Auszüge aus Noam Chomsky's
"War against People"

Menschenrechte und Schurkenstaaten

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Eine Galerie der Schurken – wer gehört dazu?

Wie viele andere Begriffe des politischen Diskurses wird der Terminus "Schurkenstaat" auf zweierlei Weise verwendet: zum einen propagandistisch, um ausgewählte Feinde zu kennzeichnen, zum anderen wörtlich, um damit Staaten zu beschreiben, die sich selbst an internationale Regeln und Abmachungen nicht gebunden fühlen. Die Logik läßt erwarten, daß die mächtigsten Staaten unter die zweite Kategorie fallen, sofern ihnen nicht innenpolitische Beschränkungen auferlegt werden. Diese Erwartung wird von der Geschichte bestätigt.

Auch wenn internationale Regeln und Abmachungen nicht durchweg streng festgelegt sind, so gibt es doch ein gewisses Maß an Übereinstimmung, was allgemeine Richtlinien betrifft. In der Epoche nach dem Zweiten Weltkrieg sind diese Richtlinien zum Teil durch die UN-Charta, Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs und verschiedene Abkommen und Verträge kodifiziert worden. Die USA fühlen sich an diese Normen nicht gebunden und benötigen für deren Verletzung seit dem Ende des Kalten Kriegs, der ihnen die weltweite Vorherrschaft bescherte, nicht einmal mehr irgendwelche Vorwände. Diese Tatsache ist nicht unbemerkt geblieben. Im Mitteilungsblatt der American Society of International Law (ASIL; Amerikanische Gesellschaft für Internationales Recht) hieß es im März 1999, daß "das internationale Recht in unserem Land mittlerweile weniger hoch geachtet wird als zu irgendeiner anderen Zeit" in diesem Jahrhundert; und auch der Herausgeber der Fachzeitschrift der ASIL hatte kurz vorher beklagt, daß Washingtons Nichtachtung vertraglicher Verpflichtungen "auf alarmierende Weise zugenommen" habe.

Das diesem Verhalten zugrundeliegende Prinzip wurde 1963 von Dean Acheson formuliert, als er die ASIL darüber in Kenntnis setze, daß die "Angemessenheit" einer Reaktion auf eine "Bedrohung ... der Macht, der Position und des Prestiges der Vereinigten Staaten ... kein Gegenstand des Rechts" sei. Das intitutionelle Recht, hatte er zu einem früheren Zeitpunkt erklärt, ist nützlich, um "unsere Position mit einem Ethos zu vergolden, das aus höchst allgemeinen, in die Rechtslehre eingegangenen, Moralprinzipien abgeleitet ist". Aber die USA sind daran nicht gebunden.

Acheson bezog sich mit seiner Bemerkung vor allem auf die Kuba-Blockade. Kuba ist seit vierzig Jahren eines der Hauptziele US-amerikanischer Wirtschafts- und Terrorkriege – und war es schon vor der geheimen Entscheidung von 1960, die Regierung zu stürzen. Die kubanische Bedrohung wurde von Arthur Schlesinger verdeutlicht, der in einem Bericht der Lateinamerika-Mission an den zukünftigen Präsidenten Kennedy zu folgenden Aussagen gelangte: Es sei "die Verbreitung von Castros Idee, die Sache in die eigenen Hände zu nehmen", wodurch die "Armen und Unterprivilegierten" in anderen Ländern ermutigt würden, wie Schlesinger später formulierte, "jetzt bessere Lebensbedingungen zu fordern". Das wurde auch der "Viruseffekt" genannt. Damals stand der Kalte Krieg im Vordergrund: "Die Sowjetunion hockt gleichsam in den Startlöchern, winkt mit beträchtlichen Entwicklungsgeldern und stellt sich als Modell dar, wie man die Modernisierung innerhalb einer Generation erreichen kann."

Es kann nicht überraschen, daß sich die US-Attacken nach dem Zerfall der Sowjetunion verschärften. Die Maßnahmen wurden weltweit verurteilt: durch die Vereinten Nationen, die Europäische Union, die Organisation amerikanischer Staaten (OAS) und ihre Rechtsinstitution, das Inter-American Juridical Committee, das ebenso wie die Interamerikanische Menschenrechtskommission, einmütig die Verletzung internationalen Rechts durch die USA anprangerte. Nur wenige zweifeln daran, daß die Maßnahmen der USA auch von der Welthandelsorganisation (WTO) verurteilt werden würden, aber Washington hat unmißverständlich erklärt, daß man, dem Grundsatz von Schurkenstaaten folgend, alle eventuellen Verfügungen der WTO mißachten werde.

Ein anderes bedeutsames Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit ist die Invasion indonesischer Streikräfte in Ost-Timor 1975. Indonesien wurde vom UN-Sicherheitsrat aufgefordert, sich umgehend zurückzuziehen, schenkte dem jedoch keine Beachtung. Die Gründe erklärte UN-Botschafter Daniel Patrick Moynihan in seinen 1978 erschienenen Memoiren:

"Die Vereinigten Staaten wollten die Angelegenheit nach ihren Vorstellungen geregelt haben und taten alles dafür, um dieses Ziel zu erreichen. Das Außenministerium wünschte, daß jegliche von den Vereinten Nationen ergriffenen Maßnahmen erfolglos blieben. Diese Aufgabe sollte ich übernehmen, und ich habe sie mit nicht unbeträchtlichem Erfolg durchgeführt."

Moynihan berichtet weiter, daß binnen zwei Monaten an die 60 000 Menschen getötet wurden. Innerhalb der nächsten Jahre stieg die Zahl der Ermordeten auf etwa 200 000, wobei Indonesien in zunehmendem Maße militärische Unterstützung seitens der USA und, als die Grausamkeiten 1978 ihren Höhepunkt erreichten, auch von Großbritannien erhielt. Diese Unterstützung währte bis 1999, als von den USA ausgebildete und bewaffnete Kopassus-Kommandos ab Januar die "Operation Clean Sweep" organisierten, bis zum August (zuverlässigen kirchlichen Quellen zufolge) 3000 bis 5000 Menschen töteten, später 750 000 – 85 Prozent der Bevölkerung – vertrieben und das Land praktisch zerstörten. Die Regierung Clinton blieb bei ihrer Haltung, die Angelegenheit liege "in der Verantwortung der indonesischen Regierung, die wir ihr nicht abnehmen wollen". Unter wachsendem innenpolitischen und internationalen (vor allem australischen) Druck deutete Washington den indonesischen Generälen endlich an, daß jetzt Schluß gemacht werden müsse. Sie warfen daraufhin sehr schnell das Ruder herum und kündigten den Abzug ihrer Truppen an, was zeigt, daß die USA die, Macht hatten, schon sehr viel eher zu intervenieren.

Die US-amerikanische Unterstützung dieser Aggression erfolgte fast automatisch. Der mörderische und korrupte General Suharto war, wie die Regierung Clinton erklärte, "unser Typ". Das war er schon seit dem von ihm befehligten Massaker von 1965 gewesen, das in den USA ungehemmte Euphorie ausgelöst hatte. Und das blieb er, während er gleichzeitig zu einem der Rekordhalter an Menschenrechtsverletzungen aufstieg und erst in Ungnade fiel, als er 1997 unter dem Druck harter ökonomischer Restrukturierungsprogramme, die der Weltwährungsfond dem Land verordnet hatte, ins Stolpern kam. Das Muster ist nicht neu; ein anderer Großkiller, Saddam Hussein, wurde ebenfalls bei all seinen Greueltaten bestärkt und geriet erst ins Kreuzfeuer, als er Befehlen nicht gehorchte (oder sie mißverstand). Die Reihe vergleichbarer Beispiele ist lang: Trujillo, Mobutu, Marcos, Duvalier, Noriega und viele andere. Verbrechen werden nicht bestraft, nur Ungehorsam.

Die Massenmorde von 1965, deren Opfer zumeist Bauern ohne Landbesitz waren, garantierten, daß Indonesien keine Bedrohung à la Kuba sein würde – keine "Infektion", die sich in ganz Südasien "nach Westen ausbreiten" würde, wie George Kennan 1948 befürchtete, als er "das indonesische Problem" für den "wichtigsten" Gesichtspunkt im "Kampf gegen den Kreml" hielt, der damals noch kaum abzusehen war. Das Massaker wurde auch zur Rechtfertigung für Washingtons Kriege in Indochina, die den Willen der indonesischen Generäle, ihre Gesellschaft zu säubern, gestärkt hatten.

Die Vereinten Nationen zur "Erfolglosigkeit" zu verdammen war eine Routineangelegenheit geworden, seitdem die Organisation im Zuge der Entkolonialisierung der US-amerikanischen Kontrolle entglitten war. Ablesen läßt sich das unter anderem an der Zahl der im Sicherheitsrat eingelegten Vetos: Hier liegen die USA seit den sechziger Jahren an der Spitze, gefolgt von Großbritannien und, mit einigem Abstand, Frankreich. Abstimmungen in der Generalversammlung liefern ein ähnliches Bild. Es gilt das Prinzip, daß eine internationale Organisation den Interessen der US-amerikanischen Politik dienen muß, wenn sie auf längere Sicht überleben will.

Die Gründe für die Mißachtung internationaler Normen wurden von der Regierung Reagan näher erläutert, als der Weltgerichtshof sich mit Nicaraguas Vorwürfen gegen die Vereinigten Staaten beschäftigte. Außenminister George Shultz kanzelte alle ab, die "utopische, legalistische Mittel wie die Vermittlung von außen, die Vereinten Nationen, den Weltgerichtshof" befürworten "und zugleich den Machtfaktor in der Gleichung übersehen". Der Rechtsberater des Außenministeriums, Abraham Sofaer, erklärte, daß die meisten Staaten der Welt "unsere Ansichten nicht teilen können" und die "Mehrheit oftmals bei wichtigen internationalen Fragen den Vereinigten Staaten opponiert". Folglich müssen wir uns "die Macht [vorbehalten], darüber zu entscheiden", wie wir handeln und welche Angelegenheiten "im wesentlichen unter die Jurisdiktion der Vereinigten Staaten, gemäß der Entscheidung der Vereinigten Staaten" fallen – hier waren es die Aktionen, die der Weltgerichtshof als "ungesetzliche Anwendung von Gewalt" gegen Nicaragua verurteilte.

Der Weltgerichtshof forderte Washington auf, von den Gewaltmaßnahmen abzulassen und beträchtliche Reparationen zu zahlen, und verfügte überdies, daß alle Hilfsleistungen für die Söldnertruppen der Contras als militärische und nicht humanitäre Maßnahmen einzustufen seien. Daraufhin wurde der Gerichtshof zum "feindlich gesonnenen Forum" (New York Times) erklärt, das sich durch diese Verurteilung der USA unglaubwürdig gemacht habe. Diese eskalierten den Krieg vielmehr und verweigerten die geforderten Reparationszahlungen. Dann legten sie gegen eine Resolution des UN-Sicherheitsrats, die alle Staaten zur Einhaltung internationaler Rechtsnormen aufforderte, ihr Veto ein und stimmten, praktisch völlig isoliert, gegen vergleichbare Resolutionen der UN-Vollversammlung. Das alles wurde von den US-Medien als unbedeutend erachtet und, wie die offiziellen Reaktionen, kaum erwähnt. Bis zum Sieg der USA galt die Hilfe für die Contras als "humanitär".

Die Doktrin von den Schurkenstaaten blieb auch in Kraft, als die Demokraten ins Weiße Haus zurückkehrten. Präsident Clinton setzte die Vereinten Nationen 1993 davon in Kenntnis, daß die USA "multilateral [handeln werden], wenn möglich, und unilateral, wenn nötig" – eine Haltung, die ein Jahr später von der damaligen UN-Botschafterin Madeleine Albright und 1999 von Verteidigungsminister William Cohen bekräftig wurde. Cohen erklärte, daß die USA zum "unilateralen Einsatz militärischer Macht" verpflichtet seien, um lebenswichtige Interessen zu verteidigen. Dazu gehört "die Sicherung uneingeschränkten Zugangs zu Schlüsselmärkten, Energievorräten und strategischen Ressourcen" und natürlich alles andere, was für Washington in den Bereich der "eigenen Rechtsprechung" fällt.

Neu an diesen Positionen ist nur, daß sie öffentlich gemacht werden. Regierungsintern galten sie bereits seit dem Beginn der Nachkriegsordnung für verbindlich. Das erste Memorandum des neu gebildeten Nationalen Sicherheitsrats (NSC 1/3) forderte die militärische Unterstützung von Untergrundoperationen in Italien, die von einer nationalen Mobilmachung in den USA begleitet werden sollten, "falls die Kommunisten durch legale Mittel die Vorherrschaft in der italienischen Regierung erlangen sollten". Die Unterminierung der Demokratie in Italien blieb bis in die siebziger Jahre ein mit großer Aufmerksamkeit verfolgtes Projekt.

Es ließen sich weitere Beispiele in großer Menge anführen, was den Rahmen dieser Ausführungen sprengen würde. Dazu gehören nicht nur direkte Aggression, Subversion und Terror, sondern auch die Unterstützung solcher Methoden bei Satellitenstaaten: Israelische Angriffe auf den Libanon haben Zehntausende von Toten gefordert und zu wiederholten Malen Hunderttausende zu Flüchtlingen gemacht; die Türkei hat, als NATO-Mitglied, massive ethnische Säuberungen und andere Terroraktionen durchgeführt, wozu die Regierung Clinton durch umfangreiche Waffenlieferungen beitrug, als die Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung ihren Höhepunkt erreichten.

Ebenfalls erwähnt werden muß die Anstachelung zu Gewalttaten. Nachdem der von der Clinton-Regierung unterstützte Terror in der Türkei zunächst sein Ziel erreicht hat, ist ein anderer Staat zum führenden Empfänger US-amerikanischer Militärhilfe geworden (Israel und Ägypten fallen in eine andere Kategorie). Der neue Spitzenreiter ist Kolumbien, einer der größten lateinamerikanischen Menschenrechtsverächter der neunziger Jahre, dem nun – und auch das folgt altbewährten Mustern – großzügige militärische Hilfsleistungen seitens der USA zukommen sollen.

Der Beitrag der USA zur kolumbianischen Schreckensgeschichte geht auf die Regierung Kennedy zurück. Eine der bedeutsamsten Hinterlassenschaften dieser Regierung war ihre 1962 getroffene Entscheidung, die Aufgabe des lateinamerikanischen Militärs von der "Verteidigung der Hemisphäre" auf die "innere Sicherheit" zu verlagern und parallel dazu die Mittel und Ausbildungsmöglichkeiten bereitzustellen. Charles Maechling, der von 1961 bis 1966 den Planungsstab für innere Verteidigung und Anti-Guerilla-Aktivitäten (counterin-surgency) leitete, hat beschrieben, wie diese historische Entscheidung dazu führte, daß aus der Duldung "der Raubgier und Grausamkeit des lateinamerikanischen Militärs" die "direkte Komplizenschaft" mit "von Himmlers Todeskommandos übernommenen Methoden" wurde. Die Folgen müssen nicht weiter erläutert werden; sie wirken fort, auch nachdem der Staatsterror seine unmittelbaren Ziele erreicht hat. Eine von Jesuiten geförderte Konferenz, die 1994 in San Salvador abgehalten wurde, verwies vor allem auf die langfristigen Auswirkungen dieser "Kultur des Terrors, die darauf abzielt, die Hoffnungen der Mehrheit auf Alternativen zu den Vorstellungen der Herrschenden zu zähmen." Auch das ist nicht neu, sondern ein einflußreicher Faktor der Menschheitsgeschichte bis in die heutige Zeit.

So ziemlich das gleiche gilt für andere Teile des "Südens". 1958 dirigierte Präsident Eisenhower eine der umfangreichsten Geheimoperationen der USA, die darauf abzielte, die parlamentarischen Institutionen Indonesiens auszuhebeln, wodurch dem massiven Terror der folgenden vierzig Jahre der Boden bereitet wurde. Zugleich hintertrieb Washington die ersten (und letzten) freien Wahlen in Laos, unterstützte einen Angriff auf Kambodscha, unterminierte die Regierung in Burma und intensivierte den Terrorkrieg des Satellitenregimes in Südvietnam, der von Kennedy ein paar Jahre später zum direkten Aggressionskrieg ausgeweitet wurde. In jedem Falle waren die langzeitigen Auswirkungen katastrophal.

Um ihr Gesetz allen anderen aufzwingen zu können, muß eine Schurken-Supermacht "Glaubwürdigkeit" bewahren: Wer nicht kuscht, wird bestraft. Damit wird staatliche Gewalt gerechtfertigt, und "Glaubwürdigkeit" war das einzig plausible Argument für die Bevorzugung des Kriegs gegenüber anderen Mitteln im Fall Kosovo zu Beginn des Jahres 1999. Vorgeblich war es die "Glaubwürdigkeit der NATO", die auf dem Spiel stand, aber wer meinte wirklich, es sei die Glaubwürdigkeit von Belgien oder Italien, die den potentiell ungehorsamen Elementen hätte eingebleut werden müssen? Diese Elemente waren "Schurken" in der propagandistischen Verwendung des Begriffs: die "Abweichler, die Trägen, die Missetäter", die "unordentlichen" Elemente in der Welt, die den selbsternannten "aufgeklärten Staaten" das Recht auf Gewaltanwendung absprechen, wo und wann immer diese sie "für gerechtfertigt halten" und dabei die "restriktiven alten Regeln" über Bord werfen, um "modernen Begriffen von Gerechtigkeit" zu folgen, die sie sich je nach Bedarf zurechtmodeln.

"Glaubwürdigkeit" ist auch bei der langfristigen Planung ein bestimmender Faktor, der, um ein Beispiel zu nennen, in einer 1995 vom Strategischen Kommando der USA (STRATCOM) erstellten Untersuchung zur "Abschreckung in der Ära nach dem Kalten Krieg" eine Rolle spielt. Washingtons "Abschreckungsstrategie", so heißt es dort, müsse "überzeugend" und von den Führern von "Schurkenstaaten" sofort erkennbar sein. Die USA sollten sich "das ganze Spektrum an Reaktionen", insbesondere durch Nuklearwaffen, offenhalten, weil "im Unterschied zu chemischen oder biologischen Waffen die von einer nuklearen Explosion hervorgerufene Zerstörung unmittelbare Wirkung zeigt und kaum durch irgendwelche Gegenmaßnahmen einzudämmen ist". Bioterrorismus mag eine Waffe der Schwachen sein, die mächtigen Schurkenstaaten jedoch bevorzugen wirksamere Methoden, um Angst, Schrecken und Zerstörung zu verbreiten. "Obwohl wir Nuklearwaffen wahrscheinlich [sic!] nur einsetzen werden, wenn es sich um Probleme von größter nationaler Bedeutung oder um Extremfälle handelt, werfen solche Waffen ihren Schatten über alle Krisen und Konflikte." Zudem "sollten die Planungsstrategen bei der Entscheidung darüber ... was der Gegner am meisten wertschätzt, nicht zu rational vorgehen", vielmehr muß alles zum Zielobjekt werden können. "Es schadet uns, wenn wir uns als allzu vernünftig und kaltblütig darstellen." "Daß die USA irrational und rachsüchtig werden können, wenn man ihre Lebensinteressen bedroht, sollte zum nationalen Charakterbild gehören, das wir von uns vermitteln." Für unsere strategische Haltung ist es "günstig", wenn "einige Elemente den Anschein erwecken, "außer Kontrolle" geraten zu können".

Während die Zerstörung mittels Nuklearwaffen die bevorzugte Art ist, über Krisen und Konflikte "einen Schatten zu werfen", sollten technisch weniger aufwendige Optionen nicht unberücksichtigt bleiben. STRATCOM propagiert auch die "kreative Abschreckung", "eine scharfsichtige Einschätzung der Werte einer Kultur, die nutzbar gemacht werden können, um eine Botschaft der Abschreckung zu vermitteln". Ein Beispiel wird als Modell vorgeschlagen: Als im Libanon Sowjetbürger entführt und umgebracht wurden, "schickten die Sowjets dem Führer der revolutionären Organisation ein Paket, das einen einzelnen Hoden enthielt – den seines ältesten Sohns". Durch die geschickte Vermischung "kreativer" und nuklearer Abschreckungsstrategien sollten, vor dem Hintergrund der von den salvadorianischen Jesuiten beschriebenen "Kultur des Terrors", die potentiellen Störenfriede der guten Ordnung in Schach gehalten werden können.

Diese Logik würde jedem Mafiaboß einleuchten. In der einen oder anderen Form findet sie in jedem von Macht und Herrschaft bestimmten System ihren Ort, und es dürfte wohl kaum verwundern, daß auch der globale Zwingherr eine geeignete Version entworfen hat, die er, wo es erforderlich ist, zur Geltung bringt. Das ist der vernünftige Weg, um das von Winston Churchill in seinen Reflexionen über die Gestalt der Nachkriegswelt skizzierte Ideal zu erreichen:

"Die Herrschaft über die Welt muß den saturierten Nationen anvertraut werden, die über das hinaus, was sie besitzen, keine weiteren Bedürfnisse mehr haben. Läge die Weltregierung in den Händen von hungrigen Nationen, gäbe es immer Gefahren. Aber von uns hätte keiner einen Grund, mehr zu wollen. Der Frieden würde von Völkern bewahrt, die ohne Ehrgeiz und mit ihrem Leben zufrieden sind. Unsere Macht würde uns den anderen überlegen machen. Wir wären wie reiche Leute, die friedlich in ihren Besitzungen leben."

In der Welt nach dem Kalten Krieg hat sich, so das Pentagon, die "Abschreckungsstrategie" vom "waffenreichen Milieu" der feindlichen Supermacht auf das "an Zielobjekten reiche Milieu" des Südens verlagert, das in Wirklichkeit schon während des Kalten Kriegs das hauptsächliche Ziel von Terror und Aggression gewesen ist. Nuklearwaffen "scheinen in der absehbaren Zukunft zum zentralen Faktor der strategischen Abschreckung zu werden", folgert der STRATCOM-Bericht. Die USA sollten daher ihre Politik des "Verzichts auf einen Erstschlag" überdenken und den Gegnern klar machen, daß die "Reaktion" auf eine Bedrohung auch "präemptiv" sein könne. Ebenso sollte man das erklärte Ziel des Vertrags über die Nichtverbreitung von Atomwaffen ablehnen und keinen "negativen Sicherheitszusagen" zustimmen, die den Einsatz von Nuklearwaffen gegen Nicht-Nuklearstaaten, die diesen Vertrag unterzeichnet haben, verbieten. 1995 scheiterte eine solche Sicherheitszusage an internen Planungen und anderen Regierungsverordnungen, wodurch die Strategie des Kalten Kriegs im wesentlichen beibehalten wurde, was im übrigen auch für andere Zielobjekte gilt.

Nebenbei sei bemerkt, daß nichts von all dem Besorgnis oder auch nur einen Kommentar hervorruft.

Während des Kalten Kriegs war "Kommunismus" der gängige Vorwand für Terror und Aggression; im übrigen, wie die Opfer erkennen mußten, ein hochflexibler Begriff, der vor allem die drohende "Infektion" durch Unabhängigkeitsbestrebungen betraf. Dabei geriet neben Italien auch Indonesien ins Visier, dessen Regierung als zu demokratisch empfunden wurde, weil sie sogar einer Partei der Linken, der KP Indonesiens, die Beteiligung gestattete. Die indonesische KP wurde "von großen Teilen der Bevölkerung nicht als revolutionäre Partei unterstützt, sondern als Organisation, die die Interessen der Armen verteidigte" und "ihre Massenbasis in der armen Bauernschaft" fand, wie der australische Indonesienexperte Harold Crouch berichtet. Die Russen hatten dabei, wie Eisenhower "laut brüllend" in einer internen Diskussion betonte, ihre Hand nicht im Spiel.

Die indonesische KP war prochinesisch, aber 1965, als sie zerschlagen und ihre Anhängerschaft massakriert wurde, waren Rußland und China alles andere als Verbündete. Wie die Angst vor China geschürt wurde, zeigt sehr gut den opportunistischen Charakter der Propaganda im Kalten Krieg. Als das US-Außenministerium sich entschloß, Frankreich bei der Rückeroberung seiner ehemaligen Kolonie zu unterstützen, wurde der US-Geheimdienst instruiert, zu "beweisen", daß Ho Chi Minh ein Agent des Kreml oder von "Peiping" sei. Allerdings konnten weder für das eine noch für das andere "Beweise" gefunden werden, was dann, in einer der komischeren Episoden in der Geschichte des Geheimdienstes, als Zeichen dafür gewertet wurde, daß der ins Visier genommene Feind doch nur ein Sklave seiner ausländischen Herren sein konnte. Moynihan rechtfertigte die US-amerikanische Unterstützung der indonesischen Greueltaten in Ost-Timor mit der Unterstützung der Widerstandsbewegung durch China – völlig absurd, aber es zeigt, daß die politische Doktrin irgendein Element des Kalten Kriegs braucht, um derlei zu legitimieren.

Die Bedeutung von Moynihans Hinweis auf China erscheint in ihrem richtigen Licht, wenn man Vorgänge betrachtet, die sich vier Jahre zuvor und vier Jahre danach ereigneten. Es geht dabei um die Reaktion der USA auf die zwei wichtigsten (vielleicht einzigen) Beispiele für militärische Interventionen nach dem Zweiten Weltkrieg, die tatsächlich humanitäre Folgen hatten: Indiens Einmarsch in Ost-Pakistan (Bangladesch) 1971 und der Sturz des Pol-Pot-Regimes acht Jahre später durch den Einmarsch vietnamesischer Truppen in Kambodscha. Beide Interventionen wurden von Washington scharf kritisiert, und in beiden Fällen ging es um die freundschaftlichen Beziehungen der USA zu China. Ein offensichtlicher Grund für die wütende Reaktion auf die indische Invasion, die der Beendigung umfangreicher Massaker diente, war offensichtlich die Befürchtung, daß dadurch der als PR-Aktion geplante Überraschungsbesuch Kissingers in Peking gefährdet werden könnte. Vietnams Verbrechen, die Greueltaten der Roten Khmer zu beenden, wurde mit einem von den USA unterstützten Einfall chinesischer Truppen bestraft, während Washington zugleich dem vertriebenen Pol-Pot-Regime diplomatische und militärische Unterstützung gewährte.

Im Kalten Krieg ließen sich Vorwände immer finden und hatten, zumal vor dem Hintergrund der Konstellationen zwischen den Großmächten, bisweilen auch eine gewisse Plausibilität. Aber bei näherem Hinsehen zeigt sich zumeist, daß andere Faktoren ausschlaggebend waren, wie bei Indonesien, Kuba und Indochina – eine Tatsache, die mitunter zugegeben wird, wenn die vorgeblichen Begründungen von einst sich nicht mehr halten lassen. Als die Regierung George Bush im März 1990 ihren ersten Verteidigungshaushalt nach dem Ende des Kalten Kriegs beantragte, forderte sie die Aufrechterhaltung der hauptsächlichen Interventionsstreitkräfte für den Mittleren Osten, wo "die Bedrohung unserer Interessen ... nicht dem Kreml in die Schuhe geschoben werden kann", was die Propaganda indes die ganzen Jahrzehnte vorher behauptet hatte.

Als die USA Guatemalas kurzes Experiment mit der Demokratie durch eine Militärinvasion beendeten, der vierzig Jahre des Schreckens folgen sollten, äußerte man sich intern (nicht aber öffentlich) besorgt darüber, daß "die Sozial- und Wirtschaftsprogramme der gewählten Regierung den Erwartungen [der Arbeiter- und Bauernschaft] entsprechen" und "bei den meisten politisch bewußten Guatemalteken große Unterstützung finden". Überdies ist Guatemalas "Agrarreform eine machtvolle Propagandawaffe; dieses umfassende Sozialprogramm, das den Arbeitern und Bauern zum siegreichen Kampf gegen die oberen Klassen und große ausländische Unternehmen verhelfen soll, findet bei der Bevölkerung der mittelamerikanischen Nachbarstaaten, die ähnliche Bedingungen aufweisen, großen Anklang."

Diese äußerst gefährliche Bedrohung der Ordnung wurde mit vierzig Jahren Gewalt und Mord im Keim erstickt.

Solche Handlungsweisen durchziehen die Dokumente zur US-amerikanischen Außenpolitik wie ein Refrain. Dementsprechend wird diese Politik, mit einigen taktischen Abwandlungen, auch nach dem Kalten Krieg fortgesetzt. 1991 machten sich die Vereinigten Staaten unverzüglich daran, Haitis hoffnungsvolles Experiment mit der Demokratie ins Gegenteil zu verkehren, unterminierten dann das von der OAS beschlossene Embargo, während die Militärjunta folterte und mordete, und brachten schließlich den gewählten Präsidenten unter der Bedingung ins Amt zurück, daß er die Politik seines von Washington favorisierten Vorgängers übernähme, der in den Wahlen von 1990 nur 14 Prozent der Stimmen erhalten hatte. Die danach geführten Debatten kreisten um die Frage, ob diese "humanitäre Intervention" zur Verteidigung der Demokratie politisch klug gewesen sei.

In Relation zu wirklich groß angelegten Aggressions- und Terrorunternehmungen geraten derlei Aktionen, die, von anderen Staaten durchgeführt, als schwere Verbrechen verurteilt würden, zu bloßen Fußnoten. So wurden zum Beispiel bei dem schlimmsten Terrorakt von 1985, auf dem Höhepunkt der Kampagne gegen den "internationalen Terrorismus", bei einem von der CIA eingefädelten Bombenattentat auf einen Muslim-Führer 80 Libanesen getötet. 1998 wurde in einem armen afrikanischen Land, dem Sudan, die Hälfte der pharmazeutischen Vorräte vernichtet. Wie viele Tote diese Aktion gekostet hat, bleibt unbekannt, weil Washington eine UN-Untersuchung blockierte. Die Herausgeber der New York Times hielten das Vorgehen für legitim, weil die USA "das Recht haben, mit militärischer Gewalt gegen Fabriken und Ausbildungslager vorzugehen, in denen terroristische Angriffe gegen amerikanische Ziele vorbereitet werden" (oder auch nicht). Die Reaktion wäre vermutlich eine andere, wenn islamische Terroristen die Hälfte der pharmazeutischen Vorräte in den USA, Israel oder einem anderen bevorzugten Staat zerstören würden.

Diese und andere Beispiele von terroristischen Vergeltungsschlägen fallen unter die Kategore der "kreativen Abschreckung".

Was solche Methoden an Menschenleben fordern, läßt sich überhaupt nicht berechnen, aber für wirklich mächtige Schurkenstaaten spielen Verbrechen keine Rolle. Sie werden aus der Geschichte gestrichen oder in gute Absichten verkehrt und verklärt, die leider schiefgegangen sind. Für die öffentlich gerade noch zulässige Kritik begann der Krieg gegen Südvietnam, später gegen ganz Indochina, mit "fehlerhaften Versuchen, Gutes zu tun", obwohl "schon 1969" deutlich wurde, daß "die Intervention ein katastrophaler Fehler gewesen war", weil die USA "eine Lösung nur zu einem Preis hätten durchsetzen können, der für sie zu hoch ausgefallen wäre". Robert McNamaras Entschuldigung für den Krieg richtete sich an die Amerikaner und wurde von den Falken als Verrat verurteilt, von den Tauben dagegen als höchst verdienstvoll und mutig gefeiert: Wenn Millionen von Leichen die Überreste der von unseren Angriffen zerstörten Länder bedecken, während immer noch weitere Menschen durch Spätzünder von Landminen und Bomben und an den Folgen chemischer Kriegführung sterben, geht uns das nichts an und verlangt keine Entschuldigung, geschweige denn Reparationszahlungen oder Kriegsverbrechertribunale.

Ganz im Gegenteil. Die USA werden als Anführer der "aufgeklärten Staaten" gerühmt, die Gewalt anwenden dürfen, wann immer sie es für richtig halten. In den Jahren der Clinton-Regierung ist die US-Außenpolitik in eine "noble Phase" eingetreten und trägt der New York Times zufolge so etwas wie einen "Heiligenschein". Amerika ist "auf der Höhe seines Ruhms" angelangt, unbefleckt von internationalen Verbrechen, von denen nur einige wenige erwähnt wurden.

Schurkenstaaten mit innenpolitischer Freiheit – und hier befinden sich die USA an der äußeren Grenze – müssen sich auf die Bereitwilligkeit der gebildeten Schichten verlassen, Loblieder zu singen und schreckliche Verbrechen zu leugnen oder zu tolerieren. Auch darüber gibt es Dokumente in großer Anzahl, die an anderer Stelle ausführlich gewürdigt wurden. Sie dürften nicht allzu viel Stolz hervorrufen.

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