Auszüge aus Noam Chomsky's
"Media Control"

Wie die Medien uns manipulieren

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Vorwort

Die im folgenden behandelten Probleme haben ihre Wurzeln in der Eigenart westlicher Industriegesellschaften und sind von Anfang an Gegenstand von Auseinandersetzungen gewesen. In kapitalistischen Demokratien ist die politische Macht in einem Spannungsfeld angesiedelt. Demokratie heißt im Prinzip Herrschaft des Volks. Aber die Entscheidungsbefugnis über zentrale Bereiche des Lebens liegt in privaten Händen, was weitreichende Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaftsordnung hat. Eine Möglichkeit, die Spannung zu vermindern, läge in der Ausdehnung des demokratischen Systems auf wirtschaftliche Investitionsentscheidungen, die Organisation von Arbeit usw. Das würde zu einer umfassenden sozialen Revolution führen, in der, zumindest meiner Ansicht nach, die politischen Revolutionen vergangener Zeiten ihre Vollendung fänden und einige der libertären Grundsätze, auf denen sie z.T. beruhten, verwirklicht werden könnten. Oder man vermindert die Spannung, indem man, wie es bisweilen geschieht, den Einfluß der Öffentlichkeit auf die staatliche und privatwirtschaftliche Macht beseitigt. In den fortgeschrittenen Industriegesellschaften bedient man sich im allgemeinen einer Vielzahl von Maßnahmen, um die demokratisch verfaßten Strukturen ihres wesentlichen Gehalts zu berauben, ohne ihre formale Funktionsweise anzutasten. Ein großer Teil dieser Aufgabe wird von ideologischen Institutionen übernommen, die Gedanken und Einstellungen so kanalisieren, daß einer potentiellen Opposition gegen die etablierten Mächte von vornherein der Stachel genommen wird. Mich interessiert dabei vor allem eine Frage: Auf welche Weise sorgen die nationalen Medien in den USA und mit ihnen zusammenhängende Elemente der elitären intellektuellen Kultur für die Kontrolle der Gedanken? Meines Erachtens wird diesen Dingen zuwenig Aufmerksamkeit gewidmet, und ich habe das lebhafte Empfinden, daß die Bürger demokratischer Gesellschaften Unterricht in intellektueller Selbstverteidigung nehmen sollten, um sich vor Manipulation und Kontrolle schützen und substantiellere Formen von Demokratie anstreben zu können. Diesem Zweck sollen die Materialien und Analysen des vorliegenden Bandes dienen.

Über Medien als Regierungsassistenten

"Es ist sehr interessant", bemerkte Senator William Fulbright anläßlich einer Anhörung des Senats zum Thema Medien und Regierung 1966, "daß so viele unserer herausragenden Zeitungen beinahe zu Agenten oder Assistenten der Regierung geworden sind und ihre Politik weder anfechten noch hinterfragen."141 Diese Bemerkungen sind nicht ganz zutreffend, weil die Medien so willfährig sich nicht verhalten; doch hinterfragen sie die Regierungspolitik ausschließlich innerhalb des Rahmens der gemeinsamen Machtinteressen von Staat und Wirtschaft. Differenzen zwischen Eliten finden in den Medien ihren Niederschlag,142 aber die eng gezogenen Grenzen des Konsenses werden nur selten überschritten. Es ist wahr, daß die amtierenden Staatsverwalter normalerweise bestimmen, was die Medien zum Thema machen. Aber wenn die Politik versagt oder den Machtinteressen zu schaden scheint, werden die Medien die Regierung "anfechten" und andere Mittel zur Verwirklichung von Zielen vorschlagen, die ihrerseits allerdings unhinterfragt bleiben, sofern sie überhaupt bewußt reflektiert werden. Um das zu illustrieren, hatte ich an einigen Beispielen gezeigt, wie die Medien das Regierungsprojekt "Dämonisierung der Sandinisten" stützten und zugleich die Terrorstaaten in Mittelamerika priesen. Trotz meiner in jahrelanger Beschäftigung mit den Medien entwickelten Skepsis hatte ich nicht erwartet, daß sie dieser Herausforderung gewachsen sein würden. Als ich 1985 die reaganistischen Desinformationsprogramme in Sachen Mittelamerika beschrieb, verglich ich Nicaragua nicht mit El Salvador und Guatemala, um die Heuchelei (oder Lügenhaftigkeit) der Vorwürfe nachzuweisen, weil ich die Intelligenz meiner Leser nicht beleidigen wollte. Statt dessen bezog ich die gegen Nicaragua erhobenen Anschuldigungen auf das Verhalten der israelischen "Musterdemokratie" zu jener Zeit und den Aktionen der Vereinigten Staaten unter Kriegsbedingungen, um zu zeigen, daß die Sandinisten angesichts dieser – zugegebenermaßen nicht sehr beeindruckenden – Maßstäbe höchst achtbar verfuhren.143 Aber ich hatte die Medien unterschätzt. Innerhalb eines Jahres war es ihnen gelungen, die mörderischen US-Vasallen als (wenngleich leicht fehlerhafte) Demokratien darzustellen, während die sandinistische Bewegung in Nicaragua zur Inkarnation des Bösen geworden war. Das bestätigen nicht nur meine im letzten Kapitel beschriebenen Untersuchungen, sondern auch die Forschungen des Politologen Jack Spence, der die allgemeine Berichterstattung in den Medien sowie 181 in der New York Times zum Thema Nicaragua veröffentlichte Artikel aus dem ersten Halbjahr 1986 analysierte. Spence kommt zu dem Ergebnis, daß Mittelamerika praktisch ignoriert wurde, bis die USA sich 1978 herausgefordert fühlten. Von 1969 bis 1977 widmete das Fernsehen Nicaragua insgesamt eine Stunde Sendezeit, die ausschließlich dem Erdbeben von 1972 galt. Ignoriert wurden auch die Wahlen von 1972 in El Salvador, wo der augenscheinliche Sieg der Reformkräfte um José Napoleon Duarte durch Betrug und Intervention der US-Vasallen in Nicaragua und Guatemala zugunsten der Vorherrschaft der Militärs vereitelt wurde. Da die Interessen der USA in El Salvador gewahrt blieben, gab es ebensowenig die Notwendigkeit, eine "Demokratie" zu errichten wie 1984 in Panama, als der berüchtigte Drogenhändler General Noriega, damals noch US-Protégé, die Wahlen ebenfalls durch Betrug gewann. George Shultz huldigte ihm durch die Anwesenheit bei der Amtseinführung und pries die Wahl als "Triumph der Demokratie, dem Nicaragua nacheifern sollte", obwohl er zuvor von der CIA und dem US-Botschafter informiert worden war, daß "Noriega mehr als 50000 Wahlzettel gestohlen hatte, um seine Kandidaten durchzusetzen".

Während der siebziger Jahre ließen die Medien die wachsende Krise im Erwerb von Grundbesitz, die zu erheblichen sozialen Spannungen führte, unerwähnt. Im ersten Halbjahr 1986 fand sich in den 181 Artikeln der New York Times über Nicaragua ein einziger Satz, der den Problemen des Landbesitzes und -erwerbs in Nicaragua gewidmet war, und die Agrarpolitik wurde nur hin und wieder mit dem Verweis auf "fortschrittliche" Reformen bedacht, ohne daß eine Analyse der Probleme versucht worden wäre. Auch "nicaraguanische Themen wie die Auswirkungen des Kriegs, die Programme der Sandinisten und ihre Unterstützung durch die Bevölkerung wurden von den Medien nicht aufgegriffen". Die meisten Berichte "hatten ihre Quelle in Washington" und vertraten widerspruchslos die Reagan-Doktrin. So wurde über Freiheitskämpfer (Contras) lamentiert, die nur mit "Stiefeln und Bandagen" gegen gut entwickelte sowjetische Waffen und von Kubanern gelenkte Helikopter antreten mußten, über Gewehre für kolumbianische Terroristen, über Subversion von Chile bis Guatemala, über kubanische Soldaten, die "haufenweise in den Straßen von Managua flanieren", usw. Insgesamt, so Spence, hat die New York Times "die Perspektive [der Reaganisten] übernommen" und die Anschuldigungen gegen die Sandinisten "ohne weitere Beweise" wiederholt.

Hin und wieder jedoch hat ein Reporter "der Ausgewogenheit halber eine Zeile eingefügt, die den Hintergrund aufhellt". Er kommt zu dem Schluß: "Es war so, als hätte die New York Times ein Softwareprogramm, das bei seltenen Gelegenheiten einen ›Ausgewogenheitsfaktor‹ aktiviert, der die Reportage davon abhält, auf halbem Weg stehenzubleiben." Ansonsten durfte die Taktik Reagans kritisiert werden, aber nichts darüber hinaus.

Bekanntlich kann durch Auswahl der Quellen extreme Einseitigkeit hinter einer Fassade scheinbarer Objektivität verborgen werden. Der Medienspezialist Lance Bennett (Universität Washington) hat die Streubreite zugeschriebener Nachrichtenquellen in der New York Times und der Presse von Seattle für den Monat September 1985 ausgewertet. In der Berichterstattung der New York Times über El Salvador standen über 80 Prozent der Quellen der Regierung nahe; 10 Prozent stammten von der Opposition. Im Hinblick auf Nicaragua war das Verteilungsmuster genau umgekehrt: Über zwei Drittel der ausgewählten Quellen waren regierungskritisch, weniger als 20 Prozent regierungsfreundlich. Die lokalen Medien in Seattle boten ein ähnliches Bild. Trotz des vorgeblichen Unterschieds folgte die Auswahl der Quellen in beiden Fällen den gleichen Kriterien: Das Übergewicht lag bei der US-Regierung und ihren Verbündeten und Vasallen. Bennett gelangte zu dem Schluß: "In beiden Ländern kam die Bevölkerungsmehrheit – Bauern, Stadtbewohner, Arbeiter und Kaufleute – in der Berichterstattung der US-amerikanischen Presse über ihr Leben gar nicht zu Wort.". ...

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