Auszüge aus Guy Kirsch & Klaus Mackscheidt's
"Staatsmann, Demagoge, Amtsinhaber"

Eine psychologische Ergänzung der ökonomischen Theorie der Politik

Die Theorie der Demokratie richtet den Blick gemeinhin auf die äußere Freiheit, ihre Sicherung und ihre Bedrohung. Die vorliegende Studie behandelt vornehmlich den Aspekt der inneren Souveränität der Bürger in einer Demokratie. Das Thema wird eingefangen in der Darstellung von drei Politikertypen:

    • der Demagoge – ein Verführer in neurotische Enge und Verneinung;
    • der Staatsmann – ein Therapeut im Dienst einer größeren inneren Freiheit;
    • der Amtsinhaber – ein Politiker, der die Geschäfte innerhalb jener Grenzen führt, die seine und seiner Mitbürger innere Souveränität abstecken.

Der flüssige Stil der Darstellung und ihr Verzicht auf unnötigen fachterminologischen Ballast sprechen auch den Nicht-Spezialisten an.

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Einleitung

Dieses Buch ist vom Engagement her ein politisches Buch. Es geht uns darum, die parlamentarische Demokratie als ein System vorzustellen, das ungemein anfällig ist für freiheitszerstörende Degenerationserscheinungen. Umgekehrt geht es uns auch darum, die Demokratie als ein System vorzustellen, das über starke heilmachende Kräfte verfügt. Die Demokratie ist durchaus freiheitsfördernd, kann aber sehr wohl auch freiheitszerstörend sein. Entscheidend dabei ist, daß man die freiheitsfördernde Kraft der Demokratie nur haben kann, wenn man die ihr inhärenten Risiken der Freiheitsgefährdung in Kauf nimmt. Dies zu beachten ist dann wichtig, wenn im Überschwang einer noch funktionierenden Demokratie jene Kräfte Gefahr laufen, übersehen zu werden, die schon die Zerstörung ankündigen. Umgekehrt soll unsere Analyse auch dazu beitragen, daß dann, wenn die freiheitszerstörenden Kräfte stärker geworden sind, die Niedergeschlagenheit nicht so groß wird, daß die Suche nach den heilmachenden Kräften unterbleibt.

Diese Mehrwertigkeit einer parlamentarischen Demokratie haben wir eingefangen in der Vorstellung von drei Politikertypen, dem Amtsinhaber, dem Staatsmann, dem Demagogen. Unter dem Amtsinhaber verstehen wir jenen Politiker, dessen Welterfahrung und Wertengagement in Ausmaß und Inhalt mit dem seiner Wähler identisch ist. Der Staatsmann ist jener Politiker, der kraft seiner inneren Souveränität seinen Wählern den Weg zu einer reicheren Weltbegegnung und einem reiferen Wertengagement eröffnet. Der Demagoge schließlich ist jener, der die Bürger zu seiner eigenen Enge und Ängstlichkeit verführt, in die arme Welt seiner eigenen Analyse und Wertung lockt.

Anders ausgedrückt: Der Staatsmann eröffnet seinen Mitbürgern innere Freiheiten, der Demagoge führt sie in eine größere innere Unfreiheit, der Amtsinhaber schließlich führt die Geschäfte innerhalb der Grenzen, die seine und seiner Mitbürger innere Freiheit abstecken.

Der Leser wird schon verstanden haben, daß diese Art der Problemformulierung auf das Instrumentarium der Psychologie und der Psychoanalyse nicht verzichten kann: Eine zentrale Kategorie unserer Untersuchung der Demokratie ist der Begriff der Neurose. Wir meinen damit nicht, daß die Wähler und die Politiker in einer parlamentarischen Demokratie Neurotiker im klinischen Sinne sind. Vielmehr verstehen wir unter der Neurose nicht mehr, aber auch nicht weniger als eine aus innerer Unfreiheit begrenzte Begegnungsfähigkeit des Menschen mit sich, mit anderen und mit den Dingen. Wenn also im Verlauf unserer Ausführungen die Demokratie auch als neurotisches Arrangement erscheint, so in dem Sinne, daß in ihr ein Ringen um die jeweils größere oder kleinere Souveränität der Weltbegegnung stattfindet.

Damit tritt ein Aspekt der Demokratie in den Vordergrund, der oft weniger Beachtung findet. Die Demokratie erweist sich jetzt als ein System, in dem nicht nur die äußeren Freiheiten gewonnen werden oder verlorengehen können; sie erweist sich auch als jener soziale Ort, wo ein Kampf um die innere Freiheit bzw. Unfreiheit ausgetragen wird; wo entschieden wird, ob die einzelnen in heiterer Souveränität der Welt begegnen können oder aber sich ihr verneinend, verstümmelnd und zerstörend entgegenstellen müssen.

Nicht als ob uns die Frage nach der äußeren Freiheit belanglos erschiene; im Gegenteil. Wir meinen aber, daß die äußere Freiheit innerlich unsouveräner Menschen von bestenfalls relativem Wert ist.

Es ist eine zentrale These dieses Buches, daß ein Staatswesen den Staatsmann und den Amtsinhaber braucht, wenn es dem Demagogen nicht verfallen soll.

Die herkömmliche, insbesondere die ökonomische Theorie der Politik hat in der Hauptsache den Amtsinhaber untersucht. Das war und ist nach wie vor wichtig. Es war auch verständlich, ist doch die Herrschaft des Amtsinhabers der Lösung jener Probleme gewidmet, die sich aus dem Verhältnis wohlfahrtshungriger Menschen mit den knappen Produktionsfaktoren ergeben. Der Amtsinhaber konnte die genuine Figur der ökonomischen Theorie der Politik werden, da er sich – wie diese – um das Verhältnis des Menschen zu den Dingen kümmert. Der Staatsmann und der Demagoge, die für jene Politikaspekte stehen, in denen der Mensch in Beziehung zu sich selbst und seinesgleichen tritt, mußten aus dem Untersuchungsfeld der ökonomischen Theorie der Politik fallen. Wo nur das Verhältnis des Menschen zu den Dingen auf den Begriff gebracht wird, kann das Verhältnis des Menschen zu sich selbst und den anderen nicht einmal gesehen werden. Die Frage nach diesem Verhältnis ist mit dem Problem der inneren Freiheit in der Demokratie deckungsgleich; so muß neben das Studium des Amtsinhabers die Analyse des Staatsmanns und des Demagogen treten. Begnügt man sich mit einer ökonomischen Theorie der Politik, sieht man nur den Amtsinhaber; dann wird man wohl das Problem der äußeren Freiheit angehen können; die innere Freiheit wird einem selbst als mögliches Problem entgehen.

Die innere Freiheit ist je mehr in Gefahr, desto fragloser das Problem der äußeren Freiheit gelöst scheint.

Die Demokratie – Ein System zwischen sachlichem Auftrag und personaler Beziehung

Die parlamentarische Demokratie ist zu einer derart selbstverständlichen Einrichtung geworden, daß auch jene, die sich zu ihr als Prinzip und Praxis bekennen, nicht mehr genötigt sind, sie als in jeder Beziehung problemlose Institution zu verherrlichen. Es ist möglich geworden, Fragen zu stellen, Unbehagen zu artikulieren, Kritik anzubringen, kurz: im nüchternen Diskurs des Analytikers, nicht aber in der leidenschaftlichen Rhetorik des Propagandisten über die Demokratie zu reden; entsprechend auch muß, wer sich nicht in der gedankenlosen Apologie ergehen will, nicht in die bedingungslose Ablehnung gezwungen werden.

Das Unbehagen, das sich in und an den westlichen Demokratien artikuliert, kreist um zwei Themen:

      Einerseits wird – besonders von links – klagend und anklagend auf ein Partizipationsdefizit hingewiesen; der Wille der einzelnen Bürger, des Souveräns, schlage sich in den politischen Entscheidungen, wenn überhaupt, dann zuwenig und verzerrt nieder.
      Andererseits wird – besonders von rechts – moniert, daß die demokratischen Staatswesen besonders im Hinblick auf die zu lösenden Sachprobleme und in der Auseinandersetzung mit totalitären und autoritären Staaten, an einem bedrohlichen Führungsmangel litten.

      Einerseits wird kritisiert, daß die Mitspracherechte der Bürger nicht hinreichend zum Zuge kommen;
      andererseits wird beklagt, daß die Vielstimmigkeit einer weitgehend niveaulosen Basis dazu führe, daß in der Demokratie – ziel- und konzeptionslos – vielleicht einiges geschehe, aber kaum etwas gemacht würde.

      Die einen bedauern, daß die Bürger im Staat dorthin gehen müßten, wo sie im Zweifel nicht hinwollten;
      die anderen beklagen, daß die Bürger, weil niemand sie führe, dort ankämen, wo sie hingehen, aber nicht dorthin gehen, wo sich anzukommen lohnt.

Es wäre voreilig, diese aus zwei entgegengesetzten Polen kommende Kritik als den nicht weiter zu bedenkenden Ausdruck des Populismus einerseits, des Elitismus andererseits abzutun. Damit hätte man zwei Denkansätzen lediglich einen Namen gegeben, nicht aber die Engagements, die hinter ihnen stehen, einer Analyse nähergebracht; man hätte sie so um ihre Potenz gebracht, sie zum harmlosen Ausdruck einer bedauerlichen, aber im Kern zu vernachlässigenden Einseitigkeit mit je unterschiedlichem Akzent verniedlicht; jedenfalls hätte man auf diese Weise die hinter diesen Kritikansätzen stehenden Energien nicht konstruktiv genutzt. Es bliebe nichts anderes übrig, als festzustellen, daß das Führungsdefizit und der Partizipationsmangel zwei sich gegenseitig ausschließende Kritikpunkte sind, man sich also entscheiden muß, die Partizipationsmöglichkeiten auszubauen und so eine Verschärfung des Führungsdefizits hinzunehmen, oder aber dieses Defizit abzubauen und so die Mitsprache- und Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger weiter zu beschneiden.

Es ist für die gegenwärtige Diskussion über die Demokratie kennzeichnend, daß viele ihrer Teilnehmer sich in diese Entweder-Oder-Situation haben hineindrängen lassen: Dem selten expliziten, doch häufig sehr realen Bonapartismus der konservativen Rechten entspricht nicht selten der Ruf nach der Basisdemokratie von der progressiven Linken.

Verwandt, wenn auch nicht völlig identisch mit diesem Gegensatz ist jene Kritik, die einerseits hervorhebt, daß die parlamentarische Demokratie nur sehr begrenzt in der Lage sei, sach- und zeitgerechte Entscheidungen zu treffen, die andererseits aber auch feststellt, daß der Mensch in den demokratischen Staatswesen des Westens emotional unbehaust sei. Einerseits wird kritisiert, daß das sachliche Kalkül von dem Strom der Emotionen und Affekte unterspült wird; andererseits wird bedauert, daß in der Politik mit der abgezirkelten Kühle ihrer Sachnotwendigkeiten für menschliches Gefühl und Geborgenheit kein Platz ist.

Auch hier möchte man versucht sein, dem Staats- und Demokratieversagen durch das Zurück- und Verdrängen des Menschlich-Allzumenschlichen zu begegnen, oder aber dem Menschen im Staat eine Heimstatt einzurichten, auch um den Preis einer wenigstens teilweisen Vernachlässigung der Sachnotwendigkeiten.

Auch hier ist – wenn auch mit einiger Vereinfachung – festzustellen, daß die öffentliche Auseinandersetzung über die parlamentarische Demokratie an einer Frontlinie stattfindet, auf deren linken Seite man eher bereit ist, die Gesetzlichkeit der Sachen im Hinblick auf die Beziehungen der Menschen zu verletzen, auf deren rechten Seite man eher gewillt ist, die menschlichen Beziehungen den Sachnotwendigkeiten zu opfern.

Man muß sich allerdings fragen, ob es nötig und wünschenswert ist, sich in eine Position hineinmanövrieren zu lassen, in der zwischen einer rechten und einer linken Demokratieanalyse und -kritik gewählt werden muß, indem also eine von beiden als nicht bedenkenswert fallengelassen wird. Könnte es nicht sein, daß beide – trotz aller oberflächlichen Unvereinbarkeit – gleichermaßen Beachtung verdienen, weil beide – dringt man erst einmal unter die Oberfläche – zwei Aspekte eines Problems ansprechen? Wir meinen, daß dies der Fall ist; auch scheint es uns, daß – greift man beide auf – gerade die zwischen ihnen bestehende Spannung konstruktiv genutzt werden kann.

Der Versuch, beide in einen Diskurs einzubeziehen, wird auch durch die Tatsache nahegelegt, daß die zwischen beiden bestehende Spannung in die Konstruktion der Verfassung vieler Demokratien, so auch des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, eingebaut worden ist: Einerseits lebt die parlamentarische Demokratie von der Überzeugung, daß die Politiker als die gewählten Vertreter der Bürger nicht nur für deren Rechnung, sondern auch in deren Sinn Entscheidungen treffen. Es sollen die Bürger, obschon ihre Partizipation an der kollektiven Willensbildung mittelbar, eben über die Politiker vermittelt ist, nicht nur betroffen, sondern auch in dem Sinne beteiligt sein, daß sich die Politik letztlich an ihren Vorstellungen ausrichtet und sich aus der Konformität mit den Präferenzen der Bürger die politische Legitimität herleitet. In dieser Optik haben die Politiker einen lediglich instrumentalen Wert; sie sollen Instrumente im Dienste des Wählerwillens sein; man greift auf gewählte Vertreter zurück, weil dies für die Bürger billiger ist als sich unmittelbar selbst um die zur Entscheidung anstehenden Probleme zu kümmern; doch sollen diese Vertreter, ohne eigene Initiative, gleichsam roboterhaft, vertreten, alles vertreten, was ihnen aufgetragen ist, aber nur vertreten, was ihnen aufgegeben ist. Sie sollen einen material definierten Vertretungsauftrag erfüllen, den ganzen Vertretungsauftrag, nichts als den Vertretungsauftrag erfüllen. Minister ist das lateinische Wort für Diener; Politiker haben Diener des Souveräns, einst des Monarchen, jetzt des souveränen Volkes zu sein.

Demgegenüber steht der Grundsatz, daß Abgeordnete an Aufträge nicht gebunden sind, nur ihrem Gewissen verantwortlich sind. Mag sich dieses Prinzip vor dem Hintergrund der historischen Erfahrung leicht erklären und mit guten Gründen rechtfertigen lassen, so gilt doch: Es steht im Widerspruch zu der Ansicht, daß sich der gewählte Volksvertreter nur als Instrument rechtfertigen und legitimieren kann. Gewiß, auch dann, wenn der Politiker an Aufträge nicht gebunden und nur seinem Gewissen verpflichtet ist, besteht ein Verhältnis der Über- und Unterordnung. der Souveränität einerseits, der Abhängigkeit andererseits zwischen den Wählern und den Gewählten. Doch bezieht sich dieses Verhältnis nicht in erster Linie auf einen material definierten Vertretungsauftrag, sondern eher auf eine personal definierte Beziehung. Ein Politiker mag gewählt werden, damit er dies oder jenes tue, doch leitet sich seine Legitimität nicht daraus ab, weil er dies oder jenes, was er zu tun versprochen hat, auch wirklich tut. So gesehen dient ein Wahlkampf und die in ihm anzutreffende Mischung von sachlicher Diskussion und persönlicher Auseinandersetzung nicht dazu, einen material definierten Vertretungsauftrag zwischen Wählern und Gewählten vorzubereiten, sondern die Grundlage für ein personal bestimmtes Vertrauensverhältnis zwischen beiden zu schaffen – oder aber das Fehlen einer solchen Beziehung offenzulegen. Der Wahlkampf dient, in dieser Optik, an erster Stelle dazu, zu klären, ob für diesen oder jenen Bürger dieser oder jener Kandidat soweit vertrauenswürdig ist, daß er ihm das eigene Schicksal teilweise überantworten will; im politischen Prozeß soll der Bürger jene Personen identifizieren, von deren Entscheidungen er allgemein auch dann bereit ist, betroffen zu sein, wenn er im einzelnen unmittelbar nicht beteiligt ist.

Der Unterschied zwischen beiden Interpretationsansätzen und Legitimationsmustern der indirekten Demokratie ist demnach folgender: Jene, die Politikern einen lediglich instrumentalen Wert zubilligen, stellen auf den materialen Inhalt des Vertretungsauftrages ab. Jene, welche die Politiker von äußeren Aufträgen befreien und an ihr Gewissen binden, stellen auf die personale Qualität der Beziehung zwischen Wählern und Politikern ab.

Dieser Unterschied ist alles andere als zufällig und bedeutungslos: Er baut auf zwei sich scharf gegeneinander abhebenden, wenn auch – wie wir glauben – komplementären Menschen- und Gesellschaftsbildern auf und führt zu sowohl theoretisch interessanten als auch praktisch relevanten Folgen. So impliziert ein Demokratieverständnis, das einen inhaltlich definierten Vertretungsauftrag in den Mittelpunkt rückt, Wähler, die informiert und interessiert, nur auf den Beitrag von Sachentscheidungen für ihre eigene Wohlfahrt bedacht sind und – entsprechend – in den zur Wahl stehenden politischen Kandidaten nur die – von ihrer Person her austauschbaren – Erfüllungsgehilfen im Dienste eben dieser sachbedingten Wohlfahrt sehen. Die Politiker selbst erscheinen in dieser Demokratieanalyse als merkwürdig leblose Wesen, Marionetten, die sich bewegen, aber nach Gesetzmäßigkeiten, welche die ihren nicht sind, die Arbeiten ausführen, deren Sinn bzw. Sinnlosigkeit sie weder sehen können noch einsehen müssen, weil es die ihren ohnehin nicht sind, nicht zu sein brauchen und – falls sie sich vom Wählervolk unterscheiden sollten – nicht sein dürfen. Dabei mag völlig offenbleiben, ob die Politiker von sich aus willen- und initiativlose Handlanger zu sein bereit sind, oder aber derart in die politischen Auftrags- und Kontrollverfahren eingebunden sind, daß sie dies sein müssen. Es ist belanglos, was ein Roboter will und fühlt, solange er nach dem ihm von außen eingegebenen Programm funktioniert; ja, recht eigentlich erübrigt sich in diesem Fall die Frage, ob er überhaupt etwas denkt und fühlt.

Nun ist aber der Verdacht nicht unbegründet, daß ein Demokratieverständnis, das einseitig auf einen material definierten Vertretungsauftrag zwischen Bürgern und Politikern abstellt, in vielfältiger Hinsicht auf unrealistischen Prämissen aufbaut: Erstens werden die Bürger als Wähler in ihrer Rationalität und Sachbezogenheit überschätzt, in ihrer Emotionalität und in ihrer Personengebundenheit aber unterschätzt; zweitens werden entweder die Politiker in ihrer Eigeninitiative, in ihrer Lebendigkeit unterschätzt oder aber die politischen Verfahren der Auftragsvergabe und der Kontrolle werden überschätzt. Es hat also – jenseits der Kontingenz des historischen Augenblicks – einen guten Sinn, wenn die Väter des Grundgesetzes bei der Kodifizierung des Verhältnisses von Wählern und Abgeordneten nicht auf den materialen Inhalt eines Auftrages, sondern – wenn auch implizit – auf die personale Qualität eines Vertrages abgestellt haben. Die politische Diskussion über das, was getan werden soll, dient in erster Linie dazu, dem Bürger eine Entscheidung darüber zu erlauben, wer in einem politischen Amt etwas tun soll. Was der einzelne Kandidat in Zukunft zu tun verspricht und was er in der Vergangenheit getan hat, ist für den Bürger zu wissen in dem Maße wichtig, als er so in die Lage versetzt wird, die Vertrauenswürdigkeit des Politikers abzuschätzen. Es gilt aber auch: Mit der Entscheidung, wer als Politiker das Sagen haben soll, wird auch weitgehend bestimmt, was gesagt werden wird. Ein Demokratieverständnis, das hervorhebt, daß in der Politik Menschen miteinander interagieren und nicht nur Sachprobleme gelöst werden, mag realistisch sein, muß sich aber vor der Gefahr hüten, den Sachaspekt in der Politik in den Hintergrund zu drängen.

Vorerst ist – als eine erste Annäherung – festzuhalten, daß eine auf einen inhaltlich definierten Vertretungsauftrag der Wähler an die Politiker abstellende Demokratieinterpretation auf recht wirklichkeitsfremden Prämissen aufbaut, die Rationalität der involvierten Aktoren und die Funktionstüchtigkeit der Entscheidungs- und Kontrollmechanismen überschätzt, die Emotionalität der Aktoren aber unterschätzt. Gleichfalls ist vorerst festzuhalten, daß eine auf die personale Qualität eines Vertrages zwischen Politikern und Wählern ausgerichtete Demokratietheorie die Emotionalität in den Vordergrund rückt, die Rationalität der Aktoren aber kleinschreibt; in dieser Optik handelt es sich bei der Politik eher um einen affektiv aufgeladenen Austausch zwischen Menschen, weniger aber um einen entpersönlichten Diskurs über Sachen. Auch stellt dieses Demokratieverständnis weniger auf die am sachlichen Entscheidungsergebnis zu messende Funktionstüchtigkeit des Willensbildungsprozesses als auf seine Eigenschaft als Ritual, als legitimierendes Verfahren ab; hier ist die parlamentarische Demokratie weniger eine Entscheidungsmaschine als ein Verfahren, mittels dessen Menschen trotz unterschiedlicher, ja konträrer Bedürfnisse, Gefühle, Analysen, Weltsichten und Wertengagements auch dann noch miteinander auskommen, wenn sie – ohne direkt etwas ändern oder verhindern zu können – Dinge hinnehmen müssen, die ihnen so ohne weiteres nicht passen. Während die den sachlichen Vertretungsauftrag betonende Demokratietheorie fragt, wie etwa eine – an den Bürgerpräferenzen gemessen – gute Verteidigungspolitik zustandekommt, fragt die auf den personalen Vertrag ausgerichtete Theorie danach, wie entschieden werden muß, damit das Gemeinwesen Bestand hat, welches auch immer die Verteidigungspolitik sei, die im konkreten Fall als Resultante der kollektiven Willensbildung implementiert wird.

Man kann es auch so sagen: Für eine Theorie, die einen inhaltlich definierten Vertretungsauftrag der Wähler an die Politiker postuliert, sind im Extrem die menschlichen Beziehungen im Entscheidungsverfahren solange vernachlässigenswert, wie sie sich nicht bemerkbar, und das heißt hier: nicht störend bemerkbar machen. Hingegen sind für eine Theorie, die auf die personale Qualität eines Vertrages zwischen Wählern und Politikern ausgerichtet ist, die zwischenmenschlichen Beziehungen das Primäre, während Sachgesichtspunkte gleichsam Epiphänomene sind. Für eine Demokratietheorie, welche die Lösung von Sachproblemen in den Vordergrund stellt, sind Erscheinungen wie Treue, Loyalität, Ergebenheit, Aggressivität, Neid u.a. Dinge, mit denen man in einer Welt von Menschen leider rechnen muß und die das sachgerechte Funktionieren der politischen Entscheidungsmaschine bedauerlicherweise komplizieren. Für eine Demokratietheorie, welche die affektive Kohäsion des Gemeinwesens, die emotionale Einbindung des einzelnen betont, sind Sachprobleme ein Ärgernis, das der Entfaltung des emotionalen Reichtums in der Republik im Wege steht.

Trotz aller Liebe für die Demokratie als die bevorzugte Lebens- und Begegnungsform im gesellschaftlichen Umgang muß die Frage erlaubt bleiben, welche Demokratietheorien unser laufendes und aktuelles Verständnis vom gedeihlichen Zusammenleben miteinander speisen. Damit wird nicht die Absicht verkündet, eine Geschichte der Demokratieforschung von der griechischen Antike bis zur Gegenwart oder eine Synopse der Demokratieformen auszubreiten. Es geht uns nicht um die Beschreibung von Institutionen – eine Arbeit, deren Wert wir gar nicht in Frage stellen –, sondern um die Beobachtung von Inhalten und Verfahren, die nach Meinung einer bestimmten Theorie als typisch für eine Demokratie zu bezeichnen sind, ja geradezu ihr Funktionieren versinnbildlichen.

Das Erstaunliche ist nun, daß die Demokratie bei der Zulassung von Inhalten, also sowohl von politischen Zielen allgemeiner Natur als auch von besonderen Wünschen einzelner Gruppen, keine besonderen Grenzen kennt. Grenzen setzt die Verfassung, und manchmal erlischt eine politische Diskussion erst, wenn sich eine verfassungsgemäße Lösung als ausgeschlossen erwiesen hat. Im Prinzip ist aber die vorbehaltlose Offenheit für alle politischen Wünsche und Regelungsbedarfe als eine der grundlegenden Spielregeln der Demokratie anzusehen. Vehement abzulehnen wären dagegen alle Formen, bei denen politische Ideen zuvor einem Prüfungsprozeß zu unterwerfen wären, der entscheidet, ob bestimmte Inhalte jetzt nicht, noch nicht oder nicht mehr öffentlich in Parteien und Parlamenten zu diskutieren wären. Schon eine Institution, die dieses Vorprüfungsrecht hätte, würde nicht in die Vorstellung einer funktionierenden Demokratie passen. Noch weniger könnte man es als demokratisch auffassen, wenn man anfinge, bestimmte politische Inhalte zum Tabu zu erklären und als nicht diskussionswürdig abzustempeln. Nein, zur Demokratie gehört sachliche Offenheit!

Parallel und zweitens gehört zur Demokratie aber auch personale Indifferenz. Wer auch immer eine Idee vorträgt, der Idee selbst darf dadurch weder eine Bevorzugung noch eine Benachteiligung zuteil werden. Wenn ein Hochstehender in der Gesellschaft ein politisches Ziel vor Augen hat, so gilt das Ziel deshalb nicht schon als privilegiert. Das Ziel muß sich wie alle anderen eine Mehrheit suchen. Politische Ziele gewinnen in der Demokratie nur Anerkennung und gesellschaftlichen Rang, wenn sich Stimmen und damit Zustimmung darauf vereinigen lassen. Die demokratischen Verfahren von Wahl und Abstimmung ermöglichen den Einfluß von Personen und neutralisieren zugleich laufend die Unterschiede der individuellen Einflußmöglichkeiten. In der ökonomischen Theorie der Politik ist denn auch charakteristischerweise für Personen, für deren Leidenschaften, Ungeduld oder Zähigkeit und Freude oder Verdruß überhaupt kein Platz. Auch gibt es in dieser Theorie nicht die Möglichkeit, in der Gesellschaft existierende Bedürfnisse, Wertungen, Ziele nicht einzubringen. Der Idealtyp dieser Demokratietheorie ist ein streng an Sachen und redlichen Argumenten ausgerichtetes Diskussionsforum.

Ein Blick in die Wirklichkeit aber zeigt uns, daß in der parlamentarischen Demokratie Personen sehr wohl eine Rolle spielen und einzelne Wertbekenntnisse und Weltsichten sehr wohl nicht nur nicht angenommen werden, sondern offensiv nicht zugelassen werden. Und der Realtyp zeigt nicht selten eine Konfrontation von Personen, ein Gegeneinander konkurrierender Verführungen, Verzauberungen und Vergewaltigungen. Auch hier sollte man sich nun nicht vor die Notwendigkeit stellen lassen, zwischen dem Realtyp oder dem Idealtyp wählen zu müssen; es muß ein Weg gesucht werden, der weder in eine zynische Resignation noch in eine naive Weltvergessenheit führt.

Ein Weiteres ist wenigstens als plausible Annahme zu bedenken: Das relative Gewicht der Emotionalität bzw. der Rationalität, der Personenbezogenheit bzw. der Sachgebundenheit, wie es für einen bestimmten historischen Augenblick charakteristisch ist, muß nicht über die Zeit konstant sein; auch muß es zu einem gegebenen Zeitpunkt nicht für alle demokratischen Staatswesen gleich sein; schließlich kann zu einem bestimmten Zeitpunkt im selben Staatswesen für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen das rationale oder aber das emotionale Element ein größeres Gewicht haben. Entsprechend wird man – einmal mehr, einmal weniger – auf eine Analyse zurückgreifen, die einen inhaltlich definierten Vertretungsauftrag zum Gegenstand hat, oder aber auf eine solche rekurrieren, welche die personalen Beziehungen zwischen Wählern und Politikern in den Vordergrund rückt. Auch wird man nach den Bedingungen fragen, unter denen das rationale bzw. das emotionale Element ein größeres Gewicht hat. Auch ist die Frage von Interesse, in welchen Formen und mit welchen Folgen die parlamentarische Demokratie eher eine Entscheidungsmaschine zur Lösung von Sachfragen oder aber ein emotional aufgeheiztes Integrationsritual ist. Es ist zu fragen nach der Funktion der Sach- bzw. der Personenzentriertheit der Demokratie und nach der pathologischen Entartung als Folge einer Hyper- bzw. einer Hypotrophie der Rationalität bzw. der Emotionalität. Auf diese Weise sollte es möglich sein, die inzwischen steril und langweilig gewordene Frontstellung zwischen jenen, die einer am homo oeconomicus ausgerichteten ökonomischen Theorie der Politik das Wort reden, und jenen, die das Irrationale in der Politik hervorheben, zu überwinden. Alle sollten in diesem Geschäft gewinnen können, auch dann, wenn sie jene Bequemlichkeit verlieren, die nur ein bekannter und vertrauter Gegner zu verschaffen in der Lage ist.

Oben wurde der Idealtyp der Demokratie erwähnt. Für ihn gibt es eine gut ausgebaute und sehr leistungsfähige Theorie. Wie jede Theorie ist auch diese selektiv. Wohl vermag sie politische Prozesse – soweit es sich um Auseinandersetzungen um Sachentscheidungen handelt – hervorragend abzubilden, nicht aber ist sie in der Lage, jenen Teil der Politik, der im emotional aufgeheizten Zusammenstoß von Personen besteht, zu erfassen. Sie kennt keine Leidenschaften, nur Interessen. In ihr messen sich Argumente, nicht aber Gefühlsenergien. Sie stellt den politischen Prozeß als Mechanik quantifizierter Macht dar, nicht aber als die Dynamik sich begegnender und abstoßender Psychen. In ihr gibt es artikulierte Abmachung, aber nicht stumme Übereinkunft. In ihr finden sich die Gesellschaftsmitglieder bestenfalls im Interessenausgleich; Zuneigung und Abneigung sind ihr unbekannt.

Wenn nun aber der Realtyp der Demokratie, wie wir ihn oben skizziert haben, so stark vom Idealtypus der herrschenden Theorie abweicht, dann ist dies eine drängende Einladung, über diese Theorie hinauszugehen. Wohlgemerkt, es geht nicht darum, diese Theorie zu ersetzen, wohl aber, sie zu ergänzen. Es soll angestrebt, vielleicht gar erreicht werden, daß beide – die Theorie des Idealtypus und ihre Ergänzung – aus ihrer antithetischen Verkrampfung herausgelöst werden und so in ihrer spannungsgeladenen, aber nicht verspannten Komplementarität nutzbar gemacht werden. Konkret bedeutet dies: Die folgenden Seiten werden von der Hoffnung getragen, daß das dunkle Zerrbild von der Politik als einem schmutzigen Geschäft genauso überwunden werden kann, wie das lichte Zerrbild von der Politik als dem redlichen Bemühen um die richtige Entscheidung. Weder soll die Kühle des Sachlichen noch die Wärme der Emotionalität in ihrem jeweiligen Wert verkannt werden; doch soll ihre jeweilige Gefährlichkeit in voller Offenheit sichtbar werden.

Die ökonomische Theorie der Politik – was sie leistet und wo sie endet

Von der Entscheidungslogik in Kollektiven ...

Es ist zweckmäßig, es ist auch ein Gebot der Fairneß, von jener Theorie auszugehen, die man überwinden will. Es ist dies eine Reverenz an ihre Qualität und an ihre Leistungskraft. Auf ihren Wegen läßt sich am weitesten in das Unbekannte vorstoßen; von allen verfügbaren Theorien der Demokratie scheint sie uns diejenige zu sein, auf der man am weitesten und bequemsten fahren kann. Dort, wo sie nicht mehr weiterführt, werden wir auf ein weniger bequemes Gefährt umsteigen müssen.

Daß diese Theorie wertvoll ist und einen Fortschritt gegenüber Vorhergehendem darstellt, zeigt sich, wenn man sich vor Augen führt, wie dereinst der typische Wohlfahrtsökonom die Frage nach dem politischen Prozeß und der Rolle von Sachentscheidungen in den und durch die Wahlen beantwortet hat. Es gibt sie, weil es sie geben muß, doch ist dies sehr bedauerlich.

Angenehmer wäre es aus theoretischer und praktischer Sicht, wenn alle Einzelentscheidungen dem Marktmechanismus überlassen werden könnten. Nur, weil das nicht möglich ist und simulierte, den Tauschvorgängen am Markt nachgebildete Verfahren schon im Vorfeld der theoretischen Erörterung unfruchtbar bleiben, muß sich der Wohlfahrtsökonom dem Problem von Wahlen dann doch noch stellen. Charakteristisch für seinen Umgang mit Wahlen und Wahlverfahren ist nun zuerst die Tatsache, daß an der Person des Wählers überhaupt kein Interesse besteht. Er ist wie in der Tauschtheorie eine Rechenmaschine, deren Programm sich darin erschöpft, den Tangentialpunkt von Indifferenzkurve und Budgetgerade aufzusuchen. Für den Wohlfahrtsökonomen hat der Marktteilnehmer und der Wähler eine Psyche, die einer Psychologie entspricht, die nichts weiter als eine Entscheidungs- und Präferenztheorie ist. Die Theorie der Demokratie reduziert sich auf eine kollektive Entscheidungslogik. Die Persönlichkeit des Wählens besteht ausschließlich darin, Urteile über die von ihm gewünschte Rangfolge der öffentlichen Güter abgeben zu können: Auf Befragen hin müssen Wähler also in der Lage sein anzugeben, welches Gut sie einem anderen vorziehen und welches nicht. Programm A wird Programm B vorgezogen, Programm C wird Programm B vorgezogen, also wird Programm C auch Programm A vorgezogen. Für welches Urteil die Wähler sich auch immer entscheiden wollen, ist vollkommen gleichgültig. Es wird großer Wert darauf gelegt festzustellen, daß niemand gezwungen werden darf, so oder anders zu wählen – und es wird darüber hinaus hervorgehoben, daß nicht einmal irgend eine Urteilsart tabu sein kann oder auch nur unpassend erscheinen darf. Was die geäußerten Präferenzen angeht, so sind die Wähler absolut souverän.

Damit ist die Beschreibung des Wählers aber auch schon beendet; was den weiteren Fortgang unserer ökonomischen Analyse angeht, so beginnt jetzt erst die eigentliche Aufgabe. Sie besteht darin, leistungsfähige Wahlverfahren zu erdenken, die zu logisch eindeutigen Wahlergebnissen führen. Das Ganze führt zu kunstvollen und umfangreichen theoretischen Gedankengebäuden. Dies ist anderweitig überzeugend dargestellt worden und ist hier nicht unser Gegenstand.

Hier ist jedoch die Frage zu stellen, warum der Ökonom sich nicht zuvor mit der Person des Wählers beschäftigt, mit genau dem Menschen, der sich anschickt, ein Wahlurteil zu bilden und später seine Stimme abzugeben. Es ist für unser Anliegen von besonderem Interesse zu wissen, daß Ökonomen für diese Art der Frage nicht nur keine Sensibilität haben, sondern diese ihnen geradezu zuwider ist. Dazu folgendes: Auch bei der Entscheidung über öffentliche Güter sind nach herrschender ökonomischer Auffassung immer nur die Präferenzen von Individuen maßgeblich. Dem Politiker als solchem kommt keine übergeordnete, eigene Qualität zu. Nach Präferenzen des Staates oder auch nur einer Regierung zu suchen, muß von vornherein als verfehlt angesehen werden; man könnte sie nicht feststellen. Was man ermitteln kann und was allein empirisch von Wert ist, sind die Präferenzen von einzelnen Individuen. Wie bei privaten Gütern das Leitbild der Konsumentensouveränität gilt, so sollen auch bei öffentlichen Gütern strikter Individualismus und Selbstbestimmung maßgeblich sein. Dieser methodologische lndividualismus – als anerkanntes Prinzip für die Entscheidung über alle Arten von Gütern, den privaten sowohl als auch den öffentlichen – führt nun aber merkwürdigerweise nicht zu einer besonders intensiven Suche nach den Merkmalen und Ausprägungen der Person, die sich hinter den geoffenbarten und so erst in den Vordergrund gerückten individuellen Präferenzen verbirgt. Man gibt sich individualistisch, ist aber an der Person des Individuums gar nicht interessiert. Was Menschen bei Wahlentscheidungen im einzelnen wissen, wie sie sich informieren, bei wem sie Rat suchen, wen sie beraten, kurz, wie sie ihre Meinungen bilden und ändern – das alles wird vom Ökonomen nicht untersucht; er geht davon aus, daß Individuen informiert sind. Individuen wissen, was sie wollen und wie sie es erreichen können; dies sowohl in ihrer Eigenschaft als Marktteilnehmer als auch in ihrer Eigenschaft als Wähler. Es wird stillschweigend unterstellt, daß der Wähler sich in keiner besonderen Lage befindet, wenn er sich Informationen über öffentliche Güter oder öffentliche Angelegenheiten beschafft. Er muß sich und wird sich da zurechtfinden wie auch sonst in allen anderen Dingen seines Lebens; anders ausgedrückt: Das Wissen um die Wege zur Befriedigung öffentlicher Bedürfnisse ist von dem entsprechenden Wissen über die Befriedigung privater Güter nicht verschieden. Wie der einzelne dazu kommt, zu wissen, was er will und wie er es erreichen soll, ist vielleicht von privatem Interesse, braucht aber den Analytiker der Demokratie nach Ansicht des Wohlfahrtsökonomen nicht zu interessieren.

Es ist indessen ein Unterschied, ob Präferenzen gewonnen werden im Erproben des Konsums von privaten Gütern, die man wiederholt benutzt, oder in der Bewertung von öffentlichen Gütern, die man mehr aus der politischen Werbung als aus eigener Anschauung kennengelernt hat. Obwohl die Eigenart des Umgangs mit diesen beiden Güterarten unterschiedlich ist, machen die Ökonomen bewußt keinen Unterschied zwischen der Präferenzbildung bei öffentlichen und der bei privaten Gütern. Es ist vermutlich nicht unzutreffend, wenn man feststellt, daß für die Ökonomen das Vorbild jeglicher Präferenzbildung eben das Verhalten bei privaten Gütern darstellt, und lange Zeit legte man Wert darauf, dieses Vorbild in keiner Weise in Frage zu stellen. Der problemlose und ungehinderte Umgang mit Sachen, wie er für den Markt von den Ökonomen unterstellt wurde, sollte auch – in der Optik der Ökonomen – die Regel sein, nach der sich das politische Leben im Staat gestaltet.

In gewisser Weise ist so eine weitere Eigenart der ökonomischen Betrachtung des Wahlgeschehens leichter zu verstehen, – dies auch, wenn wir sie nicht akzeptieren. In der ökonomischen Wahltheorie sind alle Entscheidungsteilnehmer zunächst einmal gleich aktiv, gleich fähig und gleich informiert; niemand ragt durch irgendeine Eigenschaft heraus, keiner tritt aber auch zurück und überläßt etwas den anderen. Das Interesse und die Artikulationsmöglichkeiten an den Angelegenheiten des Gemeinwesens sind prinzipiell auf alle gleich verteilt. Das vermittelt den Eindruck von Chancengleichheit und allgemeiner Fairneß beim Wahlvorgang.

Der Eindruck ist jedoch nicht ganz richtig, denn die absolute Gleichbehandlung eines jeden Wählers ist allenfalls ein Nebenprodukt einer ganz anderen Absicht: Vorbild für die Chancengleichheit ist die Konsumentensouveränität bei privaten Gütern. Wie drückt sie sich bei privaten Gütern aus, und wie ist sie dort gesichert? Nun, indem der Konsument – freilich nach Maßgabe seines verfügbaren Einkommens, aber ansonsten völlig uneingeschränkt – aus dem Güterangebot wählt, wie es seiner Vorliebe entspricht. Kann er dieses Auswählen aus so vielem, was sich ihm bieten mag, überhaupt durchführen? Die Antwort lautet: Ohne weiteres, denn der Markt mit seinen vielen Produkten, Produktqualitäten, feinen Merkmalsabstufungen und vor allem den Preisen und den Preisunterschieden sendet und signalisiert pausenlos und kostenlos Informationen. Aus der Flut aller Einzelangaben sucht sich der Konsument aber nur das aus, was ihn im Augenblick interessiert. Nur eine winzige Anzahl der gewaltigen Menge an Informationen ist zu verarbeiten, wenn eine Kaufentscheidung durchdacht wird. Mehr noch, ist der Wettbewerb vollkommen, verdichtet sich die Information über die wirtschaftliche Welt, in der der Konsument agiert, zu einem einzigen Element: dem Preis des Gutes, das er nachfragen will. Dem Konsumenten steht es auch frei, sich lange vor dem Kauf sorgfältig zu unterrichten; er kann sich sogar aus Liebhaberei am Gegenstand dauerhaft unterrichten lassen, selbst wenn er gar nicht zum Kauf entschlossen ist. Das findet man typischerweise häufig bei wertvollen und dauerhaften Konsumgütern wie Autos, Photoapparaten oder Hifi-Geräten. Der Konsument kann so zum Experten und Ratgeber werden. Ein anderer verzichtet auf den für ihn eher mühseligen Erwerb von Kundigkeit und fragt derartige unabhängige Ratgeber aus seinem Bekanntenkreis. Hier wird die Information also aus fremder Erfahrung bezogen, aber es ist durchaus keine Verlegenheitslösung, sondern eine souverän beschlossene Sache. Schließlich ist es auch üblich, so z.B. bei einfachen und billigen Verbrauchsgütern, die Information über den Wert des Produkts über den Konsum zu gewinnen. Die Erfahrung wird also unmittelbar aus dem Gebrauch oder Verzehr eines Gutes abgeleitet. Die Freiheit, wie man sich informiert, ist also sehr groß. Die Souveränität der Informationsbeschaffung ist mindestens ebenso groß wie die Souveränität des Auswählens. Der Konsument privater, marktwirtschaftlicher Güter hat darüber hinaus die angenehme Freiheit, die Kosten der Informationsbeschaffung in angemessenem Verhältnis zum Nutzen zu halten, den ihm die Güter stiften. Auch wie er sich informiert, kann man getrost seiner Bequemlichkeit überlassen. Das Marktsystem stellt allen potentiellen Teilnehmern am Spiel von Angebot und Nachfrage die genauen Informationen permanent beliebig zur Verfügung; es behandelt – da haben die Ökonomen schon recht – prinzipiell alle Teilnehmer gleich. Das Spiel steht allen offen, und es ist jedem überlassen, ob und mit welchem Einsatz er an dem Spiel teilnehmen will.

Die Frage ist indes, ob man dieses Modell auf die Wahlentscheidung über öffentliche Güter übertragen kann und ob dieses Modell auch nur eine geringe Chance hat, die Realität bei Wahlen in öffentlichen Angelegenheiten wiederzugeben. Ist es wirklich so, daß der Mensch als Wähler so frei ist, sich dem politischen Spiel zu versagen oder an ihm teilzunehmen, seinen Einsatz so autonom zu bestimmen, wie er das als Marktteilnehmer kann? Trifft es zu, daß das Informationsproblem bei politischen Entscheidungen im Vergleich zur Kaufentscheidung am Markt keine spezifischen Schwierigkeiten aufweist? Es sind äußerste Zweifel angebracht, und das aus folgendem Grund:

Bei privaten Gütern ist es nicht nur so, daß man sich lediglich um die Informationen kümmern muß, die mit den aktuellen Güterbedürfnissen zu tun haben; man hat auch nichts mit anderen Menschen zu tun; die Konsequenzen eigenen Handelns schlagen sich nicht bei anderen nieder. Wer ein privates Gut genießt, schließt alle anderen vom Konsum aus, und: Es wird vom Konsum des Gutes ausgeschlossen, wer nicht zahlen will oder kann. Eben weil dies der Fall ist, ist es hinreichend, daß sich der einzelne mit den zur Auswahl stehenden Gütern und den Konsequenzen für sich selbst beschäftigt. Mehr ist aus seiner Sicht nicht notwendig und auch nicht zweckmäßig. Je vollständiger der Wettbewerb ist, desto überflüssiger ist es, einen vollständigen Überblick über das Gesamtangebot und die Gesamtnachfrage zu haben und zu beobachten, was andere tun. Der Snob-Effekt oder der Mitläufer-Effekt – beides Verhaltensweisen, die aus der Beobachtung geprägt sind, was andere zu tun pflegen – sind von den Markttheoretikern denn auch als atypisches und schon ein bißchen unsouveränes Kaufverhalten charakterisiert worden. Ob nun extravagantes Verhalten oder Modeströmungen viel häufiger sind als die reine Konsumtheorie meint, kann ziemlich gleichgültig sein, weil erfahrungsgemäß der Markt derartiges Verhalten gut und mit flexibler Reaktion verkraftet. Er stellt sich im Gegenteil so auf diese Strömungen ein, daß der einzelne Konsument mit möglichst geringem Informationsaufwand auch diese Art von Bedürfnissen angemessen befriedigen kann. Charakteristisch ist für Marktgüter nicht nur, daß der Konsument für sich entscheidet, sondern auch, daß er allein und aus seiner eigenen Situation heraus disponiert. Gewiß, wenn er sich erst Rat von Dritten holen muß, dann mag er am Ende auch von diesen beeinflußt worden sein, oder wenn er es gern hat, den modischen Trends zu folgen, dann wird er immer wieder von den Modeschöpfern beeinflußt werden. Aber immerhin, unser Konsument, der so seine Entscheidungsfindung vorzubereiten pflegt, wird doch nicht jemand anderem Verantwortung auferlegen, im Grundsatz bleibt er noch immer nur sich selbst verantwortlich. Ausschließlich dem Gesetz des eigenen Lebensentwurfs verpflichtet und nur für sich Verantwortung tragend, steht der einzelne als Marktteilnehmer frei und einsam, ungebunden und ungeborgen in einer verhältnismäßig leicht durchschaubaren Welt einzelner Dinge; dies jedenfalls nach Maßgabe der Vollkommenheit des Wettbewerbs.

Anders ist es bei öffentlichen Gütern, d.h. im Raum der Politik: Ist hier nur einer in der Gesellschaft in der Lage und willens, sich mit einem öffentlichen Gut zu versorgen, so hat er zugleich allen anderen die wirtschaftliche Nutzung dieses Gutes verschafft; oder stärker noch: Er kann es nicht verhindern, und selbst wenn er es wollte, daß andere mitversorgt sind. Wer für eine saubere Umwelt sorgt, der erbringt diese Leistung nicht nur für sich selbst, sondern er macht auch allen anderen dieses Gut zum Geschenk. Was auch bedeutet, daß wer nicht zahlen will oder kann, in den Genuß jener öffentlichen Güter kommt, die von anderen finanziert und bereitgestellt worden sind.

Man kann nun zweifellos zu Recht davon ausgehen, daß die Bürger Präferenzen für öffentliche Güter haben; entsprechend geht es zunächst darum, die Bürger ihre Präferenzen erklären zu lassen, um den öffentlichen Haushalt auf die Wünsche der Konsumenten öffentlicher Güter auszurichten. Dies aber setzt nicht nur voraus, daß die Bürger wissen, was sie wollen, also wissen, welche öffentlichen Güter als Bestandteil ihres Lebenskonzeptes zu realisieren sind; dies setzt auch voraus, daß die Bürger wahrheitsgemäß offenbaren, was sie an öffentlichen Gütern wünschen. Beides kann so ohne weiteres nicht erwartet werden. Wohl ist richtig: Da bei öffentlichen Gütern über den politischen Prozeß alle zwangsweise an der Finanzierung der öffentlichen Güter beteiligt werden, da darüber hinaus über den öffentlichen Prozeß für alle verbindlich festgelegt wird, welche öffentlichen Güter überhaupt hergestellt werden und wie die Finanzierung zu sichern ist, besteht für jeden einzelnen ein vordringliches Interesse, seine diesbezüglichen Vorstellungen in das Entscheidungsverfahren einzubringen. Tut man es nämlich nicht, dann begibt man sich der Möglichkeit, seine eigenen Präferenzen in den kollektiven Bewertungsprozeß mit hineinzugeben. Wer nicht mitbestimmt, wer nicht mitdenkt, wer nicht abwägt und bewertet, verzichtet auf den Anteil an Einfluß, der ihm zusteht. Anders als bei den privaten Gütern, wo man zwischen vollkommener Zurückgezogenheit und intensiver Marktbeobachtung wählen kann, ohne dabei seine Chancen der Konsumwahl auch nur spürbar zu verändern, muß man bei öffentlichen Gütern bei der regelmäßig wiederkehrenden Abstimmung dabei sein – in der Realität: wissen, daß man durch seinen gewählten Repräsentanten jetzt gut bei der Verabschiedung des Budgets vertreten ist –, wenn man nicht Gefahr laufen will, diesmal nun definitiv nicht mit den eigenen Präferenzen zum Zuge gekommen zu sein; und dies in dem klaren Wissen, wohlgemerkt, daß man sehr wohl zur Finanzierung über Steuern, Abgaben und Gebühren nach individuell errechenbaren Verfahren herangezogen wird. Da man bei öffentlichen Gütern in allen Entscheidungen betroffen ist, muß man sich auch in allen Einzelheiten bei der Entscheidung beteiligen. Das ist richtig, aber ist es die ganze Wahrheit? Wohl weiß der einzelne, daß das Budget in seinen Ausgaben und Einnahmen, daß die Politik in allen ihren Dimensionen für seine Wohlfahrt von Bedeutung ist. Er weiß auch, daß die politische Entscheidung die Resultante der Willensäußerung aller Bürger – also auch der seinen – ist, nur weiß er auch, daß sein Gewicht in diesem Verfahren für ihn in seinen Konsequenzen nicht fühlbar ist. Er ist betroffen, seine Beteiligung also wünschenswert, aber von ihrem Gewicht her ohne Sinn. Anders als auf dem Markt, ist er nicht frei, in das Spiel einzutreten und das Spiel zu verlassen. Auch ist er nicht frei, seinen Einsatz autonom zu bestimmen. Anders als auf dem Markt muß er auch erleben, daß sein Engagement im Spiel für ihn im Zweifel ohne Folgen ist. Während auf dem Markt der einzelne dann, wenn seinem Einsatz keine Aussicht auf Gewinn mehr entgegensteht, sich zurückziehen kann, muß er hier auch dann, wenn er verliert, mit von der Partie sein. Darüber hinaus: Während er auf dem Markt das für ihn relevante Spielfeld leicht überschauen kann, muß er hier partizipieren an einem Geschehen, dessen Elemente und Variablen er nicht überblickt. Es ist schon eine unheimliche Partie, in der man auch dann noch weiterspielen muß, wenn man nur noch verliert und/oder nichts mehr versteht.

Zugegeben, dies ist ein Zerr- und Schreckbild des politischen Prozesses; es ist eine Übertreibung, doch rechtfertigt diese sich als Kontrast zu jenem Idealbild, dessen Gesetzlichkeit in den Augen der Ökonomen auch die Gesetzlichkeit der Politik sein soll. War schon ihre Theorie des Marktes eine Vereinfachung, so droht ihre Theorie der Politik – bleibt sie allein – eine Verfälschung zu sein. Sehen wir uns den einzelnen Bürger im politischen Entscheidungsfeld an: Die Zusammensetzung eines privaten Budgets entsteht durch Entscheidungen eines einzelnen, die er nur für sich selbst trifft; beim öffentlichen Budget sind es die Entscheidungen vieler einzelner, und sie werden jeweils für alle gemacht. Die Souveränität, vor allem aber die Sicherheit, mit der der einzelne sein privates Budget planen und plangemäß gestalten kann, fehlt beim öffentlichen Budget. Allein diese Tatsache dürfte schon von Einfluß auf das Wahlverhalten sein. Man muß davon ausgehen, daß der einzelne sich des sozialen Bedingungsrahmens bewußt ist, in dem seine Entscheidung über die Regelung kollektiver Angelegenheit steht, und daß sich hieraus jedenfalls eine andere Abhängigkeit ergibt, als die eines Konsum- oder Investitionsaktes, selbst wenn man einräumt, daß auch marktwirtschaftliche Entscheidungen nicht ohne eine gewisse gesellschaftliche Orientierung fallen.
Wahlverhalten und Marktverhalten dürften zudem schon allein deshalb durch unterschiedliche Attitüden geprägt sein, weil das Reaktionsschema andere Formen zeigt. Entscheiden sich etwa einzelne oder mehrere dafür, ein bestimmtes individuelles Gut verstärkt nachzufragen, so reagiert der Markt normalerweise, indem von diesem Produkt mehr Einheiten, von einem anderen entsprechend weniger hergestellt werden. Von seinem Konstruktionsprinzip her gibt es auf dem Markt alle Güter, für die eine kaufkräftige Nachfrage besteht; und es gibt nur solche Güter, für die eine solche Nachfrage existiert. Bei kollektiven Gütern ist keine Sicherheit gegeben, daß eine Reaktion auf die im Votum geäußerten Wünsche stattfindet; wer eine Änderung in der Versorgung kollektiver Güter erreichen will, muß sich ungleich intensiver für seine persönlichen Ziele einsetzen und muß dabei im Zweifel erleben, daß seine Bemühungen ohne Erfolg bleiben. Leidenschaftliches Engagement und apathische Resignation liegen in der Politik sehr eng beieinander. Auf dem Markt sind die Übergänge zwischen Einsatz und Rückzug fließend. Es ist für den weiteren Verlauf unserer Überlegung von höchster Bedeutung, daß in der Politik der Impuls, die eigenen Angelegenheiten gestaltend in die Hände zu nehmen, auf die Einsicht stößt, daß es sich nicht lohnt. Und weil es im Staat kaum Rückzugsmöglichkeiten gibt und der Widerspruch kaum Aussicht auf Erfolg hat, wird auch der liberale Staat vom einzelnen als Herrschafts- und Zwangsinstrument erlebt. Natürlich mag der einzelne auf eine weitverbreitete Kongruenz der individuellen politischen Zielvorstellungen vertrauen. Doch auch dann hat er bei kollektiven Entscheidungen ein viel stärkeres Abhängigkeitsgefühl als bei individuellen Entscheidungen auf dem Markt. Ein weiterer Unterschied zwischen Markt und Politik scheint uns von Bedeutung zu sein: Auf dem Markt muß sich etwa ein Konsument nur für das interessieren, was er nachfragen kann und was er nachfragen will. Das Angebot und die Anbieter brauchen ihn nicht zu interessieren, seine Nachfrage ruft sie ins Leben. Entsprechend begrenzt ist seine Informations- und Entscheidungsaufgabe. Anders im Raum der Politik: Hier ist er nicht nur als Nachfrager, sondern auch als Anbieter gefordert und in beiden in der Regel überfordert. Er müßte sich in einem Ausmaß informieren, das seine Fähigkeiten übersteigt, das auch über das hinausgeht, was er angesichts seines verschwindend kleinen Einflusses sinnvollerweise anstreben wird. Er ist hin- und hergerissen zwischen dem Interesse, jene Elemente zu kennen, von denen sein Schicksal in der Politik abhängt, und der Einsicht in die Nutzlosigkeit dieses Wissens.

Es ist also festzuhalten: Der Konsument trifft seine Wahl unter tatsächlich existierenden Angeboten des Marktes, und er wird – falls der Markt funktioniert – stets zufriedengestellt; dagegen enthält jede Abstimmung über Kollektivgüter zunächst nur eine Reihe von Vorschlägen, und der Wähler muß stets – also auch unter günstigsten Bedingungen – damit rechnen, daß die von ihm präferierten Vorschläge nicht angenommen, andere, ihm weniger wichtig erscheinende dagegen angenommen und in die Tat umgesetzt werden. Theoretisch wäre es also nötig und im eigenen Interesse von vorrangiger Bedeutung, daß man sich eigene Präferenzen über die Reihenfolge bei der Bewertung aller öffentlichen Güter erarbeitet, während man bei den privaten Gütern vom Marktangebot vieles, ja das meiste, am Rande oder ganz beiseite lassen kann. Selbst wenn man bedenkt, daß es, mit Blick auf das gesamte Sozialprodukt, weniger öffentliche als private Güter gibt, bleibt die Bewertungsaufgabe bei öffentlichen Gütern eigentlich eine ungeheuerliche. Weil aber nichts außer acht gelassen werden dürfte, steigt auch der Informationsaufwand theoretisch ins Unermeßliche. Im Gegensatz zur Modellwelt, wie sie uns die Wohlfahrtsökonomen – ausgehend vom Markt auch für die Politik – vermitteln, ist der Entscheidungsteilnehmer bei der Wahl öffentlicher Güter in einer ganz anderen Ausgangssituation als ein Konsument privater Güter. Jener ist stärker gefordert, und es kommt darauf an, daß er alles überblickt.

Wir können also vorerst festhalten: Der Mensch geht bei der Aufstellung und Artikulation von Präferenzen für öffentliche Güter ganz andere Wege als bei der Gewinnung von Präferenzen für private Güter. Welche Wege das sind und auf welche Felder der Mensch dabei geführt wird, wird später in diesem Buch ausführlich zu erörtern sein. Daß die ökonomische Betrachtungsweise in der Folge dieser Erörterungen mehr und mehr verlassen wird und eine zutiefst psychologische Dimension ins Blickfeld gerät, ist dann durchaus beabsichtigt und kein Zufall. Man verstehe unsere Ausführungen an dieser Stelle richtig: Wir entdecken hier nicht nach x anderen die Kollektivgüter; wir verweisen aber sehr wohl darauf, daß in der Konfrontation des Menschen mit den Kollektivgütern in den Kollektiven eine Betrachtungsweise, die nur das rationale Kalkül berücksichtigt, unvollständig sein muß. Gerade die Charakteristika der Kollektivgüter zwingen den Menschen in eine Situation, in der Leidenschaft und Resignation, Kampfbereitschaft und Apathie, fanatischer Aktionismus und gelangweilte Indifferenz mögliche und wahrscheinliche Verhaltensmuster sind. Neben das Verhältnis des Menschen zu den knappen Gütern der Welt treten die Beziehungen des Menschen zu sich und den anderen. Doch zunächst soll noch eine Weile die ökonomische Denkweise Begleiter unserer Überlegungen sein; dies auch, um ihre Ergänzung – wie wir sie später vorstellen werden – in ihrer Eigenart sichtbar werden zu lassen.

Die Frage ist noch offen, wie es mit dem Prinzip der Verantwortlichkeit bei öffentlichen Gütern steht. Bei privaten Gütern, so ist ausgeführt worden, herrscht Alleinverantwortlichkeit. Obwohl man als einzelner Konsument mit seiner Nachfrageentscheidung dem Markt Anstöße gibt, so bleiben diese doch marginal. Auch wenn man als einzelner nicht nachfragt, gibt es auf dem Markt kein fühlbar anderes Angebot; man ist also als einzelner nicht verantwortlich zu machen für das, was am Markt geschieht. Umgekehrt auch verändert man die gesellschaftliche Wirklichkeit nicht fühlbar, wenn man eine Nachfrage nach einem bestimmten Gut artikuliert und in der Folge ein entsprechendes Angebot induziert. Was auf dem Markt geschieht, berührt – abgesehen von externen Effekten – nur den, der es verursacht hat; und wenn er es verursacht, dann weil er es gewollt hat.

Bei der Wahlentscheidung über öffentliche Güter sieht das auf den ersten Blick ganz ähnlich aus: Wer keine Präferenzen bekanntgibt oder wer sich der Stimme enthält, vermag als einzelner das kollektiv zu beschließende Ergebnis nicht zu beeinflussen. Der Stimmenanteil eines einzelnen ist marginal. Allerdings: Anders als auf dem Markt kann es aber dem einzelnen bei der Abstimmung über öffentliche Güter keineswegs gleichgültig sein, was er will und wünscht und was demgegenüber andere wollen und wünschen. Denn schließlich wird über öffentliche Güter entschieden, die grundsätzlich allen zur Nutzung angeboten, vielleicht sogar aufgedrängt werden, und die durch die Erhebung von Zwangsbeiträgen finanziert werden. Das Interesse müßte also stark sein, seinen Einfluß geltend zu machen, seine Ansprüche durchzusetzen, seine Ziele verwirklicht zu sehen. Alles Debattieren und Argumentieren hilft nichts, nur was letztendlich im Haushaltsplan steht, wird im laufenden Jahr aktuell an öffentlichen Gütern angeboten. Der Stimmenanteil mag als marginal zu betrachten sein, das Interesse am Ergebnis der Abstimmung ist keineswegs marginal. Am besten wäre es für jeden einzelnen zweifellos, wenn die durch die Wahl entstandene kollektive Präferenzskala für die öffentlichen Güter genau mit seiner individuellen Präferenzskala übereinstimmen würde. Nur dann hätte er sich mit seinen Wunschvorstellungen maximal durchgesetzt. Das wäre natürlich Zufall, und es als Wunsch zu haben, ist ein Traum. Realistisch ist es hingegen, einen Kreis ähnlich Gesinnter hinsichtlich der Präferenzen für öffentliche Güter um sich herum zu wissen, damit die Stimmen für bestimmte Optionen vervielfacht werden können. Solche Bündelung von Stimmen vermehrt also den Einfluß. Man muß dabei aber vom allzu Individuellen Abstand nehmen, damit ein Kreis Gleichgesinnter überhaupt zustande kommt. So können sogar schließlich in einer Gruppe, die ein besonders wichtiges gemeinsames Ziel hat, schon mal die in anderen Bereichen öffentlicher Angelegenheiten durchaus unterschiedlichen Interessen zusammengeschlossen sein.

Um in der Politik zu erreichen, was er mit ihnen gemeinsam will, muß der einzelne im Zweifel in der Gruppe opfern, worin er sich von ihnen unterscheidet. Um seine Entfremdung im Staat in Grenzen zu halten, stimmt er seiner Alienation in der Gruppe zu. Um der sachlichen Vertretung seiner Interessen willen setzt er sich der emotional spannungsgeladenen Konfrontation mit anderen Menschen aus.

Dies ist weit mehr als eine intellektuelle Konstruktion; man betrachte nur das emotional aufgeheizte weite Spektrum ordnungs- und gesellschaftspolitischer Überzeugungen, die sich bei den Mitgliedern der ökologischen Bewegung finden. Die Mitgestaltungsmöglichkeit des gemeinsamen Schicksals wird erkauft durch die Zurücknahme von Teilen des individuellen Lebensentwurfes. Anders als auf dem Markt muß der einzelne jetzt entscheiden, ob er anderen Gesellschaftsmitgliedern offen verletzend oder empathisch rücksichtnehmend begegnet. Auf dem Markt lebt der einzelne in einer Welt der Dinge, die Politik ist primär ein Ort menschlicher Begegnung oder Konfrontation. Entsprechend ist der Grad der emotionalen Aufladung in der Politik weit höher als jener auf dem Markt. Ist der Markt vollkommen, so ist die emotionale Temperatur null; die Politik weist notwendigerweise Plus- oder Minusgrade auf.

Wer an Entscheidungen über öffentliche Güter teilnimmt, weiß einerseits, daß er sich grundsätzlich über alle Angebotsvarianten informieren muß und eine Rangordnung der Prioritäten nach seinen Präferenzen vorzunehmen hat. Andererseits ahnt er wenigstens, daß er die Flut an Informationen, die zu verarbeiten wären, gar nicht bewältigen kann. Wie weiß er, was ihn besonders interessieren sollte, wie sichert er ab, daß er an die richtigen Informationen herankommt, und in welchem Ausmaß soll er sich schließlich kundig machen? Um den Wert einer Information abschätzen zu können, müßte man zuvor informiert sein.

Das Gefühl, überfordert zu sein, und die Sorge, einer undurchsichtigen Mechanik ausgeliefert zu sein, mögen sich da schnell einstellen, wenn der einzelne ganz auf sich angewiesen bleiben soll. Einen Schutz bieten dagegen Bezug und Kontakt zu einer Gruppe. Es ist bequemer und vor allen Dingen verläßlicher, Informationen aus der Gruppe Gleichgesinnter beziehen zu können. Auf dem Markt mag man sich allein informieren, als Bürger, als Mitglied eines Kollektivs ist man in der Auseinandersetzung mit anderen informiert oder man ist nicht informiert. Der Marktteilnehmer informiert sich durch das Begreifen von Dingen; als Bürger informiert man sich durch die Begegnung mit Menschen. Über Dinge informiert man sich, indem man ihre Eigenschaften erfährt; mit Menschen informiert man sich, indem man sich ihren Argumenten und Affekten aussetzt.

Was im Markt durch eine Ökonomie der Dinge nicht erfaßt wird, muß in der Politik durch eine Psychologie der Menschen verstanden werden. Der Ökonomie noch ganz verwandt ist die Überlegung, daß innerhalb der Gruppe der Vorteil der Arbeitsteilung bei der Informationsbeschaffung und Entscheidungsvorbereitung genutzt wird. Ähnlich wie bei privaten Gütern kann man sich darauf beschränken, sachkundig nur für ausgewählte Bereiche zu sein und sich im übrigen auf den Rat von Experten zu verlassen. Daß es bei der Entscheidung über öffentliche Güter die Möglichkeit der Arbeitsteilung bei der Informationsbeschaffung gibt, erscheint viel wichtiger als bei privaten Gütern, weil einen bei diesen nur ein höchst individuelles Spektrum interessieren wird, während man bei jenen über alles Bescheid wissen müßte. Es ist deshalb auch keine Frage, daß in der Praxis von dieser Arbeitsteilung intensiv Gebrauch gemacht wird. Mag diese Arbeitsteilung ihren Grund im ökonomischen Kalkül der Kostenminderung haben, so wird sie hier – anders als auf dem Markt – mit Notwendigkeit zu einer begegnungsintensiven Interaktion. So ist es für die Arbeit etwa in den politischen Parteien ganz selbstverständlich, daß sich für die verschiedenartigen Sachgebiete wie Rentenversicherung, Wirtschaftspolitik, Justizwesen oder Familienpolitik einzelne Sprecher als Experten profilieren, deren Rat die anderen Parteimitglieder in der Regel folgen. Es entsteht ein Verhältnis von Partnern, die aufeinander angewiesen sind – eine Beziehungsdichte, die für die privaten Güter des Marktes völlig unüblich und unnötig ist.

Jedenfalls ist bei den öffentlichen Gütern eine ungleich stärkere und vor allem völlig andersartige affektive Herausforderung und emotionale Anspannung gegeben als bei privaten Gütern. Dies mußte, so war eigentlich längst zu erwarten, zu neuartigen Hypothesen oder vollständig neuen Theorien über Abstimmungsverfahren bei öffentlichen Gütern führen, die über die wohlfahrtsökonomischen Ansätze weit hinausgreifen.

... zu der ökonomischen Theorie der Politik

Die Wohlfahrtsökonomie ist keine Theorie des politischen Prozesses. Nun gibt es aber Politik. Downs – er steht für eine ganze Denkrichtung – hat dies gesehen und versucht, eine Theorie der Politik zu entwerfen. Dabei griff er auf das ökonomische Begriffsinstrumentarium zurück. Es ist ihm und seinen Nachfolgern gelungen, wichtige Aspekte des Politischen einzufangen. Die Wohlfahrtsökonomen hatten – verführt durch ihre Methode – den Gegenstand verpaßt. Downs versuchte, durch den gezielten Einsatz dieser Methoden den Gegenstand zu erfassen. Downs bedient sich sehr vieler ökonomischer Argumente; auch die Trennung zwischen privaten und öffentlichen Gütern erfolgt in der gleichen Art und Weise, wie in der ökonomischen Theorie. Sowohl das Anliegen wie auch die Techniken der neuen Theorie fügen sich also nahtlos in die bisherigen Überlegungen ein und können ein gutes Stück auf das gewünschte Ziel hinführen. Im Gegensatz zur wohlfahrtsökonomischen Theorie der Kollektiventscheidungen liefert Downs tatsächlich eine Theorie der Politik. Das Neue an dieser politischen Theorie ist, daß Entscheidungsteilnehmer an Abstimmungen unterschiedliche Aktivität entfalten, sich mehr oder weniger stark engagieren, verschiedenartige Rollen übernehmen, rivalisierende Positionen beziehen und dafür auch werben und vieles andere mehr. Entscheidungsteilnehmer an politischen Wahlen können jedenfalls nicht mehr wie Konsumenten eingeschätzt werden, die prinzipiell alle als gleichartig zu betrachten sind und die sich nur durch ihre je eigenständigen Präferenzen voneinander unterscheiden. Teilnehmer am politischen Leben unterscheiden sich zwar auch durch ihre Präferenzen, aber darüber hinaus noch durch weit mehr. Das Mindeste, das hier zu unterscheiden wäre, ist die Rolle und Funktion des Politikers einerseits und die des Wählers andererseits.

In den ersten Sätzen der Einleitung zur Oekonomischen Theorie der Demokratie stellt Downs mit Verwunderung fest:

In der ganzen Welt beherrschen Regierungen das wirtschaftliche Geschehen ... Dennoch ist die Rolle, die der Staat in der Welt der Wirtschaftstheorie spielt, dieser Vorherrschaft keineswegs angemessen.

So wie am Markt rationale Regeln für Produzenten und Konsumenten herrschen, möchte Downs rationale Regeln für Regierungen ausweisen und zeigen, wie sich Politiker und Wähler verhalten werden, wenn sie erfolgreich sein wollen. Verglichen mit der Wohlfahrtsökonomie entstehen jetzt erstmalig überhaupt ein Rollenspiel, aber auch – wie noch zu zeigen sein wird – Austausch, Wettbewerb und Dynamik. Denn es werden nun nicht mehr von dem von Wohlfahrtsökonomen niemals genau beschriebenen Koordinator Meinungen über öffentliche Angelegenheiten eingesammelt und zur gesellschaftlichen Wohlfahrtsfunktion verdichtet, sondern es gibt Personen, die Programme entwickeln und sich mit ihren Programmen bei anderen, den Wählern nämlich, bewähren wollen. Deutlicher Unterschied zu allem Bisherigen ist jedenfalls, daß es nun zwei verschiedene Rollen gibt, die Wähler auf der einen Seite und die Politiker auf der anderen.

Wenn man diesen entscheidenden Schritt erst einmal gedanklich vollzogen hat, kann man eine ganze Menge von Dingen in ihrer Eigenart wahrnehmen: Zunächst liegt es nahe, die Wähler selbst nicht mehr als vollkommen gleichartige Wesen zu betrachten, die sich durch nichts anderes als durch ihre Präferenzen unterscheiden. Man kann sie beispielsweise als unterschiedlich interessiert und informiert am politischen Leben einstufen. Man kann aber auch einen Teil von ihnen als besonders loyale Wähler erkennen, die mehr aus traditioneller Treue zu ihrer gewohnten Partei und deren Politikern stehen als nach reiflicher Überlegung über Vorteile und Nachteile bestimmter Parteiprogramme ihre Wahl treffen. Allein diese beiden Unterscheidungsmerkmale genügen, um darauf aufmerksam zu machen, daß einzelne Wähler in sehr unterschiedlichem Maße bemüht sein werden, Informationen zu nutzen und Wissen zu erwerben, wenn es um öffentliche Güter geht. Man muß davon ausgehen, daß sowohl die Präferenzintensität bei diesen verschiedenen Wählergruppen sehr unterschiedlich sein wird, als auch der Erwerb von Kenntnissen und die Bildung von Präferenzen. Unterschiedlich wird ebenfalls sein, was Wähler von Politikern erwarten und wie Wähler mit ihren Politikern umgehen; da mag die Spanne durchaus von Huldigung bis zu Gelangweiltheit oder sogar Verachtung gehen.

Es liegt nahe, die Vielfalt der so sichtbar werdenden Erscheinungen in Gruppen von Wählertypen zusammenzufassen. Hat man erst einmal plausible Hypothesen über Wählertypologien aufgestellt und ist auch eine gewisse empirische Bestätigung für die Bedeutung und den Umfang der Wähler in den einzelnen Gruppen vorhanden, dann läßt sich leichter überschauen und eventuell auch vorhersagen, was zwischen Wählern und Politikern passiert. So findet man schon bei Downs eine sehr differenziert abgestufte Wählertypologie. So kennt er einerseits Wähler, die sich intensiv dafür einsetzen, andere auf ihre Seite zu ziehen. Für die bevorzugte Partei werben sie mit allen Mitteln der Überredungskunst. Sie halten sich auf möglichst hohem Informationsniveau – wenn auch in selektiver Weise: Argumente, die die eigene Position stärken, werden ebenso bevorzugt wie Argumente, welche die gegnerische Positionen schwächen. Auf der anderen Seite der Skala stehen nach Downs apathische Wähler, die keinerlei Interesse haben, am politischen Leben teilzunehmen, keine Präferenzen für öffentliche Güter bilden und sich gewöhnlich der Stimme enthalten. Wieder andere Wählergruppen nennt Downs informiert oder schwach informiert, aber noch nicht entschieden; eine noch andere Gruppe bezeichnet er als ratlose Wähler. Die Wähler dieser verschiedenen Gruppen – davon ist Downs überzeugt – sind nun in sehr unterschiedlicher Weise der Beeinflussung zugänglich. Die einen, etwa die Loyalen, sind so gut wie überhaupt nicht für einen parteipolitischen Wechsel zu gewinnen; die anderen, etwa gut Informierte, aber noch Unentschiedene, kann man mit sachlich gut begründeten Argumenten überzeugen und für die Wahl der eigenen Partei gewinnen. Schlecht informierte und zur politischen Apathie neigende Bürger wird man hingegen kaum mit dem sachlich gut geführten und exakt plazierten Argument gewinnen können. Hier werden zweifellos andere Instrumente als Sachaussage und Logik zum Einsatz kommen. Die Differenzierung nach Wählertypen zeigt deutlich, daß weder die Präferenzbildung und Informationssuche nach einheitlichen Mustern ablaufen, noch die Interaktion zwischen Politikern und Wählern als stets gleichartiger – weil nur auf Sachen ausgerichteter – Ablauf verstanden werden kann.

Hinzu kommt nun noch eine zweite Differenzierung, die diesen Eindruck verstärken muß: Offensichtlich liegt es sehr auf der Hand, daß auch unterschiedliche Typen von Politikern mit ihrem unterschiedlichen Angebot auftreten können. Schon aus Symmetriegründen müßte man zu diesem Schluß gedrängt werden, aber auch schlicht aus einer Sensibilität für politische Dynamik und aus einer Aufgeschlossenheit gegenüber der Vielfalt menschlicher Charaktere und Führerpersönlichkeiten, die sich zu unterschiedlichen Zeiten mit ihren unterschiedlichen Fähigkeiten auf der Bühne des politischen Lebens vorstellen, bewähren und wieder verabschieden.

Um zunächst bei Downs zu bleiben: Er selbst hat keine Typologie der politischen Führer entworfen, was um so mehr verwundert, als er die Wähler in ihrer Unterschiedlichkeit durchaus gesehen hat. Zwar hat er sehr interessante Aussagen über Parteien gemacht, den Politiker hat er merkwürdig blaß gelassen. Downs hat beschrieben, wie Parteien Macht bekommen – genauer, wie man mit Parteiprogrammen Wählerstimmen gewinnen kann; er ist aber nicht daran interessiert gewesen, die politischen Köpfe in der Partei näher zu beschreiben und erst recht nicht zeigt er auch nur beispielsweise, wie es einem politischen Führer in einer Partei gelingt, das Zepter für die Machtausübung in die Hand zu bekommen. Downs hat nicht nur die Wählerschaft, sondern einzelne Wähler gesehen; auf der Angebotsseite hat er Parteien gesehen, nicht aber Politiker. Wohl spricht er von Politikern. doch stehen sie als individuell nicht differenzierte Chiffre für eine Parteiengesamtheit. Dies muß erstaunen. Da wird eine Theorie des Politischen gemacht, in der wohl die Nachfrage nach öffentlichen Leistungen in ihrer Unterschiedlichkeit gesehen wird, die Politiker in der Vielfalt ihrer Menschlichkeit jedoch nicht einmal am Rande vorkommen. Ist dies etwa überflüssig, oder war Downs von einer anderen Einsicht so geblendet, daß er diesen Teil der Wirklichkeit einfach nicht sehen konnte? – Wir sind der Meinung, daß letzteres der Fall ist. Der Erfolg des Anthony Downs in bestimmten Teilen erklärt und entschuldigt sein Versagen in anderen. Sein Erfolg begründet aber auch für seine Nachfolger die Notwendigkeit, sein Versagen aufzuarbeiten.

Sein Erfolg: Downs war von einer wichtigen Entdeckung so sehr beeindruckt, daß alle anderen Zusammenhänge über Parteien und Politiker und insbesondere das Verhältnis von politischen Führern und Wählern demgegenüber unbedeutend erscheinen mußten. Downs hatte erkannt, daß man ein sehr taugliches Modell der Demokratie entwickeln kann, wenn man das Eigennutz-Axiom, das sonst nur in der Tauschwelt der privaten Gütererstellung regiert, auch auf den Abstimmungsprozeß bei öffentlichen Gütern überträgt. Der Vorteil ist beträchtlich, weil man eigens für den politischen Prozeß keinen neuen Menschen einführen muß. Es reicht, die Chiffre des gewinnmaximierenden Unternehmers auf dem Markt als Chiffre des politischen Unternehmers zu nutzen. Der Politiker startet nicht anders als ein Unternehmer. Während dieser durch erfolgreiche Verkäufe seiner Produkte am Markt zunächst sein Einkommen mehrt und später Einfluß und vielleicht auch Macht hinzugewinnt, mehrt jener durch öffentliche Güterprogramme, die breitere Aufmerksamkeit erwecken, zunächst seinen Einfluß, später seine Gefolgschaft in der Partei, dann politische Macht und nicht zuletzt natürlich auch Einkommen. Mögen sich der Politiker und der Unternehmer auch darin unterscheiden, ob sie eher Einkommen oder eher Macht anstreben, so sind sie schließlich doch aus dem gleichen Holz geschnitzt, getragen von einer gleich großen Energie, getrieben durch den gleich großen Willen des Machens, geprägt von der gleichen Bereitschaft zur Innovation. Auf einen neuen Menschen, auf das spezifisch politische Motiv im Menschen, kann man bequemerweise verzichten und scheint darüber hinaus – wie insbesondere schon Schumpeter ausführlich beschrieben hatte – die Realität viel besser erklären zu können. Der Konkurrenzkampf der Politiker um Macht und Amt ist, wie Schumpeter es ausdrückt, wohl die Triebkraft allen politischen Handelns, einen Wesensunterschied zum Gewinnstreben gibt es nicht. Daß wohlmeinende, gereifte Menschen in der Rolle des Altruisten für des Bürgers Wohl sorgen wollten, ist in seinen Augen eine Rationalisierung des politischen Prozesses, die zwar sehr verlockend, aber gerade deshalb gefährlich ist. Im direkten wörtlichen Sinn ist nicht das Volk der Souverän, weil es nicht selbst herrscht. Nein: "Die Demokratie ist die Herrschaft des Politikers." – Dieser Satz dürfte Downs entzückt haben, zugleich würde er jedoch versöhnlich hinzugefügt haben: "Aber das Volk entscheidet, welchen Politiker es herrschen läßt."

In der Politik geschieht nichts Sonderbares und Geheimnisvolles; man könnte mit gleichmütiger Gelassenheit sagen, daß es nur darauf ankomme, die Regeln des Marktes gut verstanden zu haben, denn nach den gleichen Regeln wird auch im politischen Leben das Spiel begonnen und der Erfolg gewonnen. Es sind ihrer Natur nach die gleichen Motive, welche die Prozesse in Gang setzen, und es ist die gleiche Art Menschen, die die aktiven Rollen übernehmen. Nicht einmal der Inhalt des Motivs muß verschieden sein: Man kann versuchen, als Unternehmer oder als Politiker Geld zu machen. Hierzu Downs:

Aus dem Eigennutz-Axiom ergibt sich unsere Auffassung von den Motiven, denen die politischen Aktionen der Parteimitglieder entspringen. Wir nehmen an, daß sie nur handeln, um das Einkommen, das Prestige und die Macht zu erlangen, die mit öffentlichen Ämtern verbunden sind. Daher streben in unserem Modell die Politiker niemals ein öffentliches Amt an, weil es ihnen ermöglicht, bestimmte politische Konzepte zu verwirklichen; ihr einziges Ziel ist, die Vorteile zu genießen, die ein öffentliches Amt an sich bietet. Die Politiker verwenden politische Konzepte und Aktionen einzig und allein als Mittel zur Verfolgung ihrer privaten Ziele, die sie nur dadurch erreichen können, daß sie gewählt werden. – Auf dieser Überlegung beruht die Grundhypothese unseres ganzen Modells: Die Parteien treten mit politischen Konzepten hervor, um Wahlen zu gewinnen; sie gewinnen nicht die Wahlen, um mit politischen Konzepten hervortreten zu können.

Downs zitiert ausführlich Schumpeters Idee, daß nach Lage der Dinge das Angebot von öffentlichen Gütern bis hin zu den vielfältigen sozialen Leistungen des Staates ein Nebenprodukt des Eigennutzes der Politiker ist – so wie die Produktion privater Güter schließlich auch nur eine Nebenerscheinung beim Erzielen von Profiten ist. Schumpeters politischer Unternehmer ist das Vorbild des Parteipolitikers bei Downs geworden.

Man versteht nun, wieso diese Theorie zu Recht eine ökonomische Theorie der Demokratie genannt werden darf und warum die auf Downs aufbauende Richtung später etwas allgemeiner als ökonomische Theorie der Politik bezeichnet worden ist. Downs hat beim Aufbau seiner ökonomischen Theorie noch an anderen Stellen hin und wieder Bausteine aus der ökonomischen Theorie verwendet; so hat er beispielsweise seine Ideen über den Einfluß von Wählergrundgesamtheiten auf den Parteienwettbewerb sehr eindrucksvoll anhand eines bekannten Oligopolmodells von Hotelling erläutert; aber das Entscheidende ist für ihn – wie er selbst betont – die Wiederentdeckung des Schumpeterschen politischen Unternehmers.

So wichtig die Wiederbelebung der Schumpeterschen Idee für Downs selbst und die ganze auf seinem Werk aufbauende ökonomische Theorie der Politik gewesen ist, sie ist in dieser Form nicht ohne einen gewissen Preis an Entwicklungsoffenheit geblieben; schärfer ausgedrückt: Mit der Schumpeterschen Idee vom politischen Unternehmer vor Augen, war der Blick verstellt für andere Formen der Wahrnehmung über das Verhältnis von Politikern und Wählern, insbesondere für eine Art von Wahrnehmung, wie sie hier in unserer Analyse langsam vorbereitet wird. Deren wichtigster Punkt ist, daß der Erwerb von Erfahrungen über Güterqualitäten, das Gewinnen und Anreichern von Informationen über Güterprioritäten und die Auseinandersetzung über das für den einzelnen Nützliche und Bequeme bei privaten und bei öffentlichen Gütern nicht in gleicher Weise ablaufen, sondern spezifische Eigenheiten kennen, die es herauszuarbeiten gilt. Eine hervorragende Idee von Downs war unter diesem Aspekt, eine Wählertypologie zu entwickeln. Viele von den besonderen Eigenschaften, wie sie gegenüber der Entscheidungsteilnahme am Abstimmungsprozeß über öffentliche Güter existieren, hat Downs versucht, mit plausiblen Argumenten zu beschreiben. In welch verschiedenen Rollen der Bürger als Wähler gesehen werden kann, das hat Downs in glaubhaften Charakterisierungen durchaus differenziert wiedergegeben. Das gleiche für die Politiker zu tun – also eine Politikertypologie zu entwerfen –, war ihm hingegen versperrt.

Dazu schlug die Macht des Schumpeterschen Demokratiemodells viel zu stark durch. Wer käme schon auf die Idee, die Einzigartigkeit des erfolgreichen Marktunternehmers in eine Unternehmertypologie zu pressen? Wer sollte sich schon für Unternehmer interessieren, die irgendwann mit Elan den Start versucht haben, aber erfolglos geblieben sind? Der Marktanalytiker kann gelassen darüber hinwegsehen; er beobachtet existente Märkte und nicht, ob Phantasien von nichtbestehenden Märkten in irgendwelchen Hirnen existieren. Für das Marktgeschehen insgesamt schien es – jedenfalls zu Downs’ Zeiten – gleichgültig, ob ein bestimmter Unternehmer mittelmäßig ist oder großartige Fähigkeiten beweist. Um den Markt zu verstehen, gibt es keinen Bedarf an einer wie auch immer gestalteten Unternehmertypologie. An einem Vorbild für die Ausmalung einer Typologie für den politischen Führer mangelte es also entschieden. Mehr noch, gegen den Versuch, ein derartiges Vorhaben ganz ohne Vorbild dennoch zu starten, erwuchs aus Downs’ Engagement selbst ein Hindernis. Bestand nicht die Gefahr, daß man mit einer Typologie die neue Idee wieder preisgeben oder zumindest stark verwässern würde? Konnte nicht sehr schnell wieder der Politiker als Personifizierung des Gemeinwohles in einer derartigen Typologie auftreten? Die überkommene Demokratietheorie wäre dann nicht überwunden, sondern nur modifiziert worden. Downs mußte befürchten, daß eine Differenzierung des Politikers zu dessen Demontage und damit zur Verweichlichung seines eigenen Ansatzes führen würde. Wenn jemandem der Weg zu einer Differenzierung des Politikers in der ökonomischen Theorie der Politik versperrt war, dann ihm.

Wenn aber jemand den Weg zu einer Differenzierung des Politikers in der Theorie der Politik gehen muß, dann wir. Das sind wir nicht zuletzt Downs schuldig. Weil Downs Erfolg hatte, können wir weitergehen; wo Downs versagt hat, müssen wir weitergehen.

Es wäre nun sicher unfruchtbar und zwecklos, eine Politikertypologie ohne engsten Bezug zu den Wählern zu entwickeln. Die Politik ist ein Interaktionsspiel zwischen Menschen. Dieses Spiel weist vielfältigste Rollenzuweisungen auf. Es begegnet nicht Der Politiker Dem Wähler im sporadischen Wahlgang; es interagieren auf vielfältigste Weise kontinuierlich Menschen als Bürger und als Politiker. Es ist außerordentlich wichtig, sich klarzumachen, daß Politiker und Wähler sich nicht nur alle vier Jahre bei der Wahl begegnen, sondern daß eine dauernde Verwobenheit zwischen Politikern und Wählern besteht, die, mit immer neuen Anstößen von innen und außen, einem Netzwerk von Gutschriften und Lastschriften, Verpflichtungen und Belastungen gleicht – einem Netzwerk, das zwar in ständiger Bewegung ist, gleichwohl aber auch über festsitzende Bindungen verfügt. Politiker müssen gleichsam in andauernder Feinfühligkeit Anerkennung beim Wähler sammeln und dauernd, wie in einer Sisyphusarbeit, Lasten abtragen, die ihrem Aufstieg noch im Wege stehen. Im Vergleich zu diesem fortwährenden Abtasten ist der Wahltag beinahe nur ein oberflächlicher Test.

Dies Urteil mag auf den ersten Blick verzerrt erscheinen, man muß aber bedenken, daß es in der Demokratie nicht nur um die Funktion der demokratischen Kontrolle oder auch der Anreizfunktion, mit Programmen um Wählerstimmen zu werben, noch nur um die Mitsprache des Bürgers über den Wahlmechanismus geht, sondern auch um die Frage, von welcher Art die Beziehungen der Menschen als Politiker zu den Menschen als Bürger sind. Und dazu ist es in der Tat erforderlich, das ganze Klima und die dauernden Spannungen kennenzulernen. Die Wahl ist das Ergebnis eines Prozesses; worauf es ankommt ist, über den Prozeß selbst etwas in Erfahrung zu bringen. Um eine Typologie für Politiker in der Theorie der Politik zu erarbeiten, kann man also weder damit beginnen, Geschichten von typischen Politikerkarrieren zu sammeln, noch auf einen Versuch hoffen, mit der Analyse typischer Verhaltensweisen und Tätigkeiten zum Erfolg zu kommen. Was hingegen benötigt wird, sind Materialien, Beobachtungen und – selbstverständlich wie immer im Vorfeld einer Theorieausweitung – geeignete Hypothesen über typische Begegnungen von Politikern und Wählern. Eine Wählertypologie konnte damals Downs noch ad hoc entwickeln und als durchaus plausibles Muster vorstellen, eine Politikertypologie kann hingegen heute nicht isoliert und als solche modelliert werden. Sie entsteht nur, wenn die Interaktion zwischen Wählern und Politikern richtig erfaßt wird.

... und darüber hinaus

Bei der Erfassung dieser Interaktion – bei ihrer Beobachtung, vor allem aber bei der Suche nach Hypothesen darüber, was möglicherweise in den Kreis der Beobachtungen aufzunehmen ist – darf nun nicht zu engherzig verfahren werden. Man darf beispielsweise nicht für gesichert annehmen, daß die Politiker ausschließlich darin wetteifern, ihren Wählern immer besser auf deren Wünsche abgestimmte Programme an öffentlichen Gütern vorzulegen. Sicher, die Analogie zum privaten Unternehmer auf einem Markt mit intensivem Wettbewerb wäre perfekt, und die unsichtbare Hand würde dann nicht nur den Zustand in der privaten Güterversorgung, sondern auch in der öffentlichen Güterversorgung optimieren; aber in Wirklichkeit ist das ein Traum, eine utopische Welt, in der Politiker und Wähler mit einer Art vollkommener Information und Gewißheit über alle Wünsche, Ziele und Hoffnungen ausgestattet sind und sich in schrittweiser Anpassung dem Versorgungsoptimum nähern können.

Das genaue Gegenteil wäre eine fiktive Nation, die von Politikern beherrscht würde, die überhaupt keine Informationen über die Wünsche ihrer Bürger nach öffentlichen Gütern hätten. Trotzdem müßten sich auch diese Politiker, solange demokratische Spielregeln gelten, bei den Wählern um Mandate und Positionen bewerben. Auch sie müßten mit Worten und Gesten überzeugen, aber da niemand wüßte, was gewünscht wird, müßte man den Erfolg im möglichst Unverbindlichen und Rhetorischen suchen, die ohnehin loyalen Wähler mit Treuegelübden beschwören, den Schwankenden Zuversicht und Standfestigkeit als Prinzip anbieten, den Unsicheren und Uninteressierten das Gefühl der Könnerschaft und Einsatzbereitschaft vermitteln. Im Rahmen der Interaktion zwischen Wählern und Politikern würden dann als Botschaften nicht mehr öffentliche Güterprogramme, sondern Persönlichkeitselemente ausgetauscht; es würden Fragmente menschlicher Leidenschaften gehandelt und bewertet; nicht öffentliche Güter und politische Programme bildeten das Medium des Austausches zwischen Wählern und Politikern – das Materielle wäre ganz unbedeutend, da das Totale in immaterieller Gestalt sich nach vorne gedrängt hätte: Menschliche Sehnsüchte und Ängste wären beherrschend geworden. Wer die einen entfachen und die anderen beschwichtigen könnte, ginge als Sieger aus der Wahl hervor. Der Diskurs über Sachen wäre von der Begegnung von Menschen völlig verdrängt worden. An die Stelle sachlicher Rationalität wäre die personale Emotionalität getreten. Zugegeben: Das Gegenbild zu Downs ist, wie dessen Theorie, einseitig und vereinfachend. Doch unterscheiden sich beide darin, daß die Vision des Anthony Downs von beruhigender Transparenz ist, während ihr Gegenstück auf Kräfte verweist, die vorerst unheimlich sind. Umgekehrt ist es wohl auch angebracht, den Diskurs über Sachen in der Politik nicht aus den Augen zu verlieren. Mochte Downs in seiner Einseitigkeit entschuldbar sein, so wären jene, die auf diese Einseitigkeit reagieren und dabei in eine andere Einseitigkeit verfallen, wohl auch noch zu verstehen, aber nicht mehr zu entschuldigen.
Daß Sachargumente aus der Politik verdrängt werden können, sollte unterdessen nicht mehr in Zweifel stehen. Als während und nach dem Zweiten Weltkrieg die Reden faschistischer Agitatoren einer sozialwissenschaftlichen Analyse unterzogen wurden, stellte sich als eines der Hauptmerkmale heraus, daß sie so gut wie keine politischen Programme enthielten, die konkrete soziale oder ökonomische Anhaltspunkte für eine Auseinandersetzung hätten bieten können. Wurden Sachthemen genannt, wurden sie so enthusiastisch formuliert, daß sie einer rationalen Diskussion kaum standzuhalten vermochten. Offensichtlich bestand bei den Führern derartiger Bewegungen auch gar nicht das Ziel, Anhängerschaft durch das Aufstellen rationaler politischer Argumente zu finden. Ihre Fähigkeit, Anhänger zu gewinnen, beruhte vielmehr auf der Anwendung völlig anderer Techniken des Konsenses.

Das verbindende Glied zwischen faschistischen Führern und ihrer Gefolgschaft ist in einer beiden gemeinsamen Persönlichkeitsstruktur zu finden, und der Konsens scheint viel eher sozialpsychologischer als ökonomisch-rationaler Art zu sein. So führt Adorno aus, daß faschistische Führer ihre Anhänger aufgrund psychologischer Berechnung gewinnen, bestreitet aber, daß die Berechnung einem bewußten rationalen Kalkül entspringt, zumal den Führern selbst (Goebbels nicht ausgeschlossen) differenziertes methodisches Rüstzeug meist gar nicht verfügbar ist:

Für die vielberedete Beherrschung massenpsychologischer Techniken durch die Faschisten müssen wir deshalb andere Quellen als wissenschaftliche Belesenheit suchen. Der Führer kann die seelischen Bedürfnisse und Wünsche der für seine Propaganda Anfälligen erraten, weil er ihnen seelisch ähnlich ist, und was ihn von ihnen unterscheidet, ist nicht irgendeine echte Überlegenheit, sondern die Fähigkeit, das, was in ihnen latent ist, ohne ihre Hemmungen auszudrücken.

So gesehen ist es eigentlich falsch zu sagen, daß faschistische Führer Einfluß oder Gefolgschaft gewinnen; sie werden eher zum Bezugspunkt einer Idealisierungstendenz, die bei bestimmten Menschen vorherrscht, die permanent die Erfolglosigkeit spüren, Anforderungen, die die Gesellschaft an sie stellt, nicht erfüllen zu können. Wahrscheinlich dürfte der Nachweis nicht schwerfallen, daß die Anfälligkeit, faschistischen Ideen zu folgen, bei politisch apathischen Menschen besonders hoch ist.

Indessen ist die potentielle Gefolgschaft keineswegs auf diese Gruppe beschränkt, da der Kern der Übertragung auf einen individualpsychologischen Konflikt zurückgeht, dem besonders in der Politik jeder Mensch unterworfen ist. Es ist interessant, daß der Führer nicht nur die Projektion eines von der persönlichen Erfolglosigkeit befreiten Selbstbildes ist, sondern daß er zugleich auch noch von Einfachheit und intellektueller Undifferenziertheit geprägt sein muß, damit eine kollektiv mitreißende Übertragung gelingt, indem die Massen ihn zu dem "Ihren" machen können und ihnen selbst genügend Spielraum bleibt, sich in ihm eigene Überlegenheit beweisen zu können. In diesem Interaktionsmechanismus muß die Diskussion rationaler Argumente störend, ja zersetzend wirken; die Heftigkeit, mit der sie zurückgewiesen wird, beweist das. Diese dem Downsschen Idealtypus der Demokratie fremde Zurückweisung von rationaler Diskussion, gepaart mit einer an ihre Stelle getretenen triebhaften Bereitschaft zur Übertragung, machen die Eigenart dieses Interaktionsprozesses aus:

Da es dem Faschismus unmöglich wäre, die Massen durch rationale Argumente zu gewinnen, muß seine Propaganda sich notgedrungen vom diskursiven Denken abwenden, um sich statt dessen psychologisch zu orientieren und irrationale, unbewußte, regressive Prozesse zu mobilisieren. Diese Aufgabe wird durch die seelische Verfassung all der Gesellschaftsschichten erleichtert, die unter sinnlosen Versagungen leiden und darum eine verkümmerte, irrationale Mentalität entwickeln. Vielleicht liegt das Geheimnis der faschistischen Propaganda darin, daß sie einfach die Menschen als das nimmt, was sie sind: echte, ihrer Selbständigkeit und Spontaneität weitgehend beraubte Kinder der heutigen standardisierten Massenkultur – und nicht Ziele aufstellt, deren Verwirklichung ebenso über den psychologischen wie über den gesellschaftlichen Status quo hinausginge.

Zugegeben: Die Gegenposition zu einem Modell der Demokratie, in der um nichts anderes als um die optimale Versorgungslage gerungen wird, ist außerordentlich deprimierend und düster. Die Versuchung ist groß, sie als pathologische Entartung des Downsschen Idealtypus zu verstehen und unmerklich und unbeabsichtigt eine der Intention nach empirische Theorie der Demokratie in eine normative umzuwandeln. Alles, was Politiker und Wähler veranlaßt, sich mit ihrem konkreten Verhalten in Richtung auf den Downsschen Sachdiskurs zu bewegen, kann dann als Fortschritt und Verbesserung bezeichnet werden: Dem politischen Prozeß wäre nun gleichsam der Weg gewiesen. Besonders Ökonomen können sich damit ganz wie zu Hause fühlen, bewegen sie sich doch auf gewohntem Terrain. So, wie die vollständige Konkurrenz auf allen Gütermärkten den Optimalzustand für die Versorgung mit privaten Gütern angibt und so, wie man der Wettbewerbspolitik somit den Auftrag geben kann, Abweichungen von diesem Optimalzustand zu verhindern und Hindernisse auf dem Weg dahin auszuräumen, so könnte man in vollkommener Analogie als Idealbild einer ökonomischen Theorie der Demokratie den vollständigen Wettbewerb der Politiker um öffentliche Güterprogramme auswählen, um auch hier der "Demokratiepolitik" den Auftrag zu geben, alle institutionellen Schranken und individuell wirkenden Barrieren zu beseitigen, die sich auf dem Wege zur Erreichung dieses Ziels als hinderlich erweisen.

Leider kann diese verlockende Analogie nicht anerkannt und daher auch nicht übernommen werden. Selbst wenn man davon absieht, daß es nicht angeht, eine positive Theorie normativ aufzuladen, steht einem solchen Vorgehen entgegen, daß die einseitige und ausschließliche Akzentuierung der sachlichen Rationalität in der Politik am Problem vorbeiführen muß. Das Optimum für Entscheidungsprozesse im Staat und beim öffentlichen Haushalt ganz in die Nähe des Optimums für Marktprozesse setzen zu wollen, ist also ein Irrtum und lenkt ab von der Aufgabe, nach neuen Ideen zu suchen.

Schließlich ist gegen ein Denken, das dem rationalen Diskurs die emotionale Verführung und Verzauberung polar entgegensetzt, der Vorwurf einer unzulässigen Vereinfachung zu machen. Ein gegenpoliges Modell der ökonomischen Theorie der Politik würde darauf hinauslaufen, zwischen dem guten und redlichen Politiker und dem verführerisch-gefährlichen Politiker zu unterscheiden: Wann immer Politiker den sachlich abgewogenen Ton in ihren Reden wählen und mit Information und Aufklärung den Bürger dabei Stück um Stück zu einem Mehr an Wissen und Souveränität führen, wird der Weg zum guten Ende eingeschlagen. Wenn Politiker dagegen anfangen, das Verführerisch-Gefällige, sachlich aber nicht genau Festgelegte und am Ende nicht Einlösbare in die Wahlpropaganda zu übernehmen, verlassen sie diesen Weg und bewegen sich in die Gegenrichtung – eine Richtung, an deren Ende der unmündig und unsouverän gehaltene Bürger angesiedelt ist.

Selbst wenn man nicht ausschließt, daß in der Realität die polaren Extrempunkte in Ausnahmesituationen angetroffen werden, bleibt, daß zwischen ihnen eine Variantenvielfalt existiert, der eine Theorie der Politik gerecht werden muß. Versuchte man dies nicht, so würde man in gewisser Weise sogar hinter Schumpeter zurückfallen, der sich selbst viel offener gegenüber der Frage gezeigt hat, wie die Führer in einer Demokratie beschaffen sein sollten, damit diese nicht untergeht. Schumpeter ist davon überzeugt, daß es eine Schicht von Menschen mit hoher Professionalität, Begabung und sogar Ethos geben muß, aus deren Bestand die politischen Führer in der Demokratie in ihre verschiedenen Ämter hin aufwachsen:

Die erste Bedingung ist, daß das Menschenmaterial der Politik – Leute, die die Parteimaschine bedienen, ins Parlament gewählt werden und zu Kabinettsposten aufsteigen – von hinreichend hoher Qualität ist. Das bedeutet mehr, als daß eine genügende Zahl von Individuen mit entsprechenden Fähigkeiten und sittlichem Charakter existieren müssen. Wie schon früher betont, trifft die demokratische Methode ihre Auswahl nicht einfach aus "der" Bevölkerung, sondern nur aus jenen Elementen der Bevölkerung, die für den politischen Beruf verfügbar sind oder, noch genauer, die sich zur Wahl offerieren.

Und:

Es dürfte viele Wege geben, auf denen Politiker von hinreichend hoher Qualität gewonnen werden können. Bis jetzt scheint immerhin die Erfahrung zu lehren, daß die einzig wirksame Gewähr in der Existenz einer sozialen Schicht liegt, die – selbst das Produkt eines strengen Auswahlprozesses – sich der Politik als einer Selbstverständlichkeit zuwendet. Wenn solch eine Schicht weder allzu exklusiv noch dem Außenseiter allzu leicht zugänglich ist und wenn sie stark genug ist, um die meisten Elemente, die sie laufend aufnimmt, auch zu assimilieren, dann wird sie für die politische Karriere nicht nur Produkte in Vorrat haben, die mit Erfolg manche Prüfungen auf anderen Gebieten bestanden (zum Beispiel eine Lehre im privaten Geschäftsleben absolviert) haben, sondern sie wird ihre Tauglichkeit noch steigern, indem sie ihnen erfahrungsgesättigte Traditionen, einen Berufskodex und einen gemeinsamen Fonds von Ansichten mitgibt.

Es ist interessant, daß Schumpeter es nicht dem Zufall überlassen will, wer von den Bürgern eines Landes in die Führungsposition hineinwächst. Demzufolge vertraut er sich seinem schichtspezifischen Modell an, wählt damit also einen soziologischen Ansatz. Man hat den Eindruck, daß die politischen Führer bei Schumpeter dadurch am Ende alle recht ähnliche politische Persönlichkeiten sind – selbstverständlich unangesehen ihrer höchst eigenen Leidenschaften und Abneigungen im privaten Leben; politisch gesehen scheinen diese schichtgeborenen Menschen jedoch recht ähnliche Charakterzüge zu zeigen. Alles in allem: Schumpeter, der eigentliche Schöpfer des Wettbewerbsmodells der Demokratie, ist auch der erste, der mit diesem Modell nicht zufrieden ist. Wohl gibt er es nicht auf, doch stützt er es von außen durch ad-hoc-Konstruktionen, die seinem Theoriegebäude eigentlich fremd sind. Es hat den Anschein, als ob seine Schöpferkraft gereicht hat, ein großartiges Modell zu entwerfen und dessen Brüchigkeit zu sehen, er aber nicht mehr in der Lage war – es auch nicht mehr sein konnte –, es durch ein anderes zu ersetzen.

Bei der Lektüre des Buches von Schumpeter und insbesondere des letzten Kapitels kann man sich des Eindrucks schwer erwehren, daß Schumpeter fürchtete, daß mit den Motivationen, die sein Wettbewerbsmodell abbilden konnte, auf die Dauer kein freiheitlicher Staat zu machen war. Um dieses liberalen Staates willen führte er als Forderung theoriefremde Postulate ein: sich selbstbeschränkende Politiker, eine funktionierende Bürokratie mit makelloser Dienstauffassung, mobilisierbares Expertenwissen und die exzellente Kultur einer politischen Rekrutierungsschicht. Man kann sich fragen, ob man dem Engagement Schumpeters für den liberalen Staat nicht ohne ad-hoc-Annahmen und normative Postulate gerecht werden kann. Ist es doch unelegant, theoriefremde Elemente als Stütze einer empirischen Theorie zu bemühen; und: Kann es doch Tagträumerei sein, Postulate aufzustellen, von denen man nicht weiß, ob ihnen Folge geleistet wird. Die Hoffnung ist nicht unbegründet, daß eine Theorie der Demokratie, die den Menschen nicht nur mit Sachen konfrontiert, sondern auch mit Menschen in Beziehung bringt, hier weiterhelfen kann.

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