Auszüge aus Ernest Borneman's
"Psychoanalyse des Geldes"

Eine kritische Untersuchung psychoanalytischer Geldtheorien
Zur demokratischen Idee des dialektisch aufgehobenen Privateigentums: Non avaro divitiae, sed divitiis servit ...

Ernest Borneman, geboren 1915 in Berlin und auf den Namen Ernst Bornemann getauft, hat von 1933 bis 1939 in England und von 1951 bis 1953 in Amerika studiert – Vorgeschichte bei V. Gordon Childe, Ethnologie bei Melville J. Herskovits, Psychoanalyse bei Géza Róheim. Von 1941 bis 1946 filmte er unter kanadischen Eskimos und Indianern. 1947 unter dem Namen Ernest Borneman in Kanada eingebürgert und im gleichen Jahr von der UNESCO nach Paris berufen, wo er 1948-1949 die Filmabteilung leitete. Acht Bücher in englischer Sprache, sieben in deutscher Sprache. Seine Psychoanalytischen Studien zur Sexualanthropologie erschienen 1968 in alphabetisch geordneter Form unter dem Titel Lexikon der Liebe. Seine Analyse der sexuellen Umgangssprache, Sex im Volksmund, wurde von der Darmstädter Jury zum Buch des Monats gewählt. In drei Bänden erscheinen seine psychoanalytischen Deutungen der "verbotenen" Verse deutscher Großstadtkinder, Studien zur Befreiung des Kindes, 1973-1975. In Vorbereitung: Das Patriarchat. Ursprung und Zukunft unseres Gesellschaftssystems.

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Einleitung: Zur Psychoanalyse des Geldes

Dieses Buch unternimmt den Versuch, einige der Hauptwerke der psychoanalytischen Literatur über den Ursprung und die Natur des Geldes zum erstenmal zusammenzutragen und kritisch zu kommentieren. Manche dieser Arbeiten sind schon seit vielen Jahren nicht mehr im Druck, andere sind bisher nur in schwer zugänglichen Zeitschriften veröffentlicht worden, wiederum andere, ursprünglich auf englisch oder französisch verfaßt, sind bisher nie ins Deutsche übersetzt worden. Bei der Auswahl habe ich mich nicht von meinen eigenen Überzeugungen dessen, was richtig oder falsch ist, leiten lassen, sondern von dem Wunsch, die Hauptrichtungen der psychoanalytischen Geldanalyse vorzustellen. Dabei bin ich so weit gegangen, selbst solche Arbeiten einzuschließen, die ich vom klinischen Standpunkt als zweifelhaft betrachte, denn auch sie gehören zur unwiderruflichen Geschichte der Psychoanalyse. Ich hoffe, daß ich mir mit dem Streben nach vorurteilsfreier Auswahl das Recht der reflektierenden Kritik erworben habe.

Die Aufteilung des Buches ist einfach. Es beginnt mit Freuds Pionierarbeit (1908) über den analen Charakter des Geldes und führt dann in mehr oder minder chronologischer Reihenfolge einige der wichtigsten Arbeiten vor, die sich auf diese These stützen. Es folgt als zweiter Teil des Buches eine Zusammenstellung ethnologischer, altertumswissenschaftlicher und kulturhistorischer Studien bedeutender Psychoanalytiker über Ursprung und Wirkung des Geldes. Den dritten und letzten Teil des Buches bilden psychoanalytische Studien, die sich nicht auf Freuds Theorie des analen Geldursprungs stützen, sondern Geld, Besitz und Eigentum von anderen psychoanalytischen Standpunkten aus betrachten. Am Ende eines jeden Beitrags gebe ich, falls der Autor dies im Originaltext getan hat, seine Literaturhinweise, jedoch bei allen Werken, die auf deutsch geschrieben oder mittlerweile ins Deutsche übersetzt worden sind, die deutschen statt der vom Autor angegebenen englischen und französischen Titel. Meine eigene Bibliographie am Ende dieser Untersuchung gliedert sich in:

1.       psychoanalytische und psychologische Schriften zur Geldtheorie;

2.       Schriften zum Ursprung und zur Geschichte des Geldes.

Da der Versuch einiger Analytiker, die Geschichte des Geldes als Analogie aus der Pathogenese der analen Zwangsneurose zu entwickeln, mir in hohem Maße zweifelhaft erscheint, halte ich es für besonders wichtig, dem Leser Hinweise auf jene Schriften zu geben, die sich in konkreter, historisch belegter Weise mit der tatsächlichen Entstehungsgeschichte des Geldes und des Eigentums befassen.

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Theodor Reik: Gold und Kot

Die Azteken, bekanntlich erst 1519 von Ferdinand Cortez entdeckt, hießen das Gold Teocuitla, zu deutsch "Götterdreck", und heißen es noch heute so. Man vergleiche damit manchen deutschen, englischen und französischen Sprachgebrauch.

William H. Desmonde: Über den analen Ursprung des Geldes

In Charakter und Analerotik wies Freud auf die unbewußte Gleichsetzung von Geld und Kot hin und lenkte die Aufmerksamkeit auf dieses Phänomen innerhalb primitiver Kulturen. Ferenczi sah ebenfalls voraus, daß die Geschichtsforschung eine Parallelität zwischen der Entwicklung des Geldes und der zunehmenden Zivilisation und individueller Reifung aufdecken würde.

Meine nun folgende Arbeit ist ein Beitrag zu Ferenczis Hypothese. Die orthodoxe numismatische Theorie über den Ursprung des Geldes behauptet, daß Münzen zuerst geprägt wurden, als das Handsiegel des Emittenten auf einen Klumpen Metall gepreßt wurde, um dadurch dessen Gewicht und Echtheit zu gewährleisten. Gemäß Macdonald waren

Münzen ursprünglich einfach nur Stücke versiegelten Metalls mit dem Emblem entweder der emittierenden Stadt oder der verantwortlichen Beamten. Was immer die Einflüsse gewesen sein mögen, die sich später geltend machten, die Prägungen waren anfänglich nichts weiter als Signete.

Barclay V. Head vertritt einen ähnlichen Standpunkt bezüglich des Ursprungs des Geldes:

Wir können deshalb mit Sicherheit annehmen, daß die ... Prägung, welche von der Behörde auf das Metall gepreßt wurde, nichts weiter war als das Siegel oder die Bürgschaft der Emittenten, die feierliche Bekräftigung seitens eines Individuums oder eines Staates, daß die Münze das richtige Gewicht besaß und aus unverfälschtem Metall bestand ...

Die Sitte, ein Siegel auf den Besitz zu setzen, um auf diese Weise den Gegenstand zu schützen und seinen Wert zu garantieren, bestand bereits lange vor der Prägung von Geldmünzen; die oben erwähnte Theorie stützt sich also darauf, daß die Münzprägung von diesem Gebrauch stamme. Herodot meint, das erste Geld sei im Lydien des siebten Jahrhunderts v.Chr. geprägt worden. Derselbe Autor berichtet jedoch, daß bei den Babyloniern jeder Mann ein eigenes Siegel hatte. Macdonald meint hierzu, wir hätten allen Grund zu glauben, daß dieser Brauch seit unvordenklichen Zeiten bestanden habe. Zweifellos kannten ihn die Lydier und andere Völker Kleinasiens bereits im achten Jahrhundert v.Chr. Aus den Gesetzen Solons ersehen wir, daß der Gebrauch des Siegels zu einem späteren Zeitpunkt im Handel Athens eine wichtige Rolle spielte. Die großen, aus Griechenland exportierten Tonkrüge waren von vorgeschriebenem Ausmaß; Siegel gewährleisteten ihr Fassungsvermögen.

Der aus dem neunzehnten Jahrhundert stammende Numismatiker Burgon schreibt:

Da der Akt der Prägung mit einem Siegel oder Petschaft von alters her als Symbol eines feierlichen Vertrages galt, und ferner geprägte Siegel oder Petschafte zweifelsohne lange vor der Erfindung der Geldprägung ganz allgemein in Gebrauch waren, ist es höchst wahrscheinlich, daß die ursprüngliche Idee, einen Stempel auf die ungemünzten Gold- oder Silberklumpen zu drücken, mit großer Sicherheit von dem allgemeinen Brauch abstammte, Wachs mit einem Siegel zu versehen. Die frühesten Münzen waren nichts weiter als mit einem Siegel versehene Metallstücke ...

Newberry meint, der Ursprung des Siegels gehe wahrscheinlich zurück bis auf die eigentliche Einrichtung des Rechts auf Privateigentum. In allen Ländern der Antike wurde der Petschaft als Unterschrift verwendet:

Zweifellos besaßen in allerfrühester Zeit nur die allermächtigsten Persönlichkeiten Siegel, aber mit der Entwicklung der Zivilisation haben nach und riadi die Verwaltungsbeamten neben ihren eigenen, privaten Siegeln auch öffentliche Siegel zu Regierungszwecken benutzt. So kam es, daß das Siegel als Zeichen der Macht und der Autorität einer Behörde allmählich auch zu deren Symbol wurde; die Verleihung eines offiziellen oder Staatssiegels an eine Person verlieh ihr deshalb die Autorität, Rechte und Pflichten des Siegelbewahrers Amtes auszuüben.

In der Antike wurden zwei Siegeltypen verwandt: der Skarabäus und der Siegelzylinder; der letzte hatte sich aus dem primitiven Lochkügelchen entwickelt. Wahrscheinlich stellt der Siegelring eine spätere Entwicklungsform des Skarabäus oder Siegelzylinders dar. Jedenfalls besaßen beide Arten von Siegel magische Bedeutungen als Talismane und Amulette. Unser Interesse gilt dem ägyptischen Skarabäus, der zweifellos mit Analkonzeptionen zusammengebracht werden muß. Im Alten Ägypten wurde der Skarabäuskäfer, der sogenannte Pillendreher, als glücksbringend betrachtet. Nachbildungen des Käfers wurden von den Fellachen als Amulett um den Hals getragen und als Petschaft verwendet. In der Tat hat man in all den Mittelmeergebieten, in denen Handelsbeziehungen mit Agypten bestanden, Skarabäen gefunden:

Archäologen finden häufig in Ländern, welche an die Küste des Mittelmeers angrenzen, Nachbildungen von Skarabäen und Kotkäfern, in deren Körper man ägyptische, chaldäische, assyrische oder persische Ornamente eingraviert hat. Anscheinend wurden sie als Petschafte benutzt, denn sie enthielten kurze Inschriften in phönizischer, aramäischer oder hebräischer Sprache und führten den Namen des Siegelbesitzers.

Der Mistkäfer wird seit prähistorischen Zeiten verehrt. Nachbildungen, die man in prähistorischen Gräbern Ägyptens gefunden hat, wurden als Amulette verwandt; die früheste Form eines ägyptischen Siegels war ein Skarabäus.

Als nächstes müssen wir fragen, warum denn gerade der Skarabäus verehrt wurde, warum man ihm magische Kräfte zuschrieb. Petrie meint, die Behauptungen des alten Schriftstellers Horapollo enthielten viel Aufklärendes über die religiöse Bedeutung des Skarabäus im Alten Ägypten:

Um ein Einzelkind, ein Menschenalter, einen Vater, die Welt, einen Mann zu bezeichnen, stellen sie einen Skarabäus dar. Damit beschreiben sie das Einmalige: den eingeborenen Sohn. Denn der Skarabäus ist eine aus eigener Kraft entstandene Kreatur, von keinem Weibchen empfangen. Seine Fortpflanzung ist einzigartig und geht wie folgt vor sich: Wenn das Männchen sich vermehren will, nimmt es den Dung eines Ochsen und dreht aus ihm eine Kugel, rund wie die Welt. Dann rollt er sie weg von sich ... und nachdem er ein Loch gegraben hat, legt er die Kugel hinein und läßt sie dort 28 Tage lang ruhen ... Indem sie derart unter dem Monde verbleibt, bezieht die Familie der Skarabäen ihr Leben ...

Ein ähnliches Urteil über die religiöse Bedeutung des Mistkäfers im Alten Ägypten fällte Plutarch. Percy E. Newberry schreibt, daß der scarabaeus sacer ein bemerkenswerter Käfer sei, denn

er hat die Gewohnheit, Kügelchen aus kotartiger Materie zusammenzurollen, in welche das Weibchen seine Eier legt. Die Dungkugeln werden sodann von dem Insekt im Sande herumgedreht, bis sie mit einer dichten Staubschicht überzogen sind, wobei sie häufig so groß werden wie das Insekt selbst. Die Ägypter, bekannt wegen ihres scharfen Auges für Naturvorgänge, haben diese bemerkenswerte Gewohnheit bereits sehr früh erkannt.

So glaubten also die Alten Ägypter, der von Millionen Menschen als Amulett getragene Pillendreher sei aus Exkrement entstanden. Und weil der Skarabäus in seiner späteren Verwendung als Siegel eine bedeutsame Rolle in der Entwicklung des Münzsystems spielt, können wir das Geld auf seinen Ursprung in den analerotischen Vorstellungen der Vorzeit zurückführen.

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Morris Ginsberg: Besitz und Besitzgier – Eine soziologische Deutung

Drei der von der Dr. Suttie aufgeworfenen Fragen möchte ich zur Diskussion stellen:

I        den Wunsch nach Besitz;
II       den Anteil des Machtstrebens, des Wunsches nach Auszeichnung,
          und des Strebens nach Anerkennung;
III     das Problem des Leistungsansporns.

I

Ich teile Dr. Sutties Zweifel an der instinktmäßigen Natur des Besitzwunsches, aber es mag sich lohnen, das Beweismaterial, auf dem diese These ruht, einmal kurz zu rekapitulieren. Sie tritt uns in vier Formen entgegen: in den Hamsterbräuchen gewisser Tiere, der Verteidigung des Reviers, der kindlichen Sammellust, und vergleichbarer Sammelwut bei Erwachsenen, die so hartnäckig ist, daß manche sie als instinktiv bezeichnet haben.

Es ist nicht leicht, den Wert der auf diesen Beobachtungen ruhenden Theorien zu beurteilen. Bei gewissen Tieren bilden Erwerbsreaktionen, einerlei ob aggressiv oder defensiv, Teil einer mit der Befriedigung anderer Instinkte, wie Nahrungssuche, Geschlechtstrieb und elterliche Tendenzen verbundenen Handlungskette. So ist zum Beispiel das von Vögeln praktizierte Abstecken bestimmter Reviere eine metaphorische Art und Weise, die Tendenz der Männchen zu beschreiben, die sich während der Paarungszeit von dem restlichen Flug isolieren und sich auf eine ganz bestimmte Region beschränken wollen, wo sie auf die Weibchen warten und das Eindringen anderer Männchen abwehren können. Es gibt indessen Fälle, in denen Tiere Gegenstände sammeln, die keinen offensichtlichen "Nutzen" im Zusammenhang mit Nahrung, Geschlechtstrieb oder Elternschaft haben. Denken wir an die Dohle, die Elster und die Krähe, die glänzende Gegenstände sammeln wie glitzernde Steine, Glasscherben und ähnliches, und wir können nicht beurteilen, weshalb diese Dinge sie anziehen, es sei denn, sie befriedigen eine Appetenz nach sensoriellem Reiz.

Aber dies genügt nicht, um daraus einen allgemeinen Erwerbstrieb abzuleiten. Wir könnten höchstens zugeben, daß im Zusammenhang mit Nahrung, Geschlecht, Elternschaft, Neugier und Konstruktivität manche Tiere einen spezialisierten und aushilfsweise verwendeten Erwerbstrieb besitzen. In den meisten Fällen werden Gegenstände nicht etwa "wertvoll", weil sie den Erwerbstrieb als solchen befriedigen, sondern weil sie mit Gefühlen und Impulsen belastet sind, die im Laufe der Betätigung anderer Instinkte entstanden sind. Die Gegenstände erhalten Bedeutung und Interesse, indem sie mit einer Kette von Begebenheiten verbunden sind, die in Befriedigung gipfeln. Die Impulsgefühle werden mit den Gegenständen integriert und prompt von ihnen geweckt. Diese Erklärung sollte jedoch von älteren Assoziationstheorien unterschieden werden, die William James in seiner Abhandlung darüber mit Recht zurückweist. Es geht nicht darum, daß der Gedanke an Annehmlichkeit oder Befriedigung sich mit dem Besitz von Gegenständen verbindet, sondern die Empfindungen und Reaktionen werden sozusagen mit den Gegenständen integriert und machen sie auf diese Weise begehrenswert.

Beim Menschen bestehen nur sehr geringe Anzeichen für einen instinktgeprägten Erwerbstrieb. So gibt es bei den dem Menschen am nächsten stehenden Anthropoiden keinen Sammelinstinkt. Kindlichen Sammelgewohnheiten ist große Bedeutung gegeben worden. So meint zum Beispiel Professor Burt, eine Umfrage bei einer Anzahl Londoner Grundschulen hätte gezeigt, daß nur wenige Jungen vom 13. bis zum 19. Lebensjahr ohne irgendwelche Arten von Sammlungen "in der Regel ohne jegliche Nebenabsichten" auskommen. In einer älteren, von C. F. Burk gemachten Studie, auf die er sich beruft, wird von einer außerordentlich weiten Verbreitung dieser Gewohnheit unter den Schulkindern Kaliforniens gesprochen, wo nur etwa 10 Prozent der Jungen und 9 Prozent der Mädchen davon frei sind. Burk hat festgestellt, daß die Tendenz zwischen dem achten und elften Lebensjahr am stärksten ist und im zehnten ihren Höhepunkt erreicht; daraus folgert er die Existenz eines Sammelinstinkts. Eine spätere Untersuchung von Lehman & Witty zeigt jedoch die große Variabilität dieser Tendenz. Sie begegneten der Gewohnheit in nur 10 Prozent der Kinder, und in keiner Altersstufe hatte der Prozentsatz fünfzehn überschritten. Wenn es überhaupt eine angeborene Neigung zum Sammeln gibt, haben Gegenkräfte sie neutralisiert, oder sie hat andere Ausdrucksformen angenommen. In bezug auf kleinere Kinder behauptet Watson, daß sie sich eher wie Affen verhalten: sie strecken die Hand aus, ergreifen und manipulieren alles, lassen aber prompt das eine für das andere fallen. In der Regel ist es schwer, sie dazu zu bewegen, Dinge wieder zurück in den Hort zu tun. Sie werden zornig, wenn ein Gegenstand, der bereits Wert erhalten hat, wieder weggenommen wird. Solcher Zorn kann leicht das Interesse an dem Gegenstand verstärken und bei dem Kind selbstbehauptende Neigungen erwecken, wenn Verlust oder Beseitigung drohen. Auch können Gegenstände wertvoll werden, wenn andere Kinder sie bereits besitzen oder begehren. Wie Frau Dr. Isaacs erschöpfend gezeigt hat, kann ein Ding, das dem Kind bislang nichts bedeutet hat, auf einmal von größter Wichtigkeit werden, falls eine andere Person sich dafür interessiert. Dabei sollten wir nicht vergessen, daß in Romanes’ Bericht dieser Eigentumszug bereits im Verhalten der Affen zu erkennen ist.

Wenn er etwas ergreift, das uns anscheinend gleichgültig ist, wird er es bald wieder fallen lassen; handelt es sich jedoch um einen Gegenstand von Wert – sei es auch nur ein Stück Papier –, an dem uns etwas liegt, wird nichts ihn dazu bewegen, es loszulassen. Kein noch so verlockendes Futter wird ihn ablenken, und wenn man ihn schilt, wird er nur noch erzürnter. Er hält den Gegenstand fest, bis er ganz vernichtet ist.

Was stehlen anbetrifft, schreibt Professor Burt nur 1,6 Prozent seiner Fälle angeborener Gewinnsucht zu. Bei den übrigen sind hochkomplizierte Motive im Spiel, und wo die entwendeten Gegenstände keinen offenkundigen Wert besitzen, haben sie jedoch für den Betroffenen Symbolgehalt, der durchaus nicht mit Aneignungssucht als solcher zu tun haben mag. In ähnlichen Worten behandelt er die Kleptomanie und den pathologischen Geiz Erwachsener.

Wir können meines Erachtens folgern, daß Besitzgier als solche, vorausgesetzt, sie existiert überhaupt als ein spezifisch menschlicher Instinkt, in der Gestaltung der mit dem Eigentum verbundenen Einrichtungen und Verhaltensweisen eine relativ unbedeutende Rolle spielt. Das Eigentumsgefühl ist unzweifelhaft sehr komplex. Alle primären Bedürfnisse wie Sex, Ernährung, elterliche, gesellschaftliche, ästhetische und die das Erkenntnisvermögen betreffenden Interessen haben Teil an seinem Aufbau, der seinerseits durch Geltungsbedürfnis, Sich-selbst-zur-Schau-Stellen, Wettbewerb und Machtstreben qualifiziert und geschärft wird. All diese Bedürfnisse verflechten sich mit zahlreichen gefühlsbetonten Veranlagungen einschließlich der vorausdenkenden und retrospektiven Empfindungen wie Begehren, Hoffnung, Furcht, Besorgnis, Enttäuschung, Vertrauen und Sicherheit sowie der Freude am Erworbenen oder an der Überlegenheit.

Zuerst geht es um Gegenstände, die unmittelbar und nahe mit dem Ich verbunden sind; später verallgemeinern sie sich und werden zu einem Streben nach Reichtum im ökonomischen Sinne. Ein so verallgemeinertes Streben hängt natürlich von dem Wachsen der Einrichtung der Arbeitsteilung und dem System des Tauschwerts ab. Eine persönliche Verbindung gibt es kaum noch; Eigentum kann eine allgemeine Herrschaft über alle Arten von Waren und Dienstleistungen oder ein geldliches Pfandrecht auf weit entrückte, in Gemeinschaft mit anderen besessene Produktionsmittel bedeuten. Der Betroffene mag in keinerlei persönlicher Beziehung dazu stehen und auch kein tatsächliches Gefühl persönlicher Verantwortung empfinden. Erstaunlich ist, daß der Eigentumssinn, der durchaus verständlich ist in bezug auf Dinge, die als eine natürliche Erweiterung des Ichs betrachtet werden können, mit solcher Intensität gegenüber verallgemeinerten Kräften empfunden wird, die so offensichtlich sozial bedingt sind und für die der einzelne nur den allergeringsten Beitrag leisten kann. Solch eine Affektverschiebung kann nur aufgrund von Glaubens- und Wertsystemen ermöglicht werden, die nicht nur Eigentum als solches, sondern das gesamte Sozialgefüge betreffen; wenn wir sie interpretieren wollten, müßten wir alle Kräfte analysieren, die bei der Entwicklung von Gesellschaftsschichten und der Verteilung gesellschaftlicher Macht und sozialen Prestiges am Werk sind. Es ist dieser äußerst komplexe Charakter der Einstellung gegenüber dem Eigentum, der für seine große Vielfalt in verschiedenen Kulturstadien und (im selben Stadium) in verschiedenen Teilen der Gemeinschaft verantwortlich ist. Während der letzten Generationen hat die Einrichtung des Eigentums eine derart rapide Transformation erlebt, daß unser Versagen bei der Interpretierung der ihr innewohnenden Widersprüche und Verwirrungen vielleicht nicht völlig unentschuldbar ist, selbst wenn wir uns dabei nicht auf die Psychologie des Unbewußten berufen.

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