Auszüge aus Bernt Engelmann's
"Schwarzbuch Helmut Kohl"

Helmut Kohl – eiserner Kanzler des großen Geldes

zurück zu Bernt Engelmann

Um was es geht

Dieses Schwarzbuch – das siebente seit 1972 – wendet sich an die mündigen Bürgerinnen und Bürger beider deutscher Staaten, die jetzt in einer raschen Folge von Landtags- und gesamtdeutschen Parlamentswahlen das weitere Schicksal der Nation mitbestimmen sollen.

Dabei kommt es ganz besonders auf diejenigen an, die erstmals an diesen Wahlen teilnehmen können, entwederweil sie erst jetzt das dazu erforderliche Alter erreicht haben oderweil sie als Bürgerinnen und Bürger der DDR die Bonner Politik bisher nicht direkt beeinflussen konnten. Ihnen allen liefert dieses Schwarzbuch die Hintergrund-Informationen, die sie brauchen, damit sie nicht den Zwecklügen der auf sie einprasselnden Wahlpropaganda aufsitzen und eine für sie selbst richtige, ihren eigenen Interessen entsprechende Wahlentscheidung treffen können.

An Propaganda, Versprechungen und raffinierten Tricks der seit acht Jahren in Bonn regierenden Konservativen wird es bestimmt nicht fehlen. Schon beim letzten Mal hat es Helmut Kohl mit rund 200 Millionen DM aus Steuermitteln und Industriespenden sowie mit viel Schützenhilfe vom Bankenverband, von der Atom-Lobby und vor allem von den Massenblättern der konservativen Pressekonzerne Springer, Burda und Bauer gerade noch geschafft, im Bunde mit der FDP des Grafen Lambsdorff die Bundestagswahl vom Januar 1987 knapp zu gewinnen. Aber seither hat seine CDU die Macht in West-Berlin, in Schleswig-Holstein und im Mai 1990 auch in Niedersachsen (und damit die Mehrheit im Bundesrat) verloren. Mit der hastigen Vereinnahmung der DDR ohne Rücksicht auf die sehr harten, teilweise bereits katastrophalen Folgen für die Menschen dort (und bald auch in der BRD) hat Helmut Kohl sein ramponiertes Ansehen kurzfristig aufzubessern versucht, und er treibt dabei zu immer größerer Eile. Denn der angeschlagene Kanzler weiß, daß für ihn und sein Gruselkabinett bald die Stunde der Wahrheit schlägt, und das wissen auch seine Geldgeber.

Sie werden alles daransetzen, den für sie so nützlichen "Eisernen Kanzler des Großen Geldes" an der Macht zu halten. Mit Zigmillionen aus den schwarzen Kassen werden sie versuchen, die zahlreichen Skandale und Affären, die Kohls "geistig-moralische Wende" bislang begleitet haben, in Vergessenheit geraten zu lassen, erst recht die von Kohl & Co so flott betriebene Umverteilung von unten nach ganz oben, die fortdauernde Massenarbeitslosigkeit trotz glänzender Wirtschaftslage, den erbarmungslosen Sozialabbau trotz voller Kassen, die schweren Eingriffe in die Rechte der Arbeitnehmer, die systematische Vernichtung kleinbäuerlicher und anderer mittelständischer Existenzen und die gegen jede Vernunft massiv fortgesetzte Aufrüstung, atomare Gefährdung und brutale Umweltzerstörung. Mit einer Flut von Propaganda werden sie den Wählerinnen und Wählern weismachen, nur Kohl und seine Union garantierten Frieden, Aufschwung, Sicherheit, Glück und Wohlstand für alle. Sie spekulieren dabei auf die Unwissenheit, Vergeßlichkeit und Gutgläubigkeit der Wählermassen, die zu mehr als 95 Prozent – als Lohn- und Gehaltsempfänger, Hausfrauen, Rentner, Kleinbauern, Gewerbetreibende, Handwerker, Schüler, Studenten, Auszubildende, erst recht als Arbeitslose oder Sozialhilfeempfänger – die Opfer der konservativen "Wende"-Politik sind.

Für die wenigen großen Nutznießer der Politik von Kohl & Co, für die Konzerngewaltigen und Großbankiers, für die Familien Flick, Siemens, Henkel, Oetker oder Thurn und Taxis brauchen die Konservativen keine Wahlpropaganda zu machen. Die Superreichen wissen, wo sie und ihre Milliarden am besten aufgehoben sind und wer ihnen zu noch höheren Profiten verhelfen soll. Sie kennen auch die wahren Absichten der Kohl-Riege, die die Bundesrepublik seit 1982 regiert und dabei ist, nun auch die DDR zu vereinnahmen und zu ihrer Kolonie zu machen – zum Nutzen der Reichen und ohne Rücksicht auf die sozial Schwachen. Schließlich haben sie, die Herren des Großen Geldes und der multinationalen Konzerne, die handstreichartige "Wende" vom Herbst 1982 selbst geplant und herbeigeführt und die konservativen Politiker, die seither das Sagen haben, selbst dafür ausgesucht, gefördert, kräftig finanziert, mit genauen Weisungen versehen und an die Macht gehievt. Dafür liefert dieses Schwarzbuch die exakten Beweise.

So war es schon 1972, als das erste Schwarzbuch erschien. Damals versuchte ein von den Mächtigen der Industrie und Bankwelt der BRD mit annähernd 120 Millionen DM unterstütztes Rechtskartell die von Bundeskanzler Willy Brandt eingeleitete Friedenspolitik zu beenden und den Scharfmacher Franz Josef Strauß an die Macht zu bringen. Das "Schwarzbuch: Franz Josef Strauß" hatte erheblichen Anteil daran, den Einzug des bayerischen Rechtsaußen in die Bonner Kommandozentrale zu verhindern: Denn 17,6 Prozent der damaligen Erstwählerinnen und -wähler, die befragt wurden, was ihre Wahlentscheidung maßgeblich beeinflußt habe, nannten "die vom ›Schwarzbuch‹ vermittelten Hintergrund-Informationen" an erster Stelle!

Auch bei allen weiteren wichtigen Wahlkämpfen der folgenden anderthalb Jahrzehnte lieferten immer neue Schwarzbücher den parteipolitisch noch nicht Festgelegten, zumal den Erstwählern, die für ihre Wahlentscheidung erwünschten Fakten und Hintergründe. Die seit 1972 in einer bisherigen Gesamtauflage von 1,45 Millionen Exemplaren erschienenen Schwarzbücher wurden von rund fünf Millionen – zumeist jungen –Wählerinnen und Wählern gelesen, und diese entschieden dann selbst, wem sie ihre Stimme gaben. Die Schwarzbücher haben niemals eine bestimmte Partei als die einzig richtige propagiert, vielmehr ihren Lesern nur die Fakten vermittelt, die ihnen die Medien meist vorenthalten. Daraus konnten sie dann selbst ihre Schlüsse ziehen.

So soll es auch diesmal sein, wobei noch zu berücksichtigen ist, daß nicht nur die Erstwähler der BRD, sondern auch die meisten Stimmberechtigten in der DDR ein großes Informationsdefizit haben, zumal was das Komplott betrifft, das die derzeit herrschenden Konservativen mit Helmut Kohl an der Spitze an die Schalthebel bundesdeutscher Politik gebracht hat. Deshalb müssen auch einige weit zurückliegende Vorgänge geschildert werden, die mit dem, was uns heute auf den Nägeln brennt, scheinbar nichts zu tun haben.

Doch dieser Schein trügt: Vieles, was uns gegenwärtig am meisten plagt, erklärt sich aus den fast zwei Jahrzehnte und oft noch länger zurückliegenden Weichenstellungen. So muß auch einiges, was schon in früheren Schwarzbüchern stand, in komprimierter Form Erwähnung finden. Sonst wäre vieles von dem, was heute geschieht, nicht verständlich. Auch waren ja die nunmehr 18- bis 22-jährigen Erstwählerinnen und -wähler, auf die es wesentlich ankommt, noch gar nicht auf der Welt oder allenfalls im Sandkasten-Alter, als das erste Schwarzbuch erschien, das ausschließlich den Werdegang und die zahlreichen skandalösen Affären des – 1988 verstorbenen – CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß betraf, dem sogar das Münchener Landgericht bescheinigt hatte, daß ihm "der Ruch der Korruption" anhaftete.

Nun meinen vielleicht viele, diese alten Geschichten seien doch heute ohne Belang. Möglicherweise bewundern sogar manche im nachhinein die unbekümmerte "Schlitzohrigkeit" des einstigen "Bayern-Königs" Strauß, der sich bei seinen trüben Geschäften nur selten die Finger verbrannte und der seinen "Männerfreund" Kohl bei jeder Gelegenheit öffentlich herunterputzte, etwa im Herbst 1976 in seiner berühmt-berüchtigten "Wienerwald"-Rede, worin er von Helmut Kohl sagte: "Er ist total unfähig. Ihm fehlen die charakterlichen, die geistigen und die politischen Voraussetzungen" für das Kanzleramt. (Wogegen Kohl erst unlängst vor dem U-Boot-Untersuchungsausschuß den toten Führer der Schwesterpartei CSU als "Querulanten" abtat, dessen häufige schriftliche Hinweise und Ermahnungen er keiner Beachtung für wert befunden hätte ...)

Doch wer Kohl, erst recht die "alten Geschichten" des verstorbenen Strauß nur noch belächelt, der übersieht den ernsten, zudem noch immer vorhandenen Hintergrund: die Macht des Großen Geldes, mit dessen Hilfe Männer wie Kohl und Strauß Karriere machen konnten.

Helmut Kohl ist so wenig eine bloße Witzfigur, wie es der tote Strauß war. Denn das rechte Bündnis, das diese Männer hervorgebracht hat, hält die Schalthebel der bundesdeutschen Politik noch fest im Griff und inzwischen auch schon die meisten der vereinnahmten DDR. Wir alle, die wir zwischen Aachen und Frankfurt an der Oder, zwischen Flensburg, Görlitz, Rostock und Konstanz leben, haben die katastrophalen Folgen der rücksichtslosen, allein dem Macht- und Profitstreben einiger weniger dienenden Politik zu tragen. Die Richtlinien dieser Politik bestimmt nach dem Grundgesetz der Bundeskanzler, und solange dieser Helmut Kohl heißt, regieren in Wahrheit dessen – keinem Parlament verantwortliche – Hintermänner: die Superreichen.

Ob es sich um Massenarbeitslosigkeit, Abbau von Sozialleistungen, empfindliche Einschränkungen gewerkschaftlicher Rechte oder um Kahlschlag im Kulturbereich handelt, ob um immer neue ebenso kostspielige wie überflüssige Rüstungsprogramme, um mit Hochdruck betriebene Milliardenprojekte wie das von Wackersdorf (die dann ebenso rasch wieder fallengelassen werden) oder um völlig unzureichende (weil für die Industrie profitschmälernde) Umweltschutzmaßnahmen – stets handelt die Regierung Kohl ganz nach den Wünschen des Großen Geldes, mit dessen Hilfe sie an die Macht gekommen ist.

Schon zweimal in diesem Jahrhundert hat ein vom Großen Geld an die Macht bugsiertes Rechtskartell uns Deutsche in eine Katastrophe geführt, aus reiner Macht- und Profitgier uns und unseren Nachbarn millionenfachen Tod, Verwüstung und Elend gebracht. Wir müssen alles daransetzen, eine nochmalige Wiederholung zu verhindern, auch wenn die Eroberungssüchtigen diesmal keine Bomben und Panzer einzusetzen gedenken, sondem das Wegsprengen und Niederwalzen von einer Wunderwaffe besorgen lassen, von der sie Unmengen auf Lager haben: DM.

Damit keine Mißverständnisse aufkommen, was gemeint ist, wenn hier – und in den folgenden Kapiteln immer wieder – vom "Großen Geld" die Rede ist, sei zunächst einmal dieser Begriff erläutert, bevor von den verhängnisvollen politischen Folgen die Rede ist, die uns alle betreffen.

Was ist "Großes Geld"?

Stellen wir uns vor, einer der zwei-, dreihundert Spitzenverdiener unter den leitenden Angestellten der BRD – vielleicht ein Vorstandsmitglied von Karstadt, Hertie, Kaufhof, Horten oder eines Medienkonzerns wie Springer, Burda, Bauer, Bertelsmann, einer der Bosse einer Großbank, eines Elektronik-, Chemie- oder Automobilbau-Riesen – ließe sich sein Monatsgehalt nebst Tantiemeanteil von zusammen 100.000 DM, in Worten: einhunderttausend Deutsche Mark netto, ausnahmsweise einmal in bar auszahlen: je ein paar Dutzend Tausend- und Fünfhundertmarkscheine sowie einige dicke Bündel Hunderter, alles in druckfrischen, noch leicht aneinanderklebenden Banknoten. Die ganze Summe, genau 100.000 DM, ließe sich leicht auf einen Geldscheinstapel von, sagen wir: exakt zehn Zentimeter Höhe zusammenpressen.

Zehn solcher Geldstapel übereinander wären dann genau einen Meter hoch und stellten eine Million dar, in Zahlen: 1.000.000 DM, und das ist nach Meinung der allermeisten Menschen hierzulande bereits das Große Geld, von dem sie zwar träumen, das ihnen aber mit größter Wahrscheinlichkeit niemals zur Verfügung stehen wird.
In der bundesdeutschen Wirklichkeit ist das Große Geld jedoch etwas gänzlich anderes. Da reichen eine Million oder auch ein paar Millionen D-Mark bei weitem noch nicht aus, um damit den Reichen, geschweige den Superreichen zugerechnet zu werden: Als beispielsweise das US-amerikanische – neuerdings in deutscher Sprache auch in der Bundesrepublik erscheinende – Wirtschaftsmagazin "Forbes" im Frühjahr 1990 die vierhundert reichsten Unternehmerfamilien Westdeutschlands und Westberlins nach und nach vorzustellen begann, da gab sich das Blatt mit gewöhnlichen DM-Millionären, auch wenn sie zehn, dreißig, fünfzig oder gar hundert Millionen DM Vermögen aufzuweisen hatten, gar nicht erst ab!

"Forbes" begann mit der Aufzählung der Reichen und Superreichen erst im "Multimega"-Bereich, also bei den mehr als hundertfachen DM-Millionären. Die Summe der Vermögen aller vierhundert Familien, die das Wirtschaftsmagazin seinen Lesern als die bundesdeutsche "Spitzenklasse des Reichtums" präsentierte, addierte sich zu der stattlichen Summe von 200 Milliarden DM – mehr als das Doppelte dessen, was die Bundesregierung an Anleihen aufzunehmen gedenkt, um den 16 Millionen Einwohnern der DDR und deren maroder Wirtschaft die in den kommenden Jahren für erforderlich erachtete "Anschubhilfe" zu leisten! Anders ausgedrückt: 400 Leute der BRD-"Spitzenklasse" haben doppelt soviel Geld, wie 16.000.000 "Brüder und Schwestern drüben" dringend brauchen.

Zwar verfügen die von "Forbes" vorgestellten 400 Reichsten der Bundesrepublik im Durchschnitt über "nur" je 500 Millionen DM (was als Bargeldstapel der eingangs beschriebenen Art immerhin für jeden einzelnen Krösus einen Geldturm ergibt, der mehr als dreimal so hoch ist wie der Kölner Dom und fast anderthalbmal die Höhe des Fernsehturms am Ostberliner Alexanderplatz hat!).

Indessen gibt es in der Spitzengruppe der von "Forbes" in der BRD ermittelten Multimilliardäre etliche Superreiche, die ihr Geld höher stapeln könnten als die Zugspitze (2963 m), höher als das Gipfelkreuz des Montblanc (4810 m) – zum Beispiel: fürst Johannes von Thurn und Taxis –, ja die mit ihrem gebündelten Barem noch den Mount Everest (8848 m) weit überragten – wie beispielsweise Familie Quandt, Großaktionär von BMW, oder Familie Haub, die die Einzelhandelsketten Tengelmann, Kaiser’s Kaffeegeschäft, Plus und Atlantic & Pacific (A&P) beherrscht.

Von solch eisigen Höhen aus betrachtet, in die auch die Geldstapel der Flick, Oetker, v. Siemens, Henkel, v. Finck und etlicher weiterer Superreicher der BRD aufragen, sind die Banknotenbündel der einfachen, aber auch die der zehn-, zwanzig- oder Fünfzigfachen DM-Millionäre eine mit bloßem Auge gar nicht mehr wahrnehmbare Bagatelle! Selbst die zur Höhe des Kölner Doms (oder des Ostberliner Fernsehturms) aufgestapelten Vermögen der Durchschnitts-Superreichen schrumpfen, vom Gipfel des Mount Everest aus gesehen, zu minimaler Bedeutung. Deshalb können wir nur jene Kapitalanhäufungen als Großes Geld bezeichnen, deren Ausmaße unsere Vorstellungskraft überfordern, so daß wir die – scheinbar ganz unrealistischen – Bargeldstapel zu Hilfe nehmen mußten, um den himmelweiten Unterschied zwischen dem schon bei einfachen Millionären vermuteten und dem wirklichen Großen Geld deutlich zu machen.

Indessen sind die Bargeldstapel, die wir uns vorgestellt haben, nicht gar so unrealistisch: Mitunter nehmen nämlich auch bundesdeutsche Superreiche statt ihres Scheckbuchs Bargeldstapel, vorzugsweise solche von druckfrischen Tausendern, stecken davon einige Bündel in neutrale Umschläge und überreichen diese dann dem einen oder anderen ihrer Bekannten als Geschenk!

Natürlich geschieht dies nicht in aller Öffentlichkeit, womöglich vor laufenden Fernsehkameras, vielmehr sehr diskret, und stets handelt es sich bei den von Superreichen mit solchen Geldgeschenken großzügig Bedachten um einflußreiche Politiker, die zwar sehr üppige reguläre Einkünfte haben, aber trotzdem immer Geld brauchen, weil sie kostspielige Wahlkämpfe zu führen haben und fürchten müssen, nicht wiedergewählt zu werden, wenn ihnen das Geld ausgeht.

Von diesen unterstützungsbedürftigen Politikern erwarten die superreichen Spender der gebündelten Tausendmarkscheine dann ihrerseits allerlei Gefälligkeiten, und diese werden ihnen in aller Regel auch schon bald nach der Geldübergabe von den dankbaren Politikern erwiesen.

Indessen sind solche – für die Spender belanglos winzigen, für die Empfänger sehr stattlichen und hochwillkommenen – Geldgeschenke, meist in Raten von 50.000 bis 250.000 DM, und die im Gegenzug erwiesenen Gefälligkeiten beileibe nicht als kriminelle Vergehen, etwa als aktive und passive Bestechung im Sinne der Paragraphen 331 ff. des Strafgesetzbuches gedacht oder zu verstehen. Dergleichen kommt nur in weniger reichen und weniger mächtigen Kreisen mitunter vor und wird, wenn es ruchbar wird, sehr streng bestraft.

Hätten etwa ein DDR-Rentner und dessen – eine HO-Gaststätte betreibende – Lebensgefährtin sowie deren betagte Mutter ihre gemeinsamen, auf mehrere Sparbücher verteilten Ersparnisse von zusammen 75.000 DDR-Mark am 1. Juli 1990 etwas günstiger in harte DMark umtauschen können und dabei einen illegalen Gewinn von 5000 DM gemacht, weil der zuständige Beamte nach großzügiger und kostenloser Bewirtung in der HO-Gaststätte und Annahme eines Geschenks (1 Flasche Doppelkorn) über Unstimmigkeiten in den Antragsformularen hinwegsah – dann liegt zweifellos Bestechung vor und die Strafen werden sehr hart ausfallen.

Ganz anders liegt der Fall bei üppigen Geldgeschenken von Superreichen an Mitglieder des Bundeskabinetts und Vorsitzende von Koalitionsparteien:

Erstens würden bundesdeutsche Multimillionäre niemals gegen Gesetze und Vorschriften verstoßen wollen. Sie wünschen sich vielmehr eine Anpassung der Gesetze und Ausführungsbestimmungen an ihre auf große Gewinne gerichteten Pläne. Der eine will beispielsweise ein Gesetz, das inländische Verkaufserlöse, die er in den USA profitabel anlegen will, von etlichen hundert Millionen Mark Steuern befreit. Der andere verlangt eine Lockerung von Umweltschutzbestimmungen, wodurch ihm enorme Ausgaben für die Umrüstung von Chemie-Werken und Papierfabriken erspart werden. Ein Dritter wünscht die Streichung einiger zwar gesundheitsschädlicher, aber sehr gut verkäuflicher Chemikalien von einer Verbotsliste, und alle gemeinsam fordern die Änderung eines Paragraphen, der bislang die Beschäftigten eines indirekt durch Streik gelähmten Werks begünstigt hat – also lauter für Superreiche ganz natürliche Verlangen, die ihren Interessen dienen und ihren Profit steigern, so daß es nur gilt, die Gesetze und Vorschriften den Bedürfnissen des Großen Geldes entsprechend abzuändern, damit alles ganz legal vor sich gehen kann.

Zweitens aber sind die Zuwendungen, die die Superreichen den an der Gesetzgebung maßgeblich beteiligten Politikern machen (oder machen lassen), so geringfügig im Vergleich zu den enormen Vorteilen, die sie sich damit verschaffen, daß kein bundesdeutscher Staatsanwalt sie als strafrechtlich relevant ansehen könnte.

Wenn beispielsweise ein Multimilliardär wie Herr Flick zur Erlangung von etlichen hundert Millionen Mark Steuerersparnis nur lumpige zwei, drei Millionen an diverse Spitzenpolitiker verteilt hat – weniger als ein Prozent des Gewinns! –, so vermochte keiner der Beteiligten darin etwas Unrechtes zu erkennen. "Jede Sparkasse verschenkt doch Pfennigartikel wie Kugelschreiber oder Wandkalender, selbst an Kunden, die nur ein paar Mark an jährlichen Kontogebühren einbringen!" meinte einer der Flick-Bediensteten treuherzig.

Doch mit der Erwähnung einer der vielen Flick-Millionenspenden sind wir schon mitten in der Praxis des Bonner Alltags und können die theoretischen Erwägungen abschließen. Denn nun sollte jeder und jedem klar sein, was Großes Geld ist und welche Macht damit ausgeübt wird.

Gewiß, laut Verfassung wird der die Richtlinien der Politik bestimmende Kanzler von der Bundestagsmehrheit gewählt, und über deren Zusammensetzung entscheiden die Wählerinnen und Wähler in allgemeiner, gleicher, direkter und geheimer Wahl. So bestimmt es das Grundgesetz, in dessen Artikel 20, Absatz 2, es folgerichtig heißt: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus."

Doch das war nicht immer so (wie das Kapitel "Kurzer Ausflug in die deutsche Geschichte" es noch näher beschreiben wird). Hier soll es genügen, daran zu erinnern, daß noch vor wenig mehr als siebzig Jahren im größten Teil Deutschlands das sogenannte Dreiklassenwahlrecht galt, bei dem es die Superreichen weitaus bequemer hatten: Es gab einigen wenigen Multimillionären ebenso viele Stimmen wie Zigtausenden von Normalverdienern, und es entrechtete die Armen völlig, ebenso alle Frauen und Jugendlichen. Kurz, die Superreichen brauchten keine Abgeordneten zu bestechen, sondern bestimmten selbst die Mehrheitsverhältnisse.

Dieser für das Große Geld so angenehme Zustand endete 1918, als das vom "Eisernen Kanzler" Bismarck geschaffene Kaiserreich ruhmlos unterging.

Indessen ging nur der Kaiser; die Superreichen blieben, unter ihnen auch die Familie der Fürsten Bismarck und die Hohenzollernprinzen, als neu hinzugekommener Kriegsgewinnler des Ersten Weltkriegs auch Friedrich Flick. Sie alle (oder ihre Erben) brachten ihre riesigen Vermögen sicher durch die Nachkriegswirren und die totale Geldentwertung, die den deutschen Mittelstand verarmen ließ, und fanden neue Wege der Machtausübung zwecks weiterer Vermehrung ihres Reichtums.

Sie überstanden die vierzehn Jahre der Weimarer Republik, wurden in den folgenden zwölf Jahren der Nazi-Diktatur und des Zweiten Weltkriegs noch um vieles reicher – vor allem durch Rüstungsaufträge, Ausbeutung von Millionen Sklavenarbeitern, Plünderung der eroberten Gebiete und "Arisierung" jüdischen Vermögens – und hatten auch nach der vollständigen Niederlage der großdeutschen Wehrmacht und dem Untergang der Hitler-Diktatur in den westlichen Besatzungszonen, der späteren Bundesrepublik, keinen Grund zur Klage: Das Große Geld blieb unangetastet, kam sicher durch die Krisenjahre der ersten Nachkriegszeit, wurde von der Währungsreform verschont und vermehrte sich dann geradezu explosionsartig, als das "Wirtschaftswunder" einsetzte.

Zwanzig Jahre lang wurde die Bundesrepublik im Zeichen des Kalten Krieges und der massiven Aufrüstung von konservativen Kanzlern regiert und zu einem Paradies der Superreichen, die sich für Großverdiener maßgeschneiderte Gesetze und Steuergeschenke noch und noch machen ließen und ihrerseits den sie so gut bedienenden Politikern die Wahlkämpfe finanzierten.

Ende der sechziger Jahre kam endlich ein Umschwung: Die Studenten rebellierten gegen das konservative Establishment, gegen die von der Springer-Presse betriebene Volksverdummung, gegen die zutiefst unmoralische, undemokratische und unsoziale Herrschaft des Großen Geldes. Mit Willy Brandt kam erstmals ein Kanzler ans Ruder, der das Eis des Kalten Krieges zu brechen begann, eine Friedenspolitik einleitete und ein inneres Reformwerk in Gang setzte. Seine Parole "Mehr Demokratie wagen!" fand großen Widerhall.

Indessen sorgte der kleine Koalitionspartner des Bundeskanzlers Willy Brandt (SPD), die F.D.P., stets daFür, daß die Bäume nicht in den Himmel wuchsen, sprich: daß die Politik den Interessen des Großen Geldes nicht abträglich war, und dennoch betrieben damals rechtskonservative Kreise der Wirtschaft bereits, wenn auch zunächst vergeblich, den Sturz Willy Brandts, indem sie Abgeordnete der Koalition mit beträchtlichen Summen zum Abfall vom sozialliberalen Regierungslager bewogen.
Die damaligen Vorgänge sind geradezu ein Musterbeispiel für das direkte Einwirken des Großen Geldes auf die Bonner Politik, und deshalb seien sie – zum besseren Verständnis der gegenwärtigen Verhältnisse – im folgenden Kapitel kurz beschrieben.

Nichts zeigt deutlicher, wie hohl Helmut Kohls ständig im Munde geführte Phrase von der "geistig-moralischen Wende" in Wahrheit ist, als das Vorgehen seiner engsten Freunde und Förderer (und sein eigenes Verhalten) im Frühjahr 1972, als schon die Weichen für den Aufstieg des "Schwarzen Riesen" ins Kanzleramt von den Repräsentanten des Großen Geldes gestellt wurden.

Die Weichenstellung für den Aufstieg Helmut Kohls

In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wurde bislang zweimal der Versuch unternommen, einen gewählten Kanzler mit einem konstruktiven Mißtrauensvotum zu stürzen. Der erste Versuch scheiterte: Am 27. April 1972 verfehlte Dr. Rainer Barzel, damals CDU-Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat der Union, sein Ziel, anstelle von Willy Brandt (SPD) Bundeskanzler zu werden. Der "glücklose" Barzel, den seine Parteifreunde nach diesem Fehlschlag gern kaltgestellt hätten, war aber keineswegs bereit, einem anderen Platz zu machen, und er hielt auch noch einige Trümpfe bereit, die er auszuspielen drohte, falls man ihm den Parteivorsitz und die Anwartschaft auf das Kanzleramt streitig zu machen versuchte. Barzels Drohungen zeigten erhebliche Wirkung, und nun war guter Rat wirklich sehr teuer.

Zunächst begann, was in den geheimen, erst zehn Jahre später im Zuge der Parteispenden-Affäre von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmten und dann öffentlich bekanntgewordenen Aufzeichnungen des damaligen Flick-Bevollmächtigten Eberhard v. Brauchitsch als "konzertierte Aktion" bezeichnet wurde: Von Unions-Seite wurden der seinerzeitige Vorsitzende der rheinischen CDU, Heinrich Köppler, der seit 1969 in Rheinland-Pfalz regierende Ministerpräsident Helmut Kohl sowie dessen damaliger Freund und Berater, Professor Kurt Biedenkopf, aktiv, auf Unternehmerseite der Daimler-Benz-Personalchef, Vertrauensmann von Friedrich Flick und Arbeitgeberverbands-Vize Hanns Martin Schleyer, der schon erwähnte v. Brauchitsch sowie Guido Sandler, die rechte Hand von Konzernchef Oetker, endlich auch Konrad Henkel, der Chef des Henkel-Konzerns. Das Ergebnis war, daß Rainer Barzel ein "weicher Fall" angeboten werden konnte: Zu seinen stattlichen regulären Bezügen sollten jährlich 250.000 bis 300.000 DM Honorare kommen, die ihm der Frankfurter Rechtsanwalt Dr. Paul zukommen lassen würde, der seinerseits das Geld von "Industriemandanten" bekäme. Und genauso geschah es.

Zehn Jahre später schrieb Erich Böhme darüber im "Spiegel" unter der Überschrift "wg. Dr. Kohl":

Rainer Candidus Barzel, der gescheiterte Kanzleraspirant des Jahres 1972, dessen salbungsvolle Tiraden die Deutschen Anfang der siebziger Jahre überreichlich genervt hatten und den die Union schließlich aus Fraktions- und Parteivorsitz hebelte, wäre nie zum "sozialen Fall" geworden. Trotz einschlägiger Sorgen, die der damalige Kohl-Intimus Kurt Biedenkopf dem Barzel-Nachfolger Kohl aktenkundig machte – Durchschlag an das Haus Flick, versteht sich ... Das Haus Flick zahlte, Barzel kassierte (mit zusätzlichen Garnierungen von der Chase Manhattan Bank und vom Hause Oetker), der erfolglose CDU-Chef räumte ohne Gezeter das Feld ... Das FlickKürzel "wg. Dr. Barzel" hatte seinen Zweck erfüllt: wg. Dr. Kohl, dessen Chefstuhl mit eintausendsiebenhundert Flick-Tausendern (1,7 Millionen DM) freigefächelt worden war.

Auch Barzel-Nachfolger Kohl war zunächst glücklos: 1976 trat er als Kanzlerkandidat der Union an und unterlag bei den Bundestagswahlen; 1980 wurde Kohls Rivale Franz Josef Strauß als Kanzlerkandidat nominiert und scheiterte ebenfalls. Aber dann, am 1. Oktober 1982, kam Helmut Kohls große Stunde: Mit Hilfe der abgefallenen "Gruppe Genscher-Lambsdorff" der F.D.P. wurde der gewählte Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) durch ein konstruktives Mißtrauensvotum gestürzt, Kohl zum Kanzler gewählt – mit einer Mehrheit von sieben Stimmen und gegen den erklärten Willen jener Wähler, denen Genscher im Herbst 1980 feierlich versprochen hatte, er werde "vier Jahre als zuverlässiger und aufrichtiger Partner" mit Helmut Schmidt und der SPD die Koalition fortsetzen.

Ein Drittel der F.D.P.-Bundestagsfraktion, darunter fast alle Frauen, verweigerte Genscher und dem Grafen Lambsdorff die Gefolgschaft bei diesem Betrug am Wähler. Aber seither ist Kohl Bundeskanzler und regiert die BRD auf eine Weise, die haargenau den Wünschen derer entspricht, die mit Hilfe der Macht des Großen Geldes den Kanzlerwechsel langfristig vorbereitet und dann herbeigeführt hatten.

Warum war ihre Wahl auf den Pfälzer Helmut Kohl gefallen? Wodurch hatte er sich vor anderen Bewerbern um das Kanzleramt ausgezeichnet und die Gunst der Herren des Großen Geldes erworben, so daß sie ihm zunächst den Chef-Sessel der CDU mit fast zwei Millionen Mark Barzel-Abfindung "freigefächelt" und schließlich auch die zur Kanzlerwahl fehlenden Stimmen "beschafft" hatten? Ja, wer war überhaupt dieser Helmut Kohl, den die meisten Bundesbürger nur als jungen Landesvater von Rheinland-Pfalz und als Wahlverlierer von 1976 kannten?

Helmut Kohls politische Karriere begann in seiner – wirtschaftlich vom Chemie-Riesen BASF beherrschten, traditionell von der SPD regierten – Heimatstadt Ludwigshafen. Dort war er am 3. April 1930 als Sohn eines kleinbürgerlichen Finanzbeamten zur Welt gekommen.

Kohls autorisierter Biograph Karl Günter Simon, der dem heutigen Kanzler in seinem 1969 erschienenen Buch "Die Kronprinzen" immerhin schon ein knappes Dutzend Seiten gewidmet hat, berichtet darin, daß Helmut ("Helle") Kohl "aus schwarzem Elternhaus" stamme; daß der kräftige, hochgewachsene Oberrealschüler schon 1949, im ersten Bundestagswahlkampf, für die CDU als Redner aufgetreten sei (und zwar, wie Freunde und Gegner übereinstimmend sich erinnern, "laut, hemdsärmelig und naßforsch") und daß er dann langsam, "Schritt für Schritt", Karriere gemacht habe.

Schon als 17-jähriger war Kohl der Jungen Union beigetreten, mit 25 Jahren wurde er bereits Mitglied des rheinland-pfälzischen CDU-Landesvorstands, mit 28 Jahren Kreisvorsitzender in Ludwigshafen und jüngster Landtagsabgeordneter im Mainzer Parlament. Nach dem Wunsch seiner Eltern studierte er zunächst Rechtswissenschaft in Heidelberg, denn er sollte höherer Beamter werden. Aber er interessierte sich nur für Politik, genauer: Für seine eigene politische Karriere. Geld verdiente er sich nebenher, erst als Praktikant bei der BASF, als Direktionsassistent bei der Eisengießerei Mock, als kaufmännischer Volontär bei der Miederwarenfabrik "Felina", dann als Referent des Landesverbands der chemischen Industrie von Rheinland-Pfalz-Saar in Ludwigshafen. Ehe er dort – mit einem Anfangsgehalt von 1.000 DM, später 3.000 DM – seine Tätigkeit aufnahm, erwarb er – nach immerhin neun Jahren oder 18 Semestern, die seit seinem Abitur vergangen waren! – den Doktorgrad, nicht den juristischen, denn er hatte im 5. Semester umgesattelt, sondern den Dr. phil. des Fachs Geschichte, mit einer 160 Schreibmaschinenseiten umfassenden, vornehmlich aus sorgsam gesammelten Zeitungsmeldungen bestehenden Arbeit zum Thema "Die politische Entwicklung in der Pfalz und das Wiedererstehen der Parteien nach 1945".

Dr. Kohls Sternstunde kam, wenn man seinen Biographen Glauben schenken darf, am 3. April 1959, seinem 29. Geburtstag, mitten im rheinpfälzischen Landtagswahlkampf. Kohl kandidierte zum ersten Mal, und nun stand ihm – so beschrieb es Lothar Wittmann – "ein großer Auftritt bevor: Konrad Adenauer wird zu einer Großveranstaltung erwartet. Im hochroten Ludwigshafen soll der Besuch des Kanzlers zu einer eindrucksvollen Demonstration der ›Schwarzen‹ werden ... Zu diesem Behuf hat CDU-Geschäftsführer Fritze Keller ... zwei gewaltige Wurstmarktzelte aus Bad Dürkheim auf dem Marktplatz aufstellen lassen... (Sie) fassen 8000 Besucher. Kleinmütige Zweifler haben Kohl vor solchen Ausmaßen gewarnt ... 20 Minuten vor Beginn der auf 20 Uhr angesetzten Versammlung ist die Nervosität groß. Über Polizeifunk wird angekündigt, daß der Kanzlerwagen bereits Darmstadt passiert hat, und die Zelte sind erst zu höchstens 20 Prozent gefüllt! Wenn der Besucherstrom so dünn bleibt, wird es eine Blamage geben. Kurz entschlossen dirigiert Kohl den Kanzlerkonvoi ins Hotel St. Hubertus um. Der geplagte Kanzler muß die Möglichkeit haben, sich vor dem Auftritt noch etwas frisch zu machen.

Als der Kanzler dann ... eintrifft, sind die Zelte brechend voll ... Der Zustrom hat in letzter Minute und schlagartig eingesetzt. Drei Redner an diesem Abend: Helmut Kohl hält eine schwungvolle Begrüßungsrede, dann Peter Altmeier, der (rheinland-pfälzische) Ministerpräsident, dann Konrad Adenauer. Helmut Kohl bringt enthusiastische Stimmung ins Zelt, er spricht angriffslustig, wettert gegen Herbert Wehners Agitationsbesuch in der BASF. Droht die Politisierung der Betriebe? Konrad Adenauer wird aufmerksam, mustert interessiert den langaufgeschossenen Nachwuchsredner, fragt seinen Nachbarn Peter Altmeier, wer denn dieser hoffnungsvolle junge Mann sei ...", und ernennt, so möchte man vermuten, wenn man dieser eindrucksvollen Schilderung gefolgt ist, Helmut Kohl sogleich zu seinem politischen Enkel und späteren Nachfolger.

Dies war jedoch keineswegs der Fall; die Ernennung zum Adenauer-Enkel nahm Helmut Kohl später selber vor, und auch die wunderbare Publikumsvermehrung in den Ludwigshafener Zelten kam nicht von ungefähr. Sie hatte viel Arbeit, Anstrengung und Hilfe von den Unternehmern aus dem Umland erfordert, von denen einer sich rühmte, er habe es sich 12.000 DM kosten lassen, "seine Leute" in Bussen "heranzukarren, ihnen 5 Mark pro Kopf spendiert für Verzehr und damit Kohls Schau gerettet".
Wie dem auch sei: Jedenfalls ist eines sicher, nämlich daß Helmut Kohl damals schon einen millionenschweren Industriellen zum väterlichen Freund und Förderer hatte, der Kohls Talente zu schätzen wußte und, wie er später wiederholt erklärte, "einen guten Riecher" für kommende Spitzenpolitiker hatte, die sich ihren Mäzenen dann als sehr nützlich erweisen konnten.

Helmut Kohls damaliger reicher Gönner war übrigens der Großaktionär und Vorstandsvorsitzende eines aufblühenden Unternehmens mit über zweitausend Beschäftigten in der von Ludwigshafen nur acht Kilometer entfernten pfälzischen Kreisstadt Frankenthal. Fast zwei Jahrzehnte lang, während aus dem Ludwigshafener JU-Führer ein Stadtrat, dann ein CDU-Landtagsabgeordneter, Fraktionsvorsitzender, schließlich sogar ein rheinland-pfälzischer Ministerpräsident, CDU-Bundesvorsitzender und Kanzlerkandidat wurde, war Helmut Kohl ein häufiger Gast in der Frankenthaler Industriellen-Villa. In allen diesen Jahren gab es zwischen Kohl und seinem reichen Gönner viele Gespräche über politische und wirtschaftliche Fragen. Der junge Politiker Kohl holte sich manchen Rat von seinem um 23 Jahre älteren, beinahe väterlichen Freund, ließ sich von diesem erzählen, wie man aus sehr bescheidenen Anfängen über Krieg, Niederlage und Währungsreform hinweg zu Multimillionärs- und Konzernherren-Höhen aufsteigt, und er scheint sich damals vorgenommen zu haben, es seinem Förderer gleichzutun, zumindest hinsichtlich eines rücksichtslosen Gebrauchs der Ellbogen und eines Mindestmaßes an moralischen Skrupeln sowie einer sorgfältigen Pflege dessen, was sein erfahrener Gönner "nützliche Beziehungen" zu nennen pflegte.

Tatsächlich hatte dieser Frankenthaler Industrielle glänzende Verbindungen und sogar enge freundschaftliche Beziehungen zu bereits arrivierten und kommenden Spitzenleuten aus Politik und Wirtschaft. Einigen davon präsentierte und empfahl er seinen Schützling Helmut Kohl, und auch sonst konnte der steinreiche Konzernchef dem aufsteigenden Jungpolitiker auf mancherlei Weise behilflich sein.

Natürlich stellte Helmut Kohl seinem Förderer auch das Mädchen vor, mit dem er sich zu verloben und – wie es für einen christlichen Politiker obligatorisch war – in Bälde zu verheiraten gedachte, und erst nachdem Kohls einstige Tanzstundenfreundin und zukünftige Ehefrau Hannelore von der Familie des Frankenthaler Industriellen in Augenschein genommen worden war, traf der angehende Landespolitiker Vorbereitungen für die Gründung eines eigenen Hausstands. Zwei Monate nach seinem Einzug ins Mainzer Landesparlament verheiratete er sich mit Hannelore Renner.

Nun konnte Helmut Kohl seinem Förderer hie und da auch schon ein paar Gefälligkeiten erweisen, denn sein Einfluß in der Mainzer CDU-Fraktion war von Anfang an groß, und andererseits steigerte der reiche Industrielle das Ansehen des jüngsten Abgeordneten, indem er diesen mitnahm auf eine Afrikareise, wie sie sich damals, Anfang der sechziger Jahre, ein noch unbekannter Provinzpolitiker kaum zu erträumen wagte. Frau Hannelore durfte derweilen mit der Gattin des Industriellen Ferien im schweizerischen Zermatt machen, wo den Damen ein luxuriöses Chalet zur Verfügung stand. Die Traumreise, auf die Kohl damals von seinem noblen Gönner mitgenommen wurde, ging ins Königreich Marokko, dessen Honorarkonsul für Rheinland-Pfalz sein väterlicher Freund geworden war, und sie wurde für Helmut Kohl zu einem Erlebnis wie aus Tausendundeiner Nacht. Übrigens, es sei hier nur am Rand vermerkt, weil es das harte Urteil vieler anderer, politischer Freunde wie Gegner, über den jungen Politiker Kohl bestätigt: Auch der ihm so wohlwollende Industrielle rügte, gerade im Anschluß an diese Marokkoreise, die miserablen Umgangsformen seines Schützlings. Wie schon gelegentlich zuvor und noch oftmals später, als Kohl schon längst Ministerpräsident in Mainz geworden war, bedauerte der Herr Konsul, wenngleich nur im engeren Familien- und Freundeskreis, das "ungehobelte Benehmen" Kohls und sein "schrecklich rücksichts- und taktloses Auftreten". Der engste Freund des Herrn Konsuls, dem er davon erzählte, lachte indessen nur und sagte – wie er später dem Autor selbst erzählte –: "Laß man, Fritz, wenn er werden soll, was wir uns ausgedacht haben, kann er gar nicht rücksichtslos genug sein!"

Übrigens, der bislang verschwiegene Name des Kohl-Entdeckers und langjährigen Gönners war Dr. Fritz Ries, damaliger Chef und Großaktionär des "Pegulan"-Konzerns mit Hauptsitz in Frankenthal. Dessen alter Freund, einstiger Kommilitone und "Leibfuchs" bei der Heidelberger schlagenden Verbindung "Suevia" und späterer stellvertretender Vorsitzender des "Pegulan"-Aufsichtsrats aber hieß Dr. Hanns Martin Schleyer, war bereits der Vertrauensmann des Daimler-Großaktionärs Friedrich Flick in der Untertürkheimer Konzernzentrale und bald auch stellvertretender Vorsitzender von "Gesamtmetall" sowie Vizepräsident der Arbeitgebervereinigung. Er sollte noch höher aufsteigen, ehe er im Herbst 1977 von Terroristen entführt und ermordet wurde, doch in unserem Zusammenhang ist zunächst nur von Bedeutung, daß es Dr. Ries und Dr. Schleyer waren, die den Jungpolitiker Helmut Kohl "vormerkten" für zukünftige Jahre, wenn eine "Bundesregierung nach Maß" und nach dem Herzen der großen Konzerne aufzustellen sein würde.

Wir werden auf Dr. Fritz Ries und Dr. Hanns Martin Schleyer noch einmal zurückkommen, doch hier sei über Ries nur noch angemerkt, daß es für den "Pegulan"-Konzern und dessen Produkte, vor allem Fußbodenbeläge aus Kunststoff, 1975 eine Absatzkrise gab. Nur durch eine Landesbürgschaft in Millionenhöhe konnten die Banken bewogen werden, dem Unternehmen noch einmal über die Runden zu helfen. Das Fachblatt "Wirtschaftswoche" meldete dazu am 5. März 1976:

Tatsächlich müssen die Finanzkalamitäten bei Ries und den Pegulan-Werken noch gravierender sein, als in der WiWo vom 23. Januar 1976 dargestellt. Der rheinlandpfälzische Finanzminister Johann Wilhelm Gaddum mußte dem SPD-Abgeordneten Rainer Rund auf eine Anfrage zur Pegulan-Krise denn auch eingestehen: "Landesbürgschaften werden nur dann gewährt, wenn die Sicherheiten im Sinne der Beleihungsgrundsätze der Kreditinstitute nicht ausreichen."

Im Klartext heißt das: Pegulan hätte ohne die Bürgschaft des Landes keinen Kredit mehr bekommen. Ob indes diese Landeshilfe allein wegen der gefährdeten Arbeitsplätze zugesagt wurde oder ob der CDU-Kanzlerkandidat und Rheinland-Pfalz-Chef Kohl zusätzlich ein gutes Wort für Ries einlegte, bleibt offen.

Offen bleibt auch, ob der sowohl von der seriösen "Wirtschaftswoche" als auch vom exklusiven "Manager-Magazin" verbreitete angebliche Ries-Ausspruch über Kohl – "Auch wenn ich ihn nachts um drei anrufe, muß er springen!" – korrekt wiedergegeben worden ist. Immerhin bezeichneten Ries-Tochter Monika und deren Ehemann, Rechtsanwalt Herbert Krall, dieses Zitat als "durchaus der Riesschen Auffassung von Kohl entsprechend".

Mit Gewißheit läßt sich nur sagen, daß das damals von Helmut Kohl geführte Land Rheinland-Pfalz den Konzern des Dr. Ries durch Übernahme von Bürgschaften in Millionenhöhe lange vor dem Zusammenbruch bewahrt hat. Dabei hat möglicherweise der Umstand eine Rolle gespielt, daß dem Ries-Konzern schon zuvor bedeutende Landesmittel zuteil geworden waren, deren Gesamthöhe von Fachleuten auf zig Millionen DM veranschlagt wurde.

Ebenfalls durch Kohl zuteil geworden war Dr. Fritz Ries im Februar 1972 der Stern zum Großen Bundesverdienstkreuz, eine ungewöhnliche Ehrung für einen Mann, dessen "unternehmerische Leistung und Engagement für die Gesellschaft", wie es in der Verleihungsurkunde hieß, wahrlich nicht unumstritten waren. Denn Fritz Ries, Kohls "Weichensteller", von ihm auch manchmal als "der gute Mensch von Frankenthal" bezeichnet, hatte eine recht dunkle unternehmerische Vergangenheit: Der am 4. Februar 1907 in Saarbrücken geborene Fritz Ries, Sohn des Inhabers einer Möbelhandlung, hatte nach dem Abitur ein Jurastudium begonnen, erst in Köln, dann in Heidelberg, wo er – wie schon kurz erwähnt – den acht Jahre jüngeren Korpsstudenten Hanns Martin Schleyer als "Leibfuchs" unter seine Fittiche nahm.

Schleyer, es sei hier nur am Rande angemerkt, war als Sohn eines Landgerichtsdirektors in Offenburg/Baden 1915 geboren worden und bereits als Schüler 1931 der Hitlerjugend beigetreten, 1933 in die SS aufgenommen worden (Mitgliedsnummer 227014) und galt mit 19 Jahren schon als "Alter Kämpfer", der von 1934 an die Universität Heidelberg in eine "Forschungs- und Erziehungsanstalt nationalsozialistischer Prägung" zu verwandeln sich bemühte. Er leitete dort, später auch in Innsbruck, dann in Prag, das sogenannte "Studentenwerk", aus dessen SS-Mannschaftshäusern der Sicherheitsdienst (SD) der Nazis seinen Nachwuchs rekrutierte. Von 1939 an stand der SS-Führer Dr. Schleyer im neuen "Protektorat Böhmen und Mähren" an der Spitze der gesamten SS-"Hochschularbeit"; ihm unterstanden rund 160 Angestellte, und sein Jahresetat betrug rund zehn Millionen Reichsmark.

Von 1939 an war SS-Hauptsturmführer Dr. Schleyer einem Mann direkt unterstellt, der als Chef des "Reichssicherheitshauptamtes" an der Spitze des SD, der Gestapo und der gesamten Polizei stand: SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich.

Im September 1941 wurde Heydrich unter Beibehaltung seiner Machtstellung im Reich auch noch Stellvertreter des Reichsprotektors von Böhmen und Mähren und damit der eigentliche Herrscher in der Tschechoslowakei, Dr. Schleyer seine rechte Hand und Kontrolleur der tschechoslowakischen Industrie bis zum letzten Tag der deutschen Besatzung. Erst am 8. Mai 1945 schlug er sich mit den letzten SS-Verbänden unter Mitnahme von Geiseln, tschechischen Frauen und Kindern, zu den schon kurz vor Prag stehenden Amerikanern durch und wurde von diesen interniert und einige Jahre lang gefangengehalten.

Doch zurück zu Fritz Ries, der sich beim Heidelberger Korps "Suevia" bei Mensuren jene "Schmisse" genannten Fechtnarben holte, die für eine Karriere damals sehr förderlich waren. Unmittelbar vor dem Verbot der korpsstudentischen Mensuren forderte Ries noch einen Kommilitonen, der seine Ehre verletzt hatte, auf Pistolen, wobei ihm sein "Leibfuchs" Schleyer – wie dieser sich erinnerte und dem Autor lachend erzählte – die Waffe zum Kampfplatz trug.

...

Warum das Großkapital Helmut Kohl finanziert ...

... und was es dafür von ihm schon bekommen hat

An nichts wird so glänzend verdient wie am Rüstungsgeschäft. Viele der größten Vermögen der Bundesrepublik im Megamillionen- und Multimilliardenbereich stammen aus Kriegsgewinnen, aus Waffenlieferungen ins Ausland, vor allem aber aus Aufträgen der Bundeswehr. Die Erben von Harald und Herbert Quandt – geschätztes Vermögen: zusammen 9,7 Milliarden DM –, der Flick-Erbe Dr. Friedrich Karl Flick und seine Neffen – zusammen annähernd 8 Milliarden DM schwer –, Familie v. Siemens – mindestens 3,5 Milliarden DM –, die Röchling-Erben – etwa 2,3 Milliarden – oder, um aus der Fülle der möglichen Beispiele noch einen weiteren Krösus zu nennen, Karl Diehl, der auf Munition, Zünder, Panzerketten und Kanonen spezialisiert ist und auf mindestens 1,5 Milliarden DM Vermögen geschätzt wird – sie und viele andere verdanken ihr vieles Geld großenteils dem gewaltigen Rüstungsbedarf, nicht zuletzt dem der Bundeswehr.

Um so erschrockener müssen die Konzernherren gewesen sein, als Kanzler Kohl, kaum daß er trickreich in sein Amt gehievt worden war, mit der Parole in den Bundestagswahlkampf 1983 zog: "Frieden schaffen mit immer weniger Waffen!"

Indessen beruhigten sich die Rüstungsmagnaten sehr rasch, als sie merkten, daß Kohl ihnen nur eins seiner demagogischen Kunststückchen vorführte. Die damaligen Meinungsumfragen hatten erbracht, daß die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung nichts sehnlicher wünschte als einen sicheren Frieden durch eine massive Abrüstung in Ost und West. Fast 80 Prozent der Befragten sympathisierten mit der Friedensbewegung, bejahten deren Ziele und bekundeten ihr Vertrauen zu Gorbatschow und die Glaubwürdigkeit seiner Vorschläge zur Beilegung des Ost-West-Konflikts und zur stufenweisen Abrüstung. Angesichts dieser breiten Zustimmung der Bundesbürger zu den Bemühungen, den Rüstungswahnsinn zu beenden, hatte sich Helmut Kohl veranlaßt gesehen, ganz ungeniert mit dem Versprechen auf Stimmenfang zu gehen, ebenfalls für Abrüstung zu sorgen.

Doch er tat das Gegenteil:

Die Rüstungsausgaben der Bundesrepublik stiegen unter Helmut Kohls Kanzlerschaft kontinuierlich weiter. 1983 betrugen sie 46.751 Millionen DM, 1986 überschritten sie erstmals die 50-Milliarden-Grenze, und 1990 erreichten sie mit mehr als 54 Milliarden DM den höchsten Stand in Friedenszeiten, den es in der deutschen Geschichte je gegeben hat!

Obwohl von einer tatsächlichen Bedrohung nicht mehr die Rede sein und spätestens seit der Jahreswende 1989/90 niemand mehr daran zweifeln kann, daß Abrüstung das Gebot der Stunde ist und keinesfalls weiter aufgerüstet werden darf, sieht der Haushaltsentwurf der Kohl-Regierung für 1991 abermals rund 50 Milliarden DM vor. Die scheinbare Verminderung um etwa zwei Prozent beruht zudem auf einem Rechentrick: die Personalverstärkungsmittel wurden aus dem Wehr- in den Finanzetat übertragen.
Nach acht Jahren Herrschaft der Kohl & Co-Rüstungslobby in Bonn ist unser Land der im Verhältnis zu seiner Einwohnerzahl höchstgerüstete Staat, das mit Atom-, Giftgas- und anderen Massenvernichtungswaffen am dichtesten bestückte Gebiet der ganzen Erde! Den endlichen Abtransport der riesigen US-Giftgasbestände aus der Rheinpfalz, die mehr als ausreichend waren, die ganze Menschheit auszurotten, und die in ihren verrosteten Behältern eine ständige Gefahr für die bevölkerungsreichste Region Europas darstellten, kann sich nicht die Regierung Kohl als Verdienst anrechnen. Erst der energische Protest der Bevölkerung, die eindrucksvollen gewaltfreien Aktionen der Friedensbewegung und ein Rest an Vernunft der verantwortlichen US-Militärs brachten den überfälligen Abtransport zuwege. Hingegen beeilte sich die Regierung Kohl, Washington die bindende Zusage zu geben, daß sogleich neue binäre Giftgas-Depots auf dem Territorium der Bundesrepublik angelegt werden dürfen!

Kohls Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg (CDU), als früherer Krupp-Direktor (bis 1970) der Schwerindustrie herzlich verbunden, vermag darüber hinaus, ohne daß der Kanzler ihm Einhalt gebietet, bei der Bundeswehr die alten, von der Realität überholten "Feindbilder" und "Vorwärtsverteidigungs"-Konzepte aufrechtzuerhalten und weiter Tiefflug- und Luftkampfübungen durchführen zu lassen, ohne Rücksicht auf die katastrophalen Folgen dieses kostspieligen Unfugs. Erst kurz vor den Wahlen werden sie vorübergehend ausgesetzt.

Doch die Krönung der "Verteidigungspolitik" des Kabinetts Kohl, für die 1990/91 mehr Geld vergeudet wird, als für die gesamte DDR-"Anschub"-Hilfe in den nächsten fünf Jahren aufgewendet werden soll, ist das sture Festhalten am Wahnsinnsprojekt "Jäger 90", von dem seit geraumer Zeit zweierlei feststeht: daß es erstens unbezahlbar teuer wird und zweitens jeder politischen Vernunft widerspricht.

Ähnlich wie am "Milliardending" des verstorbenen Franz Josef Strauß, der Plutonium-Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) in Wackersdorf, die – sofern Bayern keine eigenen Atomwaffen herstellen wollte – gänzlich überflüssig, zudem ebenso teuer wie gefährlich war, werden die Herren des Großen Geldes demnächst auch die Lust am "Jäger 90" verlieren, (wie aus jüngsten Absetzbewegungen der FDP des Grafen Lambsdorff geschlossen werden kann). Sie werden das Projekt sang- und klanglos fallenlassen und den beteiligten Regierungen (sprich: den Steuerzahlern) Rechnungen für Entwicklungskosten in astronomischer Höhe präsentieren.

Diese gigantische Vergeudung von öffentlichen Mitteln gehört indessen zur Strategie der Regierung Kohl, die das Ziel hat, das Volksvermögen umzuverteilen – zu Lasten fast aller Bürgerinnen und Bürger und zum Nutzen der wenigen Superreichen; denn wenn Großunternehmen Hunderte von Millionen Mark investieren, wie sie es taten, als sie zwei Jahrzehnte lang sehr viel Geld in die Kassen von CDU, CSU und FDP sowie in die Taschen führender Politiker fließen ließen, dann wollen sie für ihr Geld natürlich auch Gegenleistung erbracht sehen, die die hohen Ausgaben nachträglich überreichlich lohnen.

Neben den Sonderwünschen einzelner Großunternehmer – beispielsweise Flicks Wunsch nach Befreiung von allen Steuerzahlungen für sein "Milliardending", die ihm dann ja auch gewährt wurde – oder einzelner Branchen – wie etwa die ebenfalls gelungene Abwehr vernünftiger Sparmaßnahmen im Arzneimittelbereich durch die Pharma-Industrie – haben alle großen Bosse unseres Landes auch einige gemeinsame Wünsche: Sie wollen mehr Profit, egal ob durch steuerliche Entlastung oder durch Befreiung von lästigen, weil hohe Kosten verursachenden Auflagen, etwa im Umwelt- oder Arbeitsschutzbereich, ob durch Senkung ihrer Lohn- und Lohnnebenkosten oder durch hohe Subventionen.

Es gibt noch vieles, was den Profit kräftig steigert, und am liebsten ist es den großen Bossen, wenn ihnen die Regierung alles auf einmal und in möglichst reichem Maße beschert. Die Regierung Kohl-Genscher hat sich seit 1983 die größte Mühe gegeben, den Konzernen nur ja alles recht zu machen, wobei es eine Schwierigkeit gibt: Wenn man so viel zugunsten von wenigen Superreichen tut, geht dies leider zu Lasten der breiten Mehrheit all derer, die nicht zu den Multimilliardären gehören. Da die Regierung aber, wenn sie über den nächsten Wahltag hinaus am Ruder bleiben will (und nach dem Willen ihrer Geldgeber aus der Konzernwelt auch soll), eine Mehrheit der Wählerstimmen benötigt, muß sie das Kunststück fertigbringen, sich all denen überzeugend als Wohltäterin anzupreisen, die sie zugunsten des Großen Geldes benachteiligt und geschädigt hat. Ihr Spezialist für diese schwierige Aufgabe heißt Dr. Norbert Blüm, Vorsitzender der CDU-Sozialausschüsse, auch Mitglied einer DGB-Gewerkschaft, seit 1983 Bundesminister fürArbeit (was aber wohl nur eine irreführende Abkürzung ist, denn tatsächlich fungiert Dr. Blüm als Minister für Arbeitgeberinteressen). "Den Opfern des Sozialabbaus in ihrer Sprache zu antworten, ihnen die staatlichen Maßnahmen mit ihren eigenen Worten als Wohltat zu verkaufen – diesen Trick beherrscht kaum ein anderer Politiker so sicher und vertrauenerweckend wie Norbert Blüm", heißt es in der hervorragenden Studie von Hans Uske, "Die Sprache der Wende", über diesen mit Roßtäuschermethoden arbeitenden Demagogen, der den Abbau der Sozialleistungen folgendermaßen rechtfertigt:

Dafür brauche ich gar keine volkswirtschaftlichen Theorien. Das entspricht auch dem Lebensgefühl der Arbeiterfamilie. Die Arbeiterfamilie hat nie auf Pump gelebt. Sie hat immer gewußt: Man kann nicht mehr essen, als auf dem Tisch steht; und ein Staat kann nicht mehr ausgeben, als er einnimmt. Das entspricht dem Lebensgefühl der Arbeitnehmer.

So Dr. Blüm im Bundestag am 8. Dezember 1983.

"Norbert Blüm weiß das alles sehr genau", hat Hans Uske treffend dazu bemerkt. "... Das nutzt er für seine Übertölpelung. Denn der Staat ist natürlich keine Arbeiterfamilie, und Staatsschulden sind nicht mit einem Überziehungskredit zu vergleichen. Aber nehmen wir mal an, ›der Staat‹ sei tatsächlich in so tiefer Not wie eine Arbeiterfamilie. Wieso nimmt Blüm dann den armen Familienmitgliedern Geld weg, um es dem reichen Onkel als Steuergeschenk in den Rachen zu werfen? Wenn er uns schon alle zu einer riesigen Arbeiterfamilie macht, wäre es klar, daß uns die Wohlhabenden aus der Patsche helfen müßten. In richtigen Arbeiterfamilien gehört das zum guten Benehmen ..."

In derselben Bundestagsrede vom 8. Dezember 1983 gab sich Dr. Blüm sogar noch ein bißchen proletarischer: "Die Zinsen der staatlichen Schuldenpolitik bekommen nicht die Rentenempfänger, die Sozialhilfeempfänger, sondern diejenigen, die dem Staat das Geld leihen konnten", erklärte er, mehr für das Fernsehpublikum, das seine Rabulistik in der "Tagesschau" serviert bekam, als für seine wenigen Zuhörer im Bundestag. "Das sind nicht die armen Leute, das sind die Ölscheichs, die Banken und die Besserverdienenden. Schulden abbauen ist soziale Politik!"

"Ist das nicht klassenkämpferisch", heißt es dazu in dem bissigen Kommentar von Hans Uske, "wie Kollege Blüm hier gegen Ölscheichs, Banken und Besserverdienende vorgeht? In Wirklichkeit benutzt er ein paar proletarische Reizworte, um den Klassenkampf von oben – den er selbst mit vorantreibt – sprachlich in einen angeblichen Kampf gegen Ölscheichs und Banken zu verwandeln. Seine Arbeitersprache setzt Blüm ein, wie es ihm gerade paßt."

Denn bei anderer Gelegenheit kann er genauso geschickt die – angeblich faulenzenden – Sozialhilfeempfänger, die er eben noch als "arme Leute" für seine Scheinargumentation benutzt hat, in Parasiten und "Ausbeuter" verwandeln und folgendermaßen – in seinem Buch "Die Arbeit geht weiter", München 1983, Seite 9 – verunglimpfen: "Aber ist es nicht eine moderne Form der Ausbeutung, sich unter den Palmen Balis in der Hängematte zu sonnen, alternativ vor sich hin zu leben im Wissen, daß eine Sozialhilfe, von Arbeitergroschen finanziert, im Notfall für Lebensunterhalt zur Verfügung steht?"

...

Der große Volksbetrug ...

... und wie wir sein Gelingen verhindern können

Vom friedlichen Aufstand in der DDR und vom Zusammenbruch des SED-Regimes ist niemand so sehr überrascht worden wie die Kohl-Regierung, die dann allerdings die sich ihr so unverhofft bietende Chance eiligst ergriff. Innerhalb weniger Wochen waren die mutigen Frauen und Männer, die das Honecker-Regime gestürzt hatten, rücksichtslos vom Platz gedrängt und durch eine von Bonn aus an immer kürzerer Leine gehaltene Übergangsregierung ersetzt worden. Mit Versprechungen Kohls, der DDR ein unverzügliches Wirtschaftswunder zu bescheren und ihr durch reichen DM-Segen den Einzug ins Paradies der freien Marktwirtschaft zur reinen Lustpartie werden zu lassen, wurden die Volkskammerwahlen vom 18. März 1990 zu einem Triumph jener Blockparteien, die vierzig Jahre lang von der SED ausgehalten worden waren und nun ihr Heil bei Kohl & Co sahen.

Damit war der Weg frei für den Einzug des Großen Geldes in die DDR und deren eilige Vereinnahmung. Aber der versprochene reiche und sofortige Segen blieb natürlich aus. Vielmehr mußte die Regierung Helmut Kohls, so sehr sie dies auch zu vertuschen suchte, zunächst einmal für einen drastischen Sozialabbau sorgen, denn natürlich waren und sind die Herren des Großen Geldes vorrangig daran interessiert, Profit zu machen, und dabei ist all das, was sie "Sozialklimbim" zu nennen belieben, nur hinderlich.

So muß die Regierung Kohl jetzt eine wahre Sisyphusarbeit leisten – zum einen rasch alles beseitigen, was ihren Auftraggebern lästig ist, vom Kündigungsschutz über das Aussperrungsverbot und das bezahlte Babyjahr bis zum letzten betrieblichen Kinderhort; zum anderen ein immer schnelleres Tempo einschlagen, damit die unvermeidlichen katastrophalen Folgen ihrer hastigen Vereinnahmung erst nach den Bundestagswahlen in vollem Umfang spürbar werden.

So heißt es denn für Helmut Kohl und seine Ministerriege: immer neue Ausreden erfinden und Beschwichtigungen verbreiten, beispielsweise behaupten, daß niemand im Lande zu befürchten brauche, die Zeche bezahlen zu müssen. Dabei ist heute schon jedem Einsichtigen klar, daß drastische Steuererhöhungen zu Lasten der Verbraucher unvermeidlich sind. Je deutlicher sich dies abzeichnet, desto schlechter werden Kohls Chancen, an der Macht zu bleiben, und desto mehr beschleunigt er sein Tempo.

Andererseits haben die Ereignisse in der DDR vom November 1989 Helmut Kohls ohnehin sehr hohe Selbsteinschätzung ins Gigantische wachsen lassen. Längst ist er überzeugt davon, daß nicht Michail Gorbatschows Aufbruch zur Demokratie, nicht die Beispiele Polens, Ungarns und der Tschechoslowakei die friedliche Revolution im anderen Teil Deutschlands in Gang gesetzt und den mutigen Männern und Frauen der demokratischen Opposition zum Sieg verholfen haben, sondern daß er allein – vermutlich durch sein Anstimmen des Deutschlandliedes vom Balkon des Dresdner Rathauses unter Mißachtung der Haydnschen Melodie – Honecker verjagt und die Mauer zum Einsturz gebracht hätte, wofür ihm das deutsche Volk diesseits und jenseits von Elbe und Saale auf den Knien danken sollte. Er beruft sich auf den preußischen Strategen Moltke, der meinte: "Glück hat auf die Dauer doch zumeist wohl nur der Tüchtige" (womit dieser freilich eingeräumt hat, daß auch dem Mittelmäßigen Erfolg winken könne). Dazu befand die "Süddeutsche Zeitung" im Sommer 1990 in einem "Streiflicht": "Wenn einem Bundeskanzler, zu dessen Leibspeisen der ›Saumagen‹ zählt, die Vereinigung der deutschen Staaten ins Ruder läuft, empfiehlt es sich vielleicht nicht so sehr von friderizianischer Fortune, sondern eher davon zu sprechen, daß er einfach Schwein gehabt hat."

Aber Einsicht und Bescheidenheit sind Helmut Kohl wesensfremd, weshalb er auch die glänzende Konjunktur für das Werk seiner weisen Regierung hält, desgleichen die deutsche Fußball-Weltmeisterschaft und diese nationale Erfolgsserie – Einheit, Aufschwung, WM – im Dreierpack mit dem Aufdruck "Alles von Kohl!" anbietet und damit die Wähler zu beeindrucken gedenkt. Die Mogelpackung, so hofft er, wird im nationalen Rausch durchgehen, weil "die Männchen draußen im Land" (womit er aber alle, Männer und Frauen, meint, die außerhalb des Kanzler-Bungalows leben) so vergeßlich sind.
Deshalb sind in diesem Schwarzbuch die wahren Sachverhalte dargestellt worden, ohne Rücksicht auf die Empfindlichkeit des so selbstgefälligen Schwarzen Riesen und seiner "einzigartigen" Vertrauten Juliane Weber. Deshalb wurden die Zusammenhänge deutlich gemacht – bis hin zu der Tatsache, daß sich die Parteiführer der jetzigen Regierungskoalition mit Kanzler Kohl (CDU) an der Spitze persönlich die fetten Belohnungen bei den Konzernbossen abzuholen pflegen (manchmal auch abholen lassen), nachdem das viele Geld zuvor durch die Waschanlagen und an den Finanzämtern vorbei geschleust worden ist, mit Hilfestellung von feinen Herren wie dem Ex-FDP-Chef, Spenden-Profi und Amateur-Räuber Dr. Scholl, Kohls langjährigem Spezi. Und deshalb wurde immer wieder klargestellt, daß es die großen Bosse sind, die für ihr gebündeltes Bares die Herren Kohl, Graf Lambsdorff & Co regieren lassen und davon glänzend profitieren.

Im Westen Deutschlands findet Helmut Kohls Union keine Mehrheiten mehr; zumal die älteren Wählerinnen und Wähler inzwischen gemerkt haben, daß die – unverhofft noch andauernde – Hochkonjunktur zwar die Konzern-Kassen überlaufen läßt, an ihrer eigenen Einkommenslage aber kaum etwas ändert; daß die Massenarbeitslosigkeit, der Mangel an bezahlbarem Wohnraum und die "neue Armut" nicht geschwunden sind; daß die überflüssigen Rüstungsausgaben steigen statt drastisch zu sinken, und daß sie für ihre Kredite immer höhere Zinsen bezahlen müssen. Denn dafür, das die Superreichen immer reicher werden, müssen alle anderen bezahlen.

...

Download
zurück zu Bernt Engelmann