Auszüge aus Günter Ogger's
"Nieten in Nadelstreifen"

Deutschlands Manager im Zwielicht

Sie sind tüchtig, alle Welt weiß es. Sie kommandieren die drittgrößte Volkswirtschaft der Erde und beherrschen die internationalen Märkte. Sie bescherten uns einen Wohlstand, wie wir ihn nie zuvor in unserer Geschichte kannten. Sie besiegten den Kommunismus und arbeiten im deutschen Osten hart am Wirtschaftswunder, zweiter Teil. So sehen sie sich am liebsten, die deutschen Manager. Selbstzweifel sind in ihrer Ausbildung nicht vorgesehen, und öffentliche Kritik ist selten. Warum auch, steht doch alles zum Besten mit unserer Wirtschaft, oder? Verglichen mit den Zuständen in der Politik oder in der öffentlichen Verwaltung, ist die deutsche Privatwirtschaft zweifellos in recht guter Verfassung. Ob das aber ein Verdienst der Manager ist, darf bezweifelt werden. Denn gerade da, wo die angestellten Bosse das Sagen haben, zeigen sich seit ein paar Jahren erschreckende Schwächen: in der Großindustrie und in der Finanzwirtschaft. Die totale Herrschaft, die eine zahlenmäßig kleine Gruppe von Topmanagern seit dem Rückzug der großen Unternehmerfamilien über den wichtigsten Bereich der deutschen Wirtschaft angetreten hat, führte zu einer Reihe gravierender Fehlentwicklungen, deren Folgen erst jetzt allmählich sichtbar werden:

zurück zur Seite über Marktwirtschaft

Die Wettbewerbsfähigkeit läßt nach

Die deutsche Sonderkonjunktur, hervorgerufen durch den Zuwachs der neuen Bundesländer, überdeckte bisher die nachlassende Leistungsfähigkeit der Industrie. Der katastrophale Einbruch der Autoexporte in die USA, schrumpfende Gewinne bei vielen Publikumsgesellschaften, abstürzende Aktienkurse und ein drastischer Personalabbau selbst bei Renommierfirmen wie Mercedes-Benz, AEG, VW oder Lufthansa künden von der Krise der Konzerne.

Nach Untersuchungen führender Unternehmensberater sind in der deutschen Industrie zwei bis drei Millionen Arbeitsplätze gefährdet. Allein die Automobilbauer und ihre Zulieferer wollen ab 1992 rund 100.000 Stellen streichen, im Maschinenbau sind es etwa 150.000, in der Elektrobranche 120.000. Daimler-Benz plant bereits den Abbau seiner Belegschaft um 20.000, VW um 25.000, Opel um 11.000 und BMW um 3.000 Mitarbeiter.

Die Hektik, mit der in der Automobilindustrie, bei den Kfz-Zulieferern und im Maschinenbau jetzt japanische Produktionsmethoden kopiert werden – die Stichworte heißen "lean production" und "lean management" –, ist in Wahrheit eine späte Bankrotterklärung des industriellen Managements. Die Herren der deutschen Wirtschaft haben die Entwicklung schlicht verschlafen. Erst eine Studie des amerikanischen Massachusetts Institute of Technology (MIT) brachte an den Tag, was zumindest die Bosse der deutschen Automobilhersteller längst hätten wissen müssen: Die japanischen Konkurrenten – und mittlerweile auch einige US-Werke – haben einen Kosten- und Produktivitäts-Vorsprung von rund 35 Prozent. Und das nicht, weil sie geringere Löhne zahlen oder benötigte Materialien billiger einkaufen, sondern weil sie ihre Fabriken intelligenter organisiert haben. Die Manager, und nicht die Arbeiter, sind in Japan einfach besser.

Anstatt ihre Betriebe auf größtmögliche Effizienz zu trimmen, haben die Herren der deutschen Wirtschaft während der vergangenen Jahre in einer Art kollektiven Größenwahns das Falsche getan: Mit dem Geld ihrer entmündigten Aktionäre kauften sie Umsätze hinzu, um immer mächtiger und unangreifbarer zu werden. Doch die euphemistisch als "Diversifikation" ausgegebene Shopping-Tour der Bosse endete in den meisten Fällen recht kläglich: mit Riesenverlusten, zerstörten Unternehmenskulturen, unzufriedenen Mitarbeitern. Weder die Aktionäre und Gesellschafter noch die Belegschaften und Kunden der Konzerne hatten Vorteile von der Übernahme fremder Firmen. Die kam allein den Managern zugute, in Form vieler neuer Posten, höherer Gehälter und einem kolossalen Zuwachs an Macht und Einfluß. Edzard Reuter schaffte den Sprung an die Daimler-Spitze, indem er seinen Aufsichtsräten einredete, Deutschlands erfolgreichster Autobauer müsse sich in einen "integrierten Technologiekonzern" verwandeln. Also plünderte er die pralle Firmenkasse, um nacheinander die AEG, Dornier und MBB zu kaufen. Mit dem Ergebnis, daß die Daimler-Gewinne abstürzten, der Betriebsfrieden dahin war, der Konzern mehrfach umorganisiert werden mußte. Sieben Jahre nach Reuters Machtergreifung hat sich das einstige Musterunternehmen noch immer nicht erholt: Nach wie vor schreibt die AEG rote Zahlen, und bei der Dasa (Deutsche Aerospace) drohen nach dem Absturz des "Jägers 90" und der Kürzung des Bonner Raumfahrtetats sogar Massenentlassungen. Nicht viel besser erging es dem obersten Mann von Mannesmann. Werner H. Dieter, ein autokratischer und machtbesessener Manager, liftete mit teuren Zukäufen (unter anderem Fichtel & Sachs, Boge, VDO) zwar den Umsatz des einstigen Röhrenkonzerns auf zuletzt beachtliche 24 Milliarden Mark hoch, doch der Gewinn halbierte sich. Sein Vorstoß in die Branche der Autozulieferer erfolgte just in dem Moment, da hier heftige Preiskämpfe die Margen wegbrechen ließen. Und auch der Aufbau eines Mobilfunknetzes (D2) erwies sich bisher lediglich als höchst kostspieliges Abenteuer mit ungewisser Zukunft.

Daneben gegriffen haben auch die VW-Manager mit dem Ankauf der maroden Büromaschinenfabrik Triumph-Adler und die Kollegen von BMW mit dem Erwerb der Elektronikfirma Kontron. Genützt haben solche Fehlentscheidungen bisher nur den Managern. Obwohl sie mit keiner Mark haften und ausschließlich fremder Leute Geld verwalten, führen sich die leitenden Angestellten in der deutschen Großwirtschaft auf wie Könige von Gottes Gnaden. Ihr erstes und wichtigstes Bestreben ist es, ihre Macht zu mehren und abzusichern. Deshalb verhindern sie, im Verein mit den Kollegen von den Großbanken und Versicherungen, jeden ernsthaften Wettbewerb. Wann immer ein Außenstehendcr – gleich, ob es sich um einen dynamischen Selfmadeunternehmer oder einen ausländischen Konzern handelte – nennenswerte Anteile an einem Unternehmen der "Deutschland AG" erwerben wollte, schlossen sich die Abwehrreihen des Managements. Kein Trick war ihnen zu abgefeimt, kein Manöver zu windig, wenn es galt, die vom Gesetz gewollte Freizügigkeit im internationalen Kapitalverkehr zu unterlaufen. Der Chef der Aachener und Münchener Versicherungsgruppe, Wolf-Dieter Baumgartel, verhinderte mit juristischen Finessen und fragwürdigen Kapitalmanövern bis zuletzt, daß ein Vertreter des französischen Großaktionärs AGF in seinen Aufsichtsrat einzog, und die um ihren Job bangenden Vorstände des Hannoveraner Reifenherstellers Conti blockierten die Fusion mit dem italienischen Rivalen Pirelli, obwohl der Zusammenschluß für beide Firmen Vorteile gebracht hätte. So gelang den bis in die Vorstandsetagen aufgestiegenen Bossen, praktisch alle wichtigen Posten in der deutschen Großwirtschaft unter sich aufzuteilen. Das garantierte ein bequemes Leben, denn unter Kollegen tut man sich nicht weh. Eine verhängnisvolle Rolle spielen die Bankiers und Versicherungsmogule. Mit der unermeßlichen Kapitalkraft ihrer Konzerne stützen sie das Regime der Industriemanager, die sich im Gegenzug mit Wohlverhalten bedanken.

Das Kartell der Großmanager sorgte dafür, daß die Gewichte schön ungleichmäßig verteilt wurden, nach dem Motto: die Guten ins Kröpfchen, die Schlechten ins Töpfchen. Das Kröpfchen gehörte selbstverständlich ihnen, aus dem Töpfchen hatten sich die Belegschaften, die Kunden und die Aktionäre zu bedienen. Im Kröpfchen sammelten sich Millionengehälter, fette Tantiemen, Dienstvillen, üppige Spesenkonten und Alterspensionen an, im Töpfchen verblieben magere Dividenden, stagnierende Aktienkurse, ein mieses Betriebsklima, ständig steigende Preise. Ausgehungert wurden vor allem die Aktionäre. Etwa dreieinhalb Millionen deutsche Haushalte halten Anteilsscheine an Industrieunternehmen, Banken und Versicherungen. Zu sagen haben sie freilich nichts, denn über die Hälfte des Kapitals aller an der Börse notierten Aktiengesellschaften befindet sich in den Händen von Unternehmen. Und die werden regiert von Managern. Die Hauptversammlungen fast aller großen Publikumsgesellschaften sind deshalb nicht mehr als reine Show-Veranstaltungen. Sie sollen eine Aktionärsdemokratie vorgaukeln, wo in Wahrheit die Oligarchie [Herrschaft einer kleinen Gruppe] der Manager herrscht. Den Firmen ist das ebensowenig bekommen wie unserer Volkswirtschaft. Im internationalen Vergleich konnten die deutschen Konzerne dank der Zukaufpolitik ihrer Chefs nur beim Wachstum der Umsätze einigermaßen mithalten. Bei den Gewinnen jedoch, der eigentlichen Qualität jedes Unternehmens, fielen die deutschen Companies selbst gegenüber ihren europäischen Konkurrenten weit zurück.

Die Zukunft wird verspielt

Die ganz auf Bequemlichkeit und Machterhalt ausgerichtete Politik des Industrie-Establishments ist dabei, die Zukunft unserer Volkswirtschaft zu verspielen. Deutschlands Manager haben bewiesen, daß sie, im Gegensatz zu den Japanern, unfähig sind, gemeinsam strategische Ziele anzusteuern. Fast ohne Gegenwehr überließen sie ausländischen Konkurrenten Schlüsseltechnologien wie die Mikroelektronik oder die Gentechnik. Ebenso vernachlässigten sie die wachstumsstärksten Märkte der Zukunft rund um den Pazifischen Ozean.

Für eine Nation, deren Wohlstand größtenteils auf der Nutzung der jeweils modernsten Technik beruht, ist der Rückfall deutscher Firmen in der Mikroelektronik und der verwandten Gebiete ein Desaster von verheerendem Ausmaß. Dabei handelt es sich eigentlich nicht um eine Technologielücke, sondern um ein Managementproblem.
Denn in der Forschung und Entwicklung sind die deutschen Physiker und Ingenieure durchaus auf der Höhe der Zeit. Erst wenn es um die Umsetzung ihrer Arbeiten in marktfähige, kostengünstige Produkte geht, geraten die Firmen gegenüber den schnelleren Konkurrenten aus Fernost in einen hoffnungslosen Rückstand. Das ist deshalb so fatal, weil die gesamte verarbeitende Industrie immer stärker von elektronischen Bauteilen abhängig wird.

Japans Konzerne haben dies schon vor Jahren erkannt und mittlerweile einen fast uneinholbaren Know-How-Vorsprung in der Herstellung der Mikrospeicherchips erkämpft. Selbst ein Weltkonzern wie Siemens, obwohl von Bonn mit Hunderten von Millionen Mark gefördert, blieb bisher nur zweiter Sieger. Europäische Projekte wie "Jessi" oder "Eureka" scheiterten am Prestigedenken der Manager, die keinem Rivalen einen Erfolg gönnen.

Erfolglos blieben die Deutschen bisher auch in der Gentechnik, die in Zukunft eine ähnlich branchenübergreifende Bedeutung erlangen könnte wie die Mikroelektronik. Die vordergründige Diskussion um die ethische Rechtfertigung bestimmter Forschungslinien oder einschlägige Umweltschutzmaßnahmen verdeckten nur die Tatsache, daß es die Manager der Chemie- und Pharmaunternehmen nicht fertigbringen, die Öffentlichkeit vom Nutzen dieser Technologie zu überzeugen.

Die biederen Verwalter der deutschen Konzerne machen ihr Geschäft lieber mit Produkten, deren Basiserfindungen noch aus dem 19. Jahrhundert stammen: mit Stahl, Maschinen, Autos, Düngemitteln und Starkstromanlagen. Bei den High-Tech-Erzeugnissen des späten 20. Jahrhunderts hingegen haben sie nichts mehr zu melden: Die Computer, Kopierer, Telefaxgeräte, Video- und Camcorder der Gegenwart kommen fast ausnahmslos aus fernöstlichen Fabriken. Und dort, zwischen Taiwan, Singapur, Hongkong, Korea und Japan, entstehen auch die dynamischsten Märkte der Zukunft. Aber weil unsere Herren Manager zu bequem sind, die Landessprachen zu erlernen und die Unbilden eines Umzugs auf sich zu nehmen, überlassen sie ihren Konkurrenten aus den USA und Japan kampflos das Feld.

Der soziale Frieden ist gestört

Beängstigender noch als die nachlassende Konkurrenzfähigkeit ist jedoch die innere Verfassung unserer Wirtschaft. Galt Deutschland einst als sozialpolitischer Musterfall innerhalb der Weltwirtschaft, so machen sich in den letzten Jahren immer stärkere Spannungen in den Betrieben bemerkbar. Bei den Belegschaften wächst der Unmut über "die da oben", wenn die Manager Sparappelle verkünden und mit Entlassungen drohen, während sie sich selbst immer höhere Gehälter, Tantiemen und Pensionen bewilligen. Die Bezüge der Topmanager nahmen in den letzten Jahren etwa doppelt so schnell zu wie die Tariflöhne. Vorstandsgehälter von einer Million Mark und mehr im Jahr sind bei den großen Konzernen längst die Regel, und ungeniert langen viele Bosse auch dann noch kräftig zu, wenn die Gewinne ihrer Unternehmen wegbrechen. 1991 genehmigten sich zum Beispiel Hayo Schmiedeknecht und seine Kollegen von der Deutschen Babcock AG 7,3 Prozent mehr, obwohl der Oberhausener Anlagenbauer in die roten Zahlen schlitterte. Auch die Vorstände von Thyssen, VEBA, VW, RWE, Commerzbank und vieler anderer Konzerne bedachten sich trotz magerer Ergebnisse mit üppigen Zulagen. Altkanzler Helmut Schmidt brachte die Stimmung in den Betrieben auf den Punkt, als er forderte, daß "in den nächsten fünf Jahren keine Aufsichtsratstantiemen, Vorstandsgehälter und Vorstandstantiemen erhöht werden sollten". Denn die, postulierte Schmidt, "sind in Deutschland schon eh viel zu hoch".
Die Unzufriedenheit der Mitarbeiter äußert sich in stillschweigender Obstruktion [Widerstand, Verhinderung, Verschleppung], in immer längeren Fehlzeiten, in "blauen" Montagen und in schlampiger, weil gedankenlos ausgeführter Arbeit. Rund 35 Milliarden Mark, so hat das Institut der deutschen Wirtschaft ausgerechnet, gehen den Betrieben jährlich dadurch verloren.

Die Verantwortung für das abgekühlte Sozialklima trägt in erster Linie das Management. Denn die zur Führung von Menschen häufig ungeeigneten Führungskräfte der Wirtschaft haben es bis heute nicht verstanden, in ihren Betrieben jene Harmonie zwischen "unten" und "oben" zu erzeugen, die ihre japanischen Konkurrenten so erfolgreich macht. Noch immer gibt es in der deutschen Industrie, allen Parolen von "kooperativer Führung" zum Trotz, eine Zweiklassengesellschaft aus "Schlipsträgern" und "Blaumännern". Die einen befehlen, die anderen haben zu gehorchen. Ängstlich grenzen sich die "leitenden" Angestellten gegenüber den geleiteten ab, durch lächerliche Statussymbole betonen sie die Rangunterschiede innerhalb der betrieblichen Machthierarchie. Doch der Klassenkampf von oben ist, auch wenn das noch längst nicht alle Manager gemerkt haben, endgültig vorbei. Im gnadenlosen Wettbewerb um die Weltmärkte können es sich die Herren der Wirtschaft nicht mehr leisten, ihre Mitarbeiter in die "innere Emigration" zu entlassen. Nur wenn es ihnen gelingt, deren kreatives Potential auszuschöpfen – es dürfte in Deutschland größer sein als irgendwo anders –, finden die Betriebe wieder Anschluß an das Niveau ihrer Konkurrenten aus Fernost. Dazu aber müssen die Manager kompetenter, offener und glaubwürdiger werden.

Das Sündenregister wird länger

Die blassen, karrieresüchtigen Typen, die heutzutage die Chefetagen bevölkern, haben schon zuviel Kredit verspielt. Angesichts der skrupellosen Art, in der sich manche von ihnen auf Kosten ihrer Firmen bereicherten, der zahllosen Fälle von Managerkriminalität, der illegalen Waffengeschäfte mit Massenmördern vom Schlage eines Saddam Hussein, der Giftgas- und Raketenlieferungen, der bedenkenlosen Umweltzerstörungen, traut ihnen keiner mehr so recht über den Weg. Auch mit ihrer beruflichen Qualifikation ist es offensichtlich nicht weit her. Zahllose Fälle von Mißmanagement ließen in den letzten Jahren starke Zweifel an den Fähigkeiten unserer Wirtschaftselite aufkommen. Von A wie AEG bis Z wie ZF reicht die Liste der Unternehmen, die von ihren Managern in die Bredouille gebracht wurden.

Weil die dumpfen Herren der Wirtschaft mit ihrem Latein schnell am Ende sind, wenn die Probleme unübersichtlich werden, blüht das Beraterunwesen. Nirgendwo sonst auf der Welt verdienen so viele aushäusige "Medizinmänner" so viel Geld mit guten Ratschlägen wie in Deutschland.

Beraterfirmen wie McKinsey, Roland Berger oder Boston Consulting müssen richten, was die Herren Manager verbockt haben. Sie krempeln ganze Konzerne um, entwickeln Marktstrategien und sorgen für die Schließung unrentabler Betriebsteile – alles Hausaufgaben des Managements. Selbst so einfache Aufgaben wie die Suche nach neuem Personal, die Organisation der EDV oder die steuerrechtliche Optimierung der Bilanz überlassen die überforderten Führungskräfte den freien Beratern. Bereitwillig zahlen die hochdotierten Bosse dafür opulente Honorare – auf Kosten der Eigentümer, Mitarbeiter und Kunden. Damit keine Langeweile aufkommt, vergnügen sie sich derweil auf allerlei Seminaren, Kongressen und anderen fröhlichen Veranstaltungen, die selbstverständlich stets der "Fortbildung" dienen. Wenn schon nicht auf dem Golfplatz, suchen sie Entspannung beim Überlebenstraining mit dem früheren Zehnkampfweltrekordler Kurt Bendlin oder bei den Karatekursen des Arnold Gehlen. Stille Naturen bevorzugen die Einkehr im Kloster unter Aufsicht des Jesuitenpaters Rupert Lay, gehemmte Redner sprechen sich frei in den Rhetorikkursen des Heinz Goldmann. Nichts ist den bildungssüchtigen Managern zu teuer – wenn es die Firma bezahlt.

Eine mächtige Million

Wie groß die Kaste der Manager in Deutschland ist, läßt sich nicht so ganz genau bestimmen. Das Statistische Bundesamt zählte zuletzt 1,7 Millionen Menschen, die "leitende Tätigkeiten" (wie disponieren, koordinieren, organisieren, führen) ausüben. Alle diese kleinen und großen "Chefs" als Manager zu bezeichnen, wäre vielleicht etwas übertrieben. Interessant aber ist in diesem Zusammenhang, daß sich die "leitenden" Deutschen in den letzten zehn Jahren etwa zehnmal so schnell vermehrten wie die arbeitende Bevölkerung insgesamt. Es gibt also tatsächlich immer mehr "Häuptlinge" – derzeit sind es 6,1 Prozent – und immer weniger "Indianer" unter den werktätigen Germanen.

Die "Leseranalyse Führungskräfte 91" der deutschen Zeitschriftenverlage setzte die Meßlatte ein wenig höher an und ermittelte insgesamt nur 1,164 Millionen "Entscheider" in der deutschen Wirtschaft, nämlich:

198.000    Selbständige mit Betrieben ab fünf Beschäftigten

215.000    Freiberufler mit mindestens einem Beschäftigten;

543.000    leitende Angestellte ab der Ebene Sachgebietsleiter/Referent mit einem monatlichen Nettoeinkommen von mindestens 4.000 Mark

208.000    Beamte ab Besoldungsgruppe A 14.

Die Kerngruppe der eigentlichen "Manager" aber rekrutiert sich aus jenen 1,5 Prozent Arbeitnehmern, die als Direktoren, Amts- oder Betriebsleiter, als Geschäftsführer oder Vorstandsmitglieder fungieren. Es sind demnach etwa 370.000 Personen. Die Macht ist in dieser Gruppe freilich sehr unterschiedlich verteilt. Die meisten "Chefs" haben nämlich sehr viel weniger zu sagen, als ihre Untergebenen vermuten. Sie sind in ihren Entscheidungen nicht frei, sondern an "Weisungen" von Gesellschaftern, Aktionären oder Konzernmüttern gebunden. Dennoch zeigen sich bereits in dieser relativ großen Gruppe jene typischen Verhaltensweisen, die zu diesem Buch anregten.

Gestützt auf die unbezweifelbaren früheren Erfolge der deutschen Wirtschaft – die eine Unternehmerwirtschaft war –, hat die Kaste der Manager in den letzten Jahren eine Machtvollkommenheit erlangt, die der Nachlässigkeit ebenso Vorschub leistete wie der Arroganz.

Die Akkumulation des Kapitals an den von Managern beherrschten Sammelstellen der Banken und Versicherungen hat diese Entwicklung ebenso begünstigt wie die von den Gewerkschaften erkämpfte Mitbestimmung. Denn auch die Arbeitnehmerorganisationen werden von Managern geleitet. In den Aufsichtsräten sitzt sich deshalb jetzt überall der gleiche Typus gegenüber, egal ob er aus einer Bank stammt, aus einem Industriebetrieb oder aus der IG Metall.

Dieser Typ ist fast immer männlich, Akademiker, zwischen 40 und 65 Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder, ehrgeizig, egoistisch und selten zu echter Teamarbeit fähig. Dies jedenfalls ergibt sich aus Untersuchungen von Personalberatern und Wirtschaftshochschulen.

Im deutschen Topmanagement haben Frauen nur einen Minianteil von 5,9 Prozent, im Mittelbau bringen sie es immerhin schon auf 7,8 Prozent. Über 80 Prozent der Firmenlenker haben studiert, und jeder zweite von ihnen arbeitet seit mehr als 20 Jahren in derselben Firma. Obwohl insbesondere die Konzernvorstände schon arg vergreist wirken – das Durchschnittsalter der Chefs der 50 größten deutschen Industrieunternehmen liegt bei 57 Jahren –, rühmen sich die Bosse allzugern ihrer sportlichen Fähigkeiten: 72,2 Prozent geben an, aktiv Sport zu treiben. Die meisten spielen Golf.

Die Machtergreifung der leitenden Angestellten fand in aller Stille statt. Trotz der vielen Wirtschaftsmagazine, die die Konzernlenker zu ihren Helden erkoren, trotz populärer TV-Serien wie "Dallas" und "Denver-Clan" blieben die Herren der deutschen Wirtschaft ziemlich unbekannte Wesen. Jeder TV-Moderator, Fußballprofi oder Schlagersänger steht dem Volke offenbar näher als die ungleich mächtigeren, aber öffentlichkeitsscheuen Konzernregenten.

Als die Meinungsforscher von Emnid 1990 rund 2000 deutsche Männer und Frauen fragten, welche Topmanager sie mit Namen kannten, wußten 60 Prozent keine Antwort. Derzeit bekanntester Manager ist laut einer Allensbach-Umfrage eine Frau: Birgit Breuel, Präsidentin der Treuhandanstalt. Bei den Konzernbossen rangiert Daimler-Chef Edzard Reuter mit einem Bekanntheitsgrad von 30,3 Prozent an der Spitze. Unbekanntester Spitzenmanager ist demnach Marcus Bierich, der Boß von Bosch. Während Markenartikler wie Henkel, Reemtsma, Binding und Oetker Milliarden Werbemark dafür ausgeben, ihre Produkte dem Volk nahezubringen, halten sich deren Chefs vornehm im Hintergrund. Diese Diskretion hat Methode: Aus der Anonymität heraus läßt es sich leichter agieren als im grellen Rampenlicht. Außerdem sind viele der Chefs einfach miserable Darsteller.

Selbst solche, die sich öffentliche Auftritte durchaus zutrauen, machen dabei oft eine klägliche Figur. Wenn etwa BMW-Lenker Eberhard von Kuenheim zu Fragen der Wirtschaftspolitik Stellung nimmt, schaudert es selbst seinen treuesten Anhängern.

Sogar ein interviewerprobter Verbandssprecher wie BDI-Präsident Heinrich Weiss geriet ins Zwielicht, als er Giftgas- und Rüstungslieferungen deutscher Firmen bestritt, obwohl er es eigentlich besser hätte wissen müssen. Offensichtlich fehlt vielen Spitzenmanagern jegliches Gespür für Gut und Böse, wenn ihre eigenen Interessen berührt werden.

Gefördert wird die "Betriebsblindheit" der Wirtschaftslenker durch ihre pflegliche Behandlung in den Medien und ihre eigene publizistische Macht. Sahen sich Deutschlands Ärzte einst als millionenschwere "Halbgötter in Weiß" diffamiert, standen die Beamten als "Schlafmützen der Nation" am Pranger der Medien und die Politiker als habgierige "Diätenschneider", so blieb den Managern ein vergleichbarer Ehrentitel bis heute versagt.

Die heile Welt der Führungskräfte ruht auf festen publizistischen Fundamenten. Sämtliche "meinungsbildenden" Medien, von der Frankfurter Allgemeinen bis hin zum Spiegel, haben die "Leitenden" im Visier. Nur wer von der Wirtschaftselite gelesen, gehört und gesehen wird, bekommt die Werbemillionen zugeschoben, die die Medienbranche zum bestverdienenden Zweig unserer Volkswirtschaft machten.

Und so pflegen sie alle das "Heldenimage" der Manager. Sieben Wirtschaftsmagazine berichten monatlich, eines gar wöchentlich aus den Chefetagen der deutschen Wirtschatt. Kaum ein Rundfunk- und Fernsehsender, der sich nicht mit regelmäßigen Börsen-, Geld- und Firmennachrichten ins Blickfeld der kaufkräftigen "Entscheider" rückt. Da ist stets "objektive Information" gefragt und keine Kritik.

Natürlich muß es, wo Helden walten, auch Verlierer geben. Doch das "Negative" ist stets der Einzelfall; nie wird die Kompetenz der Gruppe in Frage gestellt.
Großunternehmen wie Daimler, Siemens oder VW beschäftigen im eigenen Haus mehr Journalisten als die meisten Redaktionen. Und selbst mittelständische Unternehmen leisten sich heutzutage eigene Presseabteilungen oder beauftragen aushäusige Public-Relation-Agenturen mit der Pflege ihres Images.

Pausenlos spuckt diese gut geölte Propagandamaschinerie positive Informationen über Personen und Produkte aus, die ihren Niederschlag in sämtlichen gedruckten und elektronischen Medien finden, und selbstverständlich profitieren die Manager dieser Unternehmen stets auch persönlich von den günstigen Firmennachrichten, als deren Urheber sie erscheinen. So unterschiedlich diese "Nachrichten" auch sein mögen, eines haben sie gemeinsam: Sie sind selten kritisch. Und wenn, dann richtet sich die Kritik immer an andere; an die Politiker, wenn sie nicht genügend Subventionen herausrücken, an die Verbraucher. wenn sie "Zurückhaltung üben", an die preiswerte Konkurrenz aus dem Ausland, wenn sie eine "perfide Dumpingstrategie" verfolgt. So nimrnt es nicht wunder, wenn uns die Herren der deutschen Wirtschaft stets als hart arbeitende, durchweg erfolgreiche und moralisch über jeden Zweifel erhabene Figuren begegnen.

Die Macht der Manager

Als der amerikanische Nationalökonom John Kenneth Galbraith in seinem Buch über Moderne Industriegesellschaft schon zu Beginn der 60er Jahre vor der totalen Herrschaft der Manager warnte, nahm ihn niemand besonders ernst. Inzwischen ist es soweit. Überall in den modernen Volkswirtschaften hat sich das Regime der Manager etabliert, und diese haben die übrigen Mitspieler an den Entscheidungsprozessen, nämlich die Eigentümer und die Belegschaften, ins Abseits manövriert. Natürlich ist es nicht so, daß die angestellten Manager eine mafiaähnlich organisierte Kaste bildeten, die von irgendeinem Paten ferngelenkt würde. Im Gegenteil: Das Management in den modernen Industriegesellschaften gleicht eher einer "gemischten Raubtiergruppe" – so der ehemalige Vorslandssprecher der Deutschen Bank, Wilfried Guth.

Hier kämpft zwar jeder gegen jeden, und Futterneid ist die elementare Triebkraft in der Ellenbogengesellschaft der Leistungsträger, doch wenn es um die Gesamtinteressen ihrer Kaste geht. beweisen die Führungskräfte sehr wohl einen lebendigen Korpsgeist. Je komplexer sich die Arbeitsprozesse in den modernen Volkswirtschaften gestalteten, desto wichtiger wurde im Laufe der Jahre der Produktionsfaktor "Information", während die Bedeutung der Faktoren "Kapital" und "Arbeit" stetig abnahm. Parallel dazu verlief der Siegeszug des Managements.

Manager verfügen über alle relevanten Informationen in einem Betrieb, sie haben die totale Dispositionsgewalt. Und wie sie mit den ihnen anvertrauten Ressourcen, nämlich dem Kapital der Eigentümer und der Arbeitskraft ihrer Mitarbeiter, umgingen, das diente letztlich vor allem ihren eigenen Interessen. Über die deutsche Wirtschaft herrscht das Management mittlerweile so total wie einst der Adel über seine Untertanen. Manager steuern, als Vorstände oder Geschäftsführer, nahezu alle größeren Unternehmen der Republik. Eigentümerunternehmer sind in der Großindustrie, wie in der Welt der Banken und Versicherungen, seltener als ein falscher Fuffziger in der Geldzählmaschine der Deutschen Bank.

Nun muß man dem Ende der Eigentümer-Ära nicht unbedingt nachtrauern – viele der Altkapitalisten vom Schlage eines Flick, Quandt, Klöckner oder Stinnes waren alles andere als liebenswerte Zeitgenossen – doch sie hatten einen unschätzbaren Vorteil: Sie mußten mit ihrem eigenen Vermögen dafür büßen, wenn sie eine Fehlentscheidung getroffen hatten. Diese Gefahr besteht für den Manager nicht.

Versager werden geschützt

Er verfügt zwar über ungeheure Summen und vermag weitreichende Entscheidungen zutreffen, aber er haftet für gar nichts. Häufig haftet er nicht mal mit seinem Job. Denn das wichtigste ungeschriebene Gesetz für die Mitglieder der Chefetagen in der deutschen Großwirtschaft lautet: Ein Vorstand hat immer recht, und wenn er sich irrt, dann sind die Umstände schuld. Wer es bis hierhin geschafft hat, ist vor Verfolgung sicher, das beweisen die Karrieren zahlreicher Topmanager, denen auch gravierende Fehlleistungen nichts anhaben konnten.

Arno Bohn zum Beispiel, Vertriebschef des gescheiterten Computerkonzerns Nixdorf, landete wenig später im Cockpit des Sportwagenherstellers Porsche. Heinz Dürr, dem die Sanierung der AEG mißlang, wurde trotz eines zu verantwortenden Jahresverlustes von zuletzt 450 Millionen Mark an die Spitze der Deutschen Bundesbahn befördert. Und auch Vorstandsmitglieder so erfolgloser Unternehmen wie Orenstein & Koppel, Olympia und Triumph-Adler fanden andernorts ebenso lukrative Pöstchen. Bei der Deutschen Bank gar wurde die Exkulpierung der Topmanager zum Prinzip erhoben: Der Vorstand entscheidet grundsätzlich einstimmig und deckt damit gemeinsam jeden Fehler seiner einzelnen Mitglieder.

Die beispiellose Konzentrationswelle in den 80er Jahren, die die großen Konzerne noch größer machte und die Zahl der unabhängigen Industrieunternehmen deutlich verringerte, diente in erster Linie dem Machthunger der Konzernvorstände.

Dieser elitäre Zirkel, eine Gruppe von kaum mehr als 200 Personen, kontrolliert heute über ein kompliziertes Netzwerk den weitaus größten Teil der deutschen Industrie mitsamt der Finanzwirtschaft.

Die Herren begegnen sich häufig, mal in den Vorständen ihrer eigenen Unternehmen und deren Tochtergesellschaften, mal in den Aufsichtsräten befreundeter Banken, Versicherungen oder Industriekonglomerate. Jedes Mitglied dieses inneren Zirkels der deutschen Wirtschaft verfügt über krakenhaft lange Arme, die in die entferntesten Winkel ihrer Imperien reichen. Ihre Macht stützt sich auf ein enges Beziehungsgeflecht aus ranggleichen und rangniederen Kollegen.

Die Ranggleichen helfen bei der Bewilligung von Großkrediten, der Besetzung von einflußreichen Ratsposten, der Anhäufung weiterer Ämter und Machtpositionen. Die Rangniederen machen sich als Informanten und Exekutoren nützlich, in der Hoffnung, dereinst mal ebenfalls in den Olymp befördert zu werden.

Eine wichtige Rolle in diesem System spielen die Assistenten. Nach dem Beispiel des legendären Deutsch-Bankiers Hermann Josef Abs, der ständig zwei bis drei Assistenten beschäftigte, die er nach spätestens zwei Jahren in irgendeinen Winkel seines Wirkungsbereichs verpflanzte, haben sich viele Konzernmogule kopfstarke Mannschaften von "Ex-Assis" verpflichtet.

Der Pate und sein Opfer

Wie die Stasiseilschaften im Osten, so helfen sich die Assitrupps im Westen gegenseitig aus der Klemme und stützen als unsichtbare Hausmacht den Thron ihres Anführers. Wer freiwillig oder aufgrund irgendwelcher Verstöße gegen den Komment aus einem solchen Netzwerk ausscheidet, kann seine Karrierepläne durch den Reißwolf jagen – es sei denn, er findet Anschluß an einen anderen "Flaschenzug". Jüngstes Beispiel: der ehemalige Allianz-Vorstand Friedrich Schiefer.

Sein Fall erregte in der Wirtschaftspresse Aufsehen, weil er wie kaum ein anderer die Selbstherrlichkeit demonstrierte, mit der Spitzenmanager heutzutage ihre Konzerne regieren. Schiefer war schon vor Jahresfrist von Wolfgang Schieren, einem der Paten der deutschen Wirtschaft, offiziell zu seinem Nachfolger erkoren worden. Der Allianz-Aufsichtsrat, in dem die Creme der deutschen Wirtschaft versammelt ist, segnete die Wahl des allmächtigen Allianz-Lenkers ohne Widerrede ab, und ebenso stillschweigend duldete die honorige Runde ein halbes Jahr später den kommentarlosen Rausschmiß des Kronprinzen. Was war geschehen?

Nun, Altvater Schieren, damals 64, hatte es sich einfach anders überlegt, nachdem sein tatkräftiger Nachfolger keinerlei Neigung zeigte, sich willenlos den Launen und Eingebungen des Ziehvaters zu beugen. "Es ist ein einzigartiger Fall, beispiellos in der eiskalten Art der Exekution, peinlich für eine Reihe von Beteiligten, enthüllend mit Blick auf das Machtgefüge im deutschen Versicherungs- und Bankgewerbe", notierte Der Spiegel.

Statt des unbotmäßigen Finanzexperten Schiefer, der außerhalb des Konzerns als brillantester Kopf des Allianz-Gremiums galt, erwählte Schieren kurzerhand seinen ehemaligen Assistenten Henning Schulte-Noelle zum Nachfolger. Das hatte für den Senior, der anschließend den Vorsitz im Aufsichtsrat zu übernehmen gedachte, den Vorteil, daß er auch künftig das Allianzreich regieren konnte, ohne Reibereien mit einem unbotmäßigen Vorstandsvorsitzenden befürchten zu müssen.

Der geschaßte Kronprinz wäre damit in der deutschen Wirtschaft wohl erledigt gewesen, wenn er nicht einen Gönner gefunden hätte, der mit Schieren noch ein Hühnchen zu rupfen hatte. Marcus Bierich, Herr des Stuttgarter Bosch-Konzerns, nahm sich des Schieren-Opfers an und gab ihm einen Spitzenjob im fernen Amerika. Hintergrund: Bierich hatte einst als Schiefers Vorgänger auf dem Posten des Allianz-Finanzvorstands selber unter den Launen seines damaligen Chefs zu leiden gehabt.

Die Allianz ist wohl das nach der Deutschen Bank zweitstärkste Machtzentrum der deutschen Wirtschaft. Dafür sorgt schon die schiere Kraft des Kapitals, das der Versicherungsriese umwälzt. Pro Jahr können die Allianz-Manager nicht weniger als 16 Milliarden Mark investieren, und für einen nicht geringen Teil davon haben sie sich wertvolle Beteiligungen an Dutzenden Konzernen im In- und Ausland gesichert.

Die Macht der Allianz reicht von der Dresdner Bank, der Bayerischen Hypotheken- und Wechsel-Bank und der Münchner Rückversicherung bis hin zum Nivea-Hersteller Beiersdorf, dem Baukonzern Hoch-Tief, Daimler-Benz, der MAN, Thyssen, Klöckner-Humboldt-Deutz, Heidelberger Druckmaschinen AG und Metallgesellschaft.

Das Zentrum der Macht

Kein zweites Konglomerat dieser Größe gehorcht so absolut den Befehlen eines einzelnen Managers wie die Allianz den Eingebungen Wolfgang Schierens. Der Mann, der vor 20 Jahren den Vorstandsvorsitz erklomm, machte aus seinem Aufsichtsrat das, so das Urteil des Wirtschaftsmagazins Capital, "promimenteste Ja-Sager-Gremium Europas". Anstatt die Geschäfte der grauen Eminenz zu kontrollieren, die 1990 auf höchst umstrittene Weise sich die ehemals staatliche Monopolversicherung der Ex-DDR unter den Nagel riß, pflegten die honorigen Allianzräte stets nur artig zu nicken, wenn der Exflakhelfer Scheren ihre Zustimmung einforderte. Sämtliche Schlüsselpositionen im Konzern hat der jetzige Ratspräsident mit ihm ergebenen Leuten besetzt, und so kann er nach Gutdünken schalten und walten wie eh und je. Weder die Kunden noch die Mitarbeiter und schon gar nicht die Anteilseigner können die Herrschaft solcher Angestelltenkönige erschüttern.

Etwa 70 Prozent des Allianz-Kapitals sind zum Beispiel bei befreundeten Konzernen geparkt, an denen wiederum der Versicherungskonzern selbst Anteile besitzt. Durch solche Überkreuzbeteiligungen focht der Münchner Geldgigant einige der größten und kapitalkräftigsten Konzerne Deutschlands zu einem kaum überschaubaren Netz gegenseitiger Einflußnahmen und Abhängigkeiten zusammen, das mit den Mitteln des deutschen Wettbewerbs-und Kartellrechts nicht zu sprengen ist.

Ohnehin sind die Deutschen freundlicher zu ihren Konzernen als die anderen EG-Länder. Während die Brüsseler Behörde seit 1991 verlangt, daß Beteiligungen ab 10 Prozent offengelegt werden müssen, weigerte sich der deutsche Gesetzgeber lange, diese Vorschrift in nationales Recht umzusetzen. Bislang liegt in Deutschland die Meldegrenze bei 20 Prozent, und auch diese Vorschrift kann von den Konzernen leicht umgangen werden.

So ist die Allianz an der Dresdner Bank zum Beispiel offiziell mit knapp 25 Prozent beteiligt. Tatsächlich aber kontrolliert der Versicherer, über befreundete Unternehmen, insgesamt mindestens 46 Prozent des Kapitals der zweitgrößten deutschen Geschäftsbank. Umgekehrt ist die Dresdner mit über 10 Prozent am Allianz-Kapital beteiligt und mit demselben Prozentsatz bei der Münchner Rück, die wiederum 26 Prozent der Allianz-Aktien besitzt. Derlei Verflechtungen, allerdings weit unter der gesetzlich vorgeschriebenen Offenlegungsgrenze, gibt es mit Daimler-Benz, Siemens und anderen Großunternehmen der Industrie.

Zu den engagiertesten Kritikern des "unüberschaubaren Machtkartells aus Großbanken und Großindustrie" gehört der Würzburger Ordinarius für Bank- und Kreditwirtschaft, Ekkehard Wenger. Seit Jahren nervt der "brillante und scharfsinnige Theoretiker" (so sein Stuttgarter Kollege Franz W. Wagner) die Vorstände deutscher Aktiengesellschaften auf ihren Hauptversammlungen mit bohrenden Fragen.

Als Wenger beim Aktionärstreffen der Allianz im Oktober 1991 wissen wollte, welche Anteile der Konzern direkt oder indirekt an anderen Konzernen halte, verweigerte ihm Wolfgang Schieren die Antwort. Prompt klagte der Professor vor dem Münchner Landgericht, doch eine zufriedenstellende Antwort bekam er bis heute nicht. Wenger: "Die Allianz hat ihr Aktionärsregister so angelegt, daß das gesetzlich vorgesehene Einsichtsrecht des einzelnen Aktionärs sabotiert wird. Zwar ist ein Blick ins computergespeicherte Aktienbuch gestattet, doch wenn man erfahren will, welcher Aktionär wie viele Aktien hält, muß jede einzelne Aktie auf den Bildschirm geholt werden. Bei 18 Millionen Namensaktien ist das eine Sisyphusarbeit, an der jeder scheitern muß."

Auch die Manager anderer Großunternehmen, wie Siemens, Daimler-Benz oder die Münchner Rück, verweigern Aktionären, die nicht zum inneren Machtzirkel der deutschen Wirtschaft gehören, konsequent jeglichen Einblick in ihre Besitztümer. Geradezu beleidigt reagieren sie, wenn man sie nach ihren Gehältern, nach Gratisaktien oder sonstigen Nebenleistungen, die sie sich selbst bewilligt haben, fragt.

Wie arrogant die obersten Angestellten der deutschen Aktiengesellschaften mit ihren Anteilseignern umspringen, kann jeder miterleben, der mal eine Hauptversammlung besucht. Alle wesentlichen Fragen sind längst vor der Versammlung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat geklärt worden, die vom Gesetz vorgeschriebenen Abstimmungsprozeduren sind nur noch bedeutungslose Rituale. Auch wenn zu solchen Treffen einige tausend Kleinaktionäre anreisen, die sich in den Pausen mit Gratiswürstchen abspeisen lassen, so haben sie auch zusammen keinerlei Einfluß auf die Entscheidungen des Managements.

Denn die wahre Macht sitzt nicht im Saal beim Aktionärspublikum, sondern bei den Managern der Banken und Versicherungen im Aufsichtsrat. Allein aus ihren eigenen Beständen kontrollieren die Vertreter der fünf großen Aktienbanken und der beiden größten Versicherungskonzerne Beteiligungen in der Größenordnung von etwa 200 Milliarden Mark. Das entspricht einem Drittel des Marktwertes sämtlicher börsennotierter Aktiengesellschaften in Deutschland. Damit nicht genug: Das gesamte Kapital der von den Banken und Versicherungen direkt oder indirekt beherrschten Unternehmen macht fast die Hälfte des gesamtdeutschen Aktienmarktes aus. Und was ihnen nicht selbst gehört, das beherrschen die Vertreter der Finanzkonglomerate über ihr Depotstimmrecht.

Wählst du mich, wähl' ich dich

Wenn ein Geldanleger ein paar Aktien kauft, läßt er die Papierchen für gewöhnlich im Depot seiner Bank liegen. Naht der Termin der Hauptversammlung, schickt ihm die Bank eine Vollmacht zur Ausübung des Stimmrechts zu. Nur etwa 2 bis 3 Prozent der Aktionäre machen von ihrem Recht, der Bank konkrete Weisungen für die Stimmabgabe zu erteilen, Gebrauch. Bei gut zwei Drittel aller sogenannten Depotstimmen konnten die Banken sogar auf Dauervollmachten zurückgreifen, die sie dazu legitimierten, das Abstimmungsprozedere bei den Hauptversammlungen ganz in ihrem Sinn zu regeln. Allein über ihre Depotvollmachten haben die Vertreter der Banken und Investmentgesellschaften bei den meisten Publikumsgesellschaften das Sagen.

Nach den Erhebungen der Bankenstrukturkommission stellten sie bei 74 börsennotierten Großunternehmen mit einem Grundkapital von über 50 Millionen DM rund 52,5 Prozent der auf den Hauptversammlungen vertretenen Stimmen. Mit Hilfe der schweren Aktienpakete ihrer eigenen Unternehmen und der Depolvollmachten beherrschen die Manager der Finanzkonzerne den größten Teil der deutschen Wirtschaft. Die Art, wie sie ihre Macht nutzen, läßt freilich immer wieder Zweifel sowohl an ihren Fähigkeiten wie auch am gesamten System aufkommen.

Fragwürdig ist zum Beispiel die Machtverteilung zwischen den großen Publikumsgesellschaften und ihren Aufsichtsräten. Vom Gesetz vorgeschrieben ist eine Gewaltenteilung nach demokratischem Muster: Der Vorstand lenkt, der Aufsichtsrat kontrolliert. Da hier wie dort aber die gleiche Spezies sitzt, nämlich angestellte Manager, verhindern Kumpanei und Interessenidentität, daß das Rollenspiel im Sinne des Gesetzgebers funktioniert.

Das fängt schon damit an, daß sich die Vorstände der großen Publikumsgesellschaften, die keinen beherrschenden Großaktionär haben, ihre Aufsichtsräte praktisch selbst aussuchen können. Hier gilt dann das Prinzip: Wählst du mich, wähl‘ ich dich. So ist man sich gegenseitig verpflichtet und bemüht, einander nicht allzu weh zutun. Da auch die Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat überwiegend mit Managern besetzt ist – nämlich den hauptberuflichen Funktionären der Gewerkschaften –, wird die Harmonie nur selten gestört. Probleme, die zu ernsten Konflikten zwischen Anteilseignern und Belegschaftsvertretern führen könnten, werden vorsorglich gar nicht im Aufsichtsrat erörtert, sondern häufig in irgendwelche Ausschüsse delegiert. Bei der Deutschen Bank liegt die eigentliche Macht nicht beim Aufsichtsrat, sondern beim Kreditausschuß. Dieses Gremium, dem neben den Topmanagern der Bank ein paar hochkarätige Berater aus anderen Konzernen angehören, muß jedes Kreditengagement der Bank über 100 Millionen DM absegnen.

Die Räte mit dem müden Blick

Die Filzokratie in den Chefetagen führte zu einer Reihe von Pannen, Pleiten und Skandalen. Sie haben ihre Ursache vor allem darin, daß sich eine zahlenmäßig kleine Crew von Topmanagern anmaßt, das Riesengebilde der deutschen Wirtschaft zu steuern. So sind viele der Banker und Versicherungsmogule schlicht überfordert, wenn sie die Geschäfte von Auto-, Chemie-, Stahloder Baukonzernen kontrollieren sollen.

Die 13 Vorstände der Deutschen Bank beispielsweise verwalten rund 120 Aufsichtsratsmandate, und jeder von ihnen sitzt nebenbei noch in diversen Beiräten, Ausschüssen und anderen Verwaltungsgremien. Was ihrem Stammvater offensichtlich keinerlei Mühe machte – Hermann Josef Abs brachte es gar auf 24 Aufsichtsratsmandate –, stellt die Nachfahren offenbar vor unüberwindliche Probleme.

"Keine andere Bank fällt durch so viele Fehlleistungen ihrer Würdenträger in Aufsichtsräten auf, wie die Deutsche", urteilte Der Spiegel nach der blamablen Vorstellung des Deutsch-Bankiers Herbert Zapp beim Dortmunder Stahlkonzern Hoesch. Erst lief Zapp hilflos von Pontius zu Pilatus, um einen Nachfolger für den ermordeten Hoesch-Vorsteher Detlev Rohwedder zu finden, dann konnte er nicht verhindern, daß der ganze Hoesch-Konzern von Krupp geschluckt wurde. Als besonders schmerzlich mußten es die Herren der Deutschen Bank empfinden, daß ihr angestammter Erbhof Hoesch damit aus ihrem Einflußbereich verschwand und unter die Fittiche der West-LB geriet, die Krupp mit dem Geld zum Kauf der erforderlichen Hoesch-Aktien versorgt hatte.

Noch dilettantischer agierten zwei Vorstände der Deutschen Bank beim Hannoveraner Reifenhersteller Continental, als der italienische Konkurrent Leopoldo Pirelli seinen Übernahmecoup startete. Contis Ratsvorsteher, Ulrich Weiß von der Deutschen Bank, paktierte erst mit den Italienern, dann gegen sie. Unterdessen ließ sich ein anderer Deutsch-Bankier, der Engländer John Craven, von dem um seinen Job bangenden Conti-Vorstandschef Horst Urban zur Abwehr gegen die Italiener anheuern. Das Ganze endete in einem heillosen Durcheinander, bei dem schließlich Urban seinen Job verlor, die Italiener das Handtuch warfen und Conti in den roten Zahlen landete.

Wann immer in den letzten Jahren Großunternehmen in Schwierigkeiten gerieten, hatten häufig die Aufsichtsräte versagt. Weil sie zuwenig von den Geschäften der ihnen anvertrauten Firmen verstehen und sich zuwenig Zeit für die einzelnen Mandate nehmen, sind die Räte in den meisten Fällen gar nicht in der Lage, die Vorstände wirklich zu kontrollieren, selbst wenn sie dies ernstlich wollten.

Sie konnten nicht verhindern, daß der Teppichkonzern Girmes in Konkurs geriet, daß der Textilhersteller Nino jahrelang Verluste einfuhr, daß die einstmals mächtige AEG zum Sanierungsfall wurde, daß beim Stahlkonzern Klöckner das gesamte Eigenkapital bei windigen Termingeschäften mit Erdölkontrakten draufging oder daß beim VW-Konzern fast eine halbe Milliarde verspekuliert wurde.

Beim Wolfsburger Devisenskandal attestierte sogar der Bundesrechnungshof den "Bankenvertretern" im VW-Aufsichtsrat, sie hätten nicht rechtzeitig auf Warnungen der Wirtschaftsprüfer reagiert. Die Räte mit den müden Augen brauchen den Ernstfall nicht zu fürchten. Bisher wurde noch nie ein Aufsichtsrat wegen Pflichtverletzung angeklagt oder gar verurteilt. Das Old-Boys-Network schützt sogar offensichtliche Versager wie den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden des Maschinenbaukonzerns Klöckner Humboldt Deutz. Als Bodo Liebe sein Unternehmen verließ, machte es runde 285 Millionen Mark Verlust. Dennoch durfte Liebe mit dem Segen der Deutschen Bank in den Aufsichtsrat seines beinahe ruinierten Unternehmens einrücken und kurz darauf gar noch den Ratsvorsitz beim ebenfalls von der Deutschen Bank kontrollierten Papier- und Sprengmittelkonzern Feldmühle Nobel AG erklimmen.

Derlei honoriger Umgang mit ihresgleichen verpflichtet, und deshalb mögen sich die Manager der Deutschen Bank auch selber nicht genauer als unbedingt notwendig auf die Finger sehen lassen. Ihren eigenen Aufsichtsrat bestückten sie deshalb mit pensionierten Kollegen wie Wilfried Guth oder Friedrich Wilhelm Christians, mit guten Kunden wie Friedrich Karl Flick oder den Chefs befreundeter Konzerne wie Marcus Bierich von Bosch und dem auf der Payroll der Bank stehenden Berater Günter Vogelsang. Von solchen Räten ist kein Anpfiff, geschweige ein Kündigungsbrief zu erwarten, selbst wenn man sich so heillos verheddert wie die Kollegen Zapp, Weiß und Cartellieri. Der jetzige Chef der Bank, Hilmar Kopper, hat als Kontrolleur ebenfalls versagt. Zusammen mit seinen ehemaligen Kollegen Alfred Herrhausen und F. W. Christians sah er dem Niedergang der Otto-Wolff-Gruppe tatenlos zu. Kopper saß im Aufsichtsrat der Konzerntochter PHB Weserhütte, die von ihrem Chef Peter Jungen in den Konkurs gesteuert wurde. Auch dieser Manager wurde nicht fallengelassen, er durfte anschließend den Baukonzern Strabag führen.

Allianz gegen Aktionäre

Die unheilige Allianz zwischen den bequemen Räten und den auf die Absicherung ihrer Macht bedachten Managern richtet sich vor allem gegen die freien Aktionäre. Die Vertreter der Banken und Versicherer in den Kontrollgremien sind nämlich gar nicht sonderlich an hohen Dividenden und steigenden Aktienkursen interessiert.
Ihr wichtigstes Ziel ist fast immer die Sicherung ihrer Kredite, die sie den jeweiligen Unternehmen gegeben haben, und die Erhaltung der für sie so vorteilhaften Kräfteverhältnisse.

Denn die deutschen Unternehmen sind, verglichen mit ihren Konkurrenten aus Großbritannien, der Schweiz oder auch der USA, relativ dürftig mit Eigenkapital ausgestattet. In Großbritannien zum Beispiel beträgt der durchschnittliche Anteil des Eigenkapitals an der Bilanzsumme etwa 40 bis 50 Prozent, in Deutschland hingegen sind es oft nicht mal 15 Prozent. Die Gründe hierfür liegen einmal in der deutschen Geschichte: Zwei verlorene Weltkriege und zwei Währungsreformen zehrten nicht nur die Ersparnisse der privaten Haushalte, sondern auch die Vermögen der Unternehmen auf.

Doch 45 Jahre nach der letzten Währungsreform hätten gutverdienende Unternehmen längst wieder so viel Eigenmittel ansammeln können, um von den Krediten der Banken ziemlich unabhängig zu werden. Eine in dieser Hinsicht verfehlte Steuerpolitik und der alles beherrschende Einfluß der Geldhäuser sorgten jedoch im Verein mit dem willfährigen Management dafür, daß die Kapitaldecke der Unternehmen stets angespannt blieb. So sind selbst unglaublich reiche Konzerne wie Daimler-Benz oder Siemens weiterhin auf eine hohe Fremdfinanzierung angewiesen, die den beteiligten Banken stets üppige Zinseinnahmen garantiert.

Für die Manager der am Tropf der Banken hängenden Konzerne hat die Geldpipeline den Vorteil, daß sie ihren Expansionsdrang voll ausleben können. Schon Galbraith hat darauf hingewiesen, daß das oberste Ziel des Managements nicht ein möglichst hoher Gewinn, sondern die Ausdehnung seines Machtbereichs ist. Und diese Erkenntnis haben offenbar auch die Bosse fast aller deutschen Industriekonzerne verinnerlicht.

Als ob der Wohlstand der Nation und die Rentabilität ihrer Unternehmen davon abhinge, strebten die Vorsteher fast aller Konzerne in den letzten Jahrzehnten vor allem nach mehr Macht. Dabei ist längst erwiesen, daß schiere Größe kein Ausweis unternehmerischer Qualität ist.

Im Gegenteil: Die meisten Klein- und Mittelbetriebe erwirtschaften höhere Renditen als die Konzerne. Für das Management freilich ist Marktmacht gleichbedeutend mit Bequemlichkeit. Sie brauchen sich nicht mehr sonderlich anzustrengen, sondern können, wenn keine Konkurrenz mehr stört, einfach die Preise für ihre Produkte nach Belieben hochschrauben, auch wenn weder ihre Produkte noch ihre Vertriebsorganisationen höchsten Anforderungen entsprechen.

Je mehr Menschen, Betriebe und Kapital das Management zu verwalten hat, desto sicherer fühlt es sich. Die Herren Vorstände glauben nämlich, sie könnten sich dann jederzeit einige Schwächen leisten, die sie durch Stärke in anderen Konzernbereichen ausgleichen können. Der bequeme Trott, von der Bankenmacht in den Aufsichtsräten gedeckt, ließ die deutschen Großunternehmen, die einst zu den leistungsfähigsten und dynamischsten der Welt zählten (man sprach von einem "Wirtschaftswunder"), ins Mittelmaß abgleiten.

In Europa nur Mittelmaß

Verglichen etwa mit ihren japanischen Konkurrenten, sehen Deutschlands Autokonzerne, Elektrogiganten und sämtliche Konsumgüterhersteller ziemlich alt aus. Und sogar im europäischen Rahmen steht kaum ein deutsches Unternehmen an der Spitze seiner Branche. Als das Hamburger Manager Magazin vom Institut für Betriebswirtschaftslehre der Universität Kiel nach den am besten geführten Unternehmen unter den 500 größten Aktiengesellschaften Europas fahnden ließ, war das Ergebnis für die Deutschen blamabel. Briten und Italiener schnitten weit besser ab als die Deutschen. Als bestes heimisches Unternehmen kamen die Kölner Ford-Werke auf den 10., der Medienkonzern Bertelsmann auf den 18. Platz.

An der Spitze standen der britische Chemiekonzern Glaxo, das ebenfalls britische Medienunternehmen Reuters und der italienische Textilfilialist Benetton. Auch bei den Banken rangierten die Deutschen unter "ferner liefen"; die allmächtige Deutsche Bank schaffte gerade noch den sechsten Platz. Entscheidend für die Bewertung waren Kriterien wie Rentabilität, Sicherheit und Wachstum, keineswegs aber das, was deutsche Manager offenbar am liebsten betrachten, nämlich die Zahlen ihrer Umsätze und die Kopfstärke ihrer Belegschaft.

Zu träger Gangart ermuntert werden die Unternehmenslenker freilich auch durch großzügige Bilanzierungsvorschriften, die es ihnen erlauben, erwirtschaftete Gewinne so zu verstecken, daß sie weder die Begehrlichkeit der Belegschaften noch jene der Aktionäre zu wecken vermögen. Der Münchner Siemens-Konzern zum Beispiel verstand es im Laufe der Jahre, sich ein Liquiditätspolster von rund 20 Milliarden Mark zuzulegen. Diese gewaltige Finanzmasse, angelegt in Wertpapieren, Aktien oder als Festgeld, ist viel größer als das Aktienkapital des Konzerns und entspricht zu manchen Zeiten beinahe dem Börsenwert des gesamten Konzerns, so daß das Unternehmen an der Börse bereits als "Bank mit angeschlossener Elektroabteilung" verspottet wird.

Tatsächlich brauchen sich die 20.000 Führungskräfte des Konzerns nicht mehr besonders anzustrengen, denn die Milliarden in der Kasse des Finanzverwesers werfen genug Zinsen ab, um am Jahresende einen stattlichen Gewinn vorzuweisen, auch wenn im Geschäft mit der Elektrotechnik kaum etwas verdient wurde. So ist denn der wichtigste Mann des Konzerns keineswegs der Forschungschef oder der Vorstandsvorsitzende, sondern der Verwalter der konzerneigenen Sparbüchse.

Natürlich ist nichts dagegen einzuwenden, wenn ein Unternehmen reichlich Kapital angesammelt hat, doch die Frage sollte erlaubt sein, warum den hochbezahlten Siemens-Vorständen nichts Besseres einfällt, als ihr Geld auf die Bank zu tragen. Schließlich ist das Unternehmen ja nicht in einer ausgereizten Branche tätig, die keine weitere Expansion mehr erlaubt, sondern auf dem höchst innovativen Gebiet der Elektrotechnik und Elektronik, wo es genug Möglichkeiten zu produktiven Investitionen gibt.

Die verwöhnten Siemensianer freilich scheinen sich lieber an ihrer fetten Geldkatze zu wärmen, als sich auf knochenharte Fights mit aggressiven Wettbewerbern aus Fernost und den USA einzulassen. Schmerzliche Erfahrungen, etwa bei der Entwicklung und Produktion von Mikrochips, dämpften offenbar ihren Elan. Obwohl die Bundesregierung seit Jahren Hunderte von Millionen Mark an Siemens überweisen ließ, um die Entwicklung dieser für die künftige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie wesentlichen Schlüsseltechnologie zu fördern, schafften die Münchner bis heute nicht den Anschluß an das von Japanern (bei Speicherchips) und Amerikanern (bei Mikroprozessoren) vorgegebene Weltniveau.

Noch immer brauchen die Siemensfabriken in Regensburg und Villach (Kärnten) viel zu lange, ehe sie die jeweils nächste Integrationsstufe bei den Speicherchips produktionstechnisch beherrschen, und noch immer sind die Entwickler neuer Mikroprozessoren für Computer im Siemens-Forschungszentrum Neuperlach meilenweit vom Niveau ihrer Kollegen bei Intel oder Motorola in Kalifornien entfernt. Dies liegt freilich weniger an den durchaus fähigen Wissenschaftlern und Technikern des Konzerns, sondern eher an einer wankelmütigen, von widersprüchlichen Zielsetzungen geprägten Produktpolitik des Konzerns.

Da sie den Anschluß aus eigener Kraft nicht schaffen, versuchen die Manager um Vorstandschef Heinrich von Pierer, ihrem Ziel durch Lizenzabkommen, etwa mit den japanischen Konzernen Toshiba und Fujitsu sowie dem amerikanischen Computergiganten IBM, ein wenig näherzukommen. Schaffen sie es nicht, dann besteht nach übereinstimmender Meinung der Experten die Gefahr, daß weite Teile unserer Industrie in eine totale Abhängigkeit von japanischen Chiplieferanten geraten.

Daimlers Abstieg

Wie sehr das ungehemmte Machtstreben der Manager selbst die solidesten Unternehmen in Bedrängnis bringen kann, zeigt sich deutlich beim größten deutschen Industriekonzern, der Daimler-Benz AG. Solange die schwäbischen Autobauer von starken Großaktionären wie den Milliardären Friedrich Flick und Herbert Quandt sowie dem Deutsch-Bankier Hermann Josef Abs beherrscht wurden, scheffelten sie die höchsten Gewinne aller deutschen Unternehmen in ihre Kassen. Daimler war bis etwa 1985 das solideste, ertragreichste und am besten geführte Unternehmen der Bundesrepublik. Heute hingegen hat der Konzern mit enormen strukturellen Problemen zu kämpfen, verdient lange nicht mehr so gut wie früher und muß zum ersten Mal in seiner Nachkriegsgeschichte Personal abbauen.

Schuld an der verhängnisvollen Entwicklung ist in erster Linie ein schwacher Aufsichtsrat. der das Machtstreben seiner Manager nicht zu bremsen vermochte und durch unglückliche Personalentscheidungen dazu beitrug, daß der Aktienkurs des Unternehmens um fast 40 Prozent abstürzte.

Die Misere begann am 29. Oktober 1983, einem Samstag. an dem sich Daimler-General Gerhard Prinz auf seinem Heimtrainer zu Tode strampelte. Als Nachfolger empfahl sich dringend der Jurist Edzard Reuter, der in 20 Jahren eine bemerkenswerte Karriere im Daimler-Management gemacht hatte. Zwar hatte er nie eine Fabrik geleitet, und von Autos verstand er weniger als jeder Lehrling im Daimler-Reich, doch an Ehrgeiz. uiid Eloquenz ubertraf der langjährige "Leiter des Hauptsekretariats" seine Vorstandskollegen bei weitem.

Aufsichtsratschef Wilfried Guth hatte starke Bedenken gegen den smarten Aufsteiger ohne unternehmerische Erfahrung, doch Reuter wußte die Aversionen des Deutsch-Bankiers nach außen hin geschickt auf sein SPD-Parteibuch zu lenken, das den Sohn des ehemaligen Regierenden Bürgermeisters von Berlin zum roten Paradiesvogel im Club der konservativen Industrieführer stempelte.

Auf Guths Vorschlag gab der Daimler-Rat Reuter einen Korb und kürte den Techniker Werner Breitschwert zum neuen Boß von Benz. Fortan hing in Stuttgart der Haussegen schief, denn Reuter, der sich mit dem nicht minder ehrgeizigen Produktionsleiter Werner Niefer verbündete, ließ keine Gelegenheit aus, seinen stets ein wenig bieder und harmlos wirkenden Vorsitzenden zu demontieren. Der Knockout Breitschwerts gelang dem agilen Duo Reuter/Niefer mit ihrer flugs in die Ohren der Aufsichtsräte lancierten Vision von einem "integrierten Technologiekonzern".

Obwohl Daimler von allen deutschen Autoherstellern schon längst die Risiken des Autogeschäfts am besten verteilt hatte – jeweils die Hälfte des Geschäftsvolumens entfiel auf Nutzfahrzeuge und Personenwagen –, propagierte Reuter die Losung: weg von der problematischen Autobranche und hin zu verwandten Hochtechnologiebereichen. Den Bankern im Kontrollorgan des Automobilkonzerns erschien diese Vorstellung vernünftig, und so erhielten Reuter und Niefer den Freibrief für Zukäufe in branchenfernen Gefilden. Das Ergebnis ist bekannt: Nacheinander zogen die Stuttgarter Autobauer erst den Münchner Turbinenhersteller MTU an Land, an dem sie schon vorher einen 50-Prozent-Anteil besessen hatten, dann folgten die Mehrheit am angeschlagenen Elektrokonzern AEG sowie an den Luft- und Raumfahrtunternehmen Dornier und MBB. Vom industriepolitischen Konzept her folgte Daimler damit den amerikanischen Konzernen General Motors und Ford, die ebenfalls starke Engagements in der Luft- und Raumfahrtindustrie eingegangen waren.

Intern aber hatten die Zukäufe, die sich aus heutiger Sicht als höchst problematisch darstellen, vor allem den Effekt, daß der gelernte Autotechniker Werner Breitschwert nicht mehr so recht an die Spitze eines breitgefächerten Industriekonzems zu passen schien. Der energische Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen, der den entscheidungsschwachen Guth an der Spitze des Daimler-Aufsichtsrats abgelöst hatte, sah dem Stuttgarter Quertreiben nicht lange zu. Im Sommer 1987 machte er dem unglücklichen Breitschwert klar, daß seine Tage am Steuer des Konzerns gezählt waren.

Das siegreiche Duo bestimmte fortan die Geschicke des Konzerns, Reuter als Vorsitzender, Niefer als sein Stellvertreter. Später pfropften sie dem Traditionsunternehmen über die gewachsenen Strukturen hinweg ein Organisationskonzept auf, das bis heute nicht richtig funktioniert: Die Daimler-Benz AG kontrolliert als "geschäftsführende Holding-Gesellschaft" jetzt vier rechtlich selbständige Unternehmen, nämlich die Mercedes Benz AG, die das gesamte Autogeschäft (Nutzfahrzeuge und Personenwagen) betreibt, ferner das Elektrounternehmen AEG mit sämtlichen Tochtergesellschaften, sowie die Deutsche Aerospace AG, die aus der Zusammenlegung der Firmen MTU, Dornier und MBB hervorging, und schließlich das Dienstleistungsunternehmen debis, das sich auf Finanzierungen und die Entwicklung von Computer-Software spezialisiert hat.

Über den Tisch gezogen

Für die Eigentümer brachte der rabiate Umbau des über 100 Jahre alten Unternehmens bisher nur Nachteile. Schon bei den Übernahmeverhandlungen mit der Familie Dornier machten Reuter und Niefer kapitale Fehler, die das Unternehmen bisher mehrere 100 Millionen Mark kosteten. Um nur ja möglichst schnell ans Ziel einer Kapitalmehrheit zu gelangen, ließen sich die beiden alten Industriehaudegen von der damals 35jährigen Rechtsanwältin Martine Dornier-Tiefenthaler, der Testamentsvollstreckerin des verstorbenen Claudius Dornier, über den Tisch ziehen. Mit immer neuen Einsprüchen und Nachbesserungsklauseln erreichte die Jungjuristin, daß "wir den Dornier-Laden mindestens zweimal kaufen mußten", so der erboste Betriebsratsvorsitzende Herbert Lucy.

Tatsächlich bezahlte Daimler-Benz einen viel zu hohen Preis für die Machtübernahme bei Dornier, und das zu einem Zeitpunkt, als der Niedergang der Rüstungsindustrie bereits abzusehen war. Auch bei der Übernahme des bis dahin von Bund und Ländern gestützten Luft- und Raumfahrtunternehmens MBB ließen sich die Daimler-Manager allerlei Zusagen über die Erhaltung von Produktionsstandorten und Beschäftigtenzahlen abpressen, obwohl sie bei den Kaufverhandlungen viel zuwenig Einblick in die inneren Strukturen des insgesamt unrentablen Unternehmens hatten.

Ihr größter Fehler aber war die Zerstörung der Unternehmenskultur bei Daimler-Benz. Der "integrierte Technologiekonzern" ist bis heute nicht mehr als eine rhetorische Floskel, denn integriert sind die hastig zugekauften Einzelteile des Konzerns noch lange nicht, und die vielbeschworenen Synergie-Effekte zwischen den einzelnen Unternehmensbereichen mochten sich ebensowenig einstellen wie ein gemeinsamer Korpsgeist in der Belegschaft. Im Gegenteil: Eifersüchtig belauern sich die Führungskräfte der einzelnen Konzerntöchter, Neid und Mißgunst bestimmen nicht selten geschäftliche Entscheidungen. Nach wie vor füttern zum Beispiel die AEG-Manager die Konzernzentrale in Stuttgart-Möhringen mit geschönten Daten, lassen sich die Dornier-Medizintechniker ebensowenig in ihre Karten gucken wie die frustrierten MBB-Ingenieure in Ottobrunn. Immerhin gelang es dem bodenständigen Schwaben Werner Niefer, wenigstens in seinem Bereich das alte Wirgefühl der Mercedes-Männer wachzukitzeln, mit dem Effekt allerdings, daß sich der lukrativste Konzernbereich jetzt noch konsequenter gegen alle Eingriffe der Zentrale abschottet als vorher.

Einen Streich spielten die Autobauer ihren Aufsehern von der Daimler-Dachgesellschaft, als sie sich vom konzernübergreifenden Informationssystem teilweise abkoppelten und nur noch die Daten an den Rechner in der Möhringer Zentrale weitergaben, die sie für opportun hielten. Da helfen auch die regelmäßigen "Teamgespräche" nicht, die der besorgte Konzernchef den etwa 180 Topleuten seines verzweigten Imperiums zur Verbesserung der Unternehmenskultur verordnete, denn bis heute haben die Mercedes-Männer den nicht ganz unbegründeten Eindruck, mit ihrer Arbeit subventionierten sie die übrigen Teile ihres Unternehmens, das einmal die älteste Autofabrik der Welt gewesen war.

Das Konzept der "Diversifizierung" in andere Branchen, das lange Zeit die Köpfe der Konzernmanager beherrscht hatte, gilt mittlerweile als überholt. Zu groß waren die Fehler, die beim Einstieg in fremde Branchen gemacht wurden, zu zahlreich die Flops, die den machtgierigen Managern bei der Ausdehnung ihrer Konglomerate unterliefen. Ob sich der VW-Konzern den Büromaschinenhersteller Triumph-Adler anlachte, ob Daimler die marode AEG zu vermeintlich günstigen Konditionen schluckte – das Ergebnis waren jedesmal enorme Verluste.

Rund vier Milliarden Mark mußte der Stuttgarter Autokonzern bis heute in sein desolates Elektrogeschäft pumpen, und noch immer ist ein Ende nicht abzusehen. Auch die Luftfahrt-Tochter DASA (Deutsche Aerospace AG) zehrt weiter an den Daimler-Gewinnen, und wenn der überflüssige "Jäger 90" nicht gebaut wird, muß DASA-Chef Jürgen Schrempp weitere 5000 Leute entlassen.

Von der Konkurrenz überholt

Kein Wunder, daß die einst üppigen Gewinne des Nobelwagenherstellers schneller dahinschmolzen als die Bremsbeläge beim 600 SEL. Waren es 1988 noch 3,5 Milliarden Mark gewesen, so blieben zwei Jahre später nur noch 940 Millionen übrig. Nur kräftige Preiserhöhungen bei den Personenwagen und eine durch die deutsche Wiedervereinigung provozierte Sonderkonjunktur für Nutzfahrzeuge schwemmten anschließend wieder höhere Erträge in die Daimler-Kassen. Mittlerweile aber ist die Position des Luxuswagenherstellers auf den Weltmärkten wieder äußerst gefährdet, denn seine exorbitanten Preise kann Daimler nur in Ländern mit Hochkonjunktur erlösen. Bricht der Boom ab, greifen die Kunden schnell nach preiswerteren Autos aus japanischer Produktion, wie die jüngste Rezession in den USA bewies.

Aus heutiger Sicht sieht der Höhenflug des Daimler-Chefs Edzard Reuter eher aus wie ein Absturz. Die zugekauften Problemfälle schwächten den Konzern nämlich so, daß er es versäumte, seinen einstigen Vorsprung in der Entwicklung und Produktion hochwertiger Automobile gegenüber allen Konkurrenten zu verteidigen. Auf ihrem angestammten Terrain nämlich wurden die Mercedes-Männer mittlerweile von der Konkurrenz glatt überrundet.

Waren es erst die gutgestylten und feinmotorisierten 7er BMW, die ihnen die Hälfte des Luxuswagenmarktes wegschnappten, so müssen sie sich inzwischen auf den Weltmärkten mit konkurrenzlos preiswerten und technisch mindestens ebenbürtigen Produkten aus japanischen Fabriken herumschlagen. Hätten die Manager aus Unterturkheim ab 1985 alle Ressourcen dazu verwendet, ihre Fabriken auf den jeweils neuesten Stand zu bringen, anstatt verlustreiche Firmen hinzuzukaufen, brauchten sie heute keine Angst vor der überlegenen Produktionstechnik der Japaner zu haben.

Aufgeschreckt hatte die europäischen Autobosse die mittlerweile weltbekannte Studie aus dem Massachusetts Institute of Technology (MIT), die unter dem Titel "The Machine That Changed the World" bei den Industriemanagern der Welt zum Bestseller wurde. 54 Experten der Bostoner Elite-Universität untersuchten fünf Jahre lang die Produktionstechniken der Autohersteller in 15 Ländern. Ihr Fazit:

Die Japaner haben mit der sogenannten Lean-Production (deutsch: schlanke Produktion) ein überlegenes System entwickelt, das ihnen bei der Entwicklung neuer Modelle einen erheblichen Zeitvorsprung und in der Produktion enorme Kostenvorteile bietet.

Vergleichszahlen belegen dies: Bereits in den 80er Jahren verwendeten die japanischen Autohersteller im Schnitt nur 1,7 Millionen Stunden für die Entwicklung eines neuen Modells, die Europäer hingegen brauchten 2,9 Millionen, die Amerikaner gar 3,1 Millionen Ingenieurstunden. Demzufolge war ein neuer Toyota in nur 46 Monaten produktionsreif, ein VW dagegen erst in 57 Monaten.

Mit Hilfe ihrer kürzeren Produktionszyklen konnten sich die Japaner schneller auf veränderte Marktbedürfnisse einstellen und insgesamt preiswertere Wagen in erstklassiger Verarbeitungsqualität herstellen. Zu spüren bekamen die deutschen Autobauer dies bisher vor allem auf dem wichtigsten Exportmarkt Nordamerika. Nachdem dort die japanischen Hersteller Toyota und Nissan ihre Luxusmodelle Lexus und Infiniti zu Preisen auf den Markt brachten, die um 30 bis 40 Prozent unter denen der vergleichbaren S-Klasse von Daimler-Benz und der 7er BMW lagen, mußten die Deutschen einen wahren Einbruch ihrer Absatzkurven hinnehmen.

Der Vorsprung der Japaner

Kein Wunder: Die japanischen Autos waren nicht nur erheblich billiger. sondern auch zuverlässiger. Beim Lexus beispielsweise beträgt die Gewährleistungsquote (Fehler pro Fahrzeug, die auf Garantie behoben werden) im ersten Modelljahr 4 bis 5, bei den beiden Deutschen jedoch 7 bis 15. Erstaunt registrierten die MIT-Forscher, daß die japanischen Hersteller alle Fabriken in Europa bei weitem übertreffen – mit einer Ausnahme: das Werk Sindelfingen von Mercedes-Benz. Aber die Stuttgarter benötigen den vierfachen Aufwand, um ein ähnlich gutes Produkt herzustellen wie die Japaner.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kam die weltweit tätige Unternehmensberatung McKinsey in einer Analyse der Ursachen des japanischen Technologievorsprungs.
Demnach ist die Produktivität der westeuropäischen Automobilhersteller bis zu 50 Prozent geringer als die ihrer japanischen Wettbewerber. Und die Ursachen hierfür sind nur zu einem Drittel in den niedrigeren Lohnkosten und längeren Arbeitszeiten zu suchen. Der Löwenanteil geht klar auf das Konto eines intelligenteren Managements.
Daß dieser Schuldspruch zu Recht erging, bewiesen die japanischen Manager nämlich mit ihren Fabriken in Übersee. Egal, ob ihre Arbeitskräfte ungelernte Farbige in Ohio sind oder hartleibige und trinkfreudige Worker im britischen Sunderland, heraus kommen stets akkurat gefertigte und konkurrenzios preiswerte Autos.

Mercedes-Vorstand Jürgen Hubbert diagnostizierte den Kostenvorsprung der Japaner auch gegenüber seinem Unternehmen auf mindestens 30 Prozent, und das amerikanische Wirtschaftsmagazin Fortune enthüllte, warum das so ist: Während die Mercedes-Leute im Werk Sindelfingen etwa 19 Arbeitsstunden benötigen, um einen fertig montierten Wagen so herzurichten, daß er verkauft werden kann, dauert bei Toyota die gesamte Produktion eines fehlerfreien Modells nicht länger. Im Schnitt benötigen die Japaner für die Herstellung eines Personenwagens nur knapp 17 Arbeitsstunden, die West-europäer hingegen mindestens 36 Stunden.

Erst in letzter Zeit beginnen die aufgeschreckten deutschen Manager den japanischen Beispielen nachzueifern. Klöckner Humboldt Deutz zum Beispiel organisierte sein neues Dieselmotorenwerk in Porz nach fernöstlichen Prinzipien, und auch Mercedes-Benz verordnete seinem Rastatter Werk eine "Schlankheitskur" nach japanischem Muster. Das alles wird freilich Stückwerk bleiben, wenn die Manager nicht lernen, daß zuerst sie sich selbst ändern müssen, ehe sie ihre Fabriken umbauen.

Dreh- und Angelpunkt der Lean-Production ist nämlich ein auf gegenseitiger Achtung basierendes Verhältnis zwischen Management und Belegschaft. Die schlanke Produktion funktioniert nur, wenn jeder Mitarbeiter hochmotiviert ist und mitdenkt, und dies wiederum setzt voraus, daß er seine Bosse für kompetent und integer hält.

Ein Besuch im Nissan-Werk bei Sunderland, wo pro Jahr 120.000 Autos vom Typ Primera hergestellt werden, offenbart einen wesentlichen Unterschied zu anderen europäischen Autofabriken: weil die Arbeiter selbst entscheiden dürfen, welche von neun verschiedenen Tätigkeiten sie im Produktionsprozeß ausführen wollen, leiden sie nicht an der Berufskrankheit aller Fließbandarheiter, der tödlichen Monotonie. Und weil sie von ihren Vorgesetzten stets korrekt und höflich behandelt werden, haben die als streiklustig bekannten Engländer bisher noch an keinem einzigen Tag die Arbeit niedergelegt.

Das Defizit der Schwaben

Wie aber soll sich ein Mercedes-Arbeiter vorkommen, wenn er in der Zeitung liest, daß sein oberster Chef sich vor Gericht wegen des Verdachts der Untreue verantworten muß? Immerhin ermittelte die Stuttgarter Staatsanwaltschaft monatelang gegen Werner Niefer, weil er angeblich auf Firmenkosten seine Villa renovieren ließ und Ehefrau Veronika im Firmenjet zum Einkaufsbummel schickte. Auch wenn nur ein Körnchen Wahrheit daran sein sollte: An der Integrität eines Vorgesetzten von 100.000 Mitarbeitern darf nicht der geringste Zweifel aufkommen, sonst sickert das Gift der Selbstbedienungsmentalität unausweichlich durch alle Schichten der Betriebshierarchie.
Eine Quittung bekamen die feinen Daimler-Herren am 14. März 1991 ausgestellt, als etwa 120 Staatsanwälte und Zollfahnder erschienen, um die Büros und Privaträume von zehn Managern zu durchsuchen. Die staatlichen Ermittler forschten nach Belegen für illegale Nahostgeschäfte. Sie hatten Grund zur Annahme, daß die noble schwäbische Firma noch kurz vor dem Überfall des Irak auf Kuwait schwere Lastwagen und Fahrgestelle nach Bagdad geliefert hatten, die als Träger für mobile Scud-Raketen dienten. An den gesetzlich verbotenen Exporten sollen sich einige Daimler-Manager auch privat bereichert haben, indem sie sich Provisionen auf Auslandskonten überweisen ließen.
Schon vorher war ein Ring von Angestellten der Exportabteilung aufgeflogen, die Personenwagen mit horrenden Zwischengewinnen überall dahin verschoben, wo ein Mercedes wesentlich mehr kostete als in Deutschland. Wo die Bosse beim großen Spiel um Macht und Moneten sich nicht scheuen, sich ihre eigenen Spielregeln zu machen, brauchen sie sich nicht zu wundern, wenn die unteren Chargen ihrem schlechten Beispiel folgen und auf ihre Weise versuchen, einen guten Schnitt zu machen. Seit die Konzernvorstände merken, daß die fetten 80er Jahre ihre Unternehmen unbeweglicher, unwirtschaftlicher und bürokratischer machten, grassiert die Angst auf den Teppichetagen. Die Pfrunden für Tausende gut bezahlter Manager sind in Gefahr. Daimler-Benz zum Beispiel könnte nach einer McKinsey-Analyse ohne weiteres ein Drittel seines gesamten Verwaltungspersonals einsparen, ohne daß das Unternehmen im geringsten an Leistungsfähigkeit einbüßte. Wie bei Siemens, VW, Hoechst und vielen anderen Großkonzernen gibt es auch bei Daimler viel zu viele "Häuptlinge" und zu wenige "Indianer".

Nach den Untersuchungen des Statistischen Bundesamtes nahm die Zahl der Führungskräfte in der deutschen Wirtschaft ungefähr zehnmal so schnell zu wie die Zahl aller Erwerbstätigen. Daß viele dieser gutbezahlten und im Grunde recht bequemen Jobs nur dem einen Zweck dienen, die Hausmacht irgendeines Oberbosses zu stärken, kommt immer erst dann ans Licht, wenn aushäusige Unternehmensberater die Stellenkegel durchkämmen.

Die Bosse bunkern sich ein

Die Angst der Bosse vor dem Verlust ihrer Macht und Herrlichkeit erfaßte inzwischen sogar schon die Konzernspitzen. Die Herren Vorsitzenden freilich fürchten nicht die Gutachten von McKinsey & Co. – die haben sie ja schließlich selbst angefordert –, sondern die Umarmung von noch mächtigeren Kollegen. Die Welle der unfreundlichen Firmenübernahmen (unfriendly take overs), die in den 80er Jahren über die amerikanische Wirtschaft hinwegbrandete, versetzte die Herren der deutschen Wirtschaft in höchste Alarmstimmung. Denn auch sie mußten damit rechnen, daß aggressive Raider, wie die Amerikaner Carl Icahn, T. Boone Pickens oder Henry Kraves eines Tages hei ihnen anklopfen würden, nur um ihnen den Stuhl vor die Tür zu setzen. Das weckte unliebsame Erinnerungen an längst vergangene Zeiten, als auch in Deutschland die Macht noch beim Kapital lag. Noch in den 30er Jahren pflegte ein Großaktionär wie Friedrich Flick verschlafene Manager mit Telegrammen folgenden Inhalts auf Trab zu bringen: "Habe Mehrheit erworben – stop – hoffe auf gute Zusammenarbeit." Die Gefahr schien mit dem Rückzug der Erbengeneration aus der Großwirtschaft endlich gebannt zu sein, doch nun ergaben sich plötzlich neue Bedrohungen durch ausländische Firmenjäger.

Denn die deutsche Wirtschaft mit ihren freizügigen Bestimmungen über den Kapital- und Gewinntransfer, dem liberalen Bilanzrecht, das die Ansammlung stiller Reserven in fast unbegrenzter Höhe erlaubt, schien zu Aufkäufen größerer Aktienpakete geradezu einzuladen. Flugs scharten sich die aufgescheuchten Bosse um ihren Nestor Hermann Josef Abs, der 1987 die Losung ausgab, fremde Firmenjäger seien grundsätzlich als "Räuber" zu betrachten, denen man unbesehen eine "verbrecherische Neigung" unterstellen könne. Nun ist unbestritten, daß einige der spektakulären Firmenübernahmen in den USA wenig sinnvoll waren. Ebenso richtig ist es aber auch, daß die Attacken der Raider, die sich das Geld für ihre Aktienkäufe bei Banken, Investmentfonds oder Pensionskassen beschafften, für frischen Wind im amerikanischen Management sorgten. Einige der von Übernahme bedrohten Konzerne entwickelten plötzlich eine ungewohnte Dynamik, verkauften nicht betriebsnotwendige Vermögensteile und engagierten sich in wachstumsträchtigen Märkten.

Beraten von den Bankiers in ihren Aufsichtsräten, beschlossen die deutschen Bosse, ihre geheiligten Reviere mit unsichtbaren Stolperdrähten gegen fremde Eindringlinge zu sichern. Schon in den 70er Jahren, als die Ölscheichs mit ihren Petrodollars die Welt überschütteten, hatten Konzerne wie Hoechst eine Beschränkung der Stimmrechte eingeführt. Ein einzelner Aktionär konnte danach nie mehr als 5 bis 10 Prozent des Kapitals in die Waagschale werfen.

Nun folgten rund 20 weitere Publikumsgesellschaften diesem Weg, obwohl die Vorstände wissen mußten, daß diese Abwehrmaßnahme bei wirklich ernsten Übernahmeschlachten eine stumpfe Waffe ist. Denn ein Aufkäufer kann ja beliebig viele Strohmänner oder Tarngesellschaften einschalten und dann im entscheidenden Moment seine Stimmen bündeln und mit der einfachen Mehrheit auf der Hauptversammlung die Stimmbeschränkung wieder aufheben lassen.

Konzernchefs, die auf Nummer Sicher gehen wollten, sorgten deshalb dafür, daß kein größeres Aktienpaket ihres Unternehmens in unerwünschte Hände geraten konnte. Allianz-Chef Wolfgang Schieren ließ beispielsweise rund 70 Prozent seines Aktienkapitals in den sicheren Tresoren befreundeter Konzerne "parken", die er sich längst durch entsprechende Gegenkäufe gefügig gemacht hatte.

Wenn sich im inneren Zirkel der Mächtigen kein kaufkräftiger Interessent fand, der ein größeres Aktienpaket übernehmen konnte, dann gründete man eben unter der Führung einer Bank eine sogenannte Vorschaltgesellschaft. Als die Familie Quandt Mitte der 80er Jahre einen größeren Posten BMW-Aktien abgeben wollte, hätte für einen Fremden durchaus die Möglichkeit bestanden, sich so in das deutsche Industrie-Establishment zu drängen. Damit das nicht passieren konnte, gründete die Dresdner Bank die "Gesellschaft für Automobilwerte mbH", die 10 Prozent der BMW-Aktien übernahm.

An diesem Unternehmen, das keinen anderen Zweck als die Verwaltung eben jener Dividendenpapiere hatte, beteiligten sich dann diverse deutsche Großanleger, darunter auch die Dresdner Bank selber. Das hatte zwei Vorteile: Erstens mußten die einzelnen Partner nicht allzuviel Geld aufwenden, zweitens sparte die Vorschaltgesellschaft eine Menge Steuern, weil bereits ab 10 Prozent das sogenannte Schachtelprivileg gilt.

Nach demselben Muster wurden 10 Prozent des Kapitals vom Chemiekonzern Hoechst bei der Frankfurter Gesellschaft für Chemiewerte untergebracht. Freute sich der Hoechster Finanzvorstand: die freundschaftlich verbundenen Unternehmen seien als Aktionäre sehr willkommen, denn sie würden den Konzern wirksamer vor feindlichen Übernahmen schützen als Stimmrechtsbeschränkungen.

...

Die Moral der Manager

Knastbrüder

Besonders unsympathisch macht unsere Führungskräfte ihre wachsende Kriminalisierung. Natürlich war die Versuchung, die vom Gesetz gezogenen Grenzlinien zu überschreiten, für Unternehmer und Manager schon immer recht groß. Und es ist auch klar, daß eine Wettbewerbsgesellschaft wie die unsere ein guter Nährboden für Wirtschaftskriminalität sein muß. Doch die Zunahme der in den Führungsetagen begangenen Delikte wird allmählich besorgniserregend.

1991 wurden allein 21.412 Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen die Umweltschutzbestimmungen aufgenommen – viermal soviel wie 1980. Es scheint, als ob die deutschen Manager in ihrem Drang, möglichst schnell nach oben zu kommen, immer weniger Hemmungen zeigen, die Grenzlinie zwischen erlaubt und unerlaubt zu überschreiten. "Der Moralverfall, der in der Managerkaste zu verzeichnen ist", schreibt Der Spiegel, "findet seine Entsprechung in den Niederungen der Gesellschaft." Die Soziologenerkenntnis, daß die Korruption mit wachsendem Wohlstand abnimmt, wird in diesen Zeiten durch die entwickelten Industriestaaten widerlegt. Mit anschwellendem Reichtum, so mussen wir lernen, nimmt die Begehrlichkeit zu.

Und gerade die Männer, denen die wirtschaftliche Existenz von Millionen Mitarbeitern anvertraut ist, zeigen immer deutlicher, daß sie die Moralvorstellungen, die sie von ihren Angestellten erwarten, auf sich selber beileibe nicht anzuwenden gedenken. Da dies den Mitarbeitern keineswegs verborgen bleibt, verlieren die Bosse immer mehr an Glaubwürdigkeit. Dies ist sicher einer der Gründe dafür, warum es in manchen Betrieben so unendlich mühsam ist, notwendige Rationalisierungsmaßnahmen durchzudrücken, oder auch nur richtige Zahlen über den tatsächlichen Geschäftsverlauf zu bekommen. Wenn bekannt ist, daß die obersten Chefs mehr abkassieren, als ihnen zusteht, warum soll dann ein Abteilungsleiter nicht versuchen, mit getürkten Erfolgsmeldungen seinen Jahresbonus aufzubessern?

Die Dynamik der Aufsteigergesellschaft, die unsere Wirtschaft in den ersten drei Jahrzehnten nach dem Neubeginn auszeichnete, ist längst im Sumpf der neudeutschen Absahnermentalität versackt. Waren die Gründertypen aus der Kriegsheimkehrergeneration noch von dem brennenden Ehrgeiz beseelt, durch harte Arbeit wieder zu Wohlstand und Ansehen zu gelangen, so haben es die betriebs- und volkswirtschaftlich perfekt geschulten Enkel nur noch darauf abgesehen, mühelos die schnelle Mark abzuzocken. Der Virus der Immoralität frißt sich durch die gesamte Hierarchie. Der Vorteil einer offenen Gesellschaft, die dem Tüchtigen, gleich welcher sozialen Schicht er entstammt, jede Chance gibt, verkehrte sich während der wilden 80er Jahre ins Gegenteil. Viele der Aufsteiger, die nun in die Chefetagen einzogen, ließen sich blenden von Pumpgenies wie dem Amerikaner Donald Trump oder dem Briten Robert Maxwell. Schlichtere Gemüter verfolgten mit Begeisterung die Infamien eines J. R. Ewing in der TV-Seifenoper Dallas.

Der Erfolg heiligt die Mittel

Zutiefst überzeugt, daß der Erfolg jedes Mittel rechtfertigt, hielten diese Vertreter der "neuen Realisten" ethische Normen oder auch gesetzliche Vorschriften nur noch für lästige Hindernisse, die sie in ihrer unternehmenschen Freiheit einschränkten. Und nicht wenige von ihnen überschritten bedenkenlos die Grenze zwischen Recht und Unrecht.

Die Wachstumsdynamik der 80er Jahre ließ in vielen Firmen ein Klima entstehen, das die skrupellosen Macher ebenso begünstigte wie die trickreichen Absahner. Die Gier nach Geld, Macht, Anerkennung erzeugte in den Gremien der Leistungsträger eine Gruppendynamik, die bedenkliche Naturen rigoros aussortierte. Hinter dem klangvollen Namen des großen Unternehmens glaubte sich die Gruppe der Machthaber geschützt vor jeder strafrechtlichen Verfolgung. Und es waren häufig die Fähigsten und Ehrgeizigsten, die dann die Überzeugung verinnerlichten, alles und jedes sei erlaubt, wenn es nur dem Unternehmen und der eigenen Karriere nützt. Die Heuchelei gedieh zum Geschäftsprinzip: Was Erfolg hat, ist erlaubt, und kniminell ist nur, wer erwischt wird.

Und so häuften sich denn die Strafverfahren gegen Geschäftsführer, Vorstandsmitglieder und kleinere Lichter aus den Teppichetagen von Industrie- und Handelsunternehmen, Banken und Versicherungen. Lang ist die Liste der spektakulären Wirtschaftsprozesse aus den letzten Jahren, obwohl diese, wie der auf Wirtschaftsstrafsachen spezialisierte Koblenzer Staatsanwalt Hans Seeliger vermutet, nur "die Spitze des Eisbergs" darstellen. Auf einen ertappten, so die Schätzung der Strafverfolger, kommen zehn unentdeckte Täter.

Die kriminellen Karrieristen handelten oft zum Nutzen ihrer Firma, aber noch häufiger dachten sie an sich selbst. Indem sie für ihre Unternehmen Bilanzen manipulierten, Steuern hinterzogen, die Umwelt schädigten oder illegale Waffengeschäfte einfädelten, hofften sie auf schnelleren Aufstieg in der betrieblichen Hierarchie. Oder sie vermochten sich dem Druck ihrer Vorgesetzten und Kollegen nicht zu entziehen, die einfach bestimmte "Ergebnisse" erwarteten, auch wenn diese häufig nur mit illegalen Methoden zu erzielen waren.

Der Bogen der Wirtschaftsstraftäter spannt sich so vom kleinen Angestellten, der für seine ranghöheren Kollegen die Kastanien aus dem Feuer holt, bis zum Vorstandsvorsitzenden, der sich mit Hilfe einer ganzen Kette trickreicher Manipulationen einen Milliardenkonzern unter den Nagel reißt.

Gemeinsames Kennzeichen all dieser skrupellosen Weiße-Kragen-Täter ist, daß sie sich einen Teufel um die Folgen ihres Tuns scheren. Ausgestattet mit weitgehender Dispositionsfreiheit, nahmen die angestellten Manipulateure ganz selbstverständlich an, daß sie den kriminellen Charakter ihrer Handlungen hinter scheinbar legalen Geschäften verstecken konnten.

Wenn die dreisten Coups dann doch aufflogen, so meist deshalb, weil deren Nutznießer den Neid irgendeines zu kurz gekommenen Kollegen erregten. Anzeigen, meist anonym, aus dem Umfeld des Täters bringen noch immer die meisten Verfahren in Gang, bestätigt Hans Seeliger.

Wenn die Medien einen solchen Fall aufgreifen, dann erscheint er immer als Verfehlung eines einzelnen oder einer einzelnen Gruppe von Tätern. Die Vermutung, daß es sich bei der Wirtschaftskriminalität in Wahrheit nicht um individuelle Fehlleistungen handelt, sondern um ein gruppenspezifisches Phänomen, wird vorsichtshalber erst gar nicht angestellt. Zu abenteuerlich wäre nach Meinung der meisten Redakteure der Verdacht, daß die spezielle Ethik der Führungskräfte in Wirtschaft und Verwaltung Gesetzesübertretungen geradezu erzwingt.

Wer so konditioniert ist, daß er den Aufstieg in einer betrieblichen Hierarchie zu seinem Lebensziel macht, muß nach Ansicht des Münchner Organisationspsychologen Lutz von Rosenstiel geradezu zwangsläufig bis an die Grenzen des gesetzlich Möglichen gehen. Und manchmal auch darüber hinaus. Wie sehr das Managermilieu Straftaten im Bereich etwa der Bilanzierungsvorschriften, der Steuergesetze, der Offenlegungspflichten begünstigt, das wissen die Ermittler in Sachen Wirtschaftsdelikte nur allzu gut.

Wie die Elektromafia schmiert

Fast jeder größere Fall, der in den letzten Jahren aktenkundig wurde, zog eine Fülle von Anschlußverfahren nach, und nicht selten hatten die Ermittler Mühe, im ausufernden Geflecht illegaler Geschäfte Grenzlinien für ihre Tätigkeiten zu stecken. Als in München gegen neun Siemens-Manager wegen Bestechung beim Bau des städtischen Klärwerks verhandelt wurde, fühlte sich der Vorsitzende Richter stark an die Zustände einer Bananenrepublik erinnert, denn die Beweisaufnahme ließ den Schluß zu, daß derlei Schmiergeldzahlungen im Konzern keineswegs unüblich waren.

Wenn das Motivationsgerüst und die Handlungsmaximen vieler Führungskräfte in der deutschen Wirtschaft illegale Geschäfte nicht nur tolerieren, sondern diese sogar herbeizwingen, dann ist die in den Festreden der Bosse so häufig beschworene Idee des Unternehmens als "gesellschaftliche Veranstaltung" nichts als pure Blasphemie. Dann leben wir tatsächlich in einer brutalen Ellenbogengesellschaft, in der es keinen Gleichklang der Interessen zwischen dem einzelnen und dem Unternehmen und auch nicht zwischen dem Unternehmen und der Gesellschaft geben kann. Jeder ist dann seines Nächsten Feind, und Betrug und Täuschung sind lebensnotwendige Verhaltensweisen.
Der Bestechungsfall um die Münchner Klärwerke I und II enthüllte, wie routiniert das nach Daimler-Benz bedeutendste deutsche Industrieunternehmen öffentliche Auftraggeber schmierte und deshalb Millionenaufträge zu überhöhten Preisen abrechnen konnte – zu Lasten der Steuerzahler. Die Ermittlungen der Münchner Kripobeamten und Staatsanwälte brachten an den Tag, daß eine "Elektro-Mafia", der nicht nur Siemens, sondern auch andere Großkonzerne wie AEG und ABB angehörten, seit Jahr und Tag öffentliche Großaufträge unter Ausschaltung des Wettbewerbs an sich zog. Was in München so vortrefflich funktionierte und dem Konzern so fette Gewinne verschaffte, daß er Bestechungsgelder in Millionenhöhe zahlen konnte, dürfte auch in anderen Teilen der Republik gängige Praxis sein. Erschreckend an dem Münchner Verfahren aber waren jene Details aus der Beweisaufnahme, die der staunenden Offentlichkeit zeigten, wie souverän die Manager des Weltkonzerns, der für seine penible Rechnungslegung bekannt ist, die Bestechungsgelder handhabten.

Da wurden einerseits Geldboten mit Millionen Mark Bargeld im Aktenköfferchen in Bewegung gesetzt, die sich in Züricher Luxushotels mit den Abgesandten der Empfänger trafen. Da gab es andererseits Buchungsvorgänge von einer Siemens-Niederlassung zur anderen, bis am Ende niemand mehr wußte, für welches Auslandsprojekt das Bakschisch bezahlt wurde, das am Ende auf den Konten eines biederen Angestellten der Stadt München landete.

Bemerkenswert auch die Reihe der involvierten Konzernmitglieder, die ganz unten mit dem pensionierten Geldboten begann und ganz oben unterhalb der Vorstandsebene sich im Nebel der Konzernbürokratie verlor. Auch der oberste aller Siemensianer, Vorstandsvorsitzender Karlheinz Kaske, als Zeuge geladen und um ein Haar selbst auf die Liste der Verdächtigen geraten, vermochte das Dickicht der Kompetenzverftechtungen bei seinen engsten Mitarbeitern nicht zu durchdringen.

Gnädig verzichtete das Gericht auf eine allzu genaue Erforschung der Zuständigkeiten. Die Erzeugung von Komplexität ist denn auch eine der wirksamsten Waffen aller Wirtschaftsstraftäter.

"Nützliche Ausgaben"

Allein die Ermittlungen im Münchner Siemens-Fall füllen rund 500 Aktenordner, und auch bei den anderen großen Wirtschaftsprozessen hatten die Strafverfolger alle Mühe, sich in den feingesponnenen Netzen der sachkundigen Täter zurechtzufinden. Das Münchner Verfahren bewies, daß selbst bei einem so soliden und konservativen Unternehmen wie Siemens die Grenzlinien zwischen Recht und Unrecht nicht mehr klar erkennbar sind. Denn keiner der ertappten Manager zeigte Reue oder Schuldbewußtsein. Schließlich hatten sie zum Wohl ihrer Firma gehandelt und dafür beträchtliche Risiken in Kauf genommen. Klar, daß man versuchte, die belastenden Papiere noch schnell durch den Reißwolf zu jagen, ehe sie in die Hände der Ermittler fielen, auch klar, daß mit allen Mitteln versucht wurde, den Schaden zu begrenzen und vor allem die oberen Chargen zu decken. Dafür durften die verurteilten Siemensianer sicher sein, daß die Firma sie nicht im Regen stehen ließ. Prompt zahlte der Konzern auch die hohen Kautionen und bewahrte so seine Angestellten vor der Untersuchungshaft.

Für die organisierte Firmenkriminalität haben offenbar alle Verständnis. Wenn geschmiert und bestochen wird, um Aufträge zu ergattern, so dient dies ja zur Erhaltung von Arbeitsplätzen. Und solange das Ganze im Ausland stattfindet, sind die "nützlichen Ausgaben" (n.A.) sogar steuerlich abzugsfähig, denn dann dient die Korruption einem ganz besonders guten Zweck, nämlich der Ausschaltung von ausländischen Konkurrenten.

Es ist müßig, darüber zu streiten, wo der Verfall der Sitten zuerst einsetzte: beim Staat oder in der Wirtschaft. Tatsache ist, daß die Zahl der Wirtschaftsstrafprozesse rapide zunimmt, seit die Flick- und Parteispendenaffäre publik wurden. Die Erkenntnis, daß Parteiführer, Abgeordnete und andere politische Willensträger jederzeit käuflich sind, beseitigte offenbar bei vielen Westentaschen-Machiavellis in den Führungsetagen der Unternehmen die letzten Skrupel.

Auch möglich, daß das zunehmende Gedränge von immer mehr karrierewütigen Hochschulabsolventen um die wenigen begehrten Spitzenjobs ein Klima schafft, in dem sich Mut und Bedenkenlosigkeit besonders auszahlen. Wo ein Boß stets mehrere Nachwuchsmanager gegeneinander ausspielen kann, braucht er Gesetzesverstöße erst gar nicht zu befehlen. Die ehrgeizigen, auf seine Aufstiegshilfe angewiesenen Mitarbeiter werden auch so jedem Wink gehorchen und schwierige Aufgaben auch ein wenig außerhalb der Legalität zu lösen versuchen.

Am Ende zählt das Ergebnis; wie es erreicht wurde, das interessiert nur in zweiter Linie. Die Kriminalität übereifriger Manager, die ausschließlich zum Wohl ihrer Firma handeln und sich dafür allenfalls eine Beschleunigung ihrer Karrieren erhoffen dürfen, äußert sich in Delikten wie Umweltzerstörung, Bilanzfälschung, Steuerhinterziehung, illegalen Waffengeschäften, Geldwäscherei, Korruption, Rufschädigung – bis hin zum schlichten Betrug.

Mit einer Instinktlosigkeit ohnegleichen tappten die deutschen Manager in ihrem Drang, nur ja kein Geschäft auszulassen, in so ziemlich jeden Fettnapf, den sie finden konnten. Niemandem fielen offenbar die wahnwitzigen Waffen- und Aufrüstungskäufe des irakischen Diktators Saddam Hussein vor dessen Besetzung Kuwaits auf. Selbstverständlich ahnte keiner der gewieften Nutzfahrzeugexperten im Hause Daimler-Benz, daß man mit den umgebauten Tiefladern des Hauses auch Raketen transportieren konnte. Und in den Chefetagen von Konzernen wie Thyssen, Salzgitter oder Siemens war man natürlich so naiv anzunehmen, daß all die Lieferungen nach Bagdad ausschließlich friedlichen Zwecken dienen sollten. Daß sich mit den Drehbänken von Gildemeister nicht nur Geschosse, sondern auch gewöhnliche Rohre für Gas- und Wasserleitungen herstellen lassen, weiß in Bielefeld freilich jedes Kind.

Wie absolutistische Fürsten

Nur den Jürgen Hippenstiel aus Lahr hat‘s, Allah ist groß, am Ende doch erwischt. Der Hauptlieferant für die Giftgasfabrik des libyschen Diktators Muamar al Gaddafi war wohl das Bauernopfer, das die deutsche Wirtschaft ihren Gegenspielern von der amerikanischen CIA liefern mußte. An den Konzernmanagern jedenfalls ist das "Auschwitz in the sand" (so die New York Times) bisher spurlos abgeglitten. Wieder hat sich hier, wohl nicht zum letztenmal, die augenzwinkernde Kumpanei zwischen Staat und Wirtschaft bewährt.

Die Langzeitschäden, die durch die Firmenkriminalität angerichtet werden, sind noch gar nicht abzuschätzen. Denn ein Manager, der für sein Unternehmen die Umwelt zerstören, Waffen in Spannungsgebiete liefern, Gewinne legal an der Steuer vorbeischleusen oder Milliarden von Schwarzgeldern kolumbianischer Drogenbarone weißwaschen darf, der wird eines Tages beinahe zwangsläufig anfangen, auch seinen eigenen Laden nach Strich und Faden auszunehmen.

Was mit der Flick-Affäre begann, ist deshalb mit dem Co-op-Prozeß noch lange nicht zu Ende: Die Zahl der gerichtsbekannten Fälle, in denen Manager ihre Unternehmen sowie deren Eigentümer, Kunden und Lieferanten schädigten, schwillt unvermindert an, obwohl die sogenannte Vereinigungskriminalität seit dem Untergang der DDR dabei noch gar nicht erfaßt ist.

Die Delikte, um die es dabei geht, hatten fast immer die mehr oder weniger ungenierte Selbstbedienung der Manager zum Ziele. Mal ließen sie, wie der frühere Chef des Stuttgarter Elektrokonzerns SEL, Helmut Lohr, mit Firmengeldern feudale Privatvillen hochziehen, mal zockten sie ihre Firmen über außenstehende Lieferanten ab, wie Alfons Gödde, der ehemalige Chef der Krupp Stahl AG, oder sie versuchten, ihre Unternehmen gleich ganz zu kapern, wie der ehemalige Co-op Chef Bernd Otto und seine mitangeklagten Kumpane.

Der Fall des zu drei Jahren verurteilten SEL-Chefs ist scheinbar der harmloseste, und doch zeigt er wie kein anderer die Gefahren, die den Unternehmen von ihren obersten Chefs drohen. Helmut Lohr, gelernter Ingenieur und ehemaliger Postbediensteter, war der Musterknabe, der sich so wie viele der deutschen Generaldirektoren auf der Ochsentour von ganz unten bis zur Spitze des Konzerns hochgedient hat. 24 Jahre lang war seine Welt die SEL, bis er am 18. Januar 1989 wegen des Verdachts der Untreue und Steuerhinterziehung verhaftet wurde.

Sein Prozeß brachte an den Tag, wie leicht ein solcher beruflicher Höhenflug einen eigentlich ganz normalen Menschen vom Boden der Realität abheben läßt. Was muß im Gehirn eines solchen Mannes vorgehen, der annimmt, es sei völlig Rechtens, sich auf Kosten der Firma eine millionenteure Villa auf Mallorca herrichten zu lassen oder den Firmenjet ungezählte Male zu Ferienflügen für sich und seine Frau zu mißbrauchen? Antwort: Wahrscheinlich gar nichts, da derlei Usancen in den Kreisen der Konzernkarrieristen offenbar gang und gäbe sind.

Nicht von ungefähr spielte sich das gesellschaftliche Leben der Lohrs – Ehefrau Franziska, offenbar die treibende Kraft hinter der Laufbahn ihres Mannes, wurde wegen Beihilfe zu 100 000 Mark verurteilt – in jenem Milieu der Schwabenmetropole Stuttgart ab, in dem der Landesvater Lothar Späth über seine "Traumschiffaffäre" stolperte und "Mister Mercedes" Werner Niefer zeitweilig ebenfalls in den Verdacht der Untreue und Steuerhinterziehung geriet.

Die Herren im schwäbischen Musterländle – und beileibe nicht nur dort –führten sich auf wie absolutistische Fürsten, die auf die Annehmlichkeiten, die sie sich gewährten, ein Grundrecht zu haben glaubten. So jettete "Cleverle" Lothar Späth in den Flugzeugen der verschiedensten Unternehmen rund um den Globus, wenn er mal nicht gerade auf einer Hochseejacht oder in der Karibikvilla eines befreundeten Millionärs Urlaub machte.

Auch für Helmut Lohr war es bis zum Schluß unbegreiflich, wie er wegen einer Lappalie von ein paar Millionen aus dem Chefsessel in die Justizvollzugsanstalt Hohenasperg katapultiert werden konnte. Daß finstere Mächte da ihre Hand im Spiel hatten, davon ist der geschaßte SEL-Chef offenbar noch heute überzeugt – und vielleicht hat er nicht mal so unrecht.

Wenn nicht anonyme Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft wie der Steuerfahndung eingegangen wären, in denen detailliert die Verfehlungen beschrieben wurden, gäbe es bis heute wahrscheinlich keinen Fall Lohr und keinen Fall Niefer. Auch dies erhellt die Zustände in den Führungsetagen der Großunternehmen, wo nach außen hin stets Geschlossenheit demonstriert, hinter den Kulissen aber mit allen Mitteln gegeneinander gekämpft wird.

Für einen Normalverdiener mag es schwer sein, zu begreifen, was einen Spitzenmanager wie Werner Niefer oder Helmut Lohr, die jeweils mehr als eine Million Mark Gehalt kassierten, dazu bewog, ihre Karrieren für vergleichsweise geringe Beträge aufs Spiel zu setzen. Eine Antwort lieferte Richter Dr. Udo Heissler in seiner Urteilsbegründung: Helmut Lohr habe sich mit der Firma identifiziert – so weit, "daß er mein und dein nicht mehr unterscheiden konnte".

"Bären"-Geschäfte mit Krupp

Ein Firmenchef handelt also immer zum Wohl seiner Firma, auch wenn er die Firma schamlos ausnützt. "Da wird es irgendwann selbstverständlich, das Bedienungspersonal aus der Firmenkantine für private Veranstaltungen in Anspruch zu nehmen, oder den Betriebshandwerker nach Mallorca zu fliegen, um ein paar Fliesen zu verlegen – und ihn unverrichteter Dinge wieder zurückzuschicken, wenn der Gattin das Muster nicht gefällt", notierte die Stuttgarter Zeitung ungläubig aus dem Gerichtssaal.

Ging es den schwäbischen Paten in erster Linie um ihre privaten Villen, um Statussymbole also, so bewiesen die Ex-Kruppianer Alfons Gödde und Werner Resch ganz anderes Format. Systematisch und ziemlich raffiniert erleichterte das ungleiche Duo den Essener Krupp-Konzern im Laufe der Jahre um rund 15 Millionen Mark. Das Geschäft lief so: Gödde, damals Vorstandsvorsitzender der Krupp-Stahl AG mit rund einer Million Mark Jahreseinkommen, lieferte über 10.000 Tonnen Edelstahlrückstände an die Firma Reinform GmbH in Wetter, die von seinem Spezi Werner Resch beherrscht wurde. Dieser, ein ehemaliger DDR-Zehnkämpfer, hatte mit seinen sportlichen Fähigkeiten den Krupp-Konzernchef Berthold Beitz auf der Ferieninsel Sylt beeindruckt. Beitz förderte den talentierten Stahlexperten, damals Betriebsleiter beim Krupp-Konkurrenten Hoesch, nach Kräften, und bald hatte Resch ein Dutzend eigener Firmen gegründet, die alle Aufträge von Krupp bekamen.

Gödde, der es auf den Konzernvorsitz abgesehen hatte, suchte die Nähe des Beitz-Freundes, und zusammen heckten die beiden einen schönen Plan aus, der ihnen zu Millionengewinnen verhalf. Reschs Reinform GmbH bezog von Krupp Edelstahlrückstände aus Gießpfannen, sogenannte "Bären", sowie große Mengen giftigen Stahlstaubs, und zwar zu Preisen, die weit unter den marktüblichen Konditionen lagen. Die Rückstände wurden entgiftet, umgeschmolzen oder zerkleinert und anschließend wieder mit saftigen Aufschlägen an die Krupp Stahl AG zurückverkauft.

Gödde als Vorstandsvorsitzender war heimlich an der Reinform beteiligt, und Resch kontrollierte im Aufsichtsrat die Krupp-Stahl-Geschäfte. Auch dieses einträgliche Doppelpaßspiel der beiden ungleichen Manager platzte durch eine anonyme Anzeige. Ebenso wie Helmut Lohr und Werner Niefer zeigten auch die beiden Ex-Kruppianer keinerlei Einsicht in ihr Fehlverhalten, sondern beharrten bis zuletzt auf dem Standpunkt, sie hätten zum Wohl ihrer Firma gehandelt.

Das alles aber sind jedoch nur Peanuts, verglichen mit dem Schaden, den die Manager des Co-op-Konzerns angerichtet haben. Beispielhaft zeigt dieser "größte Wirtschafts-Krimi der Nachkriegszeit" (DerSpiegel), der seit Februar 1992 vor dem Landgericht Frankfurt verhandelt wird, welche Möglichkeiten zur Bereicherung skrupellosen Konzernmanagern offenstehen. Die des Betrugs und der Untreue verdächtigten sieben Exbosse des Handelskonzerns sollen rund 110 in- und ausländische Banken um rund zwei Milliarden Mark geschädigt und sich persönlich um mindestens 25,6 Millionen Mark bereichert haben.

Das Mammutverfahren, das bei Erscheinen dieses Buchs längst noch nicht abgeschlossen ist, enthüllt in seltener Klarheit die tausenderlei Tricks, mit denen heutzutage Bilanzen geschönt, Verluste in Gewinne verwandelt und Besitzverhältnisse verschleiert werden können. Und es zeigt die "unvorstellbare kriminelle Energie" (so die Zeugenaussage eines Bankiers), mit der die Aufsteiger aus dem Arbeitermilieu versuchten, den viertgrößten Handelskonzern mit über zehn Milliarden Mark Umsatz und gut 50.000 Beschäftigten zu ihrer persönlichen Goldgrube zu machen.

Ottos Selbstbedienungsladen

In allen seinen Facetten spiegelt der Co-op-Krimi den Aufstieg eines Mannes, der entschlossen war, dem real existierenden Kapitalismus seine besten Seiten abzugewinnen. Dr. Bernd Otto, ehemaliger Färbergeselle aus Wuppertal-Barmen, schaffte den Aufstieg auf der linken Spur. Nach der Lehre büffelte er in Abendkursen fürs Abitur, das er 1962 bestand, um sich anschließend an der Kölner Uni als Student der Betriebswirtschaft einzuschreiben. Versehen mit einem Stipendium der gewerkschaftseigenen Hans-Böckler-Stiftung, schaffte er in nur acht Semestern das Volkswirtschaftsdiplom mit einer Arbeit über "Mitbestimmung und Führungsentscheidung".

Der 1,90 m große, intelligente Arbeitersohn fing 1966 als Sachbearbeiter für Mitbestimmungsfragen beim Deutschen Gewerkschaftsbund in Düsseldorf an. Vier Jahre später finden wir ihn bereits an der Seite des Heinz Oskar Vetter, damals oberster Gewerkschaftsführer in Deutschland. In der Arbeitnehmerorganisation waren Leute mit profunden Wirtschaftskenntnissen Mangelware, obwohl der DGB über eines der größten Vermögen des Nachkriegsdeutschland verfügte, zu dem unter anderem die Wohnungsbaugesellschaft Neue Heimat, die Bank für Gemeinwirtschaft und eben auch die Co-op Zentrale AG in Frankfurt gehörten. Das Handelsunternehmen war aus den einstigen Konsumgenossenschaften hervorgegangen, die im beinharten Wettbewerb mit modernen Handelsketten wie Spar, Rewe und Aldi nicht mehr bestehen konnten.
Die Idee, die Konsumläden unterm Dach einer Aktiengesellschaft zusammenzufassen und daraus eine schlagkräftige Verkaufsorganisation modernen Zuschnitts zu machen, war im Grunde goldrichtig. Das Wichtigste fehlte den Gewerkschaftsbossen, die über ihre BfG genau 48,7 Prozent der Co-op-Aktien besaßen, freilich noch: talentierte Manager, die es mit der kapitalistischen Konkurrenz aufnehmen konnten. Bernd Otto sah seine Chance.

Auf Empfehlung des DGB-Finanzexperten Alfons Lappas trat er im November 1974 als Arbeitsdirektor an. Sein Vorgänger war Heinz Ruhnau, der spätere Lufthansa-Chef. Nun begann die seltsame Verwandlung des sozial engagierten Gewerkschaftlers in einen rastlosen Karrieristen. Der ehemalige Färbergeselle zwängte seine hünenhafte Figur in Nadelstreifenanzüge, ließ sich im Dienst-Daimler chauffieren und stets die Aktentasche nachtragen. Nach fünf Jahren hatte er seine Vorstandskollegen in der Gunst der Aufsichtsräte überrundet.

1979 ernannte ihn Ratspräsident Lappas zum Vorstandssprecher, ein Jahr später zum Vorstandsvorsitzenden. Nun hatte er es geschafft, und der erst 40jährige Konzernchef labte sich nach Kräften an den Insignien der Macht. Zu seinem Fuhrpark gehörten bald ein Mercedes 560 SEL, ein lindgrüner Jaguar, ein Geländewagen und noch zwei weitere Fahrzeuge. Auf Kosten seines Unternehmens ließ er eine 19 Meter lange Hochseejacht anschaffen, die er auf den Namen seiner ersten Tochter "Isabella Alexandra" taufte. Er lernte Golf und ging auf Safari.

Im Millionärsrefugium Königstein im Taunus, wo Abs und die Quandts residieren, bezog er eine 600 qm große Dienstvilla für dreieinhalb Millionen Mark. Bald legte er sich im Ausland weitere Domizile zu, so die 380 Hektar große Farm Isabella in Südafrika, eine feudale Villa im spanischen Sherry-Ort Jerez, außerdem noch ein paar Eigentumswohnungen in der Schweiz wie in Kanada.

Mit seinen regulären Jahresbezügen von immerhin 1,5 Millionen Mark allein – die Co-op-Herren zählten zu den bestbezahlten Vorständen der deutschen Wirtschaft – war der feudale Lebensstil nicht zu finanzieren. Kein Problem für Otto, den Trickreichen. Nachdem er den Vorstand von sieben auf drei Mitglieder reduziert und so seine Macht gefestigt hatte, begann er zielstrebig aus der Not seines Unternehmens Kapital zu schlagen.

Die Co-op war nämlich trotz ihrer schieren Größe ein höchst wackliges Gebilde. Denn nicht die wenigen finanzkräftigen Konsumgenossenschaften hatten sich unterm Dach der Aktiengesellschaft versammelt, sondern die Masse der zahlungsschwachen, mit einer Vielzahl von unrentablen, weil viel zu kleinen Läden. Und schon bei seiner Geburt war der neue Handelsriese hoffnungslos unterkapitalisiert.

Anstatt nun aber den Konzern konsequent auf Gewinnkurs zu trimmen, mit Ladenschließungen, Entlassungen, einer Straffung des Sortiments und ähnlichen Maßnahmen, wie es die Konkurrenten vorexerziert hatten, wählten Otto und seine Kumpane aus dem Vorstand und Aufsichtsrat einen anderen Weg. Da keiner von den Co-op-Bossen etwas vom Handel verstand, dafür um so mehr von den Techniken der Macht, begannen sie, den "Koloß auf tönernen Füßen" (Der Spiegel) nach außen hin zu einem stattlichen Unternehmen aufzuputzen. Das Handwerkszeug dazu lieferte ihnen der neue Chefbuchhalter Klaus-Peter Schröder-Reinke, ein wahrer Meister der Bilanzkosmetik, den Ottos Vorstandskollege Werner Casper bei der Ruhrgas AG abgeworben hatte. Es ging darum, die chronisch klamme Co-op, die allein bei der BfG mit 800 Millionen Mark in der Kreide stand, so gesund aussehen zu lassen, daß sie bei anderen Banken immer neue Kredite bekam.

Als schließlich die Gewerkschaftsholding BGAG, die die Co-op-Aktien von der BfG übernommen hatte, Mitte der 80er Jahre selbst in Schwierigkeiten geriet, schlug die große Stunde der Vorstandsriege. Zusammen mit seinem Kollegen Dieter Hoffmann, einem EDV-Experten, Werner Casper, dem Finanzfachmann, und dem Bilanzkünstler Schröder-Reinke heckte Otto den abenteuerlichen Plan aus.

Da sich kein Käufer für das Paket aus dem Besitz der BGAG fand, übernahm die Co-op eben selbst ihre eigenen Aktien. Dies war nach dem Aktienrecht verboten, deshalb mußte der Kauf getarnt werden. Zunächst gründete Otto zusammen mit dem von ihm beherrschten Bund Deutscher Konsumgenossenschaften (BDK) eine Beteiligungsgesellschaft, die das Gewerkschaftspaket übernahm. Den Kauf finanzierte die Niederländische Amro-Bank, aber für den Kredit mußte die Co-op geradestehen.
Um die Schuldenlast, die sich das Unternehmen aufgeladen hatte, etwas zu erleichtern, entschloß sich die "Viererbande", einen Teil der Aktien aus eigenen Beständen über die Börse ans breite Publikum zu verkaufen. Als Emissionshaus für die Co-op-Aktien im Nominalwert von 30 Millionen Mark hätte Otto gerne die Deutsche Bank gehabt, doch die gewitzten Geldhändler lehnten nach einer kurzen Prüfung der Co-op-Bilanzen dankend ab. Ihnen war das Zahlenwerk aus Schröder-Reinkes Werkstatt nicht geheuer erschienen. Auch die anderen deutschen Großbanken paßten.

Schließlich übernahm der Schweizer Bankverein, der sich damit dem deutschen Publikum empfehlen wollte, die Co-op-Papiere und brachte sie zum Preis von 165 Mark das Stück auf den Markt. Galt das Papier des Handelsunternehmens zunächst als nicht sonderlich attraktiv, so änderte sich das bald. Der Kurs des windigen Papiers zog nämlich unaufhaltsam an und verdreifachte seinen Wert in weniger als zwei Jahren. Doch nicht unternehmerische Erfolge brachten das Wunder zustande, sondern allein die Künste von Schröder-Reinke und die permanenten Aktienkäufe ausländischer Tarnfirmen, die von Otto über den Liechtensteiner Unternehmensberater Ronald Kranz gesteuert wurden.

Ein Konzern wird ausgeplündert

Wenn der Chefankläger im Frankfurter Co-op-Prozeß recht hat, dann verfolgte der Co-op-Vorstand nicht nur die Absicht, das Image des Konzerns an der Börse und bei den Banken aufzupolieren.

Das eigentliche Ziel der Manager um Bernd Otto war es demnach, einen großen Teil der Co-op-Aktien in die eigenen Hände zu bekommen. Dies geschah mit einer Vielzahl von Scheinfirmen, die in Steueroasen wie Liechtenstein, Luxemburg, der Schweiz und den Cayman-Inseln in der Karibik gegründet wurden.

Alle diese Stiftungen, Trusts und Holdings dienten als Verschiebebahnhöfe für Geld- und Aktienpakete. Staatsanwalt Heinz-Ernst Klune will beweisen, daß alle die verwirrenden Transaktionen letztlich dem Zweck dienen sollten, "sämtliche bei Konzerntöchtern liegenden Aktien dem Vermögen der Angeklagten einzuverleiben". Daß es dazu nicht kam, ist einem Bericht des Spiegel vom 17. Oktober 1988 zu verdanken, in dem erstmals die Winkelzüge der Otto-Riege aufgedeckt wurden. Die unrühmlichste Rolle in dem Schurkenstück spielen freilich nicht die Raffkes aus der Vorstandsetage, sondern die ehrenwerten Gewerkschaftsbosse im Co-op-Aufsichtsrat. Meister Alfons Lappas ließ sich, wenn er nicht selber sogar aktiv an der Gaunerei beteiligt war, von Otto mit millionenschweren Provisionszahlungen, teuren Reisen und allerlei Geschenken nach Strich und Faden einseifen, und auch die anderen Spitzenfunktionäre zeigten ein Engagement wie die drei Affen, die zusammen nichts sehen, nichts hören und nichts sagen.

Reingefallen sind rund 130.000 Kleinaktionäre, die ihre Papiere nicht rechtzeitig verkauften und darum von der unausweichlichen Pleite des Konzerns, die einen Kapitalschnitt erforderlich machte, voll getroffen wurden. Gelitten haben rund 50.000 Co-op-Beschäftigte, die monatelang um ihren Job bangen mußten, gelitten hat auch der Schweizer Bankverein, der die Aktien an die Börse brachte und einen Großteil seiner Co-op-Kredite abschreiben mußte. Zum Menetekel aber wurde der Fall Co-op für das deutsche Management. Denn es war eben kein typischer "Betriebsunfall" der Gewerkschaften, wie einst der Skandal um die Neue Heimat, sondern ein Lehrstück in Sachen Betriebswirtschaft. Es zeigte, was schwachen Eigentümern blüht, deren Vermögen in die Hände raffgieriger Manager fällt. Und zu welchen Höchstleistungen leitende Angestellte fähig sind, wenn sie erst einmal nach Belieben schalten und walten dürfen.

Otto und seine Kumpane ließen keinen der Tricks aus, mit denen heutzutage in den Kommandostellen der Wirtschaft gearbeitet wird. Sie ließen sich überhöhte Rechnungen ausstellen und lenkten den Differenzbetrag über ausländische Strohfirmen in die eigenen Taschen, sie ließen ihren Konzern Tochterfirmen kaufen und zweigten dabei hohe Vermittlungsprovisionen für sich selbst ab, und selbst für den Fall des Falles sorgten sie nach bewährter Methode vor: Otto schickte seine Frau vor der Geburt ihrer beiden Töchter nach Kanada, weil er seinen Erben somit automatisch die kanadische Staatsbürgerschaft sicherte, und auch Kollege Werner Casper floh nach Toronto, weil er sich dort vor den Häschern des Bundeskriminalamts sicher glaubte.

Otto freilich schätzte die Lage falsch ein, als er nach einem Besuch der Wiesbadener Ermittler seine südafrikanische Fluchtburg freiwillig verließ, um sich in Frankfurt den Staatsanwälten zu stellen. Statt ihn, wie erhofft, wieder auf freien Fuß zu setzen, steckten ihn die Strafverfolger sofort in Untersuchungshaft.

...

zurück zur Seite über Marktwirtschaft