Auszüge aus Rupert Lay's
"Manipulation durch Sprache"

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Vorwort

Ich gehe in diesem Buch davon aus, daß jeder Mensch käuflich ist. Er ist bereit, für ideelle oder materielle Belohnung etwas zu tun, was er aus eigenem Antrieb niemals tun würde. Jeder Mensch ist also durch andere in seinem Verhalten zu deren Nutzen beeinflußbar, wenn man ihm nur genug für sein verändertes Verhalten bietet. Auch ein Dackel, dem man ein Stück Wurst vor die Nase hält, ist bereit, so manches zu tun, was er sonst geflissentlich bleiben lassen würde, weil es – sieht man einmal von dem erwarteten oder erhaltenen Lohn ab – ihm in keiner Weise nützt. Da sind wir Menschen nicht sehr viel anders. Bloß, daß statt des Wurstzipfels uns ein "Wert" oder etwas, das wir dafür halten, vor die Nase gehalten wird.

Jeder Mensch ist also käuflich. Und nur die Preise – nach Höhe und Art – unterscheiden die Menschen. Alle aber kann man zu Handlungen veranlassen, die keineswegs in ihrem Interesse liegen. Alle sind also manipulierbar. Der Preis hängt seiner Höhe nach von mancherlei Faktoren ab:

F      Etwa das Maß des Desinteresses an der Handlung, zu der man geködert werden soll,

F      etwa die emotionale Besetzung des Preises (seine vermutete Werthaftigkeit also),

F      etwa die emotionale Einbindung in eine Gruppe

F      etwa die psychische Labilität

sind nur so einige Aspekte, die hier zu nennen sind.

Ergibt sich in einer Art Güterabwägung, daß der angebotene Preis die Mühe, mitunter gar den Verrat an den eigenen Prinzipien lohnt, wird man ihn kaum ausschlagen.
Doch auch die Art des Preises wird sehr unterschiedlich sein können. Für den einen sind es materielle Anreize, für den anderen eher ideelle, die seine Entscheidung bestimmen. Und von den ideellen gibt es eine ganze Menge. Angefangen von Lob und Anerkennung bis hin zu religiösen oder pseudoreligiösen Werten reicht die Palette, die sich geschickte Manipulateure zunutze machen, um Verhalten zu ihren Gunsten zu beeinflussen.

Wir alle haben gelernt, käuflich zu sein. Das kann man Schule des Lebens nennen. Eine Schule, die uns "Werte" vermittelt, auf die wir durch eigenes Nachdenken und eigene Entscheidung niemals gekommen wären, und die so gleichsam die Währung festlegt, in der wir bezahlt werden können. Eine Schule aber auch, die uns lehrt, Kompromisse zu schließen – auch zwischen unseren Idealen und der Wirklichkeit (oder was auch immer wir entschuldigend anführen, wenn wir uns unseren idealen Schneid abkaufen lassen).

Offensichtlich wird dieses Buch vom Menschen handeln müssen. Vom Menschen, der sich manipulieren läßt, der eine ganze Welt von Manipulationstechniken aufgebaut hat, die er dann mit verschiedenen verschleiernden Etiketten versieht: Politik, Wirtschaft, Erziehung ... sind einige davon.

Wir alle leben in einer Welt, die weitgehend begründet ist in den sozialen Beziehungen, die wir miteinander eingehen. Solche Beziehungen sind aber nur selten ganz altruistisch. Meistens haben auch wir unseren Nutzen – oder möchten ihn doch haben. So versuchen wir ständig, das Verhalten anderer Menschen zu unserem Nutzen zu modifizieren, wie auch andere Menschen zu ihrem Nutzen auf uns einzuwirken trachten.

Ich begann gleich nach meiner Geburt meine Mitwelt zu manipulieren, das heißt durch mein Verhalten zu meinem Nutzen zu beeinflussen. Ich schrie. Ich schrie, wenn ich Hunger hatte, ich schrie, wenn ich mich unwohl fühlte, ich schrie, wenn ich mich nach sozialen Kontakten sehnte. Und meistens hatte das Schreien Erfolg. Meine Mutter verstand allmählich, was mein Schreien gerade bedeutete, und tat das, was mir nutzte, schon alleine, um das Schreien abzustellen. Als ich im dritten Lebensmonat zu lächeln begann, tat ich das etwa nicht, weil ich mich gerade freute, oder weil ich von Natur aus ein sonniges Gemüt mitbekommen habe, sondern rein instinktiv. Vermutlich um aufkommende Aggressionen (etwa durch mein Schreien ausgelöst) abzubauen. So ein Lächeln kann Erwachsene zu den merkwürdigsten Reaktionen veranlassen, in jedem Fall aber sind sie irgendeine Art von Liebeszuwendung, und die braucht man als Säugling wenigstens ebenso sehr wie seine Milch. Manche Erwachsene lassen sich dabei zu recht törichten Verhaltensweisen anregen. Sie sagen: "Was für ein reizendes Kind, jetzt hat er sogar gelächelt!" oder: "Ei, ei, ei, wie geht es dir?"

Doch auch mich hat man schon früh manipuliert. Wenn ich zum Beispiel schrie, nur weil es mir Spaß machte, so als ein lustvoller Selbstvollzug, da kam dann meist meine Mutter und versuchte, mich mit allen möglichen Tricks zum Schweigen zu bringen. Sie wollte also mein Verhalten zu ihrem Nutzen beeinflussen, da sie offensichtlich der Meinung war, ein braver Säugling schreie nicht ohne Grund. Damit war sie einem radikalen Fehler aufgesessen, der das Denken der Welt der Erwachsenen bestimmt: Man täte nichts ohne Grund – wobei sie dann meist noch der Meinung sind, Grund – das wäre ein vernünftiger Grund. Sie meinen, wenn man etwas täte, müßte man einen vernünftigen Grund dafür haben. Dieser radikale Irrtum führt zu den merkwürdigsten Rationalisierungen. Weil meine Mutter nicht zugeben wollte, mich manipuliert zu haben, erklärte sie mein Schreien rational. Sie fand, daß in ihrer Erwachsenenwelt jemand nur schreit, weil und wenn er sich bemerkbar machen will in einer Situation, die fremde Hilfe erfordert. Und deshalb rationalisierte sie etwa: "Das Kind hat Hunger." Dann war sie enttäuscht, wenn mein Durst gleich Null war.

Die Erwachsenen verstehen nicht, daß die eigentliche Welt aufgebaut wird durch Sinneswahrnehmungen, die wir emotional verarbeiten und interpretieren. Sie wissen nicht, daß die eigentliche Welt des Menschen eine emotionale Welt ist, die ihre Interpretamente aus dem Unbewußten nimmt. Sie glauben vielmehr, die eigentliche Welt sei die durch Verstandestätigkeit gebrochene und verstümmelte Sinneswelt, eine rationale Welt also. Und deshalb müßte auch alles eine bestimmte, im Regelfall vernünftige Ursache haben. Sie neigen dazu, die emotionale Welt als eine Art Scheinwelt zu betrachten. Weil ich dieses Buch für Erwachsene schreibe, habe ich mich auf diese Falschvorstellung eingestellt. Ich werde also so tun, als wäre die Welt des Menschen eine vernünftige Welt. Ich werde annehmen, wie falsch das auch immer ist, daß die emotionale Welt eine Scheinwelt sei. Ich sehe mich zur Manifestierung solch radikalen Irrtums veranlaßt, weil die meisten Menschen auf ihren Verstand stolzer sind als auf ihre unbewußten emotionalen Antriebe. Und das ist wohl verständlich, denn man kann kaum auf etwas stolz sein, was man nur sporadisch – und dann meistens, weil arational, als störend – wahrnimmt.

Der Verkehr zwischen Menschen hat nun zwei Ebenen: eine rationale und eine emotionale. Die emotionale besitzt wiederum zwei Etagen, die bewußte und die unbewußte. Auf allen Etagen und allen Ebenen ist Manipulation möglich und weitgehend üblich. Am sichersten geschieht Manipulation natürlich auf der Ebene unbewußter Motivationen, denn eine Manipulation ist zumeist dann besonders effizient, wenn sie dem anderen, dem Manipulierten, nicht bewußt werden kann. Doch das gehört nicht zum Wesen der Manipulation.

Nun habe ich – wie berichtet – meine Mitwelt schon lange manipuliert, ehe ich denken oder planen konnte. Eine Reihe manipulatorischer Techniken sind uns Menschen angeboren – und das ist gut so, denn sonst würden die meisten von uns kaum das erste Lebensjahr überstehen. Auf der anderen Seite ist es notwendig, daß unsere Eltern darauf festgelegt sind, unseren Manipulationsaktivitäten zu entsprechen. Das Ganze kann man, wenn man will, auf instinktive Verhaltensweisen reduzieren.

Auch im Tierreich gibt es durchaus manipulationsanaloge Verhaltensmuster – ja in noch verbreiteterem Maße als bei Menschen. Er unterscheidet sich allerdings vom Tier darin, daß er so gegen Ende des ersten Lebensjahres beginnt, bewußt zu manipulieren und manipulatorische Techniken einzuüben. Ein Jahr später beherrscht er schon eine ganze Reihe davon. Er hat schon längst herausbekommen, daß nahezu alle Autoritäten manipulierbar sind.

Durch Wohlverhalten können wir ihre Zuneigung und Zuwendung produzieren. Das nützen wir dann auch redlich aus. Wir manipulieren sie, indem wir durch – oft bloß scheinbares – Wohlverhalten ihr Verhalten zu unseren Gunsten beeinflussen. Dabei merken wir nicht, daß wir dabei "zurückmanipuliert" werden. Diese Gegenmanipulation besteht darin, daß wir auf solche Weise lernen, bestimmte Verhaltensmuster (die belohnt werden) zu unseren eigenen zu machen und wie selbstverständlich zu praktizieren. Damit legen wir den Grundstein unserer Sozialisierung, das aber heißt dafür, daß wir "nützliche" Mitglieder der Gesellschaft werden, die uns manipuliert.

Das kann auch auf unsere Religiosität abfärben. In der Erfahrung, daß alle Autoritäten manipulierbar sind zu unserem Nutzen, versuchen wir auch durch moralisches Wohlverhalten "Gott" (was auch immer wir dafür halten) zu unseren Gunsten zu beeinflussen.

So lernen wir schon bald, uns in einer Welt einzurichten, in der Herrschen Manipulieren heißt. Wir lernen durch zahlreiche kleine und große Tricks, das Verhalten unserer Mitmenschen zu unseren Gunsten zu ändern. Das tun wir, wenn wir einen Job suchen, das tun wir, wenn wir etwas verkaufen wollen, das tun wir, wenn wir um eine Freundin (oder einen Freund) werben, das tun wir, wenn wir andere Menschen zu etwas "motivieren", das tun wir alltäglich immer und immer wieder.

Wir wären nun aber töricht, wenn wir annähmen, anderen Menschen ginge es anders. Auch sie haben, zahlreiche Techniken entwickelt, uns zu einem Verhalten zu veranlassen, das ihnen nützt. Daß wir meist eher merken, wenn wir andere manipulieren, als wenn uns andere manipulieren, mag damit zusammenhängen, daß uns oft unsere eigenen Motive klarer sind als die der anderen. Es mag aber auch seinen Grund darin haben, daß wir zu eitel sind, uns zuzugestehen, daß wir alltäglich oftmals das "Opfer" der manipulatorischen Techniken unserer Mitmenschen werden. ...

Inhaltsverzeichnis

Vorwort
Einleitung: Was ist Manipulation?
Exkurs: Manipulation und Dialektik
Was ist Sprache?
Über die möglichen Träger manipulatorischer Techniken
Die formalen Träger manipulatorischer Techniken
Die materialen Objekte manipulatorischer Techniken
Anthropologische Vorüberlegungen zum Thema Manipulation und Manipulierbarkeit
Der Mensch als offenes, unfertiges Wesen
Der Mensch als soziales Wesen
Über einige Eigenschaften und Defekte, die eine Person leichter manipulierbar machen
Die desorientierte Persönlichkeit
Die nicht-zentrierte Persönlichkeit
Die nicht-integrierte Persönlichkeit
Exkurs: Man kann auch in der Sprache sterben

Typen manipulatorischer Technik
Einige Gedanken über den Menschen als manipuliertes Wesen
Die wichtigsten Regeln der Menschenbeeinflussung
Typen der Manipulation
Die politische Manipulation
Die ökonomische Manipulation
Die soziale Manipulation
Die Manipulation durch die Gruppe
Die Manipulation mittels der Gruppe
Die Manipulation der Gruppe
Exkurs: Manipulation in Ehe und Familie

Die religiöse Manipulation
Situationen manipulatorischer Techniken
Einige Regeln für die Verwendung manipulatorischer Techniken
Über das Erkennen des Gegners
Wie man auf sich aufmerksam macht
Über das richtige Verpacken
Wie man sich richtig wiederholt
Wie man Gefühle anspricht
Wie man mit fremden Ängsten umgeht
Über den rechten Augenblick
Wie man den anderen in die Mitte stellt

Einige Fälle
Einige Reden
Schlußbemerkung
Literaturverzeichnis

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