechanismus die fortschreitende Schrumpfung des Lebenssystems ist, wird einfach und leicht verständlich, wenn man seinen Widerstand überwindet, folgende Riesentatsachen in einem zu fassen:

1.  Wir müssen die Luftkeimtheorie aufgeben und die "Endogene Infektion" anerkennen.

2.  Wir müssen die Rolle der Emotionen in den organischen Krankheiten voll einbeziehen.

3.  Wir müssen die Entwicklung lebendiger, spontan bewegter Substanz aus anderer lebender oder aus nichtlebender Substanz, ja mehr, aus freier Orgon-Energie zugeben und aufmerksam, experimentell und denktechnisch bewältigen. Mit anderen Worten, wir finden uns dem Problem der Biogenese unmittelbar gegenüberstellt, wenn wir den Krebs behandeln.

4.  Wir müssen die viel gehaßte und vermiedene Sexualpathologie ins Zentrum unserer medizinischen Anstrengungen stellen, wenn wir mit der Krebserkrankung operieren.

5.  Wir müssen endlich die Existenz einer grundsätzlich neuartigen, funktionellen, und nicht mechanischen Gesetzen gehorchenden, überall existenten kosmischen Energie anerkennen, eben der Energie, die ich Orgon genannt habe, wenn wir die Krebserkrankung in einfacher Weise begreifen wollen.

Jeder einzelne dieser fünf Punkte genügt für sich allein, einen ernsten Naturforscher zunächst kritisch zu machen. Ich versichere dem Leser dieses Buches, daß ich viele Jahre verstreichen ließ, ehe ich es wagte, die Fülle der neu erschlossenen Tatsachen und Zusammenhänge mir selbst oder anderen zu eröffnen. Dr. Walter Hoppe schrieb mir einmal mit Recht, die größte Schwierigkeit meiner Arbeit bestünde darin, daß zuviel entdeckt wurde.

Es gibt in der ernsten Naturforschung den Zwang zur Anerkennung von Tatsachen unter dem Risiko kompletten Genickbruchs. Ich konnte und durfte mich diesem Risiko nicht entziehen, wenn ich den entdeckten Tatsachen genügen sollte. Mit der Zeit erschien die Riesenhaftigkeit der erschlossenen Tatsachen weniger erschreckend. Und ich glaube, daß der standfeste und wahrheitsliebende Leser ebenfalls viel von seinem Schrecken verlieren wird, wenn er sich mit den folgenden Umständen vertraut macht:

1.  Die Überwindung der in der Naturwissenschaft scharf gezogenen Grenzen der Spezialwissenschaften erleichtert die Arbeit in Medizin und Naturforschung. Die Natur ist, trotz ihrer unendlich vielen Abartungen, doch im Grunde ein einheitliches Ganzes. Diese Einheitlichkeit und Einfachheit am Grunde der Natur spiegelt sich in der Einfachheit der Orgonfunktionen wider, wenn wir mit ihnen operieren. Ich glaube, die Orgon-Energie ist weit weniger erschreckend und weit weniger kompliziert als eine einzige Vorrichtung zum Abschuß von Bomben.

2.  Je vertrauter man mit den Orgonfunktionen wird, desto mehr fühlt man sich in ihnen "zu Hause". Die Aufschlüsse, die diese Arbeit bietet, entlasten vom ständigen Druck, den man empfindet, wenn man ohne Kenntnis der biologischen Energie zum Beispiel mit Krebskranken arbeitet. Nach einigen Jahren Gewöhnung begreift man nicht, wie man früher ohne diese Kenntnisse auskommen konnte. Choreatische Bewegungen oder epileptische Anfälle bilden kein Rätsel mehr. Die Vorgänge werden einfach und durchsichtig.

3.  Man lernt es allmählich, dem menschlichen Irrationalismus leichter zu begegnen. Man begreift besser, was in Menschen vorgeht, wenn sie der Mystik oder der Emotionellen Pest verfallen.

4.  Es ist ferner eine große und nicht abzuschätzende Wohltat, daß man den religiösen Menschen tiefer und voller versteht, wenn man weiß, daß es eine überall vorhandene und alles durchdringende kosmische Energie, Newtons Äther, den "Gott" aller Zeiten und Völker, gibt, die man mittels der Organempfindung, des Auges, des Thermometers, des Elektroskops und des Geiger-Müller-Apparats sichten und messen kann.

5.  Endlich ist es befreiend, das medizinische Wort "Disposition" nun mit handgreiflichem Inhalt füllen zu können. Es entlastet, wenn man begreifen lernt, weshalb der eine stets an Erkältungen leidet, der andere aber nicht; weshalb nur bestimmte Individuen einer Epidemie zum Opfer fallen, und andere nicht; weshalb der eine an Krebs oder vaskulärer Hypertonie stirbt, und der andere nicht, und was ein lebhaftes von einem erkalteten Kind biologisch unterscheidet.

Kurz, die Helle, die man der Kenntnis der Orgon-Energie verdankt, wiegt reichlich den Schrecken auf, den man erlebt, wenn sich die großen Rätsel der Natur enthüllen.
Ich möchte mit einigen Sätzen an diejenigen Mitarbeiter abschließen, die die Erforschung und Handhabung des kosmischen Orgons zu ihrem Lebensberuf gemacht haben.
Die Neuheit und die Rasanz unserer Arbeit fordern bestimmte neue Haltungen der Mitwelt gegenüber und zwingen uns, einige übliche Techniken im Verkehr mit ihr aufzugeben, wenn wir unsere Aufgabe als Orgonforscher erfüllen sollen. Es ist nicht persönliches Interesse, sondern das Interesse an der Durchsetzung der Anerkennung der kosmischen Orgon-Energie zum Wohle der Allgemeinheit, die mich zwingt, die folgenden Bemerkungen zu machen:

Wir erleben im Verkehr mit der Fachwelt und der Laienwelt scharfe Anfeindungen, ja gefährliche Angriffe auf unsere persönliche und sachliche Integrität. Wir begreifen als Psychiater den Irrationalismus dieser Angriffe und Anfeindungen. Wir wissen, aus welchen Quellen sie herstammen. Sie haben nichts mit dem persönlichen Charakter dieses oder jenes Orgonforschers oder Orgontherapeuten zu tun. Sie begegnen in einer typischen Weise mir wie anderen, die weitab von meinem Laboratorium leben und wirken. Wir können in der Öffentlichkeit unsere Kenntnis der Motive irrationalen Verhaltens nicht in einer persönlichen Weise anwenden. Wir können unter keinen Umständen einem Physiker, der die Orgonfunktionen in einer neurotischen Weise weginterpretiert, sagen, was ihn dazu im Grunde bewegt. Wir können diese Motive nur allgemein bekanntgeben, aber in keinem Falle persönlich gegen bestimmte Personen richten. Das einzige, das wir mit gutem Gewissen tun können, ist, uns zu fragen, ob der bestimmte Angriff rational oder irrational ist. Die irrationalen Angriffe sollten unter keinen Umständen beantwortet werden. Wir bekämpfen sie durch Enthüllung des Irrationalismus im menschlichen Leben. Sie erledigen sich mit der Zeit von selbst, auch wenn sie gelegentlich gefährliche Formen annehmen. Wir wissen genau, daß der heutige durchschnittliche Mensch nichts so sehr fürchtet wie die Erkenntnis seines biologischen Wesens. Wir wissen gleichzeitig, daß er nichts so sehr herbeisehnt wie die Erfüllung seines biologischen Wesens. Beide, Angst vor Erkenntnis und Sehnsucht nach Erfüllung, begegnen uns gleichzeitig. Wir müssen daher stets das Rationale im Irrationalen aufsuchen, begreifen und ohne Haß oder Entrüstung vorlegen. Mit der Zeit wird das Rationale siegen. Doch ich habe leider keinen Rat zu geben, wie man sich vor lebensgefährlichem Irrationalismus schützt. Weder Gerichtsprozesse noch Widerschimpfen können hier abhelfen.

Es gibt jedoch ein erprobtes Mittel, rationales Verhalten im Verkehr mit Laien und Nichtlaien zu erzwingen: Wir delegieren keinerlei Autorität in Fragen der Orgonforschung, wenn der Kritiker nicht nachweisen kann, daß er sich lange Zeit hindurch und äußerst gründlich mit unseren Publikationen und Tatsachen vertraut gemacht hat. Unsere Wissenschaft kann nur vom Standpunkt ihrer eigenen Voraussetzungen, Methoden und Denktechniken, und von keinem anderen Standpunkt aus beurteilt werden. Dies ist ein strenges Gesetz im wissenschaftlichen Verkehr, das überall gilt, wo wissenschaftlich gearbeitet wird. Wir erwarten und wollen Kritik, aber nur immanente Kritik.

Wenn also ein abstinenter Gerichtspsychiater oder ein festgefahrener Krebsfachmann oder gar ein "freier Schriftsteller" sich anmaßt, unsere Arbeit zu verdammen, weil er sie nicht versteht, oder weil sein Weltbild erschüttert wird oder weil er sich persönlich getroffen oder weil seine politische Partei sich bedroht fühlt, so bewahren wir Schweigen. Wir nehmen an keiner irrationalen Diskussion oder Rauferei teil. Ich möchte diese Regel sehr empfehlen. Sie hat sich als sehr nützlich erwiesen.

Es ist sonst üblich, wenn man eine Entdeckung gemacht hat, sie von bestimmten "Autoritäten" anerkennen zu lassen, um solche Anerkennung zu bitten, sich ihretwegen zu erniedrigen, sich aller möglichen Taktiken und Hintertreppenoperationen zu bedienen. Man versucht auch üblicherweise, so rasch wie möglich in einer Tageszeitung gedruckt zu erscheinen.

All dies schickt sich nicht für uns, die mit todernsten Dingen operieren. Wenn wir ehrlich und gewissenhaft arbeiten, an den Tatsachen festhalten, keiner Verlockung zu Kompromissen in wesentlichen Dingen, wie etwa der Orgasmusfunktion, nachgeben, werden wir früher oder später das Vertrauen der weiten Allgemeinheit erzielen. Es gibt wenig in der Welt, das sie dringender braucht als die Kenntnis der Orgonfunktionen innerhalb und außerhalb der Organismus.

Wir dürfen keine Autorität zusprechen, wo keine erprobte Autorität in Orgonfragen besteht. Doch wir müssen Verantwortung delegieren. Es ist fraglos die Verantwortlichkeit einer Krebsklinik, die Krebskranke behandelt, mit der Orgon-Energie zu operieren. Es ist die Verantwortung jedes einzelnen Arztes, der Zeuge der Heilwirkungen des Orgons war, diese Tatsachen beruflich zu vertreten und ihnen nicht auszuweichen, auch nicht auf die Meinung der "Autorität" zu warten. Es ist die Verantwortung jedes einzelnen Genießers der Heilwirkungen der Orgon-Energie, seinen Mitmenschen zu helfen, wenn Hilfe möglich ist. Es ist die unabsprechbare Verantwortung eines Schriftstellers, den Einsatz der lebensrettenden Wirkung des Orgons nicht durch skandalöse und sensationelle Aufmachungen in der Tagespresse zu behindern. Er muß wissen, daß er indirekt Menschen tötet, wenn er gegen uns hetzt. Es ist schließlich die Verantwortung der Regierung dieses oder jenes Landes, ob und wie rasch die kosmische Orgon-Energie der Allgemeinheit zugänglich gemacht wird. Wir tun unsere Pflicht in jeder Weise und so gut wir können. Wir arbeiten hart, durch die Jahrzehnte; wir opfern Geld und Freizeit; wir versuchen so gut wie möglich anständig und ehrlich zu sein. Wir teilen unsere Ergebnisse in verantwortungsvoller Weise mit. Wir können nicht mehr tun. Der Rest ist Sache der Öffentlichkeit. Wenn sie Hetzartikel, Verleumdungen, Unwahrheiten, Verzerrungen duldet, so ist es das Publikum, das im Grunde getroffen und geschädigt wird, und nicht dieser oder jener Orgontherapeut.

Ich wünschte, ich hätte diese Dinge nicht zu sagen. Doch sie müssen gesagt werden. Es ist Pflicht, darüber nicht zu schweigen.

Gleichzeitig müssen wir begreifen, daß die Welt der ernsten Naturforschung viel Zeit braucht, um sich in unserem Gebiet, das so neu ist, zu orientieren. Es ist zum Schaden der menschlichen Wohlfahrt, daß der Nichtswisser und Nichtskönner so rasch und so leicht Artikel schreiben und unterbringen kann; daß die politische Lebensart der Gegenwart die Publikation einer Hetze so viel leichter macht als die einer folgenschweren, lebenswichtigen Tatsache. Ja, wir müssen zugeben, daß sich gewichtige Tatsachen im Kampfe mit den irrationalen menschlichen Reaktionen schärfer und besser entwickeln. Doch es bleibt ein trauriges Faktum, daß das Rationale im sozialen Leben viel Zeit braucht, um seine Urteile zu sichern, sehr viel Zeit!

Am Ende möchte ich allen Freunden meinen Dank sagen, die mir durch die harten Jahre halfen, die Gerüste zu bauen, die dieses Buch beschreibt. Ich könnte viele und wichtige Namen nennen. Diejenigen, die in unserer Arbeit sich beheimatet fühlen, werden begreifen, weshalb ich sie an dieser Stelle nicht beim Namen nenne. Einige meiner engen Freunde und Mitarbeiter rieten mir selbst, vom Üblichen auch hier abzuweichen.

Daß ich genau weiß, wieviel ich den großen Pionieren der Naturwissenschaft schulde, daß ohne ihre Sorgen und Mühen die Entdeckung der kosmischen Energie unmöglich gewesen wäre, geht aus vielen meiner Publikationen hervor. Der kontinuierliche Zusammenhang und die wechselseitige Abhängigkeit aller Zweige der lebenswichtigen Arbeit wurden von mir immer wieder gebührend betont. Ich muß hervorheben, daß die vielen Tatsachen, die die mechanistische Krebsforschung in mühseliger Arbeit zusammengetragen hat, für meine neuartige Fassung der Krebsbiopathie unentbehrlich waren. Dies, obgleich die orgonomische und die klassische Krebstheorie so sehr voneinander abweichen und einander in vielem widersprechen. So mancher Krebsforscher weiß heute bereits, daß das Krebsproblem gelöst ist, und daß es der Entdeckung des Orgons und der Erhellung der Biogenese bedurfte, um es zu lösen.

Auf der anderen Seite sind unberechtigte Prioritätsansprüche, die in der psychosomatischen Medizin nach dem Erscheinen der "Function of the Orgasm" (1942) erhoben wurden, abzuweisen. Die Orgasmustheorie ist als Grundlage der Kenntnis psycho-physischer Störungen weit älter (1923) als irgendeine der anderen Auffassungen, die sich von der Psychoanalyse herleiten. Wenn die Orgasmusfunktion, die Kernfrage der psychosomatischen Prozesse, dort so eifrig übergangen wird, so besteht für uns kein Grund, allzu rücksichtsvoll zu sein. Wir können über die Konsequenz in der Vermeidung der Hauptsache nur staunen. Die Geschädigten sind wieder nur die vielen Kranken.

Ich schicke dieses Buch nicht ohne große Sorge in die Öffentlichkeit hinaus. Den Kern meiner Sorge bildet die Erwartung so vieler Leser unserer Literatur, daß nun ein Allheilmittel für den Krebs gefunden wurde. Dies muß ich strikt ablehnen. Es ist richtig, daß das Rätsel der Krebserkrankung durch die Entdeckung des Orgons voll zugänglich wurde. Doch es ist unrichtig zu glauben, daß nun jeder Krebskranke gerettet werden kann. Es wird harte, lange und kooperative Arbeit erfordern, ehe wir wissen werden, wieviel die Orgon-Energie in bestimmten Fällen von Krebs zu leisten vermag. Der Anfang ist gewiß gemacht.

Die karzinomatöse Schrumpfungs-Biopathie

Die Krebsgeschwulst ist nur ein Symptom der Krebserkrankung. Daher trifft die lokale Behandlung der Krebsgeschwulst, sei es nun durch Operation, sei es durch Radium- oder Röntgenbestrahlung, nicht die Krebserkrankung als solche, sondern nur eines ihrer sichtbaren Symptome. Auch der Krebstod ist nicht dem Vorhandensein eines oder mehrerer Geschwülste zuzuschreiben. Der Krebstod ist vielmehr der letzte sichtbare Ausdruck der biologischen Allgemeinerkrankung "Krebs", die auf Zerfall des Gesamt-Organismus beruht. Über die Natur dieser biologischen Allgemeinerkrankung gibt die medizinische Literatur keine Auskunft. Die sogenannte "Krebsdisposition" deutet nur an, daß sich im Hintergrund der Krebsgeschwulst bisher unerforschte Prozesse tödlichen Charakters abspielen. Die typische Krebs-Kachexie [Schwächung] dürfen wir nur als letzte, sichtbare Phase des unbekannten Allgemeinprozesses "Krebs" betrachten.

Das Wort Krebs-"Disposition" ist irreführend und nichtssagend. Wir wollen es daher durch den Ausdruck Karzinom-Biopathie ersetzen. Es ist Aufgabe dieser Abhandlungsreihe, den Prozeß nachzuweisen, der die Karzinom-Biopathie begründet.

Unter Biopathien wollen wir alle Krankheitsprozesse zusammenfassen, die sich am autonomen Lebensapparat abspielen. Es gibt eine typische Grunderkrankung des autonomen Lebensapparates, die – einmal in Gang gesetzt – sich in verschiedenen symptomatischen Krankheitsbildern zu äußern vermag. Die Biopathie kann in einem Karzinom resultieren ("Karzinom-Biopathie"), aber ebenso in einer Angina pectoris, einem Asthma, einer kardiovaskulären Hypertonie, einer Epilepsie, Katatonie, paranoiden Schizophrenie, Angstneurose, in multipler Sklerose, Chorea, chronischem Alkoholismus etc. Wir wissen noch gar nichts darüber, welche Umstände die Entwicklung einer Biopathie in der einen oder anderen Richtung bestimmen. Wichtig ist uns zunächst das Gemeinsame aller dieser Erkrankungen: Es ist eine Störung der natürlichen Pulsationsfunktion des lebenden Gesamtorganismus. Eine Fraktur, ein lokaler Abszeß, eine Pneumonie, gelbes Fieber, rheumatische Perikarditis, akute Alkoholvergiftung, infektiöse Peritonitis, Syphilis etc. sind demnach keine Biopathien. Sie beruhen nicht auf Störungen der autonomen Pulsation des gesamten Lebensapparates, sind begrenzt und können eine Störung der biologischen Pulsation sekundär herbeiführen. Nur dort, wo der Krankheitsprozeß mit einer Pulsationsstörung beginnt, wollen wir von "Biopathie" sprechen, gleichgültig, in welches sekundäre Krankheitsbild sie ausläuft. Wir können demnach eine "schizophrene Biopathie" von der "kardiovaskulären Biopathie", diese wieder von der "epileptischen" oder "karzinomatösen Biopathie" etc. unterscheiden.

Dieser Eingriff in die medizinische Terminologie rechtfertigt sich dadurch, daß wir keiner der vielen spezifischen Erkrankungen des autonomen Lebensapparates beikommen, wenn wir nicht dreierlei tun:

1.  diese Erkrankungen von den typischen Infektions-Krankheiten und chirurgischen Unfall-Krankheiten abgrenzen;

2.  ihren gemeinsamen Mechanismus, die Störung der biologischen Pulsation, aufsuchen und aufdecken;

3.  ihre Aufsplitterung in die verschiedenartigen Krankheitsbilder begreifen lernen.

Die Krebserkrankung eignet sich besonders gut zur Erfassung der Grundmechanismen der Biopathie. In ihr fließen viele Störungen, die die medizinische Praxis angehen, in Eines. Sie äußert sich in pathologischem Zellwachstum; eines ihrer wesentlichen Kennzeichen ist bakterielle Intoxikation [Vergiftung] und Putrifikation[Verfaulung]; sie beruht auf chemischen ebensowohl wie bioelektrischen Störungen des Organismus; sie hängt mit emotionellen und sexuellen Störungen zusammen; sie erzeugt eine Reihe von sekundären Prozessen, wie z.            B. die Anämie, die sonst Krankheiten für sich bilden; sie ist eine Erkrankung, in der das zivilisatorische Kulturleben eine entscheidende Rolle spielt; sie geht den Diätetiker ebenso an wie den Hormonforscher und den Virusforscher.

Das lärmende Vielerlei der Erscheinungen der Krebserkrankung verbirgt nur eine gemeinsame Grundstörung. Ähnliches gilt ja auch für das Gebiet der Neurosen und Psychosen, die in ihrer Vielgestaltigkeit doch nur einen einzigen gemeinsamen Nenner haben: die Sexualstauung. Dies führt uns unmittelbar zum Thema:
In der Sexualstauung treffen wir eine grundsätzliche Störung der lebendigen Pulsation an. Ist doch die Sexualerregung eine Urfunktion des lebenden Plasmasystems. Die Sexualitätsfunktion erweist sich als die produktive Lebensfunktion schlechthin. Eine chronische Störung der Sexualfunktion muß daher notwendigerweise mit Biopathie zusammenfallen.

Die Stauung der biosexuellen Erregung kann sich prinzipiell in zwei Weisen äußern: Sie kann als emotionelle Störung des seelischen Apparats, als Neurose oder Psychose in Erscheinung treten. Sie kann sich aber auch unmittelbar im Funktionieren der Organe auswirken und als Organerkrankung zum Vorschein kommen. Sie kann, nach bisherigem Wissen, keine echten Infektionskrankheiten erzeugen.

Der zentrale Mechanismus der Biopathie ist eine Störung in der Abfuhr biosexueller Erregung. Dieser Satz wird die ausführlichste Begründung fordern. Wir werden nicht überrascht sein zu finden, daß in der Biopathie physikalisch-chemische Vorgänge ebenso im Spiele sind wie emotionelle. In der bio-sexuellen Emotion äußert sich die psychosomatische Einheitlichkeit des biologischen Gesamtsystems am klarsten. Es ist nur logisch, daß Störungen des bio-sexuellen Energieablaufs, wo immer sie ansetzen mögen, Störungen des biologischen Funktionierens, eben die "Biopathie", begründen.

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