Auszüge aus Erich Fromm's
"Revolution der Hoffnung"

Für eine humanisierte Technik

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Das Unbehagen an den technischen Zwängen hochindustrialisierter Gesellschaften wächst. "Fortschritt" und "Wirtschaftswachstum" sind nicht länger unangefochtene Leitwerte. Zu offensichtlich hängen sie zusammen mit Umweltzerstörung, Unterdrückung und Ungerechtigkeit. In einer Welt der maximalen wirtschaftlich-technischen Effizienz ist eine Entwicklung absehbar, die den Menschen vollends zum Teil einer unkontrollierten "Megamaschine" macht.

Fromm beschreibt die Grundzüge der mechanisierten Gesellschaft und ihre Wirkungen auf den Menschen. Seine Analyse ist kritisch, doch nie dogmatisch. Er verfällt weder dem Kulturpessimismus noch propagiert er die große Verweigerung oder den gewaltsamen Umsturz. Fromm sieht Ansätze zu einer Gesellschaft, die die Technik in den Dienst des Menschen stellt, und beschreibt Verhaltensweisen, mit denen der einzelne Einfluß auf eine humane Entwicklung nehmen kann.

Vorwort

Dieses Buch ist eine revidierte Fassung der amerikanischen Originalausgabe, die ich vor fast zwei Jahren während der Kampagne von Senator Eugene McCarthy um die Präsidentschaftsnominierung geschrieben habe. Ich nahm an dieser Kampagne aktiv teil, weil ich hoffte, wenn McCarthy zum Präsidenten gewählt würde, würde die Politik der Vereinigten Staaten ihre Richtung ändern. Das ist nicht geschehen. Die Gründe des Fehlschlags sind zu verwickelt, um hier erörtert zu werden. Trotzdem bleibt die Tatsache bemerkenswert, daß ein Mann, der vorher kaum bekannt war, der das Gegenteil eines typischen Politikers ist, der es ablehnt, durch Sentimentalität oder Demagogie Stimmen zu gewinnen und der sich entschieden gegen den Krieg in Vietnam ausspricht, daß dieser Mann die Zustimmung und sogar die begeisterte Unterstützung eines großen Bevölkerungsteils gewinnen konnte – von der radikalen Jugend, den Hippies und den Intellektuellen bis zu den Liberalen der höheren Mittelklasse. Es war ein Kreuzzug, wie es ihn in Amerika noch nicht gegeben hatte, und es schien fast wie ein Wunder, daß dieser professorale Senator, dieser Freund der Poesie und Philosophie ein ernsthafter Bewerber um die Präsidentschaft sein konnte. Dies bewies, daß ein großer Teil der amerikanischen Bevölkerung für eine Humanisierung bereit ist und darauf wartet.

Die Niederlage McCarthys, der Sieg von Nixon, die Fortsetzung des Vietnam-Kriegs und die Zunahme konservativ-reaktionärer Tendenzen in den Vereinigten Staaten haben den Geist der Hoffnung geschwächt, der im Sommer 1968 so offen zu Tage getreten war, aber sie haben ihn keineswegs vernichtet. Die Demonstration von rund fünfhunderttausend Menschen, die in Washington gegen den Vietnam-Krieg protestierten, war nur eines der Anzeichen, daß die Hoffnung und der Wille zur Veränderung noch lebendig sind. Und die Reaktion weiter Kreise auf die Gefahren der Umweltverseuchung ist ein zweites Anzeichen, daß die Sorge um das Leben in einem großen Teil der amerikanischen Öffentlichkeit immer noch stark ist.

Für die Veröffentlichung dieses Buches auf deutsch brauchte nichts Wesentliches verändert zu werden. Es wurde zwar in erster Linie im Blick auf amerikanische Verhältnisse geschrieben, doch betrachtet es die amerikanische Gesellschaft als eine Ausprägung der europäisch-nordamerikanischen technischen Gesellschaften, die alle grundsätzlich denselben Problemen gegenüberstehen. Trotzdem hielt ich es für nötig, die Originalausgabe in zweierlei Hinsicht zu revidieren. Erstens habe ich im letzten Kapitel einige Passagen gestrichen, die sich speziell auf die Vereinigten Staaten beziehen und für die Leser in anderen Ländern von geringem Interesse sind. Zweitens habe ich versucht, das letzte Kapitel nicht nur durch Streichungen zu straffen, sondern auch einige Überlegungen deutlicher auszudrücken, als sie nach meiner Ansicht in der Originalausgabe formuliert waren, die etwas in Eile entstand.

Im Gegensatz zu meinen früheren Werken sollte dieses Buch nicht so sehr neue theoretische Vorstellungen entwickeln, sondern Vorstellungen neu ordnen, mit denen ich mich früher auf akademischere Weise beschäftigt hatte; es appelliert an die Liebe zum Leben (Biophilie), die in vielen von uns noch vorhanden ist. Nur durch ein klares Bewußtsein der Gefahren, die dem Leben drohen, kann dieses Potential zu Handlungen mobilisiert werden, die drastische Änderungen unserer gesellschaftlichen Organisation herbeiführen könnten. Ich mache mir keine Illusionen über die Erfolgsaussichten; aber ich glaube, daß man so lange nicht in Prozentsätzen und Wahrscheinlichkeiten denken kann, wie noch eine reale – wenn auch winzige – Möglichkeit besteht, daß sich das Leben behaupten wird.

Was Hoffnung nicht ist

Die Hoffnung ist ein entscheidender Bestandteil jedes Versuchs, unser Sozialsystem zu verändern und lebendiger, bewußter und vernünftiger zu machen. Doch das Wesen der Hoffnung wird häufig mißverstanden und mit Einstellungen verwechselt, die nichts mit Hoffnung zu tun haben, vielmehr deren genaues Gegenteil sind.

Was heißt hoffen?

Heißt es, wie viele glauben, Begierden und Wünsche haben? Wenn das stimmte, wären alle, die sich mehr und bessere Autos, Häuser und Arbeitserleichterungen wünschen, Menschen der Hoffnung. Aber das sind sie nicht; sie gieren nach mehr Verbrauch und sind keine Menschen der Hoffnung.

Heißt es hoffen, wenn sich die Hoffnung nicht auf etwas Dingliches richtet, sondern auf ein erfüllteres Leben, auf einen Zustand größerer Lebendigkeit, auf Befreiung von der ewigen Langeweile; oder, um einen theologischen Begriff zu verwenden, auf Erlösung; oder, politisch gesprochen, auf Revolution? Tatsächlich könnte diese Art der Erwartung Hoffnung sein; aber sie ist Nicht-Hoffnung, wenn sie die Qualität des Passivseins, des Wartens-auf besitzt – dann wird die Hoffnung zum Deckmantel der Resignation, zu einer puren Ideologie.

Franz Kafka hat solch eine resignierte und passive Hoffnung sehr schön in einer Episode des Romans Der Prozeß beschrieben. Ein Mann kommt an die Tür, die in den Himmel (zum Gesetz) führt und bittet den Türhüter um Einlaß. Der Türhüter sagt, er könne ihn im Augenblick nicht hereinlassen. Zwar steht die Tür zum Gesetz offen, aber der Mann beschließt, lieber zu warten, bis er die Erlaubnis zum Eintreten bekommt. Also setzt er sich und wartet tagelang, jahrelang. Er bittet wiederholt, eingelassen zu werden, aber er hört immer aufs neue, er könne noch nicht die Erlaubnis zum Eintritt bekommen. Während all dieser langen Jahre beobachtet der Mann den Türhüter fast unablässig und kennt mit der Zeit sogar die Flöhe auf seinem Pelzkragen. Schließlich ist er alt und dem Tode nahe. Da stellt er zum ersten Mal die Frage: "Wie kommt es, daß in den vielen Jahren niemand außer mir Einlaß verlangt hat?" Der Türhüter antwortet: "Hier konnte niemand sonst Einlaß erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe ihn."

Der alte Mann war zu alt, um das zu verstehen, und vielleicht hätte er es auch nicht verstanden, wenn er jünger gewesen wäre. Die Bürokraten behalten das letzte Wort; wenn sie nein sagen, kann er nicht eintreten. Falls er mehr als diese passive, abwartende Hoffnung gehabt hätte, wäre er einfach hineingegangen, und sein Mut, die Bürokraten nicht zu beachten, wäre ein Befreiungsakt gewesen und hätte ihn in den glänzenden Palast gebracht. Viele Menschen sind wie Kafkas alter Mann. Sie hoffen zwar, aber es ist ihnen nicht gegeben, nach dem Antrieb ihres Herzens zu handeln, und solange die Bürokraten ihnen kein grünes Licht geben, warten sie immer weiter.

Diese passive Hoffnung ist eng verwandt mit einer verallgemeinerten Form der Hoffnung, die man als Hoffnung auf die Zeit umschreiben könnte. Die Zeit und die Zukunft werden bei dieser Art der Hoffnung zu zentralen Kategorien erhoben. Man erwartet nicht, daß irgend etwas im jetzt geschieht, sondern nur im nächsten Augenblick, morgen, nächstes Jahr oder sogar in einer anderen Welt, falls der Glaube an eine Verwirklichung der Hoffnung in dieser Welt zu widersinnig wäre. Hinter dieser Vorstellung verbirgt sich die Vergötzung von "Zukunft", "Geschichte" oder "Nachwelt"; sie begann zur Zeit der Französischen Revolution mit Männern wie Robespierre, der die Zukunft als Göttin verehrte: Ich tue nichts, ich bleibe passiv, weil ich ein Nichts und unfähig bin; doch die Zukunft, die Projektion der Zeit, wird das verwirklichen, was ich nicht zustande bringen kann. Eine solche Zukunftsverehrung, die unter einem anderen Aspekt einfach den "Fortschritts"-Kult der modernen Bourgeoisie widerspiegelt, ist genau die Entfremdung der Hoffnung. Statt daß ich etwas tue oder werde, bringen die Abgötter Zukunft und Nachwelt etwas zustande, ohne daß ich einen Finger rühren müßte.

Neben dem passiven Warten, das nur eine Verbrämung für Hoffnungslosigkeit und Ohnmacht ist, findet sich noch eine andere Form von Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung, die genau die entgegengesetzte Maske wählt: Sie versteckt sich hinter Großsprecherei und Abenteuerlust, sieht über die Realitäten hinweg und versucht zu erzwingen, was sich nicht erzwingen läßt. Dies war die Haltung der falschen Erlöser und der Putschisten, wenn sie jeden verachteten, der nicht unter allen Umständen den Tod einer Niederlage vorzog. In unseren Tagen ist diese schein-radikale Verbrämung der Hoffnungslosigkeit und des Nihilismus [völlige Verneinung aller Werte] gar nicht selten unter den engagiertesten Mitgliedern der jüngeren Generation anzutreffen. Durch ihre Unerschrockenheit und Hingabe gewinnen sie die Sympathien, aber sie verlieren alle Überzeugungskraft, da es ihnen an Realismus und strategischem Denken mangelt und einigen sogar die Liebe zum Leben fehlt.

Die Paradoxie und das Wesen der Hoffnung

Hoffnung ist paradox. Sie ist weder ein passives Warten noch ein unrealistisches Erzwingen von Umständen, die nicht eintreten können. Sie gleicht einem kauernden Tiger, der erst dann losspringt, wenn der Augenblick zum Sprung gekommen ist. Weder ein müdes Reformertum noch schein-radikale Abenteuerlust dürfen als Ausdruck von Hoffnung gelten. Hoffen heißt, in jedem Augenblick für das bereit zu sein, was noch nicht geboren ist – und trotzdem nicht zu verzweifeln, wenn es in unserer Lebensspanne zu gar keiner Geburt kommt. Es ist sinnlos, auf etwas zu hoffen, das es bereits gibt oder das es nie geben kann. Der, dessen Hoffnung schwach ist, läßt sich selbst zur Bequemlichkeit oder zur Gewalttat herunterkommen; der, dessen Hoffnung stark ist, erkennt und begrüßt alle Anzeichen eines neuen Lebens und ist jederzeit gerüstet, dem zur Geburt zu verhelfen, was zum Geborenwerden bereit ist.

Einer der wichtigsten Gründe für den Wirrwarr um den Begriff der Hoffnung liegt darin, daß man die bewußte nicht von der unbewußten Hoffnung zu unterscheiden weiß. Dies ist freilich ein Versagen, das auch bei vielen anderen emotionalen Erfahrungen wie Glück, Angst, Depression, Langeweile und Haß mitspielt. Verblüffenderweise wird nämlich trotz der Verbreitung der Freudschen Theorien seine Vorstellung des Unbewußten nur selten auf derartige emotionale Erscheinungen angewandt. Es gibt vermutlich zwei Hauptgründe für diese Tatsache. Erstens erstreckt sich in den Schriften einiger Psychoanalytiker und "Philosophen der Psychoanalyse" das gesamte Phänomen des Unbewußten – und das heißt: der Repression – allein auf die sexuellen Begierden; sie benutzen also das Wort Repression fälschlich als Synonym für Unterdrückung von sexuellen Wünschen und Handlungen und nehmen damit den Entdeckungen Freuds einige ihrer bedeutsamsten Konsequenzen. Der zweite Grund ist wohl darin zu sehen, daß es die nachviktorianischen Generationen weit weniger beunruhigt, sich zurückgedrängte sexuelle Begierden bewußt zu machen, als Erfahrungen wie Entfremdung, Hoffnungslosigkeit oder Habgier. Um nur eines der offensichtlichsten Beispiele anzuführen: Die meisten Menschen gestehen sich selbst nicht ein, daß sie Furcht, Langeweile, Einsamkeit oder Hoffnungslosigkeit empfinden; diese Gefühle bleiben ihnen unbewußt. Das hat einen guten Grund: Nach unseren sozialen Verhaltensmustern erwartet man, daß ein erfolgreicher Mensch sich nicht fürchtet oder langweilt oder einsam ist. Er muß diese Welt als die beste aller Welten betrachten; und um die besten Aufstiegschancen zu haben, muß er Furcht und Zweifel, Depressionen, Langeweile und Hoffnungslosigkeit in sich zurückdrängen.

Viele Menschen fühlen sich bewußt hoffnungsvoll und unbewußt hoffnungslos, und es gibt einige wenige, für die das Umgekehrte gilt. Bei der Untersuchung der Hoffnung und der Hoffnungslosigkeit kommt es jedoch auf etwas anderes an: nicht darauf, was die Menschen über ihre Gefühle denken, sondern, was sie wirklich empfinden. Dies läßt sich am schlechtesten aus ihren Worten und Sätzen entnehmen; viel eher schon aus ihrem Gesichtsausdruck, ihrer Art zu gehen, ihrer Fähigkeit, mit Interesse auf etwas zu reagieren, das ihnen vor Augen kommt, oder aus ihrem Mangel an Fanatismus, der sich darin zeigt, daß sie einem vernünftigen Argument zuhören können.

Der dynamische Gesichtspunkt, unter dem in diesem Buch die sozialpsychologischen Phänomene betrachtet werden, unterscheidet sich grundlegend vom deskriptiven, behaviouristischen Ansatz der meisten sozialwissenschaftlichen Untersuchungen. Vom dynamischen Standpunkt aus sind wir nicht in erster Linie daran interessiert, was ein Mensch jetzt denkt oder sagt oder wie er sich verhält. Wir interessieren uns vielmehr für seine Charakterstruktur, das heißt für die ziemlich beständige Anordnung seiner Kräfte, für die Richtungen, in die sie gelenkt werden, und für die Intensität, mit der sie fließen. Wenn wir die Triebkräfte kennen, die das Verhalten motivieren, verstehen wir nicht nur sein gegenwärtiges Verhalten, sondern können auch sinnvolle Vermutungen darüber anstellen, wie sich ein Mensch voraussichtlich unter anderen Umständen verhalten wird. Unter dem dynamischen Gesichtspunkt können viele überraschende "Wandlungen" im Denken oder Verhalten eines Menschen vorausgesehen werden, falls die Kenntnis seiner Charakterstruktur gegeben ist. Es ließe sich noch mehr darüber sagen, was Hoffnung alles nicht ist, aber wir wollen weitergehen zu der Frage, was Hoffnung ist. Läßt sie sich überhaupt mit Worten beschreiben, oder kann sie nur in einem Gedicht, einem Lied, einer Geste, einem Mienenspiel oder einer Tat mitgeteilt werden?

Wie bei allen anderen menschlichen Erfahrungen reichen auch hier die Worte zur Beschreibung nicht aus. Tatsächlich bewirken Worte in den meisten Fällen das Gegenteil: sie verdunkeln die Erfahrung oder zergliedern und töten sie. Nur zu oft verliert man beim Reden über Liebe, Haß oder Hoffnung den Kontakt mit dem, wovon man angeblich redet. Die Poesie, die Musik und andere Kunstformen sind als Medien zur Beschreibung menschlicher Erfahrung weitaus am besten geeignet, weil sie genau sind und jene Unschärfe abgegriffener Münzen vermeiden, die gewöhnlich als angemessene Abbilder menschlicher Erfahrung hingenommen werden.

Doch selbst wenn man diese Einschränkungen ernst nimmt, ist es nicht unmöglich, die Erfahrung des Fühlens in Worte zu fassen, die nicht der Poesie angehören. Dies kann deshalb geschehen, weil andere Menschen die Erfahrungen, von denen man redet, zumindest in gewissem Grade selbst gemacht haben. Eine Beschreibung muß also auf die verschiedenen Aspekte dieser Erfahrungen hinweisen und so eine Verbindung zwischen Autor und Leser schaffen, in der beide wissen, daß sie es mit derselben Sache zu tun haben. Da ich diesen Versuch nun unternehme, muß ich meine Leser bitten, mit mir zusammenzuarbeiten und nicht von mir zu erwarten, daß ich ihnen eine Definition der Hoffnung gebe. Ich muß sie vielmehr bitten, ihre eigenen Erfahrungen zu mobilisieren, damit unser Gespräch zustande kommt.

Hoffen ist ein Seinszustand. Es ist eine innere Bereitschaft, ein intensives, aber noch nicht verausgabtes Aktivsein. Unsere Vorstellung von "Aktivität" beruht dagegen auf einer der am weitesten verbreiteten Selbsttäuschungen des Menschen in der modernen Industriegesellschaft. Unsere gesamte Kultur ist nämlich auf Aktivität im Sinne von Geschäftigsein abgestimmt und auf Geschäftigsein im Sinne von Geschäftigkeit (geschäftig, um geschäftlichen Erfolg zu haben). Tatsächlich sind die meisten Menschen so "aktiv", daß sie es nicht ertragen können, gar nichts zu tun; sogar ihre sogenannte Freizeit verwandeln sie in eine andere Form von Aktivität. Falls sie nicht aktiv mit Geldverdienen beschäftigt sind, fahren sie aktiv in der Gegend herum, spielen Golf oder plaudern über Nichtigkeiten. Gefürchtet wird jedoch der Augenblick, in dem man wirklich "nichts zu tun" hat. Ob dieses Verhalten Aktivität genannt werden darf, ist eine terminologische Frage. Bedenklich ist jedoch, daß sich die meisten Menschen, die sich selbst für sehr aktiv halten, nicht über die Tatsache klarwerden, wie außerordentlich passiv sie bei all dieser Geschäftigkeit bleiben. Sie brauchen ständig einen Anstoß von außen: das Reden anderer Menschen, den Anblick von Filmen, das Reisen und andere Formen von aufregenden Vergnügungen oder auch nur einen neuen Mann oder eine neue Frau als sexuellen Partner. Sie benötigen einen Souffleur und müssen "angeschaltet", verlockt, in Versuchung geführt werden. Sie rennen ununterbrochen und stehen nie still. Sie stürzen sich immer kopfüber in irgend etwas und tauchen nie auf. Vor allem aber halten sie sich selbst für ungeheuer aktiv, während sie nur von der Zwangsvorstellung getrieben sind, etwas tun zu müssen, um dadurch der Angst zu entkommen, die aufbricht, sobald sie sich gegenüberstehen.

Hoffnung ist eine psychische Begleiterscheinung alles Lebens und Wachsens. Wenn ein Baum, der keine Sonne bekommt, seinen Stamm der Sonne zudreht, können wir nicht sagen, daß der Baum genauso "hoffe" wie ein Mensch; denn die Hoffnung im Menschen ist mit Gefühlen und einem Bewußtsein verbunden, die der Baum wohl nicht hat. Und doch wäre es nicht falsch, zu sagen, der Baum hoffe auf Sonne und drücke diese Hoffnung aus, indem er ihr seinen Stamm zudrehe. Ist es denn anders mit dem Kind bei der Geburt? Es nimmt vielleicht nichts wahr, aber seine Aktivität ist Ausdruck seiner Hoffnung auf das Geborenwerden und das unabhängige Atmenkönnen. Hofft der Säugling etwa nicht auf die Mutterbrust? Hofft das Kleinkind nicht, aufrecht zu stehen und zu laufen? Hofft der Kranke nicht, gesund, der Gefangene nicht, frei, der Hungrige nicht, satt zu werden? Hoffen wir nicht, zu einem neuen Tag zu erwachen, wenn wir abends einschlafen? Hofft beim Liebesakt nicht der Mann auf seine Potenz und seine Fähigkeit, die Partnerin zu erregen, und hofft nicht die Frau, auf ihn eingehen und ihn ihrerseits erregen zu können? ...

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