Auszüge aus Robert B. Cialdini's
"Die Psychologie des Überzeugens"

Ein Lehrbuch für alle, die ihren Mitmenschen und sich selbst auf die Schliche kommen wollen

Robert B. Cialdini ist Psychologie-Professor an der Arizona State University. Er studierte an verschiedenen Universitäten in den Vereinigten Staaten und war Vorsitzender der US-amerikanischen Gesellschaft für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie. Sein weit zurückreichendes Interesse an dem komplexen Zusammenspiel der Faktoren, die Menschen dazu bringen, sich auf eine bestimmte Art zu verhalten, schreibt er selbst der Tatsache zu, daß er in einer italienischen Familie in einem überwiegend polnischen Stadtviertel einer deutsch geprägten Stadt (Milwaukee) aufgewachsen ist.

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Vorwort

In seiner ersten Version war dieses Werk als populärwissenschaftliches Sachbuch konzipiert, daher war besonderer Wert auf eine interessante Darstellung des Stoffs gelegt worden. Dieser Stil wurde in den späteren Versionen beibehalten, die ich jedoch um die wissenschaftlichen Belege für die Aussagen, Empfehlungen und Schlußfolgerungen ergänzte. Die in dem Buch gezogenen Schlüsse werden zwar durch Hilfsmittel wie Interviews, Zitate und systematische persönliche Beobachtungen anschaulicher gemacht und untermauert, ihre Grundlage sind jedoch kontrollierte, psychologische Forschungsarbeiten. Aus diesem Grund können sowohl Lehrer und Dozenten als auch Schüler und Studenten sicher sein, daß dieses Buch nicht "aus dem hohlen Bauch heraus" geschrieben wurde, sondern wissenschaftlich fundiert ist. Die späteren Ausgaben enthalten auch neues und aktualisiertes Material, Kapitelzusammenfassungen und Verständnis- bzw. Vertiefungsfragen, die seine Brauchbarkeit für Lehrzwecke erhöhen.

Das Buch ist mit dem Ziel verfaßt worden, einen angenehm zu lesenden, praxisbezogenen und gleichzeitig wisscnschaftlich untermauerten Text vorzulegen, der sowohl für Studierende als auch für andere interessierte Leser interessant ist. Aus der Sicht der Studierenden stellt sich dieses Buch möglicherweise als angenehme Abweichung von üblichen Lehrtexten dar: Es ist spannend zu lesen, ohne dabei auf wissenschaftlichen Anspruch zu verzichten. Sowohl den Studierenden als auch allen anderen Lesern zeigt dieses Buch, daß es möglich ist, als "trocken" geltenden wissenschaftlichen Stoff so darzustellen, daß er sich als interessant, nützlich und alltagsrelevant erweist.

Die Waffen der Einflußnahme

Eines Tages erhielt ich einen Anruf von einer Freundin, die kurz zuvor einen Laden für indianischen Schmuck eröffnet hatte. Sie brannte darauf, mir von einer verrückten Geschichte zu erzählen, die sich soeben ereignet hatte. Sie war der Meinung, daß ich, als Psychologe, in der Lage sein müßte, ihr eine Erklärung für die Sache zu liefern. Es ging bei der Geschichte um ein schwer verkäufliches Kontingent von Türkisen. Es war Hochsaison, im Geschäft herrschte ungewöhnlich viel Betrieb, die Steine waren im Verhältnis zum verlangten Preis von hoher Qualität – und dennoch wollte sie niemand kaufen. Meine Freundin hatte eine Reihe der üblichen Verkaufstricks ausprobiert, um die Steine loszuwerden. Sie versuchte, die Aufmerksamkeit auf sie zu lenken, indem sie sie weiter in die Mitte der Auslagen rückte – ohne Glück. Sie wies sogar das Verkaufspersonal an, sie besonders anzupreisen – ebenfalls ohne Erfolg.

Schließlich hinterließ sie eines Abends, bevor sie eine Geschäftsreise antrat, auf einem rasch geschriebenen Zettel eine verzweifelte Mitteilung an ihre leitende Verkäuferin: "Alles in dieser Auslage Preis x 1/2", in der Hoffnung, die lästigen Stücke dadurch loszuwerden, und sei es mit Verlust. Als sie ein paar Tage später zurückkehrte, war es für sie keine Überraschung zu erfahren, daß alle Artikel verkauft waren. Völlig perplex war sie jedoch, als sie herausfand, daß ihre Angestellte das "1/2" aus ihrer hingekritzelten Nachricht als "2" gelesen hatte und das ganze Kontingent für das Doppelte des ursprünglichen Preises weggegangen war.

Und da hatte sie zum Telefon gegriffen und mich angerufen. Ich glaubte zu wissen, was geschehen war, sagte ihr aber, daß sie sich, wenn ich ihr die Sache genau erklären sollte, eine Geschichte von mir anhören müsse. Nun, eigentlich geht es in der Geschichte eher um Truthennen als um mich. Sie entstammt dem Erkenntnisschatz der Ethologie, einer relativ jungen Wissenschaft, die sich mit dem Studium von Tieren in ihrer natürlichen Umgebung befaßt. Truthennen sind gute Mütter – liebevoll, aufmerksam und beschützend. Einen großen Teil ihrer Zeit verbringen sie damit, das Junge unter ihnen zu behüten, zu wärmen, zu putzen und zu liebkosen; etwas Merkwürdiges hat ihre Methode jedoch: Praktisch das ganze mütterliche Erziehungsverhalten wird durch einen einzigen Reiz ausgelöst: das "Tschiep-tschiep" der Küken. Andere Merkmale der Küken, wie sie riechen, wie sie sich anfühlen oder wie sie aussehen, spielen anscheinend nur eine untergeordnete Rolle für das Aufzuchtverhalten der Henne. Macht das Küken "tschiep-tschiep", wird es von der Henne bemuttert, wenn nicht, wird es von ihr ignoriert oder manchmal sogar getötet.

Wie sehr sich Truthennen auf dieses eine Geräusch verlassen, verdeutlichte sehr drastisch der Tierverhaltensforscher M. W. Fox (1974) durch ein Experiment mit einer Truthenne und einem ausgestopften Stinktier. Ein Stinktier ist für die Truthenne normalerweise ein natürlicher Feind, auf dessen Näherkommen sie mit wütendem Kreischen, Hacken und Kratzen reagiert. Sogar ein ausgestopftes Stinktier, das sich, an einem Faden gezogen, auf die Henne zu bewegte, wurde in diesem Experiment sofort heftig attackiert. Wenn jedoch dieselbe Attrappe über ein eingebautes Tonbandgerät das "Tschiep-tschiep" der Küken produzierte, ließ die Henne das auf sie zukommende Stinktier nicht nur in Ruhe, sondein nahm es sogar unter ihre Fittiche. Sobald man das Tonbandgerät abstellte, wurde die Attrappe erneut Opfer eines zornigen Angriffs.

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Diese festen Handlungsmuster (fixed-action patterns, wie sie genannt werden) können sich auf komplexe Verhaltensabläufe wie vollständige Werbungs- oder Paarungsrituale beziehen. Ein grundsätzliches Merkmal solcher Muster besteht darin, daß die Verhaltensweisen, aus denen sie zusammengesetzt sind, jedes Mal praktisch in der gleichen Form und Reihenfolge ablaufen. Es ist fast so, als seien die Muster auf Bändern abgespeichert, die sich in den Tieren befinden. Wenn eine Situation Paarungsverhalten erfordert, wird das Band "Paarungsverhalten" abgespielt, für die Situation "Aufzucht von Jungtieren" liegt das Band "Aufzuchtverhalten" bereit usw. "Klick" – und das entsprechende Band wird gestartet, "surr" – und die standardisierte Verhaltensabfolge wird abgespult.

Der interessanteste Aspekt der ganzen Sache ist die Art und Weise, wie die Bänder zum Laufen gebracht werdcn. Bei der Verteidigung des Territoriums beispielsweise ist es das Eindringen eines anderen Individuums derselben Art, das den Hinweisreiz für das Band "Gebietsverteidigungsverhalten" – Aufpassen, Drohen und, falls nötig, Kämpfen – darstellt; etwas an dem ganzen System ist jedoch verwunderlich: Der Auslöser ist nicht der Rivale als Ganzes, sondern ein spezielles Merkmal – das Auslösemerkmal (trigger feature). Oftmals bildet ein kleines Detail des gesamten Erscheinungsbildes des Eindringlings das Auslösemerkmal. Manchmal ist das Auslösemerkmal einfach ein bestimmter Farbton. Ethologische Experimente haben beispielsweise gezeigt, daß ein männlicher Spatz ein spatzenbrustrotes Federhüschel heftig attackiert und sich so verhält, als sei ein rivalisierender Spatz in sein Territorium eingedrungen. Eine perfekte Attrappe ohne Brustfedern dagegen wird von ihm praktisch ignoriert (Lack, 1943). Ähnliche Ergebnisse fanden sich bei einer anderen Vogelart – dem Blaukehlchen, bei dem anscheinend Brustfedern in einem speziellen Blauton den Auslöser für Gebietsverteidigungsverhalten darstellen (Peiponen, 1960).

Ehe wir uns nun allzu selbstgefällig über die Leichtigkeit amüsieren, mit der Auslösemerkmale diese niedrigen Tiere dazu bringen können, völlig inadäquat auf eine Situation zu reagieren, sollten wir uns zwei Dinge vor Augen führen. Zum einen funktionieren die automatischen fixen Handlungsmuster dieser Tiere in den meisten Fällen sehr gut. Da beispielsweise nur normale, gesunde Küken der Truthenne die speziellen Lautäußerungen eines Jungen dieser Art hervorbringen, ist es durchaus sinnvoll, daß die Truthennen mit Bemutterungsverhalten auf dieses "Tschiep-tschiep" reagieren. Mit dieser Reaktion liegt die durchschnittliche Truthenne in den meisten Fällen goldrichtig. Da muß schon ein besonders hinterhältiger Mensch (z.B. ein Forscher) daherkommen, um ihr automatisches Verhalten dumm aussehen zu lassen. Der zweite wichtige Punkt, den man sich klarmachen muß, ist, daß auch wir unsere vorprogrammierten Bänder haben und daß diese uns zwar in der Regel gute Dienste leisten, jedoch die Auslösemerkmale, durch die sie in Gang gesetzt werden, auch uns in die Irre führen und dazu bringen können, die Bänder zum falschen Zeitpunkt abspulen zu lassen.

Automatisches Verhalten beim Menschen kommt sehr schön in einem Experiment der Sozialpsychologin Ellen Langer und ihrer Mitarbeiter (Langer, Balnk & Chanowitz, 1978) zum Ausdruck. Ein bekanntes Prinzip des menschlichen Verhaltens besagt, daß wir, wenn wir jemanden um einen Gefallen bitten, mehr Aussicht auf Erfolg haben, wenn wir unsere Bitte begründen. Die Leute möchten einfach gerne einen Grund haben für das, was sie tun. Diese wenig überraschende Tatsache demonstrierte Langer in ihrem Experiment, indem sie Leute, die vor dem Kopierer einer Bibliothek anstanden, um einen kleinen Gefallen bat: "Entschuldigung, ich habe fünf Seiten. Könnten Sie mich bitte vorlassen, weil ich es sehr eilig habe." Dieser begründeten Bitte wurde in fast allen Fällen entsprochen: Vierundneunzig Prozent der Wartenden ließen sie vor.

Anders sah es aus, wenn sie ihre Bitte nicht begründete: "Entschuldigung, ich habe fünf Seiten. Könnten Sie mich bitte vorlassen?" Unter diesen Bedingungen wurde sie nur in 60 Prozent der Fälle vorgelassen. Auf den ersten Blick lag der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Bitten in der zusätzlichen Information, die mit den Worten weil ich es sehr eilig habe gegeben wurde. Eine dritte Version, die Langer ausprobierte, zeigte jedoch, daß dies keineswegs der Fall war, sondern daß es anscheinend allein auf das Wörtcheii weil ankam. In der dritten Bitte benutzte Langer auch das Wort weil, fügte dann jedoch nichts Neues mehr hinzu, sondern bestätigte nur noch einmal das ohnehin Offensichtliche: "Entschuldigung, ich habe fünf Seiten Können Sie mich bitte vorlassen, weil ich Kopien machen muß." In diesen Fall gaben wiederum fast alle Wartenden (93 Prozent) der Bitte nach, obwohl sie eigentlich keinen Grund dazu hatten: Sie hatten keine zusätzliche Information bekommen, die es gerechtfertigt hätte, die junge Frau vorzu lassen. Wie das "Tschiep-tschiep" der Küken bei der Truthenne eine automatisch Bemutterungsreaktion auslöst – selbst wenn es von einem ausgestopften Stinktier stammt – , löste das Wort weil bei Langers Versuchspersonen eine automatische Einwilligungsreaktion aus – selbst wenn gar kein wirklicher Grund folgte. Klick-surr.

Einige weitere Befunde von Langer zeigen, daß menschliches Verhalten zwar nicht immer, aber doch in vielen Fällen nach einem so mechanischen Muster funktioniert (Langer, 1989). Man betrachte zum Beispiel das merkwürdige Verhalten der erwähnten Kunden des Schmuckgeschäfts, die sich auf ein Kontingent Türkise stürzen, kurz nachdem ihr Preis versehentlich verdoppelt worden ist. Es fällt schwer, diesem Verhalten einen Sinn abzugewinnen, es sei denn, man betrachtet es als eine Form von "Klick-surr"-Reaktion.

Die Kunden, überwiegend wohlhabende Urlauber, die nicht viel Ahnung von Türkisen hatten, orientierten sich an einem Grundprinzip, dem Stereotyp: teuer = gut. Zahlreiche Forschungsergebnisse belegen, daß sich Personen, die unsicher hinsichtlich der Qualität einer Sache sind, oft auf dieses Stereotyp zurückgreifen (eine Übersicht findet sich bei Olson, 1977), Daher waren die Steine in den Augen der Urlauber, die "Qualität" haben wollten, wertvoller und verlockender, obwohl das Einzige, was sich verändert hatte, der Preis war. Der Preis allein war zum Auslösemerkmal für Qualität geworden und ein drastischer Preisanstieg allein hatte zu einer drastischen Steigerung der Nachfrage bei den qualitätshungrigen Käufern geführt. ...

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